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Sabeth Buchmann & Constanze Ruhm

Subjekt auf Probe

Buchmann/Ruhm Maya Schweizer / Clemens von Wedemeyer, "Rien du Tout", 2006, Filmstill

Immer wieder das Gleiche tun, um es zu perfektionieren und Routinen zu entwickeln, entspricht auf den ersten Blick dem Effizienzdenken und den Selbstoptimierungsanforderungen des gegenwärtigen Arbeitsalltags. Dass Routine oder Wiederholung durchaus auch subversives Potential haben können, zeigen Strategien der Probe, wie sie seit geraumer Zeit in künstlerischen Arbeiten aufgeführt werden. In Sabeth Buchmanns und Constanze Ruhms Auseinandersetzung mit der „Probe“ ist der Aspekt der Wiederholung auch formal angelegt. Nach einem Seminar und einer Filmreihe bereiten sie gegenwärtig eine Konferenz zu dem Thema vor. Für diese Ausgabe formulieren sie ihre Projektthesen in einem gemeinsam geschriebenen Essay, der die Produktionsverfahren im Avantgarde-Film untersucht und sie zu gegenwärtigen künstlerischen Praxis in Beziehung setzt. [1]

I.

Das sind meine Nachbarn, diese komischen Leute. In immerwährend wechselnden Kostümen. Was machen die da, frag ich mich oft. Aus irgendeinem Grund haben sie beschlossen, die Zeit anzuhalten, um bestimmte Dinge nochmal zu tun. Es ist beinah so, als wollten sie sich limitieren, um sich weniger Zeit zu geben. Und da nur endliche Dinge einen Körper bekommen, haben sie sich vielleicht auf diese Angewohnheit verlegt, alles zu wiederholen, weil die Limitierung durch den Tod nicht reicht.

—„Porträt aus Desinteresse“, René Pollesch, 2008

Unter dem Titel „Decide and make your move“ wurde kürzlich in der Financial Times [2] sozialwissenschaftliche Ratgeberliteratur zur Verbesserung von Entscheidungsfindungen vorgestellt. Ausgehend von der Diagnose, dass gutes Management zumeist an der mangelnden Struktur jener Methoden scheitere, die zu effizienten Entscheidungen führe – ein Problem, das auch die Organisation des eigenen Lebens betreffe –, lautet der Vorschlag der Professoren-Brüder Chip und Dan Heath, Abhilfe durch das Trial-and-Error-Prinzip zu schaffen. Short-Time-Emotions, die Gefahr liefen, allzu schnell zu verpuffen, sei ein regelmäßiger Reality-Check der eigenen Überzeugungen und Methoden vorzuziehen. Erst in der Bereitschaft, über das bereits Bekannte hinauszudenken und die Vielfalt der Optionen abzuwägen, lerne man mit seinen Irrtümern und Fehlern umzugehen. Chips und Dans Kollegin, Francesca Gino von der Harvard Business School, ist zudem der Ansicht, dass ein Bewusstsein über das Ausmaß fremder Einflüsse auf Entscheidungen behilflich sein könne, sich besser in deren Kontrolle zu üben.

Derlei Alltagsweisheiten nach dem Motto „Übung macht den Meister“ oder „Aus Fehlern das Beste machen“ scheinen sich widerstandslos an die neoliberale Ideologie eines „lebenslangen Lernens“ anzuschmiegen. So wies beispielsweise der Theaterwissenschaftler Kai van Eikels darauf hin, dass etwa an Free Jazz angelehnte Techniken der Improvisation längst Eingang in Management- und Organisationstheorien gefunden haben und dort als Mittel zur Steigerung der Kreativität in kollektiven Produktionsprozessen angeführt werden: „Es gibt in einem Improvisationsprozess weder definitiv Richtiges noch definitiv Falsches, da alles, was jemand tut, prinzipiell unter Vorbehalt steht und seinen Wert erst von dem her erhält, was er denn bewirkt hat. […] Das Bewertbarkeitsmanagement, das heißt die Steuerung möglicher Fremdwahrnehmungen im Selbstverhältnis, tritt an die Stelle des schlichten Es-gut-Machens. Virtuoses Performen im Team beruht wesentlich auf der Fähigkeit, in jedem Augenblick einzuschätzen, was ich für den anderen wert bin (bzw. was das, was ich gerade tue, für das, was sie tun, wert ist).“ [3]

