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Der Hausmann Ein Interview Mit Richard Prince von Isabelle Graw

Richard Prince, "Untitled (bows)", 1980 Richard Prince, "Untitled (bows)", 1980 Richard Prince, "Untitled (bows)", 1980

Richard Prince stellt im Verhältnis zu "klassischen" Aneignungsbegriffen schon allein dadurch einen Ausnahmefall dar, dass er die Medienzuweisung an Appropriation Art seit langem umgeht und sowohl im fotografischen wie im Medium der Malerei arbeitet - und sich auch sonst Kapricen erlaubt, die der Strenge der "coolen" Appropriation zu widersprechen scheinen.

Isabelle Graw traf Prince in den Kulissen seiner derzeitigen großen Retrospektive im Kunstmuseum Wolfsburg und sprach mit ihm nicht nur über die Entstehung der Appropriation Art, sondern auch über den Blaustich in seinen Fotografien und die wechselnden Arrangements seiner Umgebung seit seiner Kindheit.

Isabelle Graw: Wenn ich alle deine Künstlerbücher Revue passieren lasse, fällt mir auf, dass du einen bestimmten Typus des Künstlerbuchs quasi erfunden hast, ein Genre, das mittlerweile bei Künstler/innen wie Elizabeth Peyton oder Cosima von Bonin ganz selbstverständlich zum Einsatz kommt. Es ist Material recht unterschiedlicher Herkunft, das in diesen Büchern auf der gleichen Ebene verhandelt wird - deine eigene Kunst, Vorlagen, private Fotos, andere Kunstwerke oder Bücher. Obgleich die hier angeeigneten Gegenstände einen ganz unterschiedlichen Status haben, unterziehst du sie dem gleichen Verfahren. Das drückt sich auch in diesem eigentümlich bläulichen Licht aus, das sämtliche Abbildungen durchzieht und einer Signatur ziemlich nahe kommt ...

Richard Prince: Dieses Licht lässt sich ganz einfach erklären - ich benutze den falschen Film. Meine Idee von Fotografie war immer, nichts von ihr zu verstehen - und ich wusste tatsächlich nichts darüber. Dieser blaue Ton lässt sich darauf zurückführen, dass ich einen Film für drinnen draußen benutzt habe. Ich profitierte also von dem, was mir die natürliche Fähigkeit des Films anbietet. Als ich anfing, meine Fotos zu Hause zu machen, benutzte ich einen ganz besonderen Film, und als ich dann begann, draußen zu fotografieren, habe ich ihn in der Kamera gelassen. Ich hatte schlicht keine Lust loszugehen und den richtigen zu kaufen - so einfach war das.

Graw: Dieser bläuliche Ton ist demnach Resultat einer ästhetisch gewendeten Bequemlichkeit.

Prince: Mich interessierte es einfach, wenn sich das Falsche als das Richtige erweist, wenn sich ein Fehler in einen Vorteil verkehren lässt, ein Minus in ein Plus.

Graw: Als ich dein Frühwerk in Wolfsburg genauer betrachtete - zum Beispiel die berühmte Serie "Untitled (Living Rooms)" von 1977 oder die wiederfotografierten Werbungen für edle Füllhalter, stellte ich noch eine andere durchgehende Eigenschaft fest. Von jedem dieser Gegenstände scheint ein gewisser Glanz auszugehen, eine Aura des Luxuriösen, die zugleich irgendwie halbseiden wirkt. Alle diese Serien weisen zudem denselben Rotbraun-Sepia-Ton auf. Ich fragte mich also, warum dir diese Dinge damals der Aneignung würdig erschienen - gefielen sie dir, weil sie auf elegant-trashige Weise glänzten? Oder hast du diesen Glanz mit deinem wiederfotografierenden Verfahren erzeugt? In einem deiner Texte hast du einmal gesagt, es sei harte Arbeit, die Dinge so aussehen zu lassen, als habe man sie so vorgefunden.

Prince: Ich habe nicht viel gemacht, außer vielleicht einen einfachen Belichtungsprozess zum Einsatz zu bringen. Weißt du, wenn man durch eine 35-mm-Kamera hindurchblickt, dann gibt es zwei Lichter auf der Seite und die ausgerissene Seite aus dem Magazin, die ich auf einem Brett platzierte. So einfach war das - jeder hätte es tun können - nur war ich es, der es tat.

Graw: Andere hätten vielleicht eine andere Vorlage genommen.

