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Vorwort

Unter dem Motto „Wie wir arbeiten wollen“ versammelt die Juni-Ausgabe von Texte zur Kunst Beiträge jener Autoren und Autorinnen, die diese Zeitschrift schon lange begleitet und die in ihr geführten Debatten seit Jahren geprägt haben. Statt der Vorgabe eines spezifischen Themenschwerpunkts blieb es den Beitragenden dieser Ausgabe selbst überlassen, welcher Fragestellungen sie sich entsprechend ihren eigenen aktuellen Forschungsinteressen annehmen möchten. Die ausgewählten Texte wurden aus zumeist langfristig angelegten Forschungsvorhaben ausgekoppelt und stellen somit „Arbeitsproben“ dar. Hier werden Themen vertieft, für die angesichts der Deadlines, die Autoren und Autorinnen stets im Nacken sitzen, gewöhnlich keine Zeit bleibt. Man trifft in diesem Heft folglich auf Entwürfe – „Bonbons aus dem Studierzimmer“, wenn man so will –, die sonst in der Schublade liegen und sich der unmittelbaren Verwertungslogik zunächst einmal entziehen. Das Angebot von unserer Seite lautete, diese Texte ohne die sonst geforderte Zuspitzung auf ein von außen vorgegebenes Thema auszuarbeiten.

Gerade die Entstehungszusammenhänge und unterschiedlichen Textformate der hier abgedruckten Beiträge – von kollaborativen Autorschaften über erzählerisch-literarische Essays bis hin zu monografischen und künstlerisch-performativen Abhandlungen – stehen für einen anderen Zugang zu universitären Forschungsfeldern, projekthaftem Zusammenarbeiten, künstlerischen Beschäftigungen und thematischen „Privatleidenschaften“ unserer Autoren und Autorinnen, der dem häufig ernüchternden Zwang zu Aktivität und Effektivität des heutigen Arbeitsalltags entgegensteht. Die Bereitschaft, „Arbeitsproben“ laufender Projekte zur Verfügung zu stellen, lässt sich so auch als Gegenreaktion auf den Druck verstehen, in Beruf und Privatleben gleichermaßen flexibel wie vielfältig aktiv zu sein, um in schnell aufeinanderfolgenden Projekten die eigenen Netzwerke zu erweitern, damit aus ihnen weitere zukunftsichernde Projekte entstehen können. Gerade im Feld der geistigen Arbeit ist die „projektbasierte Polis“, die Luc Boltanski und Ève Chiapello bereits 1999 diagnostizierten, so wirksam wie nie.

Das Motto „Wie wir arbeiten wollen“ geht deshalb auch der Frage nach, welche Themen in projekthaften, künstlerischen oder akademischen Zusammenhängen überhaupt hervorgebracht werden, welche übergeordnete Diskussion sie verfolgen und in welchen Arbeitsformen sie aufgehen. So untersuchen Sabeth Buchmann und Constanze Ruhm in ihrem thesenhaften Aufsatz – der aus einem gemeinsam konzipierten Seminar und einer Konferenz in Wien hervorgegangen ist – die Probe als künstlerisches Format, in dem das nur scheinbar kontrollierbare Verhältnis von Stagnation und Routine evident wird. Gerade deswegen, so argumentieren Buchmann und Ruhm, lässt sich die Probe als Anschauungsfeld für die „Spannung zwischen Autonomie und Determiniertheit künstlerischer Entscheidungen“ heranziehen. Der Frage, inwieweit sich Kunst als Projekt der Selbst-Definition und Selbst-Differenzierung eignet, geht auch Jutta Koether in ihrem Beitrag nach, in dem sie anhand einer Zeichnung von Jo Baer ein künstlerisches Selbstverständnis entwirft, das sich nicht zuletzt durch den Willen zum Widerspruch auszeichnet. Brüchigkeit in der eigenen Arbeit auszuhalten oder vielmehr, diese voranzutreiben, um zu anderen Entscheidungen zu kommen, lässt sich so als ein von Koether verteidigtes Vermächtnis Jo Baers begreifen, das sich gleichermaßen in ihren Texten wie in ihrem bildnerischen Werk manifestiert. Wie das kunstkritische Subjekt und mit ihm der Prozess der Urteilsfindung im Schreiben selbst zur Anschauung kommt, zeichnet Beate Söntgen in ihrer Skizze eines geplanten Projekts über die „Salons“ von Denis Diderot nach. Söntgens Fragestellung ist Teil einer kollektiven Langzeitforschung, in deren Mittelpunkt die Kunstkritik in ihrer Ambivalenz von Involviertheit und kritischer Distanz steht – die selbstreflexive Salonbesprechungen Diderots werden so zum Modell für eine Kunstkritik der Gegenwart.

