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VORWORT

Genau 30 Jahre nach Erscheinen des ersten Heftes von Texte zur Kunst im November 1990 stellt sich uns auch heute wieder die Frage nach dem aktuellen Stand der erkämpften und bedrohten Rechte von Frauen*, genauer: von allen, die sich als Frauen identifizieren. [1] Nach zahlreichen Ausgaben zu Feminismen und Sexismen [2] werden mit „The Feminist“ einmal mehr die Diskriminierungen gegen Frauen* in den Fokus dieses Jubiläumsheftes gerückt, mit dem wir 30 Jahre kontroverse Diskussionen über zeitgenössische Kunst und Kultur feiern. Angesichts des weltweiten Anstiegs der registrierten Fälle von Gewalt gegen Frauen* und einer reaktionären Gemengelage zwischen Sexismus, neoliberaler Sparpolitik und Rassismus erscheint uns die Beschäftigung mit solidarischen Formen der Vergemeinschaftung dringlicher denn je.

Dass „Feminismus“ inzwischen jedoch auch als Schlagwort eines ebenso politisierten wie Subjektivität vermarktenden Kunstfelds fungiert, verweist auf die Notwendigkeit einer historischen Situierung dieses so umkämpften wie konjunkturabhängigen Begriffs. So kann die Diskriminierung von Frauen* in der Kunst bereits dort anfangen, wo diese sich qua Geschlecht zu Sexismus und Misogynie verhalten müssen, wo Feminismus, mit anderen Worten, an ‚die Frauen‘ delegiert und nicht als ein gesamtgesellschaftliches Ziel formuliert wird. Bleibt es hingegen bei einer Negativfixierung auf die patriarchale Hegemonie, ändert dies nichts an den Arbeitskraft ausbeutenden, rassistischen und altersbezogenen Aufteilungen, die Feminismus notwendig machen. Wer überhaupt als Frau gilt, ist dabei, wie die jüngsten Debatten um Transphobie zeigen, ebenfalls umstritten, wobei mit Judith Butler daran zu erinnern ist, dass sich die meisten Feminist*innen für die Rechte von Transfrauen einsetzen und jede Form der Transphobie verurteilen.

Die These des vorliegenden Heftes lautet vor diesem Hintergrund, dass Prozesse der Subjektivierung stärker in den Blick genommen werden müssen, wenn ein selbstidentisches Subjekt namens „Frau“ angesichts von Praktiken der Konstruktion und des Aushandelns von Identität fraglich wird. Will man z. B. Feminismus als Gleichheitsforderung unter Berücksichtigung realer Ungleichheiten präzisieren, muss auf den hierarchischen Dualismus geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung hingewiesen werden, der nach wie vor die soziale Funktion der Kernfamilie glorifiziert, heterosexuelle Beziehungen privilegiert und die Spezifik der Ausbeutung von Frauen* ignoriert. Kritik an der immer auch klassenbezogenen und rassifizierten Diskriminierung von Frauen* lässt sich also nur unter Rekurs auf die binäre Geschlechterordnung eines rassistisch und patriarchal strukturierten Kapitalismus formulieren.

Auch angesichts der Vielgestaltigkeit des Feminismus, die Texte zur Kunst seit seiner Gründung reflektiert und selbst vorangetrieben hat, scheint uns eine Weiterführung der Kritik an kapitalistischen Reproduktionsverhältnissen in ihrer Überlagerung mit Sexismen und Rassismen ebenso notwendig zu sein wie eine innerfeministische Diskussion darüber, ob an der Idee einer kohärenten Geschlechtsidentität, mehr noch an der Idee jedweder widerspruchsfreien Existenz überhaupt festgehalten werden darf. Diese innerfeministische Diskussion möchten wir anlässlich unseres 30. Jubiläums führen, indem wir 30 Künstler*innen, Kritiker*innen, Kurator*innen sowie Kunst- und Kulturtheoretiker*innen dazu einladen, über einen kulturellen Gegenstand zu sprechen, den sie aus feministischer Perspektive für derzeit besonders diskussionswürdig halten – dies kann ein Buch, ein Film, eine Serie, ein Gemälde o. ä. sein. Nicht nur aktuell relevante feministische Diskurse sollen auf diese Weise sichtbar gemacht werden, sondern auch die Diversität der sich zu Wort meldenden Feminist*innen selbst.

Seit Mitte November sind diese Beiträge in Form von visuellen und Audiostatements auf verschiedenen Kommunikationskanälen wie Instagram, Facebook und Vimeo zu sehen: jeweils ein Statement pro Tag. Die ungekürzten Text- und Bildbeiträge sind in diesem Heft nachzulesen. Während einige eher im Stil von Diavorträgen gehalten sind und das klassische Format eines wissenschaftlichen Referats aufweisen, optieren andere auch auf ästhetischer Ebene für die Form einer feministischen Auseinandersetzung. Insofern hat das vorliegende Heft schon jetzt historischen Wert: Zeitgenössische Feminismen bilden hier zugleich den Gegenstand und den Stand einer weiterführenden Diskussion über mögliche Formen der kritischen Auseinandersetzung als Kunst und mit Kunst ab. Dabei fällt auf, dass sämtliche Beiträge sowohl eine gewisse kämpferische Note haben als auch in hohem Maße genießerisch oder ästhetiksensibel inszeniert wurden. Es ist eine gleichermaßen kritische wie schwärmerische Beziehung zum jeweils gewählten Gegenstand, die hier zutage tritt. Die 120. Ausgabe von Texte zur Kunst ist darum nichts weniger als ein Geschenk an den intersektionalen Feminismus: ein Lob auf das Verbindende und Allianzen Ermöglichende von solidarischer Kritik. In diesem Sinne: Cheers to you, femmes!

Isabelle Graw, Katharina Hausladen und
Genevieve Lipinsky de Orlov

Anmerkungen

[1]Um zu zeigen, dass hier jeweils das soziale Geschlecht Frau gemeint ist, verwenden wir den Asterisk.
[2]Heft #11, #15, #22, #42 und #84.