Prince: Ja - sie hätten andere Dinge aus anderen Gründen ausgewählt. Entscheidend war jedoch, dass ich ein wirkliches Foto von etwas gemacht habe, das im Wesentlichen eine Collage war, und ich verwandelte diese Collage in etwas Nahtloses. Dafür benutzte ich keine Dunkelkammer - ich schickte den Film einfach zur Entwicklung ins Labor.

Graw: Was genau meinst du mit Collage? Spielst du darauf an, dass deine Wieder-Fotografie einen homogenisierenden Effekt hatte?

Prince: Wenn man etwas aus einer Zeitschrift herausreißt und dieses Bild präsentieren will, dann tut man dies üblicherweise in Form einer Collage - man klebt es auf. Dieses Bild weist dann alle Eigenschaften einer Collage auf. Was ich jedoch machte, wenn ich wieder-fotografierte und den Film zum Labor schickte, lief auf ein wirkliches Foto hinaus. Deshalb hat es diese seltsame Qualität, die du ansprichst.

Graw: Es kommt einem tatsächlich so vor, als würde sich der Effekt des Originalfotos durch deine Behandlung intensivieren.

Prince: Der Effekt gleich dem, den ein Lebensmittel-Stylist bewirkt, wenn er das zu fotografierende Essen besprüht, was ihm auch einen unwirklichen Effekt verleiht. Meine Vorlagen sind allerdings von Anfang an ziemlich unwirklich - vollkommen überproduziert, überdeterminiert und psychologisch aufgeladen, wie in einem Film-Still. Weil diese Füller an sich schon extrem sind, habe ich sie noch extremer erscheinen lassen. Ein anderer Grund dafür, dass es diese Bilder von Füllern gibt, ist der, dass es damals einfach sehr viele Werbungen für Füller gab. Auch die Serie der "Living Rooms" stammt aus einer Werbekampagne, die damals eine Zeit lang extrem präsent gewesen ist. Diese Wohnzimmer sind so seltsam und haben nichts mit den Wohnzimmern zu tun, in denen ich schon gewesen bin. Außerdem besaß ich zu diesem Zeitpunkt keinen Füller, ganz zu schweigen von einer Armbanduhr oder anderen Accessoires.

Graw: Es hat also doch einen Moment des "Begehrens" gegeben. In der kunsttheoretischen Rezeption der Appropriation Art ist dieser Aspekt unter den Tisch gefallen: Man setzte vielmehr Distanz voraus und unterstellte den Künstler/innen eine repräsentationskritische Absicht. In deinen frühen Arbeiten scheint aber auch ein Moment von Sehnsucht auf, das durch das Lapidare - etwa der Füller - zugleich bitter ironisch wirkt.

Prince: Ich stellte damals fest, dass man sich auf diese Dinge - Wohnzimmer, Füller - geeinigt hatte, denn schließlich existierten sie da draußen. Ich habe immer aufmerksam das verfolgt, was in hohen Auflagen publiziert wurde. Deshalb musste ich nicht lange suchen, um diese "Three Women Looking in the Same Direction" zu finden. Aus irgendeinem Grund gab es zahlreiche Bilder, in denen diese Pose von Frauen eingenommen wurde. Wie ich schon gesagt habe - es gab und gibt immer noch Tausende von Werbungen für Armbanduhren. Dann kommt man zu dem Punkt, wo man eine Auswahl trifft - man wählt das aus, was bereits ausgewählt wurde, und so bekommt man es mit einer Präferenz von jemand anderem zu tun. Das wiederum reduziert die Möglichkeiten, über dieses Bild zu spekulieren.

Graw: Du stellst also eine Art "kollektives Begehren" fest, eine allgemeine Relevanz, und dann versuchst du, dich dranzuhängen, daran teilzunehmen?

Prince: Ja - ich nehme daran teil. Es ist fast so, als würde man einen Anspruch darauf erheben - plötzlich sieht man etwas, was man zuvor so noch nicht gesehen hatte. Und das ist interessant in Bezug auf die Frage, was es noch alles geben könnte, das ich derzeit nicht sehe - wann werde ich die nächste Sache sehen, wann werde ich zufällig auf etwas anderes stoßen, wann wird mir etwas unterkommen? Und jede Sache führte zur nächsten.

Graw: Man könnte diese Haltung beinahe mit dem Warten auf eine Eingebung vergleichen, eine Vorstellung, die die Künstler/innen des abstrakten Expressionismus teilten. Man wollte sich seinem Medium überantworten und ging davon aus, dass es einem schon den nächsten Schritt zeigen und den Weg weisen würde.