Eine solche Sichtweise entspricht auch der verbreiteten, von Theoretikern wie Fredric Jameson, Luc Boltanski und Eve Chiapello vertretenen These, dass gerade jenen Werkformen eine signifikante Katalysatorfunktion für kapitalistische Dynamiken zukommt, die sich im Namen der Waren-, Entfremdungs- und Verdinglichungskritik dem Nicht-Perfekten, Prozessualen und Temporären sowie der Projekthaftigkeit künstlerischen Tuns verschreiben. In der Tat gelten sozial- und affektintensive, also kollaborative, kommunikative und partizipatorische Praktiken weiterhin als probates Mittel, um marktförmiges Produktdenken zu umgehen – auch wenn das Bewusstsein für die expandierende Kreativindustrie, die genau auf diese Mittel zurückgreift, durchaus gewachsen ist.

Man sollte sich an dieser Stelle aber nicht allzu schnell einer Erklärungslogik bedienen, die jedes künstlerische und menschliche Tun in ökonomischer Moral aufgehen lässt oder die so tut, als spiele diese prinzipiell keine Rolle. Ein Interesse an erfolgversprechenden Entscheidungen wird niemand von sich weisen können – es begleitet jede Arbeit auf mehr oder weniger bewusste Weise: ob die am Text, an der Kunst, am Leben, an der Beziehung oder an sich selbst.

Genau dieses nur bedingt kontrollierbare Verhältnis von Entscheidung und Regel, von produktiver Wiederholung und stagnierender Routine ist bezeichnenderweise Kernsujet der Probe. Als künstlerisches Format ist die Probe zu einem beliebten Mittel der medien- und institutionsübergreifenden Verknüpfung visueller und performativer Darstellungsformen avanciert. Das Format der Theater- und Musikproben erfährt so beispielhafte Anwendung in (Installations-)Filmen und Performance-Videos, wobei es als eine Integration potenziell dysfunktionaler Methoden verstanden wird, die dazu angetan sind, die Regeln des eigenen Genres herauszufordern und das allzu Gekonnte und Virtuose durch sichtbar gemachtes Erproben neuer Regeln infrage zu stellen oder zu ersetzen. Die künstlerische Produktion performt sich dabei nicht selten als ein strukturell ergebnisoffener Lernprozess vor laufender Kamera. Gemäß Ruby Richs Charakterisierung von Yvonne Rainers 1972 entstandenem Erstlingsfilm „Lives of Performers“, in dem die nonnarrativen Konventionen des minimalistischen Tanzes in eine zeichenhaft gebrochene Erzählung über archetypische Macht- und Geschlechterkonflikte münden, handelt es sich hierbei oftmals um einen simultanen Akt von Proben- und Aufnahmezeit. [4] Zielt das Format der Probe zum einen auf die Verknüpfung distinkter Medien und Genres (Tanz, Film, Fotografie), ist es zum anderen die Vermischung von privaten und öffentlichen Produktionssphären, die jene Momente in den Blick rücken, die aus dem Endprodukt üblicherweise herausfallen: Momente des Abwartens und Beobachtens, der Unentschlossenheit und Unbeholfenheit, des Zweifelns und Suchens, des Fehler-Machens und Scheiterns, des Zögerns und der Wiederholung. Solche für künstlerische Produzenten/Produzentinnen typischen Erfahrungen werden dabei in Beziehung mit sozialen, emotionalen und medialen Verhaltens- und Rollenmus­tern inszeniert. Sie treten oftmals in Gestalt eines ebenso geplanten – weil skriptgesteuerten – wie situations- und prozessabhängigen Making-ofs von Identitäten, Affekten, Bewegungen, Blicken und Handlungen auf. In „Lives of Performers“ wird das Format der Probe als ein Instrument durchgespielt, das Realität, Medialität und Fiktionalität auf unauflösliche Weise verschachtelt. Schon hier deutet sich das im zeitgenössischen (Installations-)Film manifeste Interesse an, das Problem der künstlerischen Entscheidungsfindung in Bezug auf gesellschaftliche Macht- und Repräsentationsverhältnisse sowie auf herrschende Subjektivierungsformen zu reflektieren. Beispiele für eine solche Tendenz finden sich bei George Kuchar („I, an Actress“, 1977) und Andy Warhol („Screentests“, 1960er Jahre) ebenso wie in den zeitgenössischen Arbeiten von Rashid Masharawi, Omer Fast, Keren Cytter, Martin Beck, Pauline Boudry/Renate Lorenz, Eske Schlüters, Clemens von Wedemeyer, Maya Schweizer, Wendelien van Oldenborgh und Constanze Ruhm – Arbeiten, in denen mithin eine Verschiebung weg von individuellen zu kollaborativen und systemischen Produktionsformen vollzogen wird. So bietet das Format der Probe die Möglichkeit, die an einer künstlerischen Produktion Beteiligten (Künstler/in oder Regisseur/in, Kameraleute, Lichttechniker/innen, Helfer/innen etc.) im Sinne einer demystifizierenden Sichtbarmachung arbeitsteiliger Hierarchien ins Bild treten zu lassen. Es macht den Anschein, dass das zumeist zwischen improvisations-, kommunikations- und prozess­orientierter Inszenierung changierende Format der Probe die Flipside einer allzu spartenspezifischen Performancekunst bildet und die Verknüpfung von visuellen und performativen Künsten an der Schnittstelle von „gewöhnlicher“ [5] und künstlerischer Arbeit manifestiert. Das Offenlegen disziplinierender Methoden und normierender Konventionen geht dabei mit Gesten des Ziellos-Unproduktiven, Abgebrochenen, Verschwenderischen und Fehlerhaften einher – Warhols „Screentests“ können hierfür als historisches Beispiel dienen. „Before the Rehearsal“ (2009) von Maya Schweizer ist in diesem Sinne eine zeitgenössische Version davon – ein kurzer Videofilm, in dem eine zwischen Probe und Manöverkritik changierende Comedy-Gruppe ausführlich darüber diskutiert, wie sie ihre Arbeit am besten promoten könnte. Auf einen grünen Zweig scheint dabei allerdings niemand zu kommen.

