Cookie Warnung
Für statistische Zwecke und um bestmögliche Funktionalität zu bieten, speichert diese Website Cookies auf Ihrem Gerät. Das Speichern von Cookies kann in den Browser-Einstellungen deaktiviert werden. Wenn Sie die Website weiter nutzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Akzeptieren

WIE ES IST Thorsten Schneider über Rochelle Feinstein im Ludwig Forum, Aachen

„Rochelle Feinstein: The Today Show“, Ludwig Forum Aachen, 2025

„Rochelle Feinstein: The Today Show“, Ludwig Forum Aachen, 2025

Mit der Ausstellung „You Again“, die 2018 zeitgleich in sechs verschiedenen Galerien in Nordamerika und Europa stattfand, machte Rochelle Feinstein einen Witz auf eigene Kosten: Wie so oft in ihrem Werk zitierte sie Formen und Stile aus der Malereigeschichte und aus ihren eigenen Arbeiten der letzten 40 Jahre. Auch der Titel von Feinsteins aktueller Ausstellung, „The Today Show“, die nach Stationen in Wien und Glarus nun in Aachen zu sehen ist, spielt mit der Erwartung und der Erfahrung der Betrachter*innen. In seiner Rezension der Ausstellung argumentiert Thorsten Schneider, dass sich Feinsteins Wiederholung der Formkrise der Malerei als eine Darstellungsform für heutige Krisen begreifen lässt, die nicht in Abstraktion oder Repräsentation aufgeht.

„As is“ (dt. wie es ist) – mit dieser Formulierung wird im Jargon des Einzelhandels der Ausschluss von Gewährleistung vermerkt. Der*die Käufer*in erklärt sich einverstanden, die angebotene Ware als „gekauft wie gesehen“ zu akzeptieren, alle später entdeckten Sachmängel in Kauf nehmend. Rochelle Feinstein nutzte diese geläufige Bezeichnung, um in ihrem Vortrag „AS IS: Abstraction as Resemblance“, den sie 1998 bei der 86th College Art Association in Toronto hielt, über Abstraktion in der Malerei nachzudenken. Mit dem Titel spielte sie auf eine phänomenologische Kunstbetrachtung an, die allein das erkennt, was ihr vertraut ist. Dabei würden jedoch die erweiterten Kontexte künstlerischer, historischer und sozialer Diskurse unverstanden bleiben, durch die Kunst überhaupt erst ihre Bedeutung erlangt. Feinstein spricht sich gegen eine Rezeptionshaltung aus, die Kunst auf ihre Erscheinung als Form reduziert. Zugleich richtet sie sich gegen einen Realismus, der Kunst auf die Repräsentation von Welt verpflichtet und dabei die künstlerischen Mittel jener Darstellung übersieht.

Der Titel „The Today Show“ von Feinsteins aktueller Ausstellung im Ludwig Forum ist als eine Anlehnung an die populäre Nachrichtensendung „Today“ des US-amerikanischen Senders NBC zu verstehen. Damit werden Aktualität und Bezug auf die politischen Ereignisse in der US-amerikanischen Heimat der Künstlerin suggeriert. Diese Erwartungshaltung lässt Feinstein jedoch ins Leere laufen, deren Werke gegenwärtige Verhältnisse weder abbilden noch direkt kommentieren. Ihre Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Bedingungen und Möglichkeiten von Malerei ist zugleich auch eine malerische mit der eigenen Zeitgenoss*innenschaft, die weit über künstlerische Selbstreflexion hinausreicht, sich dabei aber stets ihrer limitierten gesellschaftlichen Mittel als Kunst bewusst ist. „Die Krise als Form“ [1] im Sinne von Peter Osborne wird nicht als neue Form der Krise dargestellt, sondern in der geradezu stoischen Arbeit an unzeitgemäßen, gebrauchten Formen, an denen festgehalten wird. Zeitgenössische Kunst könne am besten auf die gesellschaftlichen und politischen Krisen reagieren, indem sie ihre eigene Formkrise reflektiert, so Osbornes zentrale These.

