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Isabelle Graw

Twombly einmal anders

Cy Twombly, "Herodiade", 1960

Die von Achim Hochdörfer kuratierte Cy Twombly-Ausstellung im Wiener MUMOK ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Statt nämlich den Akzent allein auf das malerische Werk Twomblys zu legen, wird seiner photographischen und bildhauerischen Produktion - eigentümlich satt, ältlich und ein wenig trüb wirkende Farbfotos, sowie weiß bemalte Holzobjekte – mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit geschenkt. Der Signaturestyle Twomblys, der in seinen Bildern buchstäblich zur Anwendung kommt, wird auf diese Weise ausgeweitet und verkompliziert. Die für Twombly typische Signatur lässt sich als eine Mischung aus (scheinbar) beiläufigem Gekritzel, Schraffuren, Auslöschungen, Verwischungen, Zahlen, Schriftzeichen und in Krakelschrift ins Bild gesetzten mythischen Namen beschreiben. Die Fotos nun scheinen ein weniger klassisch-kalligraphisches Bezugssystem zu eröffnen. Ein Foto von abgepackten Blumen bei Wal Mart spricht jedenfalls dafür, dass Twombly auch den Niederungen des Konsumkapitalismus etwas abzugewinnen vermag. Angesichts der Ausstellung sah ich mich aber auch in anderer Hinsicht dazu veranlasst, mein bisheriges Twombly-Bild zu korrigieren. Für mich war er bis dato eher der schöngeistige Mythenlieferant für Bildungsbürger, der intensitätsheischende und bisweilen kitschig anmutende Schriftbilder produziert und den Beweis dafür antritt, dass Textualität allein noch kein Garant für ein konzeptuelles Verfahren ist. Seine Bilder schienen mir ein Fall für hoffnungslos Kunstgläubige zu sein, zumal ihnen ja tatsächlich jede explizit gesellschaftskritische Dimension abgeht. Doch bei genauerer Betrachtung liegen die Dinge etwas komplizierter. Vor allem in seinem Frühwerk, etwa einem Bild wie „Herodiade“ (1960), wird mythische Bedeutung nur aufgefahren, um sie einem Prozess der Bedeutungsentleerung zu unterziehen. Der „linkisch“ (Gregor Stemmrich) mit Bleistift ins Bild hineingeschriebene Name Herodiade (Name einer Oper und einer Novelle von Flaubert) ist nämlich beides: slapstickhafter Verweis auf die Kultur des Abendlandes und beflissenes Insistieren auf die Zugehörigkeit des Künstlers zu dieser Sphäre. Die Pointe bei Twombly besteht demnach darin, dass es stets in der Schwebe bleibt, ob das beständige Aufrufen mythischer Figuren („Orpheus“, „Apollo“ etc) ernst gemeint ist oder eher ein abgründiges, sich lustig machendes Moment umfasst. Zweifellos stellen die regelmäßigen Bezüge auf literarisch nobilitierte Konventionen (wie z.B. auf Keats in „Untitled (Aurorean Love Keats, 1960)“ auch eine Methode dar, um den Anschein des Dürftigen seiner Bilder, die nur sporadisch und disparat gesetzte Markierungen aufweisen, aufzuwiegen, indem das schwere Geschütz des kulturell Bedeutungsvollen aufgefahren wird. Gleichwohl wäre es verkürzt, in dieser Mythenproduktion allein eine Kompensationsstrategie zu sehen, mit deren Hilfe Twombly in den 1960er Jahren seine ja sowohl aus der abstrakt expressionistischen als auch aus der minimalistischen Konvention herausfallenden Bilder in der Tradition zu verankern suchte. Man muss sich an dieser Stelle aber auch klarmachen, wie sehr Twombly mit seinem Verfahren gegen das modernistische Gesetz von „surface“ und „flatness“ verstieß und dies nicht zuletzt deshalb, weil er die Leinwand wie ein Blatt Papier behandelte, das einzelne, isoliert voneinander aufscheinende Bearbeitungsspuren aufweist. So