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Zahnbürstengesichter. Über Rosalind Nashashibi im ICA, London

Rosalind Nashashibi, "In Rehearsal", 2009, ICA, London, 2009, Installationsansicht

Mehr als 100 Schwarz-Weiss-Fotografien ohne Rahmen direkt an die Wand gepinnt und mit einer Tonspur von Musikfragmenten kombiniert – der Beginn von Rosalind Nashashibis Ausstellung im ICA versammelt mit In Rehearsal (2009) Eindrücke einer Opernprobe in Berlin. Die Musik setzt ein und stoppt. Sänger/innen beginnen ihre Gesangsparts, um sich auf Geheiß des Regisseurs wieder zu unterbrechen. Auf einigen Aufnahmen suchen die Schauspieler/innen ihre Position auf der Bühne und zum Gegenüber, vertiefen sich konzentriert in ihre Partitur oder lauschen den Anmerkungen Dritter. Auf anderen suchen sie das Gespräch mit Kolleg/innen oder ziehen sich aus dem Gruppenverbund zurück, um zu entspannen oder den eigenen Weg auf dem Weg zur Rolle zu überdenken. In Rehearsal formuliert Fragen nach dem Verhältnis des Individuums zu der es umgebenden Gruppe und den damit verbundenen impliziten bzw. expliziten Machtstrukturen sowie nach Selbstinszenierung und -versunkenheit.

Im anschließenden Raum werden drei 16mm-Filme gezeigt – angefangen mit Eyeballing (2005) über Bachelor Machines Part 2 (2007) bis zur episodenhaften Footnote (2008). In Eyeballing (dtsch. "glotzen, beäugen“) sieht sich der Betrachter mit abstrahierten Gesichter konfrontiert, geformt aus alltäglichen Gegenständen wie die Köpfe elektrischer Zahnbürsten oder die Anordnung von Astlöchern auf einer Holzplatte, Gullideckel oder Steckdosen. Gegen diese Bilder von Observierungen durch das Alltägliche hat Nashashibi Aufnahmen von Polizeibeamten vor dem Eingang ihrer Wache in Manhattan geschnitten. Ohne einen Blick in die Kamera stehen sie für eine Zigarettenlänge oder einen kurzen Kollegenplausch vor der Tür, weitgehend entspannt und doch ohne jemals ein Lächeln zu zeigen. Die so genannten Ordnungshüter, deren Aufgabe es ist, das Wohlverhalten und -ergehen der Bevölkerung im Blick zu haben, werden observiert. Der Spieß scheint umgedreht. Die Dramaturgie des Vergnüglichen, die sich noch in den Gesichtsabstraktionen im alltäglichen Umfeld offenbart, erhält durch die Kombination mit den Bildern der Polizeibeamten eine politische Schärfe, die auf die wachsende Bedeutung von Überwachungstechnologien in einer Welt nach dem 11. September rekurriert. Hier wird nicht der Alltag observiert, sondern der Alltag schlägt zurück und lässt uns nun seinerseits nicht aus den Augen. Dahingegen stehen diejenigen, die die Aufgabe der Beobachtung im Alltag langläufig übernehmen, ihrer Funktion beraubt nun selbst im Fokus. Die Absurdität heute so üblicher observierender Paranoia wird offen gelegt.

Rosalind Nashashibi, "Eyeballing", 2005, Filmstill, courtesy: doggerfisher, Edinburgh

Der formalen und inhaltlichen Präzision von Eyeballing können die anderen im Raum präsentierten Filme nur bedingt folgen. Die Doppelprojektion von Bachelor Machines Part 2 zeigt auf der linken Seite Helke und Thomas Bayrle, wie sie auf dem heimischen Sofa sitzend in anrührender Vertrautheit Szenen aus Alexander Kluges Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos (1968) nachstellen. Die rechte Projektion zeigt bekannte Alltagsmotive aus Eyeballing. Die begleitende Tonspur gibt Thomas Bayrles Überlegungen zu den Verbindungen von Technik, Macht und religiösen Ritualen wieder. Mit seinen Anspielungen auf Duchamp und dessen Grosses Glas im Titel der Arbeit, auf Kluges Film und auf die Sehnsucht nach intimer Vertrautheit in den Bildern des Ehepaares wie auch mit der Darstellung der Allgegenwärtigkeit von Überwachung und der Thematisierung gesellschaftlicher Machtstrukturen in der Tonspur ist Bachelor Machines Part 2 thematisch jedoch so überladen, dass die suggestive Kraft der Bilder, die Nashashibis Arbeiten sonst trägt, von ihnen verdeckt scheint.