Prince: Mit diesem Vergleich bin ich einverstanden. Als ich von den Werbebildern dann zu den Lifestyle-Abbildungen gezogen wurde, war das für mich eine Entdeckung. Ich war mit dieser Sorte Zeitschrift nicht vertraut - ich bin weder Surfer noch Biker und auch kein Pornograf. Dennoch hatten all diese Themen ihre eigene Zeitschrift, Zeitschriften, die nicht wirklich populär, aber am Zeitschriftenkiosk zu haben waren.

Graw: Wenn man deine Arbeit unter thematischen Gesichtspunkten betrachtet, dann drängt sich einem die Omnipräsenz eines Themas auf: das Thema des Zuhauses. Es beginnt in den Künstlerbüchern, wo sich Anspielungen auf dein Zuhause finden - Fotos von privaten Räumen oder stilisierte Fotos deines Ateliers. In den Cartoons, die du als Siebdrucke für deine neuen Bilder verwendest, scheinen ebenfalls immer die gleichen Motive obsessiv zum Einsatz zu kommen: Lampenschirme, Schreibtische, Zimmerecken.

Richard Prince, "Untitled (living rooms)", 1977 Richard Prince, "Untitled (living rooms)", 1977 Richard Prince, "Untitled (living rooms)", 1977

Prince: Diese vier Bilder der "Living Rooms"-Serie waren eines nach dem anderen im Magazin der New York Times erschienen. Ich habe sie nur deshalb ausgerissen, weil ich sie unglaublich fand - ich wusste zwar, dass sie reines Arrangement waren, aber trotzdem - hier waren sie: reine Bilder im Format 35mm. Ich habe sie also mit meiner Kamera förmlich umwickelt, und es war einfach, sie zu fotografieren. Wenn ich nur eines wiederfotografiert hätte, oder wenn die vier genau gleich ausgesehen hätten, dann hätte es vielleicht so ausgesehen, als hätte ich etwas aus ihnen machen wollen. Und mein Punkt war damals der, dass ich selbst gar nichts aus ihnen machen wollte. Ich wollte, dass mich niemand für das, was ich tat, beim Wort nahm. Und dies lag an meiner damaligen persönlichen Krise, die sich um die Frage drehte, woran ich eigentlich glaubte. Meiner Meinung nach ist die Appropriation Art letztlich der Ausdruck einer persönlichen Krise gewesen. In den Jahren zuvor hatte ich eine Kunst gemacht, die noch viel mit meinem persönlichen Ausdruck zu tun hatte. Viele teilten Ende der siebziger Jahre meine Zweifel - ich war Teil einer allgemeinen künstlerischen Sensibilität -, und wir stellten fest, wie schwer es ist, nicht ehrlich zu sein. Um auf eine neue Weise ehrlich zu sein, musst du an etwas glauben, das alles andere als wahr ist - so sahen wir es damals. Wichtig war auch die Punk-Revolte, das Gefühl, dass es ohnehin keine Zukunft gab und dass man immer nur weiter angelogen werden würde. Von daher hatte die Appropriation Art auch eine politische Seite.

Graw: Man verweigerte sich dem Verlangen des Kunstbetriebs nach Authentizität, doch durch die Hintertür trat eine Art "Rest-Authentizität" doch wieder ein, denn sowohl die Auswahl als auch die spezifische fotografische Behandlung der Gegenstände verraten eine persönliche Handschrift, sind als Spuren des Authentischen zu lesen.

Richard Prince, "Untitled (living rooms)", 1977 Richard Prince, "Untitled (living rooms)", 1977 Richard Prince, "Untitled (living rooms)", 1977

Prince: Nehmen wir die "Living Rooms" oder die Serie "Untitled (single man again)" von 1977/78. Diese Bilder zu betrachten ist nicht unbedingt angenehm, und zum damaligen Zeitpunkt war nicht gerade alle Welt hinter ihnen her, um sie zu kaufen und sie sich an die Wand zu hängen. Es war ein Kampf, den ich damals brauchte - denn ich wollte mich von den Leuten abgrenzen, die etwas machten, was nach Kunst aussah. Noch heute finde ich, dass die Bilder der Serie "Three Men Looking in the Same Direction" nicht wie normale Bilder aussehen. Und der Beweis ist, dass eines der Bilder aus dieser Serie, die vor fünfundzwanzig Jahren gemacht wurde, erst kürzlich verkauft wurde. Was die "Living Rooms"-Serie betrifft - sie sind alle ausverkauft, es gab eine Auflage von zehn Exemplaren. Im Jahr 1987 fingen sie an, sich zu verkaufen.

Graw: Und die "Women Looking in the Same Direction"?

