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VORWORT

Diese September-Ausgabe von Texte zur Kunst versteht Neid als Betriebssystem einer Kunstwelt, die in hohem Maße auf Vernetzung, Wettbewerb und Abhängigkeiten basiert. Neid entsteht dadurch, dass Menschen sich aneinander orientieren und miteinander vergleichen. In der Psychologie wird zwischen produktiven und destruktiven Neidgefühlen unterschieden: Während uns der produktive Neid im Idealfall zu Höchstleistungen anspornen soll, lässt uns der destruktive Neid angeblich in dem bitteren Gefühl zurück, zu kurz gekommen zu sein. Als Prototyp einer auf Konkurrenz basierenden und insofern Neid generierenden Wettbewerbsgesellschaft könnte man die Kunstwelt charakterisieren; Leistung ist hier nur schwer messbar und zählt ohnehin weniger als Erfolg, jedenfalls ist sie kein Garant dafür, dass eine*r mit ihrer*seiner Kunst auch institutionell oder ökonomisch erfolgreich sein wird. Der Eindruck des Willkürlichen kann sich in diesem Milieu durch die Zirkulation sehr hoher Geldbeträge noch verstärken, die Neid- und Frustrationsgefühlen Vorschub leisten. So hat Neid seit der Frühen Neuzeit in der Kunstwelt immer dann als Produktivkraft fungiert, wenn die „mimetische Rivalität“ (René Girard) mit einem (zumeist männlichen) Vorbild die künstlerische Aneignung motivierte und vorantrieb: In ihrem Buch The Optical Unconscious (1993) erinnert schon Rosalind Krauss an die Rivalität, die Pollock zu Picasso unterhielt und die ihn auf figurative Bildsprachen zurückgreifen ließ, die mit diesem kommunizierten. In seiner sowohl destruktiven als auch identifikatorischen Form fand solch mimetisches Konkurrenzverhältnis beispielhaft bei Rauschenberg Ausdruck: Die symbolische Rivalität mit Künstlerkollege DeKooning ging so weit, dass Rauschenberg eine Zeichnung DeKoonings ausradierte, sorgfältig rahmte, mit einer Plakette versah und zu einer neuen Arbeit erklärte – und dadurch aufwertete.

Dem Neid zuträglich sind in der heutigen digitalen Kunstökonomie besonders die immer fließender werdenden Übergänge zwischen Kooperation und Rivalität. In demselben Maße, wie wir uns auch im Kunstfeld zunehmend zu Kooperation aufgerufen sehen, erweisen sich unsere Kooperationspartner*innen zuweilen als unsere Rival*innen, mit denen wir neiderfüllt konkurrieren – eine Dynamik, die sich im Umgang mit den Sozialen Medien weiter verstärkt. Denn je außengeleiteter das Künstler*innensubjekt in einer Kultur des erzwungenen Narzissmus wird, wo die performative Wirkung der eigenen Person stets im Blick behalten werden muss, desto stärker orientiert sich sein Selbstwertgefühl an dem, was die anderen im Vergleich zu ihm vermeintlich sind oder haben. Zugleich spielt die Neiddiagnose dem kompetitiven Ideal heutiger Lebens- und Arbeitswelten durchaus zu: Dort, wo Eigeninitiative und Selbstoptimierung zu den zentralen Anforderungsprofilen gehören, lenkt die These einer von Neid, Ressentiments, Abstiegsängsten und Unterdrückung beherrschten Subjektivität tendenziell von den strukturellen kapitalistischen Ungleichheitsverhältnissen ab. Die Beschreibung der ausgebeuteten Subjekte als neiderfüllte Rival*innen ist somit durch und durch tendenziös, droht sie doch soziale Hierarchien als Sollzustand festzuschreiben, wenn sie nicht zugleich die Möglichkeit von Solidarität wie auch die emanzipatorischen Implikationen von Unzufriedenheit und Empörung als Motor für sozialen Widerstand erkennt und ernst nimmt. Insofern ist die Suchbewegung dieser Ausgabe eine ambivalente: Einerseits wird der Sozialaffekt Neid hier nicht einfach vorausgesetzt, sondern für den Sonderfall Kunst als wirkmächtiges Dispositiv ergründet, andererseits werden die gesellschaftlichen Neidursachen, die nicht zuletzt wegen der verheerenden ökonomischen Auswirkungen der Pandemie auch auf dem Kunstmarkt für ein starkes soziales Gefälle sorgen, registriert und analysiert.