In Footnote liegt der Fokus auf die im Bett lesende Helke Bayrle. Deutlich sichtbar wandert ihr Blick vom Text zur Fußnote am unteren Blattrand. Zwischen diese Aufnahme ist das Bild eines Plastikfrosches eingefügt, den Nashashibi im Garten der Bayrles vorgefundenen hat. Die Fußnote markiert ein Aufbrechen innerhalb der Realität eines Textes – ein Zustand, den der Frosch bildnerisch zu repräsentieren scheint. Doch stört der Gegenschnitt in diesem Fall den gezeigten Moment eher, als dass er ihn verstärkte. Footnote zeigt damit die Grenzen von Nashashibis Verfahren auf, durch das Gegeneinanderschneiden von Sequenzen zu atmosphärisch aufgeladenen, unterschiedlichen Realitätsebenen zu gelangen.

Rosalind Nashashibi, "The Prisoner", 2008, Filmstill, courtesy: doggerfisher, Edinburgh

Folgt man dem Verlauf der Ausstellung, gelangt man zu The Prisoner von 2008 – Nashashibis bisher wohl stärkstem Film, der einen Wechsel zu bewegter Kameraführung und stärker inszenierten Plots markiert. Die Kamera folgt einer jungen Frau auf Highheels auf ihrem Weg durch die brutalistische Architektur von Londons Southbank. Die inhaltliche und formale Dichte dieser Adaption einer Szene aus Chantal Akermans La Captive (2000) speist sich nicht nur aus den gezeigten Bildern und der in ihnen zu Tage tretenden Verwobenheit von Kontrolle und Begehren, sondern ebenso aus dem tonalen Zusammenspiel von Rachmaninoffs Die Toteninsel (1909), dem Absatzklackern der Protagonistin und dem Rattern des 16mm-Projektors. Das hier formulierte Thema der Verfolgung wird auf technischer Ebene gesteigert, indem eine Filmrolle durch zwei nebeneinander platzierte Projektoren läuft. Die Doppelprojektion zeigt damit das identische Bild jeweils um einige Sekunden versetzt. The Prisoner stellt demnach nicht nur die Geschichte einer Observierung dar, sondern verfolgt sich technisch selbst.

Der abschließende Film Jack Straw’s Castle (2009) kehrt zum Verfahren des Gegenschnitts zurück und führt heimlich gefilmte Aufnahmen von Männern auf ihrem Weg durch einen als Gay Cruising Area bekannten, öffentlichen Londoner Park mit Bildern eines inszenierten Filmsets zusammen. Einmal mehr stellt sich die Frage nach gesellschaftlich manifestierten Rollen, Ritualen und Verhaltensweisen. So scheinen die Männer im Park bemüht, ihrer Suche nach einem Sexualpartner den Anschein eines Spazierganges zu geben und damit durch eine Rolle zu kaschieren. Ebenso rufen die offensichtlich gestellten Aufnahmen eines nächtlichen Filmsets Aspekte der Inszenierung auf, indem eine Szene inszeniert wird, die ihrerseits Vorbereitungen für eine Inszenierung trifft.

Rosalind Nashashibis Arbeiten kreisen um das Verhalten des Individuums in gesellschaftlichen Strukturen, in zwischenmenschlichen Beziehungen, im öffentlichen und privaten Raum. Ihre Werke im ICA machen deutlich, dass sie dort am stärksten sind, wo sie sich auf die Macht und den Rhythmus ihrer Bilder und Strategien verlassen und deren Energie Raum zugestehen, ohne ihre Lesbarkeit zu überfrachten.