II.

Bemerkenswerterweise ist die zumeist an den darstellenden Künsten orientierte Probe vor allem in solchen performativen Werkformen zu finden, die sich zwar auf Theater beziehen, aber explizit kein Theater sein wollen. Inszeniert als anti- oder metatheatrales Work-in-Progress erscheint die Probe als eine selbstreflexive Vorführung der auf Wiederholung von Konventionen, Rollen- und Verhaltensmustern beruhenden Regeln, die die Akteure/Akteurinnen (und mit ihnen die Zuschauer/innen) erst begreifen müssen, um ihre eigenen, oftmals mehrdeutigen Positionierungen innerhalb hierarchischer, von Macht- und Geltungsansprüchen durchdrungenen Ordnungen zu durchschauen. Während Yvonne Rainers Präsenz als Choreografin, die strikte Anweisungen gibt, in „Lives of Performers“ ephemer erscheint und flüchtigen, fast nachbildhaften Charakter besitzt, inszeniert der palästinensische Regisseur Rashid Masharawi seinen Körper als dominanten Bildinhalt, inklusive klassischer, an Hitchcock erinnernder Trademark-Profil-Pose. Der amerikanische Autor und Theaterregisseur Richard Foreman wiederum zeigt sich in seiner jüngsten filmischen Produktion „Once Every Day“ (mit der er 2012 nach 30 Jahren wieder einen Film vorlegte) zwar im Bildausschnitt physisch abwesend, jedoch mittels eingesprochener, kommandohafter Regieanweisungen als akusmatische, durchaus autoritäre Instanz der Performance.

Für den augenscheinlich nicht totzukriegenden Autor bietet die Probe eine Bühne zur (selbst-)kritischen Befragung. Nirgendwo sonst erscheinen die Künstler/innen in ihrer privilegierten Position als Entscheidungsfinder, die scheitern dürfen. Das eingestandene Scheitern macht sie auf jeden Fall sympathisch und zu einem/einer von uns [6], so könnten die auf diese Weise agitierten Rezipienten erleichtert glauben. Das zaudernde, von der Erkenntnis der sich nicht vollendenden Form gepeinigte Subjekt entspricht dabei einem ebenso modernekritischen wie (neo-)romantischen Verhaltenskodex. Das im Kontext postfordistischer und neoliberaler Debatten verbreitete Bild der (Selbst-)Unternehmer/in erscheint jedoch im Probengenre oftmals auch gebrochen: Immer wieder sieht man von Zweifeln geplagte Regisseure und Regisseurinnen, die ihre Unsicherheit in überzogenen Perfektionsansprüchen – an denen sie zwangsläufig scheitern müssen – ausagieren.

