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Sarah Morris

Like This Cherry Jeff Koons, "Easyfun - Ethereal", Deutsche Guggenheim, Berlin

Jeff Koons, Installationsansicht der Ausstellung "Easyfun - Ethereal",  Deutsche Guggenheim Berlin, 2000 Jeff Koons, Installationsansicht der Ausstellung "Easyfun - Ethereal", Deutsche Guggenheim Berlin, 2000

Es ist lange her, dass Jeff Koons sein berühmtes Gewinnerlächeln aufsetzte. In den letzten Jahren war zunehmend von Krisen, finanziellen Fehlkalkulationen und verschobenen Ausstellungen die Rede.

In seiner Comeback-Ausstellung "Easyfun - Ethereal" dominierte die Darstellung konsumgerechter Esswaren. Das Begehren der Betrachter/innen wurde dabei ebenso angesprochen wie der Wunsch, zu einem Teil dieser Bilder zu werden. Für Sarah Morris, die in Koons' Arbeiten eine "Kritik der visuellen Kultur" sieht, zeigen sie Leerstellen des Konsums auf, die etwa in Naomi Kleins Buch "No Logo" unkartiert geblieben sind.

Eines Tages, ich glaube es war 1994, rief ich Jeff an, und wir sahen uns zusammen "Forrest Gump" in einem Kino auf der Upper East Side an. Ich hatte den Film zwar schon gesehen, wollte ihn aber noch einmal gemeinsam mit ihm sehen. Wiederholung wird unterschätzt. Der Film walzt amerikanische Geschichte und Politik in eine Folge von Einzelbildern aus, konstruiert Überschneidungen mit der Biografie des Protagonisten und sorgt durch das Zeigen kurzer Schlüsselmomente für ein verändertes Verständnis von Chronologie. Tatsächlich baut die gesamte Struktur des Films auf der Idee auf, dass Forrests persönliche Geschichte sich mit Ereignissen der jüngeren politischen und spirituellen Geschichte der Vereinigten Staaten überschneidet. Forrest ist in Vietnam, Forrest spielt Tischtennis in China, Forrest wird Unternehmer, Forrest trifft den Präsidenten, Forrest wird zur Stimme des Protests, Forrest engagiert sich gegen Rassentrennung, Forrest heiratet, Forrest wird allein erziehender Vater, Forrest landet auf dem Cover des Time Magazine, Forrest wird unabsichtlich zum Selbsthilfe-Guru. Ohne es zu wollen, ist und wird er Geschichte. Natürlich setzt dieses dramaturgische Verfahren darauf, dass dem Publikum die zurückliegenden historischen Abläufe vertraut sind. Eine Hollywood-Erfindung, die jedwedes politische Moment ins Persönliche und Nichtintentionale zurückbiegt, was aber dennoch von Amerikanern als selbstbestimmtes und darum entscheidungstragendes Handeln verstanden wird. Dieser Widerspruch bildet den Kern des Humors im Film. Die Deutung bleibt uns überlassen. Das ist immer so, und genau das ist der Punkt. Wir haben gelacht, haben uns amerikanisch gefühlt und sind auf ein paar Cocktails in irgendein Hotel in Midtown gegangen.

