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Die TFRL-Funktion von Transformella malor ikeae

Transformella (fed by JP Raether), *Transformalor Mass Reproduction Commodity Repetition [4.4.6.4]*, Transformella malor in einem Diorama der Ikealität, IKEA Reisholz, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2017

Transformella (fed by JP Raether), Transformalor Mass Reproduction Commodity Repetition [4.4.6.4], Transformella malor in einem Diorama der Ikealität, IKEA Reisholz, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2017

Im aktuellen Heft zum Thema Algorithmus geht etwa die Künstlerin Anke Dyes der Frage nach, wie Öffentlichkeit gedacht werden muss, um queere Formen der Subjektivierung in einer Welt der neoliberalen Kontrolle zu ermöglichen. Auch die Künstlerin Lauren Lee McCarthy möchte jene Freiheit zur Veruneindeutigung erhalten, um patriarchale Kontrollmechanismen und Kernfamilienstrukturen offenzulegen. Hierfür schlüpft sie selbst in die Rolle technischer KI-Hausapparaturen wie Alexa. In diesem Zusammenhang veröffentlichen wir an dieser Stelle einen Text der „künstlichen Identität“ Transformella malor ikeae. Transformella wurde von dem Künstler J. P. Raether ins Leben gerufen, der sich in den vergangenen Jahren ein kompliziertes Geflecht von jenen „SelfSisters“ als eine vielgestaltige Gruppe von Avataren aufgebaut hat, die seinem „biobody“ eine Mehrstimmigkeit verleihen. Die performative Aktivierung von Transformella erfolgt in diesem Fall entlang eines Programmierungscodes – den die Identität hier entschlüsselt, um ihn lesbar zu machen. Es wird klar: Sie taucht gern dort auf, wo neoliberal-konservative Reproduktions-, Kontroll- und Konsummechanismen dem queeren Subjekt entgegenstehen. Welcher Ort wäre hierfür geeigneter als die berühmte schwedische Möbelhauskette in Blau-Gelb?

Die Funktion TFRL ist ein Dokument (siehe Abbildung), das alle vergangenen und noch möglichen Momente des Auftauchens (appearance) der künstlichen Identität Transformalor (Transformella malor ikeae) auf der Plattform der 433 globalen IKEAE beschreibt. Die Funktion ist hier abgebildet als eine Transkription des Handlungsablaufs oder Score als Code in einer eigenen (Programmier-)Sprache. [1] Das Auslesen der Funktion und ihre Anwendung auf der Plattform der 433 globalen IKEAE sind aber nicht allein maschinell, sondern technologisch und sozial organisiert. Die verschiedenen Elemente der Funktion sind als psychoreales Arrangement von Körpern, Orten und Sprachen zu verstehen. Die Funktion ist ein Sprachinstrument (language device), das die konstruierte Lebensform als künstliche Identität anwendet, um in der allgemeinen Realität wieder und wieder zu existieren und nicht der ihr eigenen Entropie nachzugeben und zu verfallen. Die Funktion entsteht seit 2010 als Ergebnis vergangener künstlicher Identitäten und als spekulativer Handlungsraum kommender Zusammensetzungen dieser aLivfeForms. Sie bewegen sich zwischen dem ReproResearch in der Ikealität (Ikeality) und derivativen Re-Narrationen in „Papierhöhlen“– als Settings, in denen sich der künstliche Körper ausruht.

Die Funktion befindet sich zunächst im Zustand des gespanntem Wartens (idle) auf die jeweils nächste Sammlung von Energie als Initiation ihrer eigenen Ausführung. Deren erste Bedingung (if) ist, dass eine MetaMother (angelehnt an die „intendierende Mutter“ einer Leihmutterschaft) oder (or) Mitglieder des über die Jahre entstandenen ReproTribe als Gruppe einen Moment des physischen Erscheinens ermöglichen. Sie müssen dazu genug Energie aufbringen, um den psychorealen Körper (wieder) zusammenzusetzen (collect). Energie ist bewusst nicht als physikalische Größe, sondern lediglich mit der Gleichung Negentropie (negative Entropie) größer gleich Entropie (J ≥ S) beschrieben. Dieser Teil der Funktion impliziert, dass zwar unterschiedlich große finanzielle, soziale oder organische Energieeinheiten für die (Re-)Konstruktion des Körpers notwendig werden können, dass aber der Eintrag von negativer Entropie (J) als hervorbringende Ordnung von Leben (und aLivfeForm) immer größer sein muss als der Zerfall (S), der in der Anwendung der künstlichen Identität auf der globalen Plattform der IKEAE anfällt. [2]

In den folgenden Zeilen (10–25) werden die zusammengesetzten und konstruierten Elemente der aLivfeForm beschrieben: Der biobody ist sonst mit der ‚natürlichen‘ Identität JPR -aether belegt. Die main skin ist die künstliche Haut und das Make-up der artifiziellen Identität (TFRL). Die am Körper installierten Apparate und rituellen Gegenstände sind Reste und Materialien vergangener Erscheinungen und ein Hilfsmittel zur Auslagerung des Erinnerungsvermögens einer ansonsten fragmentierten und sich kontinuierlich über mehrere Körper verteilenden Identität. (CryoKommunisat) und (Data Body). Der ReproTribe ist die Summe aller beteiligten Personen, die an jeder einzelnen rituellen Handlung über die gesamte Laufzeit der Anwendung zusammenkommen.