Unsere Behauptung ist es nun, dass sich gerade im Format der Probe eine Ambiguität zwischen Verwertungslogik (im Sinne von Leistungsoptimierung und Effizienzsteigerung künstlerischer Ressourcen sowie der Selbstdarstellung künstlerischer Akteure/Akteurinnen) und ihrer Unverfügbarkeit (im Sinne einer Unterbietung von Selbstvermarktungs- und Qualitätsstandards oder eines Überschusses an verwertbarem Output) ablesen lässt – und damit ein besonders geeignetes Anschauungsfeld für die Spannung zwischen Autonomie und Determiniertheit künstlerischer Entscheidungen darstellt.

Schließlich zielt die Probe auch auf die Institution und die Geschichte der modernen Kunst, die somit ihrerseits als ein instabiles Repertoire von Regeln und Praktiken erscheinen, und ruft deren auf wiederholbaren Normen basierende Geltung konstitutiver Verwerfungsrituale erst auf den Plan: Auf Komposition folgt Dekomposition, auf den professionellen Performer der Laie, auf Plan und Skript Partizipation und soziales Experiment. Bezeichnenderweise dient die Probe auch als Mittel, künstlerische Entscheidungen auf die Belange sozialer Milieus jenseits klassischer Ausstellungsbesucher/innen abzustimmen. Indem die Probe als ein source code zur Herstellung symbolischer und realer Situationen operiert, gerät sie zu einer fiktionalisierten Form konzeptkunsttypischer Handlungsanweisungen – mithin einer „linguistischen“ Werkform, die Betrachter/innen den Status potenzieller Produzenten/Produzentinnen zuerkennt.

Was in Rainers „Lives of Performers“ als Probe aufs Exempel begann – die Verflechtung von realen und fiktiven, von sozialen und symbolischen Rollen –, erscheint heute nicht nur als sine qua non, sondern als eine normative Leistungsanforderung an künstlerische Produktionen zwischen Theater und Film. Diese stehen nicht selten im Dienst der performativen Einübung jener flexiblen und selbstreflexiven Multi-Identitäten, die Künstler/innen und Medienkonsumenten/-konsumentinnen miteinander teilen – ein Moment, das der Film „Rien du Tout“ von Clemens von Wedemeyer und Maya Schweizer zum (Meta-)Sujet erhebt. Es handelt sich hierbei um einen 2006 entstandenen, auf HD-Format übertragenen 35-mm- und Videofilm, der – wie die meisten Ausstellungsfilme – als Rauminstallation konzipiert ist. Während die Welt des Theaters durch den 35-mm-Film repräsentiert wird und somit auch materialästhetisch und technisch mit dem herkömmlichen Kino assoziiert ist, dokumentiert die Videotechnik die Welt „da draußen“, hier in Gestalt eines allem Anschein nach allegorisch zu verstehenden Parkplatzes. Wie Rainers „Lives of Performers“ referiert auch „Rien du Tout“ auf die theaterverhafteten Traditionen des (künstlerischen) Films, so auf Samuel Becketts theaterreflexives Bühnenstück „Katastrophe“, das von einem autoritären Regisseur und seiner von ihm maßlos gegängelten Schauspielerin handelt. In „Rien du Tout“ sind es Schüler/innen, die als Statisten/Statistinnen für ein Theaterstück über die Pariser Banlieue im Mittelalter gecastet werden. Angesichts des drohenden Scheiterns der Produktion am strengen Formkorsett der Regisseurin gehen sie dazu über, „fiktive“ mit „authentischen“ Rollen zu vermischen. Mit anderen Worten: Die in ihren Konventionen erstarrte Werkform wird dank der Laienprobe zu einem lebendigen Event.

III.

I mean, you rehearse how to be someone else, and then you try to rehearse being the one who was first learning how to be someone else.

—Bree [Jane Fonda] in „Klute“, Alan J. Pakula, USA 1971

Insofern die zwischen Improvisation und Inszenierung changierende Probe im neonarrativen Avantgardefilm dazu tendiert, „minimalistische“ Konventionen (Modulhaftigkeit, Serialität, Fragment) mit gewöhnlichen Gesten, Handlungen und Bewegungen, also dem alltäglichen Körper zu verschränken, tritt sie als eine biopolitisch codierte Modellsituation in Erscheinung. Dominante Subjektivierungsformen in ihrer Wechselwirkung mit institutioneller, gesellschaftlicher und medialer Identitätsbildung reflektierend, werfen derartige Probenformate die Frage nach dem Anteil künstlerischer Arbeit an der augenscheinlich fetischistischen Repräsentation „anderer“ (weil dominanter) Akteure/Akteurinnen im Kunstbetrieb auf. Die (avantgardistische) Angst vor gesellschaftlicher Wirkungslosigkeit der Kunst ist der Fiktion einer medialen (Re-)Produzierbarkeit sozial prekärer Subjekte gewichen. Während das künstlerische „Experiment“ ein scheinbar ergebnisoffenes, improvisiertes und spielerisches Prozedere suggeriert, tendiert die künstlerisch gefasste Probe dazu, den Produktionsprozess in Korrespondenz oder Konfrontation mit und zu institutionell und gesellschaftlich vorherrschenden Formen der Arbeitsteilung und den damit assoziierten Subjekten und Körpern zu inszenieren.