Ausgehend von Onlinemedien wie deutschsprachigen Tageszeitungen und Sozialen Netzwerken nimmt sich die Kunsthistorikerin Hanna Magauer des Neiddiskurses unter dem Aspekt jener Rhetorik der Unterstellung an, mit der Weiße häufig auf das Thema Rassismus reagieren: Den Vorwurf, dass marginalisierte und rassifizierte Personen aus ihren Diskriminierungserfahrungen Kapital schlagen würden, problematisiert Magauer als einen Unwillen, sich – statt mit scheinbar bevorteilten Individuen – mit strukturellen Ungleichheiten auseinanderzusetzen und die eigene Verstricktheit in diese anzuerkennen. Als Effekt einer Verteilung von Gütern und Positionen, die gewaltige Unterschiede zulässt, ohne sich um die Teilhabechancen der Schlechtergestellten zu kümmern, bestimmt auch der Soziologe Sighard Neckel den Neid. Nicht nur versenke Neid die Statusnormen einer Gesellschaft bis in subjektive Gefühlswelten hinein, auch sei die Weckung von Neid eine bewährte Distinktionsstrategie, sich selbst als besonders erfolgreich und die eigenen Lebensumstände als begehrenswert darzustellen, so Neckel.

Diese politische Ökonomie der konkurrenzbasierten Selbstoptimierung gerät in der Kunstwelt – einem Bereich, in dem soziale Infrastrukturen wie Dinner-Einladungen oder Instagram-Profile häufig die Voraussetzung dafür sind, dass Kunstwerke symbolisches Kapital anhäufen können – spätestens dort unter Legitimationsdruck, wo die Produktionsbedingungen ähnlich widerspruchsvoll sind, wie es die Ideologie des American Dream ist. Daran erinnert uns die Autorin Leigh Claire La Berge in ihrer Analyse kunstweltimmanenter Antagonismen wie z.B. der Heerscharen unbezahlter Arbeitskräfte, des Phänomens des Künstler*innenstars, der restriktiven Zulassungsbedingungen von Kunstuniversitäten oder der Tatsache, dass zahlreiche US-amerikanische Kunstinstitutionen milliardenschwere gemeinnützige Organisationen sind. Inwiefern die Kursschwankungen der Auktionssphäre sowohl aus Meinungen über Meinungen als auch aus Wissen und Expert*innentum resultieren, diskutieren Herausgeberin Isabelle Graw und Kulturtheoretiker Joseph Vogl. Dabei reflektieren sie zum einen den Zusammenhang von Kapital- und Wertbildungen, Ressentiment und Neid; zum anderen widmen sie sich den politischen Gefahren und Potenzialen heutiger Onlinekommunikation in den Sozialen Medien sowie den spezifischen Sozialaffekten, die diese produzieren.

Gleichermaßen Erfahrungsbericht wie Aufruf zur Solidarität stellt die Diskussionsrunde zwischen den Künstler*innen Jeankarlos Cruz, effi sleeps und Polly Yim dar. Im Rückblick auf zerstörerische Erfahrungen mit ursprünglich vertrauensvollen, sich im Nachhinein jedoch als enttäuschend erweisenden kollaborativen Arbeitszusammenhängen suchen die drei nach Auswegen aus dem Modell der Künstler*in als Unternehmer*in, das der spaltenden Tendenz der Kunstwelt zuarbeite, so ihr Befund. Mit dieser Einschätzung wird ein Unbehagen formuliert, das auch den Anstoß zu diesem Heft gab: Über Neid zu sprechen heißt vor allem, über die paradoxen Kriterien eines Kunstsystems zu sprechen, das Abhängigkeiten generiert, die so lange den Anschein des Legitimen aufweisen, wie ‚Erfolg‘ als Ausdruck künstlerischer Leistung gilt. Insofern ist Neid, das zeigen alle der hier versammelten Beiträge, ein Sozialaffekt, von dem niemand ganz frei sein kann. Indem wir begehren, was jemand anderes sein Eigen nennt, erheben wir den Anspruch auf eine verwehrte Teilhabe und stützen damit zugleich die Logik vom sozialen Aufstieg, der nur wenigen vorbehalten sein soll und immer auf Kosten von anderen geht.

Isabelle Graw, Katharina Hausladen und Genevieve Lipinsky de Orlov