„Rochelle Feinstein: The Today Show“, Ludwig Forum Aachen, 2025

„Rochelle Feinstein: The Today Show“, Ludwig Forum Aachen, 2025

In „The Today Show“ zeigt sich diese Reflexion der Formkrise in der unheimlichen Ähnlichkeit mit etablierten musealen Präsentationsformen von Malerei, wie sie sich seit der Nachkriegsmoderne etabliert haben. Ohne durch offensive Experimente etablierte Konventionen infrage zu stellen, entspricht die Hängung allen Erwartungen an eine zeitgenössische Präsentation von Malerei. Während in der Wiener Secession und im Kunsthaus Glarus, wo die Ausstellung zuvor gezeigt wurde, alle Werke auf einen Blick zu erfassen waren, erschließt sich in Aachen der Zusammenhang des Gezeigten erst beim Durchschreiten mehrerer Räume. In dem linearen Parcours ergeben sich spannende Bezüge, die erst nach und nach hervorscheinen, da sie vielmehr erinnert und in der Reflexion hergestellt werden wollen und nicht unmittelbar einer phänomenologischen Kunstbetrachtung zugänglich sind. Im ersten Raum macht das Diptychon Tagged (2019) kein Geheimnis daraus, was es der Pop Art oder genauer den Arbeiten Robert Rauschenbergs verdankt. Schwarz-Weiß-Fotografien von Boxkämpfen aus der Zeit des italienischen Faschismus – was das Begleitheft verrät – laufen wie ein Filmstreifen über die linke Leinwand, übermalt mit den für Feinsteins Arbeiten seit 2016 (dem Jahr vor Donald Trumps erster Präsidentschaft) charakteristischen Farben des Regenbogens, die sich auf der rechten Leinwand als deckende Farbstreifen fortsetzen. Buchstäblich durchkreuzt werden beide Bildhälften von mit Sprühfarbe gestisch aufgetragenen Diagonalen. Die fotografierten Szenen des Boxkampfs können als Repräsentation des politischen Kampfs verstanden werden, die mit der abstrakten Darstellung von Farbe enggeführt wird. Im Rückgriff auf Osborne lässt sich darin der Konflikt zwischen der künstlerischen Darstellung gesellschaftlicher und politischer Krisen und der immanenten Formkrise zeitgenössischer Malerei erkennen.

Im Kontext des Ausstellungstitels liegt die Frage nahe, inwiefern die aufgerufenen historischen politischen Kämpfe auch für das Verständnis der aktuellen Bedrohung durch reaktionäre und rechte Kräfte hilfreich sein können, die sich mit Alberto Toscano als politische Formation des „Late Fascism“ [2] benennen lassen. Bezogen auf die Darstellungsoptionen von Feinsteins Malerei bleibt allerdings auch zu fragen, was daran nun besonders heutig ist. Besteht nicht die gegenwärtige Krise, sowohl in Politik und Gesellschaft als auch in der Kunst, ganz wesentlich darin, dass die meisten der angebotenen Antworten auf die bestehenden Probleme der Zeit unbefriedigend sind? Was Feinsteins künstlerische Arbeit grundsätzlich markiert, ist genau diese Frage selbst. Kerstin Stakemeier nennt dies treffend „Rochelle Feinsteins Schule der schlechten Optionen“ [3] .

Rochelle Feinstein, „Present Perfect“, 2024 und „Perfect Continuous“, 2024

Rochelle Feinstein, „Present Perfect“, 2024 und „Perfect Continuous“, 2024

Gegenüber dem Diptychon ist eine Serie von Collagen ausgestellt, die Feinstein nach George Orwells Roman 1984 Memory Holes (2023–24) benennt. In der literarischen Beschreibung sind damit Erinnerungslücken gemeint, wodurch in einem totalitären Gesellschaftssystem Geschichte systemkonform umgeschrieben wird. Bei Feinstein wird die Kritik an autoritärer Geschichtsfälschung im künstlerischen Nahbereich als schlechte Option formal vorgeführt. Die Überarbeitung eigener früherer, zerschnittener und neu zusammengefügter Arbeiten wird zu einem künstlerischen Palimpsest. Konkret ergeben sich daraus Collagen aus verschiedenen, zerknitterten Stoffen, Leinwänden oder Malpappen und Fragmenten älterer Druckgrafiken, die in neuem Bildformat zusammengebracht werden. In ihrem unperfekten Erscheinungsbild bleiben die Gebrauchsspuren vom Prozess des Malens im Atelier deutlich eingeschrieben. Feinsteins Kunst lässt sich als eine Form des Recyclings oder der Resteverwertung begreifen. Sie macht etwas mit dem Material, das sie sowohl in den Gebrauchsbildern ihrer Zeit als auch in der historischen Fülle des Malereidiskurses findet. Filmplakate, Stoffmuster, Papierschnipsel, Farbspuren, Fotografien, kunsthistorische Referenzen sowie allerhand Aufgelesenes und Aufbewahrtes dienen als Fundus. Alles erscheint gleichbedeutend, Unterscheidungen zwischen Hoch- und Massenkultur spielen keine Rolle – ganz unaufgeregt, ohne ein besonderes Expert*innenwissen oder einen aufklärerisch-didaktischen Gestus zur Schau zu stellen. Dabei macht die Künstlerin auch vor den eigenen Arbeiten nicht halt und stellt damit die Zeitordnung einer linearen Werkgenese ebenso infrage, wie sie aktuelle Malereidiskurse in der Materialität ihrer Werke verhandelt. So unterläuft sie den Anspruch auf die Erfindung einer neuen Form ebenso wie den auf Originalität oder Einmaligkeit. Anstelle eines Bruchs oder der Emphase des Neuen tritt die anhaltende Auseinandersetzung der Malerin mit dem Bestehenden – den Altlasten der Malerei.