kann der Eindruck entstehen, dass seine Bilder auseinander und ihre Bestandteile zerfallen. Die noch bei Clement Greenberg zentrale Vorstellung, dass „die Malerei“ eine mediumsspezifische Gesetzmäßigkeit impliziere, wird von Twomblys Graffiti-Wänden widerlegt. Auch dem Begehren des Betrachters nach authentischem Ausdruck wird nur bedingt nachgegeben, da sich neben scheinbar authentisch-impulsiven Zeichen und Markierungen, die auf ein blindes Zufallsverfahren hindeuten auch Systematisches – etwa Zahlenreihen wie in „Rape of the Sabines“ (1960) finden. Es wäre sicherlich lohnend, die Methoden von Twombly und Darboven diesbezüglich einmal einer vergleichenden Studie zu unterziehen. Beide haben meines Erachtens versucht, den Topos Obsession in etwas Systematisches zu überführen. Ohne Twombly, so wurde mir in dieser Ausstellung ebenfalls klar, hätte es aber auch die Bilder von Künstlern wie Julian Schnabel oder Jean-Michel Basquiat nicht gegeben – sie haben enorm von seiner Vorarbeit profitiert. Nur schlug bei ihnen das Pendel definitiv in Richtung Entleerung aus. Wenn Schnabel beispielsweise mit großer Geste „Zeus“ auf ein Bild schrieb („Untitled (Zeus)“, 1992), dann konnte kein Zweifel an dem anmaßend-Grotesken dieser Verlautbarung bestehen. Interessant ist zudem, dass Text  in Twomblys kalligraphischer Sensibilität grundsätzlich als eine Mischung aus visuellem und sprachlichem Zeichen aufscheint. Buchstaben münden in Kringel und Schlaufen, Wörter nehmen den Charakter einer cartoonhaften Zeichnung an.Den größten Gewinn dieser Ausstellung sehe ich jedoch darin, dass in ihr „die Malerei“ nicht etwa isoliert behandelt, sondern gleichberechtigt neben zahlreiche Fotografien, Zeichnungen, Collagen und Objekte gestellt wird, welche teilweise zuvor noch nicht ausgestellt wurden. Speziell den Fotografien ist der Doppelcharakter des Twomblyschen Universums abzulesen: Einerseits setzt sich in ihnen die Faszination für das alteuropäische Kulturerbe fort – so z.B. in der Fotoserie „Detail of Pan“ -, 1980. Andererseits kann es ein Haufen von Kohlköpfen, Zitronen oder abgepackter Käse sein, die photographiert und dadurch in seinen ästhetischen Kosmos hineingezogen werden. Entscheidend sind jedoch weniger die Sujets, als das künstlerische Verfahren. Es ist eine milchige Unschärfe, eine Art Schleier, die sich durch zahlreiche dieser farbintensiven Fotos zieht, so als dokumentierten sie eine längst versunkene Welt. Auf diese Weise gelingt es Twombly, noch die Warenauslage einer Supermarktkette in seine feinsinnig-nobel-weiße Ästhetik hineinzuziehen. Womit wir beim Twombly-Problem angekommen wären –  dem von Twombly repräsentierten Künstlertypus. Dieser Künstler hat sich offenkundig in einem ästhetisch höchst ausdifferenzierten (und dabei ausgesprochen dandyesken) Bezugsystem eingerichtet, um dabei all das, was dieses Infrage stellen könnte, von sich fern zu halten. Noch die heteronomste Lebenswelt wird der Eigenwilligkeit seines ästhetischen Verfahrens zugeschlagen. Dies führt jedoch notwendig zu einer Bunkermentalität, die sich atmosphärisch vor allem durch das Spätwerk zieht: Es wirkt so, als würde hier jemand seinen eigenen ästhetischen Kosmos mit Zähen und Klauen und auf allen Ebenen (und in allen Medien) verteidigen. Einmal mehr beflügelt dies die mythische Vorstellung, dass der Künstler nun mal in einer Scheinwelt lebe. Wohl aus diesem Grund bleiben seine Bilder eigentümlich blind für die Tatsache,  dass es auch gesellschaftliche Zwänge sind, die in ihnen walten.