Jeff Koons, Miami, 1998 Jeff Koons, Miami, 1998

Eine ganze Reihe möglicher Verbindungen ist hier im Spiel. Vorstellungen von Persönlichkeit und Intentionalität werden zu einem eigenartigen Zeitstrahl verflochten. Wir alle sind, wie zu hoffen ist, auf die eine oder andere Weise Protagonisten. Was ich aber an Jeff immer erstaunlich fand, ist die Tatsache, dass er sich seiner eigenen Rolle in der sich entfaltenden Geschichte seines Lebens auf geradezu stilisierte Weise bewusst ist. Die meisten Menschen glauben, dass sie eine Wahl haben. Jeff dagegen glaubt an Kontrolle in einem so unglaublichen Maß, dass dies sogar die Herstellung seiner eigenen Geschichte beeinflusst. Wie Forrest ist zwar auch Jeff ein Protagonist, der sich auf einem Zeitstrahl bewegt, aber der Unterschied besteht darin, dass er seine Rolle und die Rolle seines Publikums durchschaut. Kurz: Er ist kein "idiot savant". Dazu ist er viel zu clever; trotzdem hat er die schrullige Neigung, in persönliche und legale Schwierigkeiten zu geraten. Jeff als kindliches Verkaufstalent, Jeff, der nach New York zieht, um ein Patti-Smith-Konzert zu sehen, Jeff als "commodities broker" in den Achtzigern, Jeff und Neo-Geo, Jeff und die Banalität, Jeffs Kampf gegen Urheberrechtsgesetze, Jeff heiratet, Jeff lässt sich scheiden und so weiter. Es liegt auf der Hand, dass es hier mehr zwischen den Zeilen zu lesen gibt als die simple Geschichte eines Comebacks à la Vanity Fair. Für die wenigen Eingeweihten war er nie wirklich fort, er zeigte eben einfach keine neuen Arbeiten. Trotzdem kann man sagen, dass "Made in Heaven" - was Fragen der Ästhetik, der Narration und der Kommunikationsstrategien betrifft - in den Neunzigern bleibende Wirkung bei einer bunt gemischten Gruppe von Künstlern hinterließ, die Jeff folgten. Die visuelle Dichtheit seiner letzten Ausstellung ist erstaunlich. Spektakulär und überladen. Eine rhetorische Zurschaustellung des reinsten Objektivismus. Zeit und Raum werden im Augenblick des Sehens eingeebnet. Koons wendet die klassische Montagetechnik an, um Bilder der Kindheit heraufzubeschwören: Pfannkuchen, Sirup, Donuts, Bologna Sandwiches, Teigtaschen, Eiscreme, Pfefferminzbonbons, Cheerios, Maiskörner und was weiß ich noch für unidentifizierbare Lebensmittel. Nahrung, die flüssig ist oder sich in einem Zustand der Verflüssigung befindet. Betrachter treten hier als ausgeschnittene Umrisse auf, wir selbst sind also auch Teil der Montage. Das wird durch unsere Beziehung zu diesen Dingen deutlich - zu den maschinell erzeugten Nahrungsmitteln in surrealen Landschaften. Raum erweist sich hier als küchenpsychologisches Spiel, aber die Aufforderung zur Deutung bleibt unbeantwortet. Zweidimensional. Das Bild ist eine mentale Landschaft. Wörtlich nicht wirklich. Wir haben es hier auch mit den Nachbildern irgendeiner Reise zu tun. Keiner Reise zur politischen Geschichte der Vereinigten Staaten nach dem Vietnamkrieg wie bei "Forrest Gump" oder bei irgendeiner Rosenquist'schen Nachkriegs-Wunschmaschine. Auch keiner Reise in den Supermarkt - wohl aber zu einer Show der Spezialeffekte, die vor allem an das Sehen und Denken gerichtet ist und nicht zuletzt auch davon erzählt, dass die Dinge in keiner logischen Ordnung stehen müssen, sondern reine Potentialität sind. Anders gesagt, hier geht es nicht um die simple Darstellung von Dingen, sondern um eine Highspeed-Vision des Verpackens.