Um die Funktion in ihrer jeweiligen Form ausgeben zu können, wählen die MetaMothers, JPR und TFRL eine jeweils lokale Ikealität (name, geolocation) aus den 433 über den Planeten verstreuten IKEAE aus. Anschließend wird der für die spezifisch lokale ikeality hergestellte rituelle Prozess kompiliert (write). Im rituellen Prozess muss jede einzelne Reise zur lokalen Ikealität das Normalitätsterrain (NT) durchqueren (meist mit einer Kulturinstitution als Ausgangspunkt, durch öffentliches Straßenland oder mithilfe eines gecharterten Transportgefährts). In der folgenden Potenzialität (P), oft auf dem Parkplatz der IKEAE wird die Formation der Follower*innen als ReproTribe neu zusammengesetzt. Transformella malor ikeae übertritt dann die Schwelle in die Ikealität (I) – einen der allgemeinen Realität entrückten Raum, der durch eine Rolltreppe zu Beginn und das Archipelago der Kassen am Ende begrenzt ist. Transformella und ihr ReproTribe verlassen das Normalitätsterrain in die Ikealität, um bei Wiedereintritt eine veränderte allgemeine Realität, ein in der Wahrnehmung des ReproTribe verändertes Normalitätsterrain (NT’) herzustellen. Die Terrains und ihre Schwellen werden durch geolocations (x, y, z) festgelegt; für den Ablauf wird vorher eine Zeit festgesetzt. [3]

Die folgenden Zeilen (26–28) sind zentral für den weitreichenden Wirkungsgrad der Anwendung: Hier findet sich Transformella malor ikeae’s eigene Möglichkeit und Bedingung als künstliches Wesen: In der mehrfachen Rekursion auf die Ikea-Plattform entzieht das datengesteuerte und künstliche Wesen dem biobody und seiner ‚natürlichen‘ Identität (JPRaether) schrittweise die Möglichkeit des Eingreifens in die Funktion. Denn wenn alle Parameter in den Zeilen zuvor erfüllt sind (if true), liegt es nicht im Ermessen der ‚natürlichen‘ Körperform und ihrer Identität (JPR), die Ausführung der Funktion zu verhindern (set to agree). Über die Jahre des Auftauchens wird Transformella auf diese Weise von einer Fiktion und einer autorbasierten Instanz der Kulturproduktion zunehmend zu einer maschinischen Agentialität von Effekten und Sequenzen, Sprachen, Orten und Identitäten sowie Teilhaber*innen, MetaMothers und Fragmenten des ReproTribe.

Transformella (fed by JP Raether), *Transformalor ikeae warszawa [4.4.6.5]*, Transformella malor im Vordergrund, im Hintergrund der ReproTribe. Am Gürtel trägt sie den Databody und zwei Kapseln, in denen Kommunisate aufbewahrt sind. Performanceansicht am Ujazdowski Castle Centre for Contemporary Art, Warschau, 2017

Transformella (fed by JP Raether), Transformalor ikeae warszawa [4.4.6.5], Transformella malor im Vordergrund, im Hintergrund der ReproTribe. Am Gürtel trägt sie den Databody und zwei Kapseln, in denen Kommunisate aufbewahrt sind. Performanceansicht am Ujazdowski Castle Centre for Contemporary Art, Warschau, 2017

Die ausgegebene Funktion kann nun ausgeführt werden (goto (geolocation x, y, z)). An dieser Stelle beginnt der Block der Funktion wirksam zu werden – Zweck und Inhalt des Auftauchens der Transformellae. Die verschiedenen Sprachinstrumente (language devices), die für jeweils einen spezifischen Ort der 433 IKEAE hergestellt wurden (=parkplatz.wav), spielen sich durch und über die verschiedenen an der aLivfeForm befestigten Apparate ab. Sie werden abwechselnd mit der Stimme des biobody mit den Sinnesorganen des ReproTribe geteilt, während die Formation durch die Ikealität fließt. Es erzählen sich Geschichten, Anekdoten, Mythen und Theorien der Reprovolution (dem Moment der Industrialisierung der menschlichen Fortpflanzung) auf dem Parkplatz, in der Kantine oder an den Kassen der „Massenreproduktionsartikellagerhalle“ der IKEAE.