Gleichwohl ist es keineswegs so, dass die Probe lediglich der Zelebrierung des künstlerischen Experiments als soziales oder mediales Event dient, wie es bei (Neo-)Fluxus- oder Performance-Spektakeln ab den 1960er Jahren der Fall war. Die Probe rekurriert, wenn auch zwecks Virtuositätssteigerung, eher auf unspektakuläre Routinen der Wiederholung. Der Eindruck des Langatmigen, mithin der Langeweile wird – siehe Warhols „Screentests“ oder Masharawis „Waiting“ (2002) – in jenen Werkformen, die der (programmatisch voyeuristischen) Langzeitbeobachtung dienen, gezielt in Kauf genommen. Hier geht es weniger um eine Optimierung von Darstellungsleistungen als um das Scheitern an der Aufgabe, keine Rolle, sondern vielmehr Schauspieler zu spielen, die so tun, als probten sie die Fähigkeit, jemand anderen so zu spielen, als sei man dieser oder diese selbst – und zwar zum ersten Mal: „You try to rehearse being the one who was first learning how to be someone else.“ Ein solches Ritual des Immer-wieder-neu-Beginnens und Nicht-Erfüllen-Könnens oder -Wollens der gut gespielten Rolle ruft ein mit der Probe vergleichbares Motiv auf den Plan, das sich an exemplarischen Malereipositionen (von Edgar Degas über Sigmar Polke bis hin zu Silke Otto-Knapp) ebenso festmachen lässt wie an konzeptuellen, zwischen Zeichnung, Fotografie, Film, Skulptur und Installation angesiedelten Werkentwürfen. So stellen etwa Keren Cytters Skizzen und Filme zugleich beschleunigte und intensivierte Porträts von zumeist libidinös miteinander verstrickten Menschen (wie du und ich) dar – von Skripten hervorgebrachte Erzählmodule, die den ebenso affektiven wie ästhetischen Blick der Künstlerin auf ihren Gegenstand, das eigene soziale Milieu, freilegen. Dessen Wesen erweist sich dabei als genauso flüchtig wie die variable und ephemere Identität der Charaktere. Zwischen den verschiedenen Figuren entsteht ein nicht immer durchschaubares, von sozialen und emotionalen Konflikten durchzogenes Beziehungssystem, das den mehr oder weniger erfolgreichen Versuch unternimmt, sich in Einklang zum Drehbuch zu bringen – nicht die Darsteller/innen proben die Aufführung, sondern die Aufführung erprobt sich selbst innerhalb eines zwischen Improvisation und Inszenierung oszillierenden Geschehens. Es performt sich also als Teil einer fortschreitenden, seriellen Probe, ohne dass – wie etwa im Fall von Clemens von Wedemeyers Filmen – die „Probe“ selbst zum Genre avanciert. In „Cytters The Victim“ (2006) sind Drehbuch und Film vielmehr in einem Feedback-Loop aneinandergebunden. Indem die Form der Geschichte daraus entsteht, dass sie verfilmt wird, werden immer wieder neue Schleifen erzeugt, die ihrerseits soziale Skripte protokollieren. Während der Film auf der Ebene des Plots und des Dialogs selbstreflexiv verfährt, werden das Drehbuch, die Darstellung und andere Bedingungen der Performance – so der Prozess der Entscheidungsfindung – in den Vordergrund gerückt. Die Schauspieler/innen sprechen über ihre Gehälter wie bei Brecht, diskutieren ihre Funktionen wie bei Godard oder beschreiben, wie bei Rainer, die Kamerabewegungen.

IV.

