VORWORT
Jede Ausstellung basiert auf Ein- und Ausschlussmechanismen. Allein dadurch betreibt sie eine besondere Form von Politik, wie das Vorwort der ersten TZK-Ausgabe zu „Ausstellungspolitik“ (1996) unterstreicht. Die Frage, welche künstlerischen Positionen gezeigt werden und mit welchen Folgen diese Sichtbarkeit einhergeht, verhandeln viele der von TZK publizierten Rezensionen. Unsere Autor*innen analysieren zudem häufig, in welchem Zusammenhang die sich innerhalb des Ausstellungsraums manifestierenden visuellen Regime mit den Realitäten postkolonialer patriarchaler Gesellschaften stehen. Allerdings bleiben die dem konkreten Ausstellungsprojekt vorgelagerten Verhandlungen meist im Dunkeln und werden eher selten adressiert. Dabei kristallisiert sich gerade hier heraus, welche künstlerisch-politischen Haltungen konsensfähig sind und aufgrund welcher Kräfteverhältnisse zwischen Künstler*innen, Institutionsmitgliedern und Geldgeber*innen sie sich behaupten (Eric Golo Stone).
Mit der zweiten Ausgabe zum Thema „Exhibition Politics“ möchten wir diese Aushandlungsprozesse und die gegenläufigen Interessen aufzeigen, die im Ausstellungsbetrieb aktuell aufeinanderprallen. Öffentliche Ausstellungsorte, auf die Austeritätsprogramme, rechter Kulturkampf und deren Synergieeffekte gerichtet sind, stehen besonders im Fokus. Zugleich sehen sich diese Räume auch weiterhin durch linke Machtkritik infrage gestellt. Ausstellungshäuser reagieren auf diese sich zuspitzende Lage mit symbol- und realpolitischen Handlungen; mal bleibt es bei reinen Lippenbekenntnissen, mal werden Fakten geschaffen. Nun ist eine Diskrepanz zwischen politischem Anspruch und strukturellen Gegebenheiten für den Kunstbetrieb nicht neu; in mancher Hinsicht sogar konstitutiv. Dennoch bleibt die Frage, wie weit ideologische Haltungen tragen. Wie werden sich Ausstellungpolitiken verändern, wenn vielerorts die Kassen leer sind, wenn der designierte Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien rassistisches Kulturkampfgeraune von sich gibt oder wenn Donald Trumps autokratische Politik kulturelle Teilhabe brutal beschränkt, während linke Kulturschaffende in beiden Ländern daran scheitern, trotz unterschiedlicher Haltungen gegenüber den Gewalttaten in Israel-Palästina im Dialog und damit handlungsfähig zu bleiben?
Zwar mag der direkte Einfluss, den Trump auf Ausstellungsinstitutionen nehmen kann, durch die in den USA etablierten privatwirtschaftlichen Finanzierungsmodelle begrenzter sein, als das in Ländern, deren Kulturförderung hauptsächlich öffentlich finanziert ist, der Fall wäre. Er übt seine Macht jedoch in größtmöglichem Umfang aus (Nikki Columbus) und setzt dabei auf jene geschichtsrevisionistische Rhetorik, die in der Bildungspolitik mit Verboten von Critical Race Theory bereits in zahlreichen Bundesstaaten Gesetz ist (Fredi Fischli und Niels Olsen). Diese staatlich erwirkten Einschränkungen lassen sich juristisch bekämpfen, wo sie an die Grenzen der Legalität stoßen. Wenn künstlerische Freiräume jedoch impliziter eingehegt werden, ist es deutlich schwieriger, vor Gericht zu ziehen.
