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Karolin Meunier

Tell Me More

Wenn Personen mit Mikrophonen ausgestattet, hinter Stehpulten oder an Tischen sitzend, mit Projektionen im Hintergrund oder nur mit einem Blatt Papier in der Hand sich an ihr Publikum wenden, gleichen sie einander in ihrem Exponiert-Sein. Die künstlerische Performance ist insofern auch nicht einfach das ästhetische Pendant zu all den Talking Heads aus dem akademischen und politischen Leben, sie kommt längst in diesen zum Tragen. Dass in letzter Zeit verstärkt Kulturinstitutionen unter dem Label der „Performative Lecture“ sowohl eine Öffentlichkeit für Auftritte wie für den Diskurs um Performance zu etablieren suchen 1, liegt vielleicht in der Hybridität dieses Genres begründet, das die direkte Vermittlung von Information ebenso beinhaltet wie abstrakte Bewegungsabläufe.

Im Februar dieses Jahres lud die Tate Modern in London zu einer von Catherine Wood kuratierten zweitägigen Veranstaltung ein. Betitelt mit Characters, Figures and Signs fand hier eine Reihe von Live-Auftritten, sowie Gesprächsrunden und Filmvorführungen statt, die sich den Übergängen von der Geste zur Sprache, vom Tanz zur Rede widmeten. Den Auftakt bildete ein rasanter Vortrag von Bojana Cvejic, Performerin und Autorin, der von versteckten und expressiven Figuren im Tanz über den Unterschied unwillkürlicher Gestikulation und inszenierter Gesten bis hin zur Philosophie des Gehens bei Yvonne Rainer reichte, was Cvejic erklärte und, mit wenigen Schritten vom Rednerpult weg über die Bühne gehend, auch vorführte. Ihre Darbietung schien dabei gleich einen programmatischen Überbau für die ganze Veranstaltung zu liefern. Cvejic bezog sich mehrfach auf Xavier Le Roy, dessen Performance „Product of Circumstances“ von 1999 an beiden Abenden wiederaufgeführt wurde und die als einflussreich für die aktuell diskutierte Form der „Performative Lecture“ gilt. Le Roy gelingt mit dem vorgelesenen Bericht über seine Entwicklung vom Molekularbiologen zum Tänzer, der unterbrochen wird von Fragmenten eigener Tanzstücke und Dias von Krebszellen, eine Diskursivierung des Tanzes über die Darstellung seines persönlichen Einstiegs in das Genre. In der Gegenüberstellung biologisch-medizinischer Terminologie und den zum Teil deformierend wirkenden Tanzposen (wie Le Roys gleichsam entkoppelter, sich sehr schnell und propellerartig drehender Unterarm), wird ein unpathetischer und wenig illusionistischer Blick auf den Körper geworfen. Die ganze Aufführung wirkte allerdings zu musealisiert, als dass der Zuschauer sich in seiner Wahrnehmung herausgefordert sah. Vielleicht war es die aufwendig installierte Bühne in der Turbinenhalle der Tate oder die Entscheidung, das Stück seit 10 Jahren als eine Art Langzeit-Experiment unverändert aufzuführen. Trotz Le Roys Selbstironie schien hier zu wenig auf dem Spiel zu stehen und das biographische Moment zum Theater erstarrt.

Ian Whites, "Black Flags", Tate Modern, London 2009

Auf den kuratorischen Anspruch, „das Verhältnis von zeitgenössischem Tanz, bildender Kunst und akademischem Diskurs“ zu befragen, wie es in der Ankündigung der Veranstaltung heißt, reagierten die in London lebenden Künstler Ian White und Pablo Bronstein mit zwei sehr unterschiedlichen Vorschlägen. White, der auch als Filmkurator arbeitet, benannte in der Performance Black Flags gleich zu Beginn seine unvermeidbare Komplizenschaft mit den Veranstaltern, indem er die vorangegangenen gemeinsamen Gespräche ins Spiel brachte. So buchstäblich war die Referenz zum Kontext in der fast slapstickhaften Inszenierung jedoch nicht durchgängig. Das auffälligste Requisit auf der Bühne war die voluminöse Windmaschine, die Haare, Kostüm und Papiere des Lesenden in permanenten Aufruhr versetzten, so dass es für ihn sichtlich schwierig war, Haltung zu bewahren. Zusätzlich ertönte laute Blasmusik, gegen die White sich bemühte anzusprechen. Dem Zuschauer gelang es nur bedingt, dem Text, einer akribischen Beschreibung des Beschriftungssystems von Kunstwerken in den Tate-Ausstellungsräumen, zu folgen. Als White im zweiten Teil nur noch Satzanfänge, wie „I want“ und „He is“ herausbrachte, lief im Hintergrund ein Videofilm, der die Interaktion mit einem maskierten Mann in einer Privatwohnung zeigt. Während der Maskierte sich in homoerotischen Posen durch das Zimmer bewegt, folgt die Person mit der Kamera (vermutlich der Künstler selbst) dessen Geldbeutel in der hinteren Hosentasche und versucht in mehreren Anläufen, diesen zu entwenden. Am Ende der Performance erhebt sich White und ruft einige Zeilen des Pop-Songs „The Man I love“ in den künstlich erzeugten Wind: „Some day he'll come along. The man I love. And he'll be big and strong. The man I love. And when he comes my way, I'll do my best to make him stay!“ Was er selbst im Programmtext „cancellation“ nennt, war vielmehr eine Inszenierung der Verhinderung von Verständlichkeit, von romantischer Liebe und vielleicht ebenso von effektiver Institutionskritik. Vorausgesetzt man versteht die Anspielungen auf die Ökonomie der Liebe wie auf die des Museums als tragikomischen Kommentar auf die schwierigen Bedingungen für die eigenen Affekte und den Bezug des Künstlers zur Institution als ambivalentes Geflecht aus Kritik und Begehren.

