VORWORT
Als die Aufnahmen des lodernden Los Angeles Anfang 2025 weltweit über die Screens flimmerten, stand eindrücklich vor Augen, dass die Klimakatastrophe inzwischen auch privilegierte Lebenslagen existenziell bedroht. Es sind jedoch nicht nur diese dystopischen Bilder, die aktuell zeigen, wie schnell das Begehrenswerte in sein Gegenteil umschlägt, das Lebenswerte ins Lebensbedrohliche, das Konstruktive ins Destruktive. Auch demokratische Systeme stehen vielerorts am Kipppunkt. Uneingelöste Wohlstandsversprechen schüren zunehmend Ressentiments gegenüber der Politik; Erleichterung von diesen Gefühlen wird in Zerstörungsfantasien gesucht, die sich gegen einzelne Personen oder staatliche Institutionen richten, so der Soziologe Oliver Nachtwey. Aus diesen destruktiven Affekten schlagen faschistoide Bewegungen immer erfolgreicher Kapital. Angesichts solcher Entwicklungen bestimmt Nachtwey Destruktivität als „Signum unserer Zeit“.
Der Titel dieser Ausgabe, „Death Drive and Sublimation“, kombiniert zwei psychoanalytische Begriffe. Mit dem „Todestrieb“ soll versucht werden, den historischen Moment zu beschreiben; mit „Sublimierung“ wird ein Verfahren ins Spiel gebracht, in dem sich Aggression statt in Gewalt in kreative Arbeit umlenken lässt.
Vor dem Hintergrund derzeit eskalierender kapitalistischer und kriegerischer Zerstörungen mag der Todestrieb zunächst als ein zu simples Erklärungsschema erscheinen. Allzu oft wird der Begriff herangezogen, wenn Destruktives der eigenen Lebensrealität näher rückt oder sie gar dominiert. Beispielsweise meint der Historiker Quinn Slobodian, in Elon Musk einen Todesgetriebenen zu erkennen. Gelingt es hingegen, den Begriff weder als psychologischen Determinismus noch als anthropologische Konstante im Sinne einer allgemeinem Kulturtheorie zu verstehen, kann er für die Auseinandersetzung mit modernen Gewaltexzessen durchaus produktiv sein. Das jedenfalls unterstreicht Helmut Draxler, indem er den Begriff einem diskursiven Belastungstest unterzieht. Zwar greift jede eindeutige Definition aus Draxlers Sicht immer zu kurz; dennoch sieht er die Berechtigung des Begriffs darin, dass er ein Sprechen ermöglicht über die Übergänge von Leben und Tod sowie über die Gewalt, die das Geschehen derzeit an vielen Orten bestimmt.
Historisch konzipierte Freud den Todestrieb in Auseinandersetzung mit Gewalterfahrungen im Ersten Weltkrieg: Ausgehend von klinisch beobachteten Wiederholungszwängen, die er als Reaktion traumatisierter Soldaten deutete, entwickelte er seine Triebtheorie weiter und stellte dem Lebenstrieb den des Todes gegenüber. Die Idee eines dualistischen Prinzips zwischen Lust und Leid allerdings stammt nicht von ihm, sondern von Sabina Spielrein. Freud räumte der Analytikerin jedoch lediglich eine Fußnote ein, wie Daniel Birnbaum in seinem Beitrag anmerkt. Dabei war Spielrein laut Birnbaum die erste, die das Paradoxon erkannte: Im Kern unseres Seins gibt es etwas, das sich vom Leben abwendet.
Aktuell werden zerstörerische Fantasien und Verhaltensweisen oft durch negative Affekte erklärt. In Hier liegt Bitterkeit begraben (2023) versteht Cynthia Fleury Ressentiment als destruktive Triebfeder gesellschaftlicher Entwicklungen. Die Gefahr dieser Emotion erläutert sie in zwei Schritten: Zunächst trifft die Aggression die Person selbst, dann wird sie zur Linderung des Leids nach außen gerichtet. Im Gespräch mit Isabelle Graw reagiert Fleury auf den kritischen Einwand, dass sie strukturelle Probleme unterschätze und dem Individuum die Verantwortung aufbürde: Es gehe ihr vielmehr darum, so Fleury, dass gesellschaftliche Ungleichheiten nur effektiv bekämpft werden können, wenn den negativen Emotionen nicht freier Lauf gelassen wird. Der politische Kampf setze daher die Arbeit am Selbst voraus.