Das von der eingangs zitierten Management- und Organisationsforschung empfohlene Trial- and-Error-Prinzip korreliert in den genannten Beispielen mit einem systematischen Unterlaufen von Leistungs- und Qualitätsstandards – sei es in Form repetitiv um sich selbst kreisender Übungen oder eines unproduktiven, weil allzu peniblen Auf-den-Prüfstand-Stellens. Sichtbar gehaltene oder auch behauptete Spuren des Scheiterns (an der Norm, dem System, dem Markt oder den eigenen Erwartungen) dienen dabei nicht selten der (Selbst-)Beglaubigung einer unverwechselbaren Subjektivität – dies genau dort, wo Regeln künstlerische Entscheidungen formatieren oder dazu zwingen, von der Norm im Sinne ihrer Erfüllung abzuweichen.

Insofern zielen Produktionsformen, die mit Probenprozessen vergleichbar sind, nicht nur auf eine Untersuchung und Sichtbarmachung von Mechanismen, die der abweichenden Wiederholung bedürfen, um Regeln zugleich zu konstituieren und zur Disposition zu stellen. Sie implizieren, wie zuvor angedeutet, darüber hinaus eine grundsätzliche Arbeit an der Kunst – verstanden als „Geschichte“, „Institution“, „Betrieb“, „System“ oder „Netzwerk“. Es sind demnach historisch und gesellschaftlich je spezifische Organisationsformen von Akteuren/Akteurinnen, Methoden und Ressourcen, die auf veränderte oder sich verändernde Machtstrukturen hindeuten und die ein Interesse an der Lesbarkeit künstlerischer Entscheidungsfindung als einem zwischen Plan und Kontingenz, System und Zufall, Zwang und Wahl changierenden Vorgang hervorrufen. Die hiermit verknüpften Spannungen zwischen Autonomie und Heteronomie bilden einen der Kernpunkte von Annemarie Matzkes kürzlich erschienener Studie „Arbeit am Theater. Eine Diskursgeschichte der Probe“ [7]. Die Probe als ein ideales „Darstellungsmedium für künstlerisches Schaffen“ [8] betrachtend, macht die Theaterwissenschaftlerin und Performerin hieran die Unterscheidung zwischen tariflich geregelter, mithin „vor“-künstlerischer und strukturell unbezahlter, mithin künstlerischer Arbeit fest. Matzke analysiert dabei „das Verhältnis von Kunst und Arbeit […] über den Diskurs zur Theaterprobe […]: im Sinne einer Arbeit am Theater“ [9]. Dies kann auch einen Typus der Arbeit implizieren, der sich selbst, und zwar hinsichtlich seiner Komplizenschaft mit der politisch-ideologischen Verfasstheit der Institution des Theaters (respektive der Kunst und des Kinos), konterkariert.

Als ein Beispiel hierfür könnte man Masharawis Video „Waiting“ ansehen, stellt hierin die Probe doch ein Moment der Unterbrechung und des Stillstands dar. Die nacheinander auftretenden palästinensischen Schauspieler/innen werden von ihrem Regisseur instruiert, den Zustand des Wartens nicht „darzustellen”, sondern einfach „zu warten“ – eine Anweisung, die auf den zum Scheitern verurteilten Versuch hinausläuft, vor laufender Kamera den Akt des Wartens als einen Zustand des Nichtstuns zu inszenieren. ­„Waiting“ gerät so einerseits zu einem Beispiel der Entdifferenzierung von „Kunst“ und „Leben“. Andererseits ist der Film aber auch eine metaphorische Reflexion auf den Zustand des politischen Stillstands und der permanent installierten Form des Übergangs (das Leben in den Flüchtlingslagern), in dem sich die palästinensische Bevölkerung befindet: Im Widerspruch zu der Annahme, dass Probe immer schon die Antizipation eines Resultats und Ereignisses impliziert, auf welche sinnvoll hingearbeitet werden kann, verhält sich der Vorgang des Wartens gegenüber der Idee einer planbaren Zukunft indifferent. Insofern die filmische Fiktion durch palästinensische Lebensverhältnisse aus den Angeln gehoben wird, erscheint Masharawis „Waiting“ als Metonymie auf ein politisch-künstlerisches Projekt, für dessen Realisierung es sich zu proben lohnte. Als Auftragsarbeit für Fareed Armalys Beitrag „From/To“ [10] für die documenta 11 im Jahr 2002 entstanden, wurde „Waiting“ als – scheinbare – Dokumentation eines Castings für Masharawis damals geplanten (und ein Jahr später realisierten) neuen Langfilm gleichen Titels gedreht, an dem verschiedene Schauspieler/innen aus Ramallah teilnehmen sollten. Aufgrund der angespannten politischen Lage konnte der Regisseur nicht rechtzeitig zum geplanten Zeitpunkt des Castings nach Ramallah zurückkehren, sodass dieses schließlich in Jordanien stattfand, wo Masharawi sich gerade aufhielt. Die in seiner filmischen Studie aufgeworfene Frage nach der Wechselwirkung von (Selbst-)Wahrnehmung und Wahrgenommen-Werden als einer Möglichkeitsbedingung von Interaktion, Handlung und Partizipation gerät dabei zu einer Allegorie auf institutionelle und gesellschaftliche Machtstrukturen. In der Aufspaltung von Person/Figur und Schauspieler/Rolle tritt die Schizophrenie eines Subjekts zutage, das der Fiktion einer Gemeinschaft bedürfte, um sich erproben zu können.