Der Verweis auf Lee Krasners Serie von Collagen mit dem Titel Eleven Ways to Use the Word to See (1976/77) unterstreicht diesen Aspekt von Feinsteins Praxis. Auch Krasner dekonstruierte darin eigene, ältere Arbeiten. Beide Künstlerinnen verbindet noch dazu ein feines Gespür für Titel. In ihrer Serie der Grammars (2024), die im Hauptraum der Ausstellung zu sehen ist, greift Feinstein assoziativ Titel von Krasner auf, die auf grammatikalische Zeitformen referieren, und dekliniert sie streng durch: Present Indicative (LK) (2024) – LK steht für Lee Krasner –, Present Imperative (2024), Present Perfect (2024) oder einfach Simple Present (2024). In serieller Wiederholung werden einzelne malerische Bildelemente in verschiedenen Medien und Formen der Reproduktion durchgespielt. Zu erkennen, wo händisch-malerische Gesten zu sehen sind, wo Druckgrafik, fordert das Unterscheidungsvermögen der Betrachter*innen besonders heraus. Wie bei den Memory Holes geht es auch hier darum, Bestehendes zu sichten, zu zerschneiden, neu zusammenzusetzen. Mittels Durchdeklinieren der Zeitformen wird die Zeitspezifik ausgehöhlt: Die historischen Referenzen und die gegenwärtigen politischen Bezüge, die durch den Ausstellungstitel suggeriert werden, verschmelzen in Feinsteins Malerei zu künstlerischem Material, über das sie frei verfügt. Bereits in ihrer Ausstellung „You Again“ die sie 2022 gleichzeitig in sechs Galerien in Paris und Zürich, zweimal in New York, in Miami und Los Angeles zeigte, spielte die Künstlerin mit Zeit, indem sie die in der Kunst idealisierte Vorstellung von Einmaligkeit durch Simultanität und Wiederholung persiflierte.

Rochelle Feinstein, „Two Maps“, 2024

Rochelle Feinstein, „Two Maps“, 2024

Die Ähnlichkeiten und Differenzen malerischer Gesten, von Farbverläufen oder Mustern, die sich in der Aachener Ausstellung über die Grenzen von Leinwand und mit Klebeband gerahmter Wandmalerei hinweg entfalten, spielen in ihrer Kombinatorik mit Fragen von Abstraktion, Flächigkeit, Form- und Formlosigkeit sowie Rastern. Aufgerufen wird die versammelte Palette malerischer Selbstreflexion. Konventionen der abstrakten, gestischen Malerei werden vorgeführt, um sie auszuhöhlen und ins Leere laufen zu lassen. Motive werden gedoppelt, erscheinen mehrfach wiederholt, werden in vielfachen Variationen vorgeführt und in ihrer Form immer wieder verändert. Somit wird jede Form von Repräsentation in der künstlerischen Darstellung ebenso negiert wie die Vorstellung eines malerischen Originals. Das Diptychon Two Maps (2024) fügt sich durch die Anordnung von Farbmustern und gestischen Bildelementen in das räumliche Gefüge perfekt ein, ist zugleich aber auch eine kunsthistorische Referenz auf Jasper Johns Two Maps (1965). Die Frage „Is It a Flag, or Is It a Painting?“ [4] bleibt einem jedoch im Halse stecken. Zweifel kommen auf, ob das zuvor als abstrakte Formen oder malerische Gesten Erkannte nicht doch auch als Karte oder Diagramm der politischen Mehrheitsverhältnisse bei den US-Wahlen gesehen werden kann. Wie die tatsächlichen Wahlergebnisse ausfallen, zeigt sich dort meist auch nicht unmittelbar, sondern vermittelt durch einen aufreibenden Prozess politischer Repräsentation.