Spätestens seit der BDS-Resolution des Bundestages von 2019 und mehr noch infolge der Debatte um die Documenta 2022 ringt die Kunstwelt mit der Frage, wie in ihren Institutionen Solidarität mit Palästinenser*innen bekundet und Kritik an der in Teilen rechtsradikalen israelischen Regierung geübt werden kann. Seit dem 7. Oktober 2023 gelingt nur noch in den wenigsten Fällen die Verständigung darüber, wie sich Aspekte dieses Konflikts im Ausstellungsraum verhandeln lassen. Auf institutioneller Seite überwiegt die Sorge, unfreiwillig mit anti-semitischen Positionen in Verbindung gebracht zu werden, und bei Eingeladenen, sie könnten aufgrund ihrer politischen Haltung oder einer ihrer künstlerischen Arbeit zugeschriebenen „Einseitigkeit“ zensiert werden. Obwohl sich Institutionen weiterhin als Orte demokratischer und damit mitunter kontroverser Debattenkultur sehen, vermeiden viele eine Auseinandersetzung mit diesem Thema (Martina Genetti mit Rabbya Naseer und mit Stella Rollig). Dem politischen Druck, den Ausstellungshäuser von verschiedenen Akteur*innen auf sich gerichtet sehen, weichen sie aus, indem sie Diskurse mit hohem Konfliktpotenzial in kleinere, halb öffentliche Räume verlagern (Carsten Probst).
All diese Entwicklungen verdeutlichen: Ausstellungspolitiken müssen anders gedacht werden. Dabei gilt es die Prekarität der Institution als grundsätzlichen Effekt des kapitalistischen Systems zu begreifen, innerhalb dessen sie agiert. Von diesem sind auch Akteur*innen betroffen, die ihre Kritik von außen an Ausstellungshäuser herantragen. Dass Erstere ökonomisch und durch innere Zerwürfnisse geschwächt sind, erschwert ihre Anliegen und verdeutlicht zugleich deren Notwendigkeit. Auf die Frage, wie weitreichende strukturelle Veränderungen aussehen müssten, lassen sich einerseits außerhalb des epistemischen Rahmens der Institution Antworten finden (Manuel Borja-Villel und Marcelo Rezende). Andererseits ermöglicht die institutionell organisierte Kulturarbeit weiterhin Repräsentation in ihrem besten Sinne, indem sie historische und gegenwärtige Diskriminierungsformen sichtbar macht (Burcu Dogramaci mit Timea Junghaus). Ablehnung und Anerkennung bisheriger Ausstellungsstrukturen müssen einander nicht ausschließen: Dass sich an politischen Idealen festhalten lässt, ohne eine absolute Haltung gegenüber der Institution einzunehmen, zeigen künstlerische Praktiken, die sich eigenständig zu bestehenden Kriterien verhalten und Erwartungen nicht oder anders erfüllen. Solche experimentellen Zugriffe können zudem für kuratorische Praktiken handlungsanweisend sein (Antonia Kölbl und Felix Vogel mit Zasha Colah, Ghislaine Leung und Eric Golo Stone). Und die im Kunstbetrieb vorgesehenen Rollen, sei es im Kontext von Ausstellungen oder in diesem Heft, lassen sich nicht nur erfüllen oder verweigern: Sie können schillernd aufgeführt oder strategisch umgedeutet werden (Juan Francisco Vera mit Sára Dorottya Röth).
Für die Beiträge dieser Ausgabe war es uns ein besonderes Anliegen, kulturjournalistischen Berichten Raum zu geben. Wie sich der regionale kulturpolitische und soziale Kontext in den eingangs genannten politischen Aushandlungen und auch in verschiedenen Ausstellungsräumen niederschlägt, berichten drei Fallstudien aus Oslo, Tbilissi und Wien, die ab Juni heftbegleitend online erscheinen. Für die überraschenden, herausfordernden und ehrlichen Antworten auf unsere Einladungen, die wir bereits auf den folgenden Seiten veröffentlichen, sowie für den über Differenzen hinweg vertrauensvollen gemeinsamen Arbeitsprozess danken wir allen Beitragenden – insbesondere Fredi Fischli, Niels Olsen und Felix Vogel, die uns in der Vorbereitung des Heftes beratend zur Seite standen.
Leonie Huber, Antonia Kölbl und Anna Sinofzik