V.

Für die Frage also, ob und wie ein Künstler/eine Künstlerin – oder noch schwieriger Künstler/innen- und aktivistische Gruppen – zu Entscheidungen über Formen und Inhalte ihrer Produktionen kommen, scheint die Probe ein geeignetes Mittel, genau dies zum Thema zu machen. Sie erlaubt es, leergelaufene Gewohnheiten, Routinen und Rollenbeziehungen durch sichtbar aus­agierte Überarbeitung derselben zu überwinden. Zugleich demonstriert das Einstudieren vor der Kamera ein Interesse an der Überwindung stereotyper Wahrnehmungs- und Gefühlsmuster durch unvorhersehbare Affekte als Möglichkeitsbedingung des Neuen, des Noch-nicht-Erprobten.

In diesem Sinne gilt Richard Foremans anhaltendes Interesse – das betrifft seine Theaterarbeit ebenso wie seine filmischen Produktionen – Laiendarstellern und „Körpern, die nicht geprobt haben“. „I’m interested in bodies that haven’t rehearsed“, wie er einmal sagte. In „Once Every Day“ performt eine Anzahl von Darstellern/Darstellerinnen fragmentarische Abläufe, sich wiederholende Choreografien und semirituelle Verhaltensmuster, die vom Regisseur selbst durch eingesprochene Regieanweisungen immer wieder unterbrochen werden. Auf einem Set, das beständig verändert wird, proben die Foreman’schen Schauspieler-Körper (Bresson’schen „Modellen“ vergleichbar) Serien von Abläufen in immer neuen Variationen. Die so erstellten Tableaux vivants verweigern sich jeglicher narrativer Logik und erscheinen innerhalb der filmischen Montage als Loops, Ellipsen und Fragmente. Der dokumentierte Werkprozess scheint durch permanentes Wiederholen von Gesten, Bewegungen und Handlungen auf der Stelle zu treten und die Funktion der künstlerischen Entscheidung somit gelöscht.

Im Unterschied zur Rhetorik des Experiments, mit der das Unintentionale, Prozesshafte und Nie-zu-Ende-Kommen als ein Wert an sich etabliert wird, implizieren die angeführten Beispiele auch eine ethisch zu nennende Anerkennung der Unmöglichkeit, jede Regung, jeden Einfall und jede Leistung im Sinne einer höheren ökonomischen Moral zu verwerten: Probe produziert zwangsläufig auch unverwertbare Zeit – gerade weil sie auf Optimierung und Resultate angelegt ist. Denn der Probenprozess (respektive sein performatives Unterlaufen) besteht eben nicht nur aus Fortschritt, sondern auch aus Rückschlägen, aus leeren Ritualen und verpuffender Routine, so wie Anderes nur aus (fordistischer) Wiederholung oder, wie in Matzkes Buch dargelegt, bisweilen auch aus (scheinbarer) Untätigkeit oder unsinniger Tätigkeit entstehen kann. So zitiert sie den von 1967 datierenden Probenbericht Carl Webers, eines der Assistenten und Dramaturgen Bertolt Brechts: „I walked into the rehearsal and it was obvious that they were taking a break. Brecht was sitting in a chair smoking a cigar, the director of the production, Egon Monk, and two or three assistants were sitting with him, some of the actors were on stage and some were standing around Brecht, joking, making funny movements and laughing about them. Then one actor went up on the stage and tried about 30 ways of falling from a table. They talked a little about the Urfaust-scene ,In Auerbachs Keller‘. […] Another actor tried the table, the results were compared, with a lot of laughing and a lot more of horse-play. This went on and on, and someone ate a sandwich, and I thought, my god this is a long break. So I sat naively and waited, and just before Monk said, ,Well, now we are finished, let’s go home‘, I realised that this was the rehearsal.“ [11] In dem von Matzke beschriebenen Beispiel, das an jene Ende der 1960er Jahre an den Schnittstellen von visuellen und performativen Künsten entstehenden Foto- und Videoarbeiten von Bas Jan Ader, Bruce Nauman, Francesca Woodman und andere denken lässt, erscheint das Leben (der Künstler/innen) als eine Dauerprobe im unauflösbaren Spannungsfeld zwischen Spiel und Arbeit. Nicht nur die Unterscheidung zwischen Produktionsprozess und Werk, sondern auch jene zwischen Kunst und Leben wird hierbei auf den buchstäblichen Prüfstand gestellt.