Unter tagespolitischen Vorzeichen erscheint dann auch Feinsteins Reihe der „Dawns“, die sie seit den 1980er Jahren macht, geradezu dystopisch. Auf Baumwollstoffen, die wie Wischlappen aus dem Atelier aussehen, an denen überschüssige Sprühfarbe, Kleckse und Schmutz haften, ist der Schriftzug „Dawn“ oder „Red Dawn“ zu lesen. Ein Verweis auf einen B-Movie aus dem Jahr 1984 und dessen Neuverfilmung 2012. Dessen Plot kreist um die Invasion sowjetischer, kubanischer und nicaraguanischer Truppen in die USA während eines fiktiven Dritten Weltkriegs. In der Fassung von 2012 werden die Vereinigten Staaten von Nordkorea angegriffen. Das Freund-Feind-Schema bleibt das gleiche. Ihre „Dawns“ seien für sie Kennzeichnungen, erklärt die Künstlerin im Begleitheft der Aachener Ausstellung, Chroniken des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts – ihrer Lebenszeit. Frappierend, wie diese Arbeiten über die Spanne von Jahren immer wieder von den Ereignissen der jeweiligen Gegenwart eingeholt werden. Die Morgendämmerung, die der Titel der Serie verspricht, ist in einer Endlosschleife gefangen, die Hoffnungen auf einen neuen Tag immer weiter aufschiebend.

Rochelle Feinstein, „Dawns“, 1980s

Rochelle Feinstein, „Dawns“, 1980s

„Dawns“ wie auch andere Arbeiten Feinsteins verweisen lakonisch auf die Studiopraxis der Künstlerin. Zugleich funktionieren sie aber auch wie genealogische Lackmustests, an denen sich jedoch nicht die Zeitspezifik der jeweiligen Gegenwart abzeichnet, sondern vielmehr die wiederkehrende Form eines ausgehölten Stillstands. Als ob an diesen Arbeiten etwas haften bleibt, das sich den Referenzen des Malereidiskurses ebenso entzieht wie einer Kritik der politischen Gegenwart. Feinsteins Malereien sind keine Historienbilder, und dennoch vermitteln sie ein unbestimmtes, unzeitgemäßes Gefühl, das umso trefflicher das Unbehagen an der Gegenwart einfängt. Die Arbeiten machen schmerzhaft klar, dass gegenwärtig wohl kaum etwas übrigbleibt als durchzuhalten, alles noch einmal anzuschauen, durchzuarbeiten und weiterzumachen. Ob dies nun die beste Option ist, um künstlerisch auf gesellschaftliche und politische Krisen zu reagieren, wie Osborne meint, oder mit Stakemeier doch eher eine schlechte Option, die aus der Not eine Tugend macht, sei dahingestellt. Es scheint daher auch mehr als passend, dass der Ausstellungsrundgang in einer Sackgasse endet und die Besucher*innen somit beim Hinausgehen jeder künstlerischen Arbeit ein zweites Mal begegnen. Vor und zurück, noch mal schauen, wie es ist.

„Rochelle Feinstein: The Today Show“, Ludwig Forum Aachen, 11. Juli bis 14. Dezember 2025.

Thorsten Schneider ist Kunsthistoriker und Kritiker. Derzeit arbeitet er als Postdoc im Rahmen des SFB „Intervenierende Künste“ an der Leuphana Universität Lüneburg.

Image credits: Courtesy Ludwig Forum Aachen, Fotos Mareike Tocha

Anmerkungen

[1]Peter Osborne, Crisis as Form, London 2022.
[2]Alberto Toscano, Late Fascism, London 2023.
[3]Kerstin Stakemeier, „Schlechte Optionen für alle“, in: Rochelle Feinstein. The Today Show, Ausst.-Kat., Secession Wien, 2025, Köln 2025, S. 22–25.
[4]Vgl. Max Imdahl, „Über mögliche Konsequenzen der konkreten Kunst“ [1969], in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1, Zur Kunst der Moderne, hrsg. von Angeli Janhsen-Vukićević, Frankfurt/M. 1996, S. 131–179.