Fleury sieht diese insbesondre im Handeln mit ästhetischer Ausrichtung, also in Kunst als Praxis, die die Sublimierung von Schmerz erlaubt. Im Werk Unica Zürns erkennt Arielle Friend eine entsprechende Verarbeitung der eigenen Kindheit und Mutterschaft im nationalsozialistischen Deutschland. Friend fokussiert ihren Beitrag jedoch auf jene Strategie, mit der Zürn später arbeitete, als die Stabilität ihrer Subjektposition infrage gestellt wurde: das semiotische Spiel, in dem sich durch die Verschiebung von Signifikant und Signifikat die Wirklichkeit des Bezeichneten neu bestimmen lässt. Durch Rearrangements von semantischer Ordnung generierte sie so kritische wie humorvolle Arbeiten, in denen sie beispielsweise mit einer Katzenzeichnung statt einer Signatur auf sich selbst verweist.
Kunst – und Kultur allgemeiner – ermöglicht durch Sublimierung aber auch das Verschleiern von Gewalt, wie Francesca Raimondi anhand einer Videoarbeit von Jelena Jureša zeigt. Sie entwickelt ihr Argument an einem der Protagonist*innen: Srđan Golubović, der unter dem Decknamen Max für die serbische paramilitärische Miliz Arkans Tiger im Jugoslawienkrieg Verbrechen verübte und später als DJ in der Belgrader Clubszene problemlos Karriere machen konnte. Mit Freud fasst Raimondi diesen scheinbaren Gegensatz zwischen Gewalt und Kultur als „Kultur der Gewalt“ zusammen. Der setze Jurešas Arbeit etwas entgegen: die transformative Kraft der Wut, wie sie die Feministinnen Audre Lorde und María Lugones beschrieben haben. In dieser „Gegen-Sublimierung“ verortet Raimondi die Chance, Gewalt nicht nur umzulenken, sondern auch aufzuarbeiten.
Doch auch mit einer spezifischen Vorstellung des Todes lässt sich destruktiven Kräften begegnen, wie Nils Fock darlegt. In Georges Batailles Kunsttheorie ermöglicht es der Tod des bürgerlichen Geistes all jenem Leben, das von diesem als widernatürlich, als nieder oder pervers ausgeschlossen wird, sich zu behaupten – zumindest für einen Moment. Dass Fock dieses antibürgerliche Potenzial gerade am Beispiel der Kunst P. Staffs durchspielt, kommt nicht von ungefähr. Die oft lebensbedrohliche Diskriminierung von trans Personen, die Staff in Arbeiten wie HHS-687 (2023) verhandelt, wird sich während der Präsidentschaft von Trump akut verschärfen.
Um Sterblichkeit geht es auch, aber ganz anders, bei Madonna. Was sie 2003 in „Easy Ride“ sang – „What I want is to live forever“ –, bewahrheitet sich: Fühlten sich Fans über Jahrzehnte von ihrem Lebenstrieb mitgerissen, so irritiert nun das, was Peter Rehberg als Verdrängung des Todes interpretiert. Dafür scheint sie eine Instagram-Caption-kurze Formel gefunden zu haben: „Art = Survival“. In diesem Sinne lässt sich ihre ebenfalls über Social Media angekündigte Musik als weitere Strategie verstehen, ihr Überleben auf dem Pop-Olymp zu sichern.
Was sich in Bezug auf Madonna leicht als Abwehr der eigenen Endlichkeit abtun ließe, verweist auf etwas Grundsätzlicheres: Die Konfrontation mit Ängsten und destruktiven Affekten ermöglicht es künstlerischer Arbeit nicht nur, diese – und sei es auch nur temporär – auf Distanz zu bringen, sondern zudem neue Realitätsbezüge aus ihnen zu gewinnen.
Isabelle Graw, Leonie Huber, Antonia Kölbl, und Anna Sinofzik