Am Ende steht die notwendigerweise offenbleibende Frage, ob sich der Traum der modernen Avantgarden von der Übertragung der Kunst- in die Lebenspraxis zwischenzeitlich in jenen neoliberalen Optimierungsimperativ verwandelt hat, der die Subjekte in einem permanenten Zustand aus Produktivität, Erschöpfung und Prekarität hält, in dem sich diese eine selbst gewählte Limitierung auferlegen. So verstanden, vermittelte sich die Probe als zeitgenössische Lebensform.

Anmerkungen

[1]Der vorliegende Text bezieht sich in Auszügen auf den Aufsatz „Probe aufs Exempel“ von Sabeth Buchmann (in: Stefanie Diekmann [Hg.], Die andere Szene. Theaterproben und Theaterarbeit im Dokumentarfilm, Berlin 2013) sowie auf die Vorlesungs- und Veranstaltungsreihe „Probe aufs Exempel“, die Sabeth Buchmann und Constanze Ruhm derzeit an der Akademie der bildenden Künste und am mumok Wien abhalten.
[2]Philip Delves Broughton, „Decide and make your move“, in: Financial Times, 26. März 2013, S. 12.
[3]Kai van Eikels, „Collective Virtuosity, Co-Competition, Attention Economy. Postfordismus und der Wert des Improvisierens“, in: Hans-Friedrich Bormann/Gabriele Brandstetter/Annemarie Matzke (Hg.), Improvisieren. Paradoxien des Unvorhersehbaren. Kunst-Medien-Praxis, Bielefeld 2010, S. 125–160, hier: S. 146.
[4]„Wenn der Darsteller nicht von der Aufführung zu trennen ist und die Aufführung oder Performance (mit ihren ,normalen Bewegungen‘) nicht vom Alltag, wie zieht man dann eine Linie zwischen Tänzer und Tanz? Probenzeit war nun Aufnahmezeit, das Private öffentlich […] Die Einheit des Films entsteht aus den fortlaufenden Themen der List und Täuschung, wie sie sich in verschiedener Form in Tanz oder Film, Produkt oder Prozess, Geschichte oder Bild, Mann oder Frau, Kunst oder Leben manifestieren.“ Siehe Ruby Rich, „Yvonne Rainer. Eine Einführung“, in: synema/Kunstverein München (Hg.), Yvonne Rainer. Talking Pictures. Filme, Feminismus, Psychoanalyse, Avantgarde, Wien 1994, S. 11–40, hier: S. 15.
[5]Vgl. Jacques Rancière, „Von der Kunst und der Arbeit. Warum die Praktiken der Kunst eine Ausnahme von den anderen Praktiken bilden und warum nicht“, in: Ders., Die Aufteilung des Sinnlichen. Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien, Berlin 2006, S. 66.
[6]In Anlehnung an Werk- und Ausstellungstitel von Martin Kippenberger und Tanja Widmann.
[7]Annemarie Matzke, Arbeit am Theater. Eine Diskursgeschichte der Probe, Bielefeld 2012.
[8]Ebd., S. 78.
[9]Ebd., Klappentext.
[10]„From/To“, erstmals im Witte de With in Rotterdam im Jahr 1999 gezeigt, ist eine recherchebasierte, kollaborative Installation, die „Palästina“ nicht als Topografie, sondern als einen zeitgenössischen Topos kartografiert. Für die von Okwui Enwezor kuratierte documenta 11 entstand eine aktualisierte Version, die Begriffe der Identität anhand von Verbindungslinien zwischen idealistischen und essenzialistischen Positionen nachzeichnet, innerhalb welcher Kunstproduktion mit orientalistischen Diskursen in Bezug gesetzt wird.
[11]Carl Weber, „Brecht as Director“, in: TDR 12 (1967–1968), Nr. 1, S. 101–107, hier: S. 102f.; zit. in: Annemarie Matzke, a. a. O., S. 237.