Prince: Ich wollte diese Serie - das war damals meine ganz bewusste Entscheidung - besser aussehen lassen, ihr eine bestimmte Tönung verleihen, so dass sie noch glatter aussah, gefälliger fürs Auge. Diese Serie hat sich dementsprechend schneller verkauft. Aber die Accessoires - nein, das hat lange gedauert. Diese Zurückweisung war jedoch damals existenziell wichtig für mich. Zurückgewiesen zu werden bedeutete für mich, mich integriert zu fühlen. Dies hatte wieder mit der erwähnten persönlichen Krise zu tun. Ich glaube, dass wirklich gute Kunst aus einer seltsam alltäglichen, persönlichen Krise heraus entsteht. Manchmal frage ich mich, wie Cézanne diese Figuren gemacht hat, ohne Gesicht, und plötzlich ist da auch keine Hand? Was hat er sich wohl dabei gedacht, auch in Bezug auf die Leute, die seine Bilder sehen würden? - Er muss verrückt gewesen sein. Er dachte wahrscheinlich, dass es so gut aussah und musste es so machen.

Graw: Dein Vorschlag, die Appropriation Art als Ausdruck einer persönlichen Krise zu sehen, ist ja nun das genaue Gegenteil ihrer üblichen Wahrnehmung als einer Kunstrichtung, die eher strategisch motiviert war. Vielleicht muss man beide Aspekte miteinander kombinieren. Was brachte dich jedoch dazu, dich derart ausführlich mit den Insignien von Weiblichkeit zu beschäftigen - etwa Make-up, Puderquasten und Schminkspiegel in "Untitled (eye, nose, mouth)" 1982 oder Varianten von Pony- oder Duttfrisuren in "Untitled (bows)"? Wieso lag dir so viel daran, die beinahe klischeehafte Perspektive des Fetischisten einzunehmen, der den Lederhandschuh fotografiert?

Prince: Ich denke, dass diese Bilder sehr sexy und gut aussehen. Ich meine - es ist etwas sehr Sexuelles, einen Dutt aufzustecken - ich weiß nicht warum, und ich würde mir diese Frage auch nie stellen. Die Gründe sind mir ziemlich egal - aber so ist es nun mal. Die Serien mit Haaren haben etwas Klischeehaftes - fast wie ein Cartoon. Und die Handschuhe - nun, das war eine eher spontane Entscheidung. Sie könnten von Jackie Kennedy stammen, weil das Kleid hinter den Handschuhen wie ein Chanel-Kostüm aussieht.

Graw: Aber nach welchen Kriterien hast du dich in diesen fragmenthaften Bildern denn für einen bestimmten Ausschnitt entschieden?

Prince: Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass viele meiner Bilder beschnitten worden wären. Die meisten Bilder sind so, wie ich sie vorgefunden habe, sonst wären sie mir wahrscheinlich gar nicht aufgefallen. Aber es gibt diese - ich hasse es, das zu wiederholen! - sexuelle Seite, und es ist etwas sehr Sexuelles, deine Kamera um etwas zu wickeln - etwas, das sich nicht bewegt und sich im Laufe des Tages nicht ändern wird.

Graw: Es zu fotografieren heißt gleichsam, es sich zu holen?

Prince: So würde ich es ausdrücken - man rückt einer Sache näher, macht die Aufnahme, und dann hat man förmlich danach gegriffen. Ich weiß vorher ganz genau, wie das Bild aussehen wird.

Graw: Hattest du in den späten siebziger, frühen achtziger Jahren das Gefühl, Teil einer Community zu sein, zu einer Gruppe von Künstler/innen zu gehören, die ähnlich dachten?

Prince: Natürlich - da waren die Künstler/innen der Galerie Metro Pictures - etwa Jim Welling, Troy Brauntuch, Jack Goldstein, Cindy Sherman - und alle teilten die gleiche künstlerische Sensibilität. Das war der Auslöser für die Gründung dieser Galerie, aber auch der Grund, aus dem sie auseinander fiel.

Graw: Die enge Zusammenarbeit führte zu einem um so intensiveren Konkurrenzverhältnis?

Prince: Ja, zu Eifersucht - aber das ist eine lange Geschichte.

Graw: Retrospektiv betrachtet könnte man diese Zeit aber auch idealisieren, als eine Zeit des intensiven Austauschs zwischen Künstler/innen und Theoretiker/innen. Man diskutierte miteinander, beinflusste sich gegenseitig und führte eine richtiggehende Debatte - eine solche Verdichtung hat es seither kaum wieder gegeben.