Das Persönliche und Biographische als Material einzusetzen und zugleich auf expressiven Ausdruck und Virtuosität größtenteils zu verzichten oder zu persiflieren wie Le Roy und White erinnert an die Bild- und Körpersprache der experimentellen New Yorker Tanz- und Kunstszene der 60er Jahre. Während sich etwa Yvonne Rainer in frühen Arbeiten allein gegen das starre Regelwerk des klassischen Tanzes wendete, fußt die Subjektivierung und der Antiillusionismus bei Le Roy auf der Idee einer Antithese zum naturwissenschaftlichen Diskurs über den Körper. Whites Performance stellt hingegen das eigene Involviert-Sein in einen Zusammenhang mit Arbeits- und Rezeptionsbedingungen und fragt danach, was es heißen kann, innerhalb der institutionellen Parameter zu agieren und darin ein eigenes Begehren zu formulieren. In einer abschließenden Gesprächsrunde mit den Künstlern und Tänzern Pablo Bronstein, Martin Hargreaves, Jennifer Lacey, Mårten Spånberg und Ian White, in der die zeitgenössische Performance in Bezug zu ihren historischen Vorläufern diskutiert werden sollte, wurde dem Zuhörer jedoch deutlich, dass mit der allzu dominanten Referenz auf Yvonne Rainer, Steve Paxton und Robert Morris, die aktuelle Liaison zwischen Tanz- und Kunstszene nicht ausreichend erfasst wurde und die Diskussion im Kreis verlaufen ließ. Im Hinblick auf die Verwicklungen von körperlicher Präsenz, Institution und ambivalenter Komplizenschaft wäre sicher auch Andrea Fraser als weitere Hauptfigur im Genre „Performative Lecture“ zu nennen. Die schließlich lakonisch formulierte Frage Bronsteins, was es denn eigentlich mit den legendären 60ern auf sich hätte, er würde damit nicht allzu viel verbinden, war deshalb an dieser Stelle eine produktive Setzung.

Bronsteins eigene Performance „Intermezzo“ brachte dann auch entsprechend andere Referenzen ins Spiel. In einer kunsthistorisch anmutenden, jedoch lässig vorgetragenen Powerpoint-Präsentation über die Massakerszenen des Manierismus-Malers Antoine Caron, hob er die eindrucksvoll tänzerischen Posen der abgebildeten Kämpfer hervor: In den gewählten Ausschnitten der Bilder sieht man die kämpfenden Männer so brutal wie elegant miteinander interagieren. Während Bronstein im ersten Teil an einem kleinen Tisch sitzt und von dem vor ihm aufgeklappten Laptop nur zur Projektion oder zum Publikum aufblickt, beginnt er im zweiten Teil sich auf der Bühne zu bewegen ohne die Rolle des Vortragenden aufzugeben. Zusammen mit einem in klassisch weiße Strumpfhosen gekleideten Tänzer setzte er zu Musik, wie Edward Griegs „Holberg-Suite“, Versatzstücke höfischen Tanzes in Szene, indem er diese kunsthistorisch einordnete, während der Tänzer sich in die entsprechenden Posen warf. Diese Montage gab dabei mehr über queere Codes Auskunft, etwa über die campe Faszination für klassisches Ballett, als dass Bronstein ernsthaft versuchte historisches Kulturgut wiederaufzuführen. Seine bis in die Diskussion durchgehaltene freundlich-vermittelnde wie opake Sprechhaltung beschreibt vielleicht ganz treffend, dass die Ausführenden akademisierter Performances nicht an entgrenzten Körpererfahrungen interessiert sind. Die meisten der hier stattfindenden Aufführungen folgten vielmehr einer äußerst kontrollierten Dramaturgie und avancierten zu kleinen, aber komplexen Allegorien über den Akt des Vortragens selbst.

In Performances vor allem den Sprechakt zu fokussieren, verleiht dem gesprochenen Text Gewicht und kennzeichnet im gleichen Zug das Gesagte als abhängig von dessen Inszenierung. Sonst selbstverständlich erscheinende Gesten, ob unwillkürlich oder souverän geäußert, ob als Scheitern oder Erfolg identifizierbar, werden hier zwangsläufig als Teil der Inszenierung gelesen. Die körperliche Präsenz der Sprecher verweist immer auch auf deren persönliches Involviert-Sein in die Situation. Um diese Zusammenhänge erneut kenntlich zu machen, war der zweitägige Parcours aus Vorträgen, Filmen, Diskussionen und Performances sicherlich produktiv. Bei einer Veranstaltung, die sich dem Performativen verschrieben hat, bleibt jedoch zu fragen, ob das klassische Format einzelner Darbietungen nicht selbst hybrider gedacht werden müsste, um das Publikum als aktiven Part in der live stattfindenden Überschneidung von Diskurs und Performance wahrnehmen zu können.

Anmerkung

1  Ich möchte hier vor allem auf zwei Veranstaltungen am Mumok in Wien hinweisen, die ähnlich strukturiert waren. „Öffentliche Angelegenheiten“ (2003), kuratiert von Ulrike Müller, und „Nichts ist aufregend. Nichts ist sexy. Nichts ist nicht peinlich.“ (2008), kuratiert von Tanja Widmann in Zusammenarbeit mit Achim Hochdörfer und dem Tanzquartier Wien. Außerdem hat soeben die von Will Holder kuratierte Ausstellung „Talkshow“ im ICA in London eröffnet, die von einer Reihe Performances und Workshops begleitet wird.