Tom Holerts außerinstitutionell bearbeiteter Forschungsgegenstand fand seinen Ausgangspunkt ironischerweise gerade in der Akademie. Die recht unbequemen Metallstühle Franz Wests, auf denen der Autor in stundenlangen Sitzungen an der Wiener Kunstakademie verharrte, veranlassten ihn, einige Thesen zu der modernistischen Ideologie einer „Komfortgesellschaft“ zu verfassen – die Einfluss auf die Kunstproduktion der letzten Dekaden genommen hat –, und damit grundsätzliche Überlegungen zu den ästhetisch-politischen Voraussetzungen für ein „schmerzfreies Leben“ anzustellen. Dass Forschungsziele durchaus nicht in einem Glauben an die Kontingenz des zu ergründenden Objekts aufgehen müssen, sondern dass die Handlungsmacht der Dinge unter dem Stichwort der „Obstruktion“ zu analysieren ist, zeigt Sven Lütticken in seinem Beitrag, der ebenfalls ein Langzeitprojekt skizziert – und mit dem er gewissermaßen eine Forschung über die Forschung betreibt. Helmut Draxler hingegen legt die überarbeitete Version eines Vortrags vor, in dem er eine Klärung des Begriffs der Ambivalenz vornimmt und genau im Austausch zweier entgegengesetzter Pole das Potenzial einer Abgrenzung sieht, die über Autonomiephantasmen hinausgeht.

Auch monografische Texte, die außerhalb eines institutionell abgesicherten Rahmens entstanden, sind Teil dieser Ausgabe. In Reaktion auf zwei Ausstellungen in Düsseldorf und Karlsruhe widmet sich Clemens Krümmel der Re-Kontextualisierung des amerikanischen Avantgardekünstlers Henry Flynt und liefert damit einen Beitrag zur Geschichte der Konzeptkunst jenseits der stets angenommenen Sprachfixierung der 1960er Jahre. Rainer Bellenbaum untersucht das von der Videokünstlerin Elizabeth Price eingesetzte kinematografische Dispositiv auf seine durchlässige Bedeutungsproduktion. In unserer Umfrage­rubrik „Short Cuts“ schließlich stellt Isabelle Graw anlässlich der aktuellen Retrospektive Martin Kippenbergers in Berlin die Frage, was von der legendenbildenden Rezeption des Künstlers und seines Werks zu lernen ist und welche Erkenntnisse sich aus der Verschränkung biografischer und sozialer Aspekte in seinen Arbeiten aus heutiger Sicht gewinnen lassen. Es antworten Julia Gelshorn, Sebastian Egenhofer, Fiona McGovern und Chris Reitz.

All diese Beiträge zeigen nicht zuletzt, dass eine Strategie, dem Aktivitätsimperativ etwas entgegenzusetzen, darin bestehen kann, gezielt längerfristige Denk- und Arbeitsweisen zu verfolgen und darauf zu bestehen, intensiv und über einen größeren Zeitraum in ein Projekt zu investieren. Für die Autoren und Autorinnen dieser Ausgabe ist nicht nur ihr langjähriges Engagement für Texte zur Kunst eine solche Unternehmung, sondern mit ihren „Arbeitsproben“ im aktuellen Heft erlauben sie auch einen Einblick, an welchen Themen sie gegenwärtig arbeiten: anstatt sich dem Druck zu beugen, nur abgeschlossene Ergebnisse zu präsentieren, betonen sie das Potenzial, das darin liegt, Arbeitsprozesse sichtbar zu machen und zur Diskussion zu stellen. „Wie wir arbeiten wollen“ ist damit gleichzeitig als Frage an uns selbst und als öffentlicher Aufruf zu verstehen.

John Beeson / Isabelle Graw / Oona Lochner