Prince: Genau in dieser Debatte bestand für mich das Problem, denn ich war nicht Teil von ihr. Ich blieb ein Outsider, obgleich ich Insider war, da ich mit Cindy Sherman zusammenlebte. Doch ich musste von außen in diese Gemeinschaft hineinkommen, denn die meisten Beziehungen und Freundschaften waren bereits geschlossen.

Graw: Die kannten sich schon von der Kunsthochschule, aber du kamst erst später dazu?

Prince: Ich hatte keine Kunsthochschule besucht und landete nur zufällig im Umfeld von "Artists Space", ich bin da fast zufällig hineingestolpert. Zwar wurde ich schnell integriert, doch meine Haltung war eher die, keine Freundschaft mit den Kritikern einzugehen, weil ich das, worüber und wie sie sprachen, als falsch empfand, und das habe ich ihnen auch immer wieder gesagt. Sie wollten das natürlich nicht hören.

Graw: Was genau schien dir denn so falsch?

Prince: Die Art und Weise, wie Appropriation Art beschrieben wurde. Erstens wussten sie gar nicht, was "Wieder-Fotografie" ist. Ich war der einzige, der darüber informiert war, weil ich sie schließlich selbst praktizierte. Aber sie wollten einem noch nicht einmal Fragen stellen. Douglas Crimp und Craig Owens hatte ihre sichere Position bei October, und sie versuchten, die Appropriation Art zu politisieren. Du musst wissen, dass jemand wie Rosalind Krauss noch nie in ihrem Leben ein originales Kunstwerk angeschaut hat, sie hat noch nie einen Fuß in eine Galerie gesetzt. All ihr Wissen ist second hand.

Graw: Ist das nicht reichlich übertrieben?

Prince: Nein, überhaupt nicht. Das ist eine Tatsache. Fakt ist auch, dass ich einmal in Los Angeles "Fuck You" zu Craig Owens gesagt habe. Das hat er mir nie verziehen, und deshalb hat er mich in seinen Texten nie mehr erwähnt. Mein Ideal war es damals, ohne Publikum auszukommen - ich war gegen jede Form von Publikum, und ich wollte nicht, dass die normale Welt von unseren Aktivitäten wusste. Es machte viel mehr Spaß, unbekannt zu sein, doch es gab andere, die genau das Gegenteil wollten. Dagegen ging ich. Außerdem hatte ich noch die Idee, mich jedes Jahr verändern zu wollen, jedes Jahr eine ganz andere Arbeit zu machen, was die Dinge verkomplizierte, weil man mich auf meine Arbeit von 1980 festlegen wollte. Die wollten, dass ich ewig so weitermache. Künstler zu sein bedeutet aber für mich, über ein bestimmtes Maß an Freiheit zu verfügen. Ein Künstler wie Roy Lichtenstein hat sich mit dem, was er machte, bestimmt sehr wohl gefühlt. Aber ich tendiere dazu, Warhol für interessanter zu halten - weil er so viele verschiedene Sachen gemacht hat.

Graw: Ich kann mir nicht vorstellen, dass du auf Anerkennung - zumindest deiner Künstlerfreunde - ganz verzichten wolltest. War die Anerkennung nicht wichtig?

Prince: Sicherlich. Nur hatte ich das Gefühl, dass man mir das, was ich machte, wegnehmen wollte - die Kritiker schrieben es anderen Leuten zu, und das hat bei mir Ressentiments erzeugt. Ich hatte zum Beispiel ein wirkliches Problem mit Sherrie Levine. Sie hat mich nämlich gefragt - ich meine, diese Geschichte ist so oft erzählt worden, dass es schon lächerlich wird - aber sie fragte mich eben, ob sie auch ein Foto wiederfotografieren könne, und mir war es damals egal, ich sagte - klar, und ich war damals auch ziemlich naiv, was die Kunstwelt und ihre Funktionsweise betrifft. Und sie kam mit ihren berühmten, sehr kontroversen Walker-Evans-Serien heraus. Nicht, dass sie sie fotografiert hätte.

Graw: Sie hatte die Bilder jedoch zuerst unmittelbar aus den Katalogen herausgenommen.

Prince: Es ging ihr nicht darum, durch die Bilder hindurchzuschauen, sie wusste auch nichts von dieser Technik. Aber es passierte folgendes: Was sie machte, wurde zu einem Weg, das zu erklären, was ich machte.

Graw: Sie wurde zu einer Pionierin der Appropriation Art erklärt.

