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ANTISEMITISMUS, ‚ARISIERUNG‘ UND EINE UNGEWÖHNLICHE FORM DER RESTITUTION Veronika Rudorfer über „Die Ephrussis. Eine Zeitreise“ im Jüdischen Museum Wien

„Die Ephrussis. Eine Zeitreise“, Jüdisches Museum Wien, 2019/2020, Ausstellungsansicht

„Die Ephrussis. Eine Zeitreise“, Jüdisches Museum Wien, 2019/2020, Ausstellungsansicht

In fünf Kapiteln umreißt Veronika Rudorfer die eindrückliche Geschichte der jüdischen Familiendynastie Ephrussi. Sie kann als Beispiel für zahlreiche jüdische Flucht- und Migrationsbewegungen gelesen werden, die durch Pogrome und Enteignungen ausgelöst wurden. Restitutionen an nachfolgende Generationen, so wird hier deutlich, dürfen niemals nur materielle Entschädigungen der Opfer beinhalten. Gerade auch die symbolische Dimension von Anerkennung und Teilhabe muss sichtbarer und unangefochtener Bestandteil einer Gesellschaft sein, in der jüdische Kunst und Kultur einen festen Platz einnehmen.

Die Vergangenheit der Gegenwart

Im April 2019 empfahl der Kunstrückgabebeirat der Republik Österreich die Restitution des Gemäldes Szene aus dem Feldzug in Italien 1848/49: Lagernde k. k. Truppen in einem Dorf (1870) von Franz Adam an die Rechtsnachfolger*innen von Viktor Ephrussi. Das Gemälde hatte sich seit Oktober 1939 – 80 Jahre lang – im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien befunden. Wie war es dorthin gelangt? Im Beschluss des Kunstrückgabebeirats ist dazu nachzulesen: „Nach dem ,Anschluss‘ Österreichs an das Deutsche Reich wurde Viktor Ephrussi das Vermögen der Familie Ephrussi bzw. das Bankhaus Ephrussi durch das NS-Regime entzogen. […] Sämtliche Kunstwerke und die Bibliothek im Wiener Palais wurden in weiterer Folge auf staatliche Sammlungen verteilt oder versteigert.“ [1] Ein Leben, eine materielle Existenz – kondensiert auf rassistische Verfolgung, Erpressung und Raub.

Die Geschichte der Familie Ephrussi in Wien endete 1938 und dringt doch immer wieder in die Gegenwart: Der Urenkel Viktor Ephrussis, Edmund de Waal, arbeitete die Geschichte seiner Familie in Der Hase mit den Bernsteinaugen auf und zeichnete darin die Linien der Ephrussis nach – in Odessa, Paris und Wien, bis zur erzwungenen Emigration und Zerstreuung der Familie nach Großbritannien, Spanien, Mexiko, Japan und in die USA. [2] Sein Vater Victor de Waal schenkte 2018 das Familienarchiv dem Jüdischen Museum Wien, wo es in der Ausstellung „Die Ephrussis. Eine Zeitreise“ gezeigt wird. [3] Doch abseits dieser musealen Präsentation bestehen bis heute sichtbare Spuren der Familie Ephrussi in Wien fort: So trug Viktor Ephrussis Vater Ignaz maßgeblich zur Finanzierung der ersten Donauregulierung bei, wofür er 1871 zum Ritter von Ephrussi nobilitiert wurde. Ebenso zeugt das Palais am Wiener Universitätsring bis heute vom Repräsentations­anspruch und Selbstverständnis der Familie Ephrussi.

Antisemitismus in Odessa, Wien und im Perserreich

Wo nahm die Geschichte der Familie Ephrussi ihren Ausgang und wie gelangte sie nach Wien? Joachim Ephrussi gründete im ökonomisch prosperierenden Odessa 1840 ein Bankhaus – durch Getreidehandel wurde er bald einer der reichsten Bürger der Stadt. Doch seit den 1820er Jahren kam es wiederholt zu Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung Odessas, was schließlich den Umzug der Familie Ephrussi 1855 nach Wien bedingte. Dort war die rechtliche Stellung der jüdischen Bevölkerung durch die liberale Politik Kaiser Franz Josephs I. vorteilhafter; unter anderem bestand die Möglichkeit, Grundbesitz zu erwerben. Ignaz Ephrussi gründete 1856/1857 mit seinem Vater Joachim das Bankhaus Ephrussi & Comp. in Wien und erwarb 1869 einen Baugrund an der im Entstehen begriffenen Wiener Ring­straße. Er beauftragte Theophil Hansen, einen der renommiertesten Architekten des Historismus mit der Errichtung eines repräsentativen Palais (1869–1873) im Stil der Neorenaissance. [4]