Der Zweck des rituellen Prozesses besteht für den ReproTribe darin, die ReproNormality der Familientraditionen in der Ikealität für kurze Zeit aufzuheben und eine Reimagination der modernistischen ReproArchitekturen aufscheinen zu lassen. Es wäre wegen dieser Haltung nicht im Sinne von Transformella malor ikeae, ihre Forschungsreise auf Einladung des IKEA-Konzerns zu unternehmen. So erwartet (=idle contingency) die Formation in der Ikeality ständig die Intervention des „Normality Pattern Recognizer“ (NPR). Der NPR fängt den ReproTribe im Verlauf der rituellen Funktion ab. Verkörpert wird sie meist von Mitarbeiter*innen des Konzerns, manchmal aber auch von Kund*innen, die sich von der Formation der aLivfeForm herausgefordert fühlen. Für den NPR bedeutet es eine Abweichung von der Norm, in der Ikealität nicht als Kleinfamilie aufzutauchen. Die Frage nach ReproArchitekturen unter der Bedingung der lebenswissenschaftlich erweiterten Möglichkeit zur Familienkonstruktion ist Bestandteil eines sich wiederholenden und oft ausufernden Diskussionsprozesses zwischen dem NPR und dem ReproTribe. [4]

In wenigen Fällen gelingt es dem NPR nicht, den ReproTribe und Transformella während ihres physisch distanzierten Durchfließens der Dioramen der Ikeae aus der Masse der Kund*innen herauszufiltern. In diesem Fall (NPR=untrue) zeigt sich die Formation am Ende der Shoppingmission für alle sichtbar als Körperform, in einem Kreis aufgestellt vor den Kassen der Ikeality. Dort findet die letzte reprokommunale Beschwörung eines ausgewählten Gegenstands statt, der aus der Ikealität in die nun für den ReproTribe transformierte Realität geschleust werden wird.

Die Schwelle der Ikealität ist der Durchgang durch die Kassen. So verlässt die Formation die Ikealität ins Normalitätsterrain (exit cash desk). Aber die ReproNormalität, also die repronormative [5] Zurichtung der Reproduktion der modernen Menschheit als ausschließlich legitim in der romantischen Zweierbeziehung, ist mit Transformellas Widerspenstigkeit inseminiert worden. Sie hat eine psychoreale Stammzelle in die Ikealität eingepflanzt. Eine Zelle des ReproTribe gegen den als wahnsinnigen Tanz von Wachstum und Warenterror aufgeführten globalen Feldzug der biodigitalen Familien; auf dass die IKEAE als unfreiwilliger Host sie über die kommenden Jahre austragen werde.

Die Funktion endet für diesen Ablauf, setzt ihre Versionsnummer und prüft sich selbst auf ihre finale Erfüllung: Wurde sie damit auf allen 433 IKEAE angewendet (433=true), beendet sie sich selbst und terminiert die aLivfeForm Transformella malor ikeae und ihre ReproTribe-Rituale. Bleiben aber noch Ikealitäten zur Injektion mit psychorealen language devices (if < 433), springt die Funktion zurück an ihren Ausgangspunkt (goto 1) und wartet (idle).

Transformella ist eine künstliche Identität, eine SelfSister und AlterIdentity. Sie wird von J.P. Raether zusammengesetzt und umsorgt und bildet mit ihm zusammen eine hybride Formation von Autor*innenschaften, die sie als aLifveForms bezeichnen.

Foto 1: Moritz Kraut. Courtesy die Künstlerinnen; Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin. Foto 2: Pat Mic. Courtesy die Künstlerinnen; Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin.

Anmerkungen

[1]Unterstützung beim edit der Programmiersprachen erhielt Transformella malor von Idella Craddock Rahmen des Fellowship „TechnoPoesis“ von PACT Zollverein (Essen)
[2]Dieser Energiehaushalt eines jeden (künstlichen) Organismus ist der Arbeit von Erwin Schrödinger „Was ist Leben?“ (1944) entnommen und auf die Lebenslinie der Transformellae angewendet.
[3]Bodytime und mission elapsed time sind sehr komplexe Zeitregime fragmentierter Identitäten; eine Erklärung würde diesen Rahmen sprengen.
[4]Die Applikation der Sprachinstrumente an bestimmten Orten (geolocation x) für den ReproTribe wird für die datenbank (data driven archive) der aLivfeForm aufgezeichnet, um ihre Existenz nach dem entropischen Zerfall und vor der negentropischen Wiederwerdung zu garantieren.
[5]TRFLm.i. dankt Frederik Luszeit für die Diskussion, die zu dieser neologischen Mutation des Begriffs von hetero- und homonormativen Fortpflanzungscontainern führte.