Prince: Man erklärte die "Wieder-Fotografie" mithilfe ihrer Arbeit, jedenfalls eine Zeit lang. Und sobald so etwas gedruckt dasteht, glauben es die Leute. Ich war sehr wütend über diese Situation, auch weil ich meinte, dass der Akt des Wieder-Fotografierens etwas ganz anderes sei.

Graw: Aber hättest du nicht, als jemand, der nicht glaubwürdig sein und klandestin bleiben wollte, ein solches Aufgreifen und Weiterführen deiner Praxis willkommen heißen müssen?

Prince: Damals war alles noch unbekanntes Terrain für mich, und ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte - und ich reagierte schlecht. Ich wurde sehr sauer und beleidigte, wie schon gesagt, Craig Owens. Das hing auch mit mangelnder Erfahrung zusammen. Ich habe nicht etwa den Anspruch erheben wollen, der einzige zu sein, der Material nimmt und es appropriiert. Das Wort "Appropriation" habe ich übrigens zum ersten Mal in einem Aufsatz von 1980 benutzt. Darunter verstand ich eher das, was ich mit "pirating" umschrieb - ein Terminus aus der Musik. Heute heißt es "sampling".

Graw: Von "pirating", also "Kapern" zu reden, ist doch aber genauso pathetisch, wie wenn Kritiker das Verfahren von Levine zum "Diebstahl" überhöhten und mit einer interventionistischen Handlung verwechselten.

Prince: Mit "pirating" beschrieb man damals einfach eine Technik der Musik, die ich damals hörte. Ich hatte das Gefühl, falsch interpretiert worden zu sein - und mir war es doch immer darauf angekommen, eine Arbeit zu machen, die nicht interpretiert werden könnte. Deshalb war ich auch so sauer. Ich wollte keinen Schiedsrichter haben, keine Kritiker. Wie beim Golf, wo man den Ball entweder ins Loch schlägt oder eben nicht. Es gibt keinen Richter in diesem Spiel - es ist artifiziell.

Graw: Nur muss es im Unterschied zum Golf in der Kunstwelt Instanzen geben, für die deine Arbeit als Kunst lesbar ist. Ohne sie auskommen zu wollen klingt nach einer präpotenten Selbstüberschätzung.

Prince: Du musst dir jemanden vorstellen, der damals tatsächlich präpotent war und versuchte, alles unter seine Kontrolle zu bringen.

Graw: Ein Wunsch, der sich ja auch in dem Akt des Wieder-Fotografierens ausdrückt, wobei der Übergang zwischen Kontrolle und Besitz fließend ist. In deine Künstlerbücher hast du regelmäßig Arbeiten von anderen integriert - etwa eine Kippenberger-Skulptur oder im aktuellen Katalog ein Bild von Polke.

Prince: Das sind Dinge, die ich sammle und besitze.

Graw: Es gibt in dem neuen Katalog ein Foto deines Ateliers in Long Island - man sieht einen Schreibtisch, wieder mit Stuhl, Lampe, Foto, und darüber ein Polke-Bild. Dieser Bildaufbau erinnerte mich sofort an die Bilder von Louise Lawler.

Prince: Das ist interessant - daran habe ich noch gar nicht gedacht. Das ist einfach ein George-Nelson-Tisch, darüber das Polke-Bild, und auf dem Tisch steht eine kleine Lampe vom Flohmarkt. Dieses Bild zeigt mich als den Innenausstatter, als der ich mich seit meiner Kindheit betätige. Als ich klein war, habe ich mein Schlafzimmer jeden Tag neu gestaltet, den Teppich gesaugt, und zwar immer auf verschiedene Weise. Ich war obsessiv mit dem Aussehen der Dinge beschäftigt. Darum geht es hier auch. Ich komme einfach nicht darüber hinweg. Ich arrangiere ständig neu, hänge unentwegt etwas an die Wand, kombiniere es anders. Dein Verweis auf Lawler stimmt mich nachdenklich - es war nämlich keine leichte Entscheidung, dieses Foto in den Katalog hineinzunehmen. Vielleicht würde ich es, hätte ich den Katalog heute zu machen, eher rauslassen.

Graw: Mit einem solchen Foto stellst du auch "Geschmack" unter Beweis. Es gibt Momente in deinen Künstlerbüchern, wo du einen an deinem Prozess des Aussortierens teilhaben lässt - mal ist es eine nicht aufgelegte Edition, dann wieder ein zerstörtes Bild, das abgebildet wird. Als Künstler scheinst du dir damit die - letztlich arbiträre - Entscheidung vorzubehalten, Bilder, die andere für gelungen halten mögen, zu vernichten.