Im Inneren stattete Christian Griepenkerl, ein Schüler Carl Rahls, die Prunkräume der Bel­etage mit Deckengemälden aus. Zwischen Ovids Metamorphosen im Billardzimmer und Tugendallegorien im Damensalon findet sich dort ein ikonografisches Programm, das mit der damaligen Konvention bricht: An der Decke des Tanzsaals setzte Griepenkerl die Krönung Esters zur Königin des Perserreiches sowie die Verurteilung Hamans ins Bild. Nicht weniger als der Triumph der jüdischen Bevölkerung des Perserreiches über ihre Feinde ist hier zu sehen. Von dem Bankier Eduard Todesco als Vorhaben für sein Palais aus „Rücksicht auf andersgläubige Gäste“ [5] zuvor abgelehnt, entschied sich Ignaz Ephrussi für ebendiese Gemälde – anstelle des initial geplanten Venus-Adonis-Zyklus – und bekannte sich damit im öffentlichsten Raum seines Palais zu seiner jüdischen Identität. Zur Deutung dieser Ikonografie gibt es divergierende Thesen zwischen Assimilation und einer dezidierten Absage an ebendiese. [6] Außer Frage steht, dass die Ester-Ikonografie ein jüdisches Narrativ ist, das Fragen der Identität, Akkulturation beziehungsweise Assimilation, und Antisemitismus verhandelt.

Pierre-Auguste Renoir, „Porträt Therese Ephrussi“, 1880

Pierre-Auguste Renoir, „Porträt Therese Ephrussi“, 1880

Antisemitismus als Politik?

Die Wiedergänger dieser alttestamentarischen Feinde begannen sich im ausgehenden 19. Jahrhundert unweit des Palais Ephrussi zu mehren: Im Wiener Rathaus regierte von 1897 bis 1910 mit Karl Lueger ein Bürgermeister die Stadt, der radikalen Antisemitismus zu einem strategischen Grundpfeiler seiner Politik machte. Im Reichsratsgebäude agitierte der Abgeordnete Georg Schönerer, der als ‚Führer‘ der Deutschnationalen Bewegung den rassistischen Antisemitismus in die österreichische Politik trug. Schönerer imaginierte bereits in den 1870er Jahren einen ‚Anschluss‘ Österreichs an das Deutsche Reich, der dann auch tatsächlich am 13. März 1938 an das nationalsozialistische Deutschland erfolgte. Damit endete die Zeit der Familie Ephrussi in Wien. Viktor Ephrussi hielt dazu in seinem Testament fest: „Am 18. April des Jahres 1938 drangen Beamte der Geheimstaatspolizei (Gestapo) in mein Haus in Wien ein und zwangen mich, unter Androhung der Internierung in einem Konzen­trationslager, ein Dokument zu unterzeichnen, in dem ich meine Rechte an meinem gesamten Eigentum in Österreich, egal welcher Art, aufgebe.“ [7] Viktor und Emilie Ephrussi gelang im Mai die Flucht nach Kövecses (heute Štrkovec), wo Emilie Ephrussi sich das Leben nahm. Nach intensiven Bemühungen seiner Tochter Elisabeth de Waal, konnte Viktor Ephrussi schließlich im April 1939 nach Tunbridge Wells ausreisen, wo er am 6. ­Februar 1945 verstarb.

Inventarisiert und Invent arisiert

Das ‚arisierte‘ Eigentum der Familie Ephrussi wurde zum Teil in den Nachkriegsjahren restituiert, überwiegend verblieb es jedoch jahrzehntelang in den am nationalsozialistischen Raub beteiligten Institutionen. Dass sich auch Mobiliar und Gebrauchsgegenstände der Familie Ephrussi seit 1938/1939 im Hofmobiliendepot in Wien befunden hatten, entdeckte 1993 Ilsebill Barta, stellvertretende wissenschaftliche Leiterin. Es folgte eine systematische Aufarbeitung der Bestände, die Ergebnisse wurden in der Ausstellung „inventarisiert“ (2000) präsentiert. [8] Zentrum der Ausstellung war die Installation Invent arisiert (2000), bestehend aus 648 Fotoplatten, von Arno Gisinger. [9] Gisinger setzte dafür drei Kategorien von Objekten ins Bild: Jene Gegenstände, die im Inventar des Hofmobiliendepots geführt und 1999 auch physisch anwesend waren; jene Objekte, die zwar inventarisiert, aber nicht mehr auffindbar waren; und jene Gegenstände, die nach der ‚Arisierung‘ nicht ins Inventar aufgenommen worden waren. Die ‚arisierten‘ Gegenstände wurden dagegen bewusst nicht ausgestellt.