Das Publikum verpacken, den Begriff des Spektakels und unser Verlangen danach gleich darzulegen. Auch Verpackung ist schließlich eine Form der Erzählung. Kulturell und persönlich. Auch wenn die Erzählung, von der hier die Rede ist, wegen ihrer Dinghaftigkeit kaum Nanosekunden braucht, um unsere Existenz zu durchqueren. Zahnpasta beispielsweise ist in ihrer Objekthaftigkeit nicht nur zutiefst demokratisch, sie hat auch zahllose Phantasien ausgelöst und definiert, was in der Politikmaschinerie als telegen gilt. Saubere Zähne verkörpern die Wahrheit selbst. Wir alle wissen das. Koons versteht nicht nur, was Verpackung bedeutet, er begreift auch die tiefere ethische und politische Dimension solcher Dinge. Für mich ist das die Erklärung, warum Naomi Klein nicht an ihn heranreicht. In ihrem Buch "No Logo" analysiert sie Rolle und Geschichte neuerer Marketingstrategien im Verhältnis zu "Jugend" und "Lifestyle". Sie erkennt allerdings nicht, dass diese soziopolitischen Strukturen bereits ihre eigenen selbstbewussten Ökonomien hervorgebracht haben, trotzdem sie unterdessen auch einigen Marken zum Erfolg verholfen haben. Was ich aus politischer Perspektive höchst interessant finde, ist die Aneignung von Markenimages zu neuen Zwecken. Natürlich kann man immer mit dem Finger auf die zeigen, die für die Marken verantwortlich sind und denen dieses Vorgehen bewusst ist. Aber sie werden nie ganz auf die Höhe der Sache kommen, denn sie verfehlen den zentralen Punkt: dass die Ökonomie der Zeichen nicht einfach eine binäre ist - die entweder über den Gebrauchswert oder eben im Gegenteil über das Image eines Lebensstils funktioniert. Veränderung braucht immer einen Raum, eine Methode, einen Handelnden - und diese Aspekte werden in Naomi Kleins Buch nicht wirklich theoretisiert.

Jeff Koons, "Hair with Cheese", 2000 (nahezu vollendeter Zustand) Jeff Koons, "Hair with Cheese", 2000 (nahezu vollendeter Zustand)

Jeff Koons, "Mountains", 2000 (nahezu vollendeter Zustand) Jeff Koons, "Mountains", 2000 (nahezu vollendeter Zustand)

Wenn ich all die Cornflakesschachteln sehe, die bei Jeff zu Hause zu einem "Breakfast of Champions" aufgebaut sind oder ihm in seinem Atelier zur Inspiration dienen, dann zeigt sich, dass sich hier die Verpackungen zu einem Begriff des Zukünftigen zusammenfügen. Ohne politisch zu sein, kann man noch nicht einmal ansatzweise über die Zukunft und ihre Möglichkeiten nachdenken. Diese Kindernahrung steht für physische Möglichkeiten (mit ihren Angaben über die empfohlenen täglichen Lebensmittel), und sie steht auch für ein ästhetisches und stilistisches Zukunftspotential (d.h.: was zum Henker machst du eigentlich heute?). Unverkennbar gebraucht Jeff die Metaphorik des Zukunftspotentials, um sowohl Reflexionen der Betrachter als auch seiner selbst zu erzeugen. Schwierig ist dabei, direkt zu sein und zugleich auch noch andeuten zu wollen, dass man sich zwischen zwei Zuständen befindet.

In dem Bild "Mountains" schweben ein York Peppermint Patty und seine Freunde (Gebäck, Schokolade und Paradiesapfel im Schlepptau) über einem idealischen Strand. Frauenhaar flattert im Wind. In der Landschaft sind keine Menschen zu sehen. Wir sind darin gleichermaßen Subjekt und Objekt. Auffällig ist das Fehlen von Gesichtern. Es handelt sich um ein Bild über eine bestimmte Sehweise. Es setzt eine gewisse Distanz des Betrachters oder des Künstlers voraus, und das Verlangen, diese möge sofort in sich zusammenbrechen. Was ich hier interessant finde, ist die Weigerung, Sinn zu stiften, und der Wunsch, Zeit und Raum zusammenstürzen zu lassen: Die Zeit soll durch Kindertricks, Erinnerungen und kinematische Effekte aufgehoben werden, der Raum durch die Darstellung schwerelosen Schwebens wie zum Beispiel bei der Achterbahn in "Bluepoles", durch den Strudel in "Grotto", durch die Frauenfüße