Prince: Wenn es nach mir ginge, würde ich lieber stärker eingreifen und ganz viele Arbeiten aussortieren. Deshalb glaube ich auch nicht, dass ich so eine Überblicksausstellung wie die hier in Wolfsburg in nächster Zeit noch einmal machen werde.

Graw: Geradezu klassisch wurde in dieser Ausstellung nach Gattungen, zwischen "Paintings" und "Photographs" unterteilt. Bei deinen neuen Witzbildern fällt nun auf, dass in ihnen sämtliche Register modernistischer Malerei gezogen werden - die "Cluster"-Bilder eines Philip Guston, Warhols "Disasters"-Serien, Rauschenbergs Siebdrucke oder De Koonings Spätwerk. Bildeten die Witze in den ersten Witz-Bildern noch das Zentrum monochromer Flächen, so wanderten sie als nächstes nach unten ab - sie wurden zur Bildunterschrift. Bei den neueren großen Leinwänden scheinen dagegen die "Cartoons" wie Kalligrafien lose im Bild zu schweben. Der Einsatz von Malerei scheint mir hier manchmal ein wenig strategisch zu sein - als würdest du die zur Verfügung stehenden Methoden einfach abrufen.

Prince: Zuerst waren die Witz-Bilder eine Reaktion gegen jene Leute, die nicht wollten, dass ich eine ästhetische Handschrift habe. Mit den Witzen hatte ich einen Inhalt gefunden - und zunächst ließ ich die Bildebene der Cartoons fallen, um mich ausschließlich auf die Bildunterschrift zu konzentrieren. Nun stellte sich die Frage: Wie präsentiere ich es? Jemand anderes hätte den Witz vielleicht in Stein gemeißelt oder auf eine Hauswand gesprayt.

Graw: ... oder ihn als Neonschrift präsentiert ...

Prince: Aber ich beschloss, die traditionellsten Materialien zu nehmen: eine aufgezogene Leinwand und Farbe. Die Idee des Siebdrucks war dann auch deshalb interessant für mich, weil ich ihn für ein totes Medium hielt - Warhol hatte alles aus ihm herausgeholt. Dessen war ich mir sehr bewusst. Malerischer zu werden habe ich auch deshalb beschlossen, weil ich damit unabhängiger von Formaten wurde und mich auch nicht darum kümmern musste, was passiert, wenn die Farbe läuft. Das Bild malt sich fast von alleine - wieder eine Parallele zu den abstrakten Expressionisten. Wenn du meine Bilder strategisch nennst - nun, vielleicht liegt dies daran, dass ich mich nicht darum bemühe, einen neuen Look oder Stil zu finden. Ich habe immer geglaubt, dass man die Idee, etwas Neues zu schaffen, ohnehin vergessen kann. Das ist ein überholtes Konzept des Industriezeitalters. Mir geht es vielmehr darum, ein bestimmtes malerisches System zu untersuchen, und dieses System wird auch dadurch bestimmt, wie der jeweilige Cartoon aufgebaut ist.

Graw: In den Witzen, die unablässig wiederholt und einem dadurch förmlich eingehämmert werden, so wie sich ihre Bedeutung entleert, ist auch ständig von häuslichen Szenen die Rede, von Beziehungsproblemen.

Prince: Die meisten der Witze handeln von Situationen, zum Beispiel dem Mann, der beim Nachhausekommen seine Frau überrascht. Von diesen Witzen gibt es einfach sehr viele. Was mich selbst betrifft - ich wollte einfach nie mein Zimmer verlassen. Damit könnte es auch zusammenhängen. Die Lampenschirme stammen aus einem Cartoon-Stil, den ich für sehr verbreitet und deshalb für zeitlos hielt. Ich mag es nicht, wenn man mich fragt, warum meine Witze aus den fünfziger Jahren stammen und warum sie so alt aussehen. Erstens sind sie das nicht. Diese Witze verkörpern den Stil ihrer Zeit, und das ist die Zeit, in der ich die Bilder machte. In eben dieser Woche habe ich sie aus den Zeitungen geholt.

Graw: Am erstaunlichsten fand ich diese "Art brut"-haften, regressiven Filzstiftzeichnungen, etwa ein Portrait von Freddie Mercury, das sich im Katalog befindet. Was hat es damit auf sich?