Die Gegenwart der Vergangenheit

Was ist von der Familie Ephrussi in Wien geblieben? Ein Familienmausoleum am Wiener Zentralfriedhof, das unbemerkt verfällt. Ein imposantes Grabmonument für Joachim Ephrussi am Jüdischen Friedhof in Währing – einem Ort, der wegen seiner jahrzehntelangen Vernachlässigung und daraus resultierender Baufälligkeit heute nur unter Aufsicht betreten werden kann. Das ist die Vergangenheit. Die Gegenwart ist eine Familie, die der Stadt, in der sie beraubt und aus der sie vertrieben wurde, einen Teil ihrer eigenen Geschichte restituiert. Anlässlich der Ausstellungseröffnung 2019 nach Wien gereist, konstatierte Edmund de Waal, gefragt nach dem Stellenwert von Restitution: „Bedeutender ist für mich, was unsere Familie umgekehrt Wien geben kann: die Geschichte zurückzubringen und etwas in Wien und der Politik Österreichs zu ändern.“ [10]

„Die Ephrussis. Eine Zeitreise“, Jüdisches Museum Wien, 6. November 2019 bis 4. Oktober 2020.

Anmerkungen

[1]Die Beschlüsse des Kunstrückgabebeirats der Republik Österreich sind online abrufbar unter: http://www.provenienzforschung.gv.at/de/empfehlungen-des-beirats/beschluesse/beschluesse-1998-2019/.
[2]Das Buch erschien im englischen Original als: Edmund de Waal, The Hare with Amber Eyes. A hidden Inheritance, London 2010.
[3]Vgl. Die Ephrussis. Eine Zeitreise, Ausst.-Kat., hg. von Gabriele Kohlbauer-Fritz/Tom Juncker, Jüdisches Museum Wien, 2019.
[4]Zur Architektur und Ikonografie des Palais Ephrussi vgl. Veronika Rudorfer, Das Palais Ephrussi in Wien, Wien/Köln/Weimar 2015.
[5]Ludwig Speidel, „Feuilleton. Bildende Kunst“, in: Neue Freie Presse, 374, 1866, S. 2, hier zit. nach Elana Shapira, Style and Seduction. Jewish Patrons, Architecture, and Design in Fin de Siècle Vienna, Waltham 2016, S. 24.
[6]So identifiziert Delphine Horvilleur das Buch Ester als Beispiel für frühen Antisemitismus, vgl. Delphine Horvilleur, Überlegungen zur Frage des Antisemitismus, München 2020, S. 25–28. Zu den verschiedenen Interpretationsansätzen der Ester-Ikonografie im Tanzsaal des Palais Ephrussi vgl. Rudorfer (siehe Anm. 4), S. 91–94.
[7]Testament Viktor Ephrussi (Kopie), 25.5.1940, National Archives and Record Administration, U.S. Allied Commission for Austria, Property Control Branch, V1.1160/Ignaz C. Ephrussi, hier zit. nach Juncker (siehe Anm. 3), hier: S. 166.
[8]Vgl. inventarisiert. Enteignung von Möbeln aus jüdischem Besitz, hg. von Ilsebill Barta-Fliedl/Herbert Posch, Ausst.-Kat., Museum Kaiserliches Hofmobiliendepot, Wien, 2000.
[9]Die Arbeit Invent arisiert von Arno Gisinger wird aktuell im Rahmen der Dissertation von Veronika Rudorfer, Die Leere sehen. Darstellungsformen von ,Arisierungen‘ in zeitgenössischen künstlerischen Positionen – betreut von Sabeth Buchmann an der Akademie der bildenden Künste Wien (seit 2019) –, analysiert.
[10]Edmund de Waal, „Wir leben in wirklich düsteren Zeiten“ – Interview von Oona Kroisleitner/Klaus Taschwer, in: Der Standard, 6.11.2019, https://www.derstandard.at/story/2000110710695/de-waal-wir-leben-in-wirklich-duesteren-zeiten.