und -knöchel in "Niagra", die über einer Riesenportion Eiscreme, Packungen voller Donuts und einer abstrakt und kristallin wirkenden Landschaft herabhängen, vor allem aber durch die malerische Umsetzung flüssiger Nahrung, besonders Milch und Wasser. Meiner Meinung nach haben diese Arbeiten nichts mit Superrealismus zu tun. Denn es handelt sich nicht um ein einfaches Abschildern des Hyperrealen. Es sind Nachbilder des Überflusses, in denen es um Kommunikationstechniken geht. Obwohl es beim Einsatz von Effekten gewisse Überschneidungen mit denjenigen in Bildern der Werbung gibt - der Gebrauch des Surrealen, das Nostalgische, das fragmentierte Bild usw. -, besteht ein großer Unterschied zwischen Kunst, die sich mit dem Thema "Werbung" auseinander setzt, und Kunst über Kommunikation. Ob man es glaubt oder nicht, das Verkaufen ist nur die unterste der Ebenen. Es ist nur der Anfang.

Wenn Raum beim jetzigen Stand des postindustriellen Kapitalismus mit Information gleichzusetzen ist, dann ist diese vollkommen abstrakt und befindet sich doch auf der Ebene grundlegender Bedürfnisse. Sie ist nicht mehr im traditionellen Sinne physisch. Es ist hier keine Rede davon, dass Betrachter in ein Verhältnis physischer Interaktion mit dem Kunstwerk gesetzt werden sollen, um Bedeutung zu erzeugen. Denn ironischerweise wäre das sooo altmodisch. Indem Jeff mit den Grundlagen der Bilderwelt herumspielt, sagt er, dass die Deutung immer bei uns liegt - aber sie hat eine geistige zu sein. "Das Bild gibt [den Leuten] das Gefühl, selber so appetitlich verpackt zu sein wie eine Kirsche." [1] Koons setzt uns nicht einfach irgendeine Welt der umherirrenden Lebensmittel-Logos oder Pauschalreise-Urlaube vor. Wir sind nicht in Naomi Kleins Welt. Hier gibt es einen Handelnden, einen Protagonisten, und es gibt eine Perspektive, die nicht diejenige der multinationalen Konzerne ist. Auch wenn es sich bei dieser Perspektive um einen Moment des zelebrierten Verlusts und des Verschwindens der Ferne handelt, geht es ihr nicht um Markenzeichen, außer um das für die Marke "Koons" selbst. "Embrace your past" [2] ist unmissverständlich eine persönliche und politische Aussage, die sich ganz auf die Zukunft richtet. Jeffs Wunsch, die Vergangenheit zu umarmen, ist auf eine besonders amerikanische (und dadurch globale) Weise provinziell. "Embrace your past" könnte auch "Wir sind, was wir essen" oder "Wir sind, was wir sehen" bedeuten. Aber obwohl die Details wunderbar sind und Anlass zu größter Bewunderung geben, findet Kommunikation durch die Details statt, nicht über sie. Die Kommunikation der Abstraktion.

Was so großartig an der Bilderserie "Easyfun - Ethereal" ist: Sie ist letzten Endes unpersönlich - und jeder, der versuchen würde, diese Bilder, bei denen es sich zufällig um Gemälde handelt, mit einer psychiatrischen Begrifflichkeit zu beschreiben, würde dastehen wie Oprah Winfrey im Guggenheim. "Wenn die Kunst das Psychologische überwunden hat", bemerkte mir gegenüber einmal ein bekannter Schriftsteller, "dann werden wir gesiegt haben." Dem stimme ich zu. Diese Bilder sind, jenseits spezifischer Bedeutungen und jenseits der Psychologie Archetypen der Kommunikation,

abstrahiert und zurückprojiziert, dabei immer unter Einbeziehung des Betrachters. Jeff scheint sein Vehikel gefunden zu haben. Natürlich in der Mehrzahl, zur Effektmaximierung.

(Übersetzung aus dem Englischen von Clemens Krümmel)

Anmerkungen

[1]Jeff Koons im Interview mit David Sylvester, in: Jeff Koons, "Easyfun - Ethereal", Berlin 2000; Ausst.-Kat. Deutsche Guggenheim, Ostfildern-Ruit, S. 14-43, hier S. 18.
[2]The Jeff Koons Handbook, Anthony d'Offay Gallery, London 1992.