Prince: Oh - das ist eine meiner Flugzeugzeichnungen. Ich zeichne sie mit Magic Markers, wenn ich im Flugzeug sitze und versetze mich in eine künstliche Situation, wo ich denke, dass die Leute darauf aufmerksam werden könnten oder dass sich jemand darüber ereifern wird, mich dann anschreit nach dem Motto: Das kannst du nicht machen. Ich gebe daraufhin zurück: Selbstverständlich kann ich das, ich bin frei. Diese Filzstiftzeichnungen habe ich im Übrigen immer gemacht, von Anfang an. Als meine Frau und ich unsere Tochter Ella bekamen, boten sich diese Zeichnungen auch deshalb an, weil ich sie machen konnte, während Ella auf meinem Schoß für ein paar Stunden schlief.

Graw: Aufgrund deiner "Girlfriends"-Serie könnte man meinen, dass du ein Faible für vermeintlich krasse oder vulgäre Inszenierungen von Frauen hast. Die Fotos, die du dafür verwendet hast, stammten u.a. aus Biker-Magazinen: Fotos ihrer Freundinnen, die männliche Biker eingeschickt hatten. Jetzt könnte man sagen, dass diese Herkunft dich entlastet - schließlich posieren die jungen Frauen hier aus freiem Willen für ihren Freund, und der ist es jetzt, der - ob mit oder ohne ihr Wissen - diese intime Geste veröffentlicht. Nur klinkst du dich ja, als jemand, der diese Vorlagen benutzt, in dieses Machtspiel ein.

Prince: Ich denke, dass jeder einmal mit einem anderen den Platz tauschen will - für einen Tag das Leben eines anderen leben möchte. Das habe ich schon in meinem Buch "Why I go to the movies alone" geschrieben. Wer könnte nun diese Person sein? Für mich ist es sehr einfach - ich wäre gern ein "Girlfriend". Ich finde diese Bilder sehr interessant, sehr sexy, sehr kraftvoll - was auch immer. Diese Pose, dieser direkte Blick. Es kommt mir dabei auf die Bildebene an - was das Bild imaginiert. Als ich versucht habe, mich direkt vor Ort zu begeben und richtige Fotos zu machen, hat es nicht funktioniert - es ist langweilig und uninteressant. Ich will nicht nah herangehen.

Graw: Nur gibt es dabei eben auch einen machttheoretischen Aspekt. Die Boyfriends publizieren diese Fotos in den Zeitschriften, und du eignest sie dir an, verwertest die intime Pose weiter.

Prince: Zunächst einmal: Ich habe nie darum gebeten, diese "Girlfriends" auszustellen. Man hat mich gefragt, und ich habe die Erlaubnis dazu gegeben. Die Faszination für diese "Girlfriends" ist ähnlich gelagert wie die für Amateur-Pornografie. Diese Fotos wurden nicht von professionellen Fotografen gemacht, und darin liegt etwas ausgesprochen Begehrenswertes. Wenn es darum geht, Leute in einem Film zu sehen, die Sex haben, dann würde ich immer normale Alltagsleute den Pornoschauspieler/innen vorziehen. Professionelle Pornografie lässt mich kalt, diese künstlich aufgepumpten Körper ... Amateur-Darsteller anzusehen ist viel demokratischer.

Graw: Für die Zeitschrift Purple hast du vor zwei Jahren eine Modestrecke fotografiert. Als Models traten wieder "Girlfriends" - Mädchen aus der Provinz - auf, die nun etwas unbeholfen in sichtbar zu engen Designer-Kleidern posierten. Die Unsicherheit in ihrem Blick ist kaum zu übersehen, so als hättest du ihr Unglück darüber, dass sie sich dir und dieser Situation auslieferten, in den Bildern konserviert.

Prince: Für diese Fotoserie habe ich in der Tat zwei "local girls" eingesetzt. An der Auswahl für das Endprodukt bin ich allerdings nicht beteiligt gewesen - vielleicht hätte ich ein anderes Bild vorgeschlagen. Als die Zeitschrift herauskam, hatte ich Angst, sie den beiden Mädchen zu geben, ich dachte: Mein Gott, das kann ich nicht machen. Ich kam aber auch nicht auf die Idee, die betreffenden Seiten herauszureißen. Ein Typ aus der Gegend kam an und wollte eine Kopie der Zeitschrift, und ich wusste natürlich warum - dieser dreckige alte Mann. Ursprünglich hatte ich die Mädchen sogar dazu bringen wollen, sich auszuziehen, aber ich hatte Angst wegen der Eltern und der Leute aus dem Ort. Dort, wo ich lebe, muss man sehr vorsichtig sein. Aber ich mag Bilder von nackten Leuten sehr - Männer und Frauen, nicht nur Frauen. Wenn es nach mir ginge, würde ich jeden, der mich besucht, darum bitten, seine Kleider auszuziehen, und dann würde ich ein Foto machen.