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Isabelle Graw

Ausstellungsbericht und Sittengemälde

Berlin im Februar 2009

Gestern war die Eröffnung der Cindy Sherman-Ausstellung bei Sprüth/Magers in Berlin. Ihre neuen Bilder haben mich auf Anhieb begeistert und dies trotz oder gerade wegen ihrer monumentalen Opulenz, die so gar nicht zu „Credit Crunch“ oder „mageren Zeiten“ zu passen scheint. Es ist die eben zu Ende gegangene Ära des Kunstbooms, die diese, wie immer von Sherman selbst dargestellten, Portraits wohlhabender Sammlerinnen aufrufen. Gerade das unmittelbar Zurückliegende fällt ja im Kunstbetrieb gewöhnlich der Vergessenheit – einer Art kollektiven Amnesie – anheim. Sherman hingegen hat dem Typus der reichen, alternden Sammler-Diva ein Denkmal gesetzt. Es gibt jedoch ein Detail – den partiellen Einsatz von ornamental-kitschigen Rahmen –, das ich zunächst als irritierend empfand, weil eher an Sofabilder oder malerische Schinken erinnernd. Doch die auf diese Weise suggerierte Nähe zur Malerei – genauer, zum Auftragsportrait – macht bei längerem Nachdenken durchaus Sinn. Bekanntlich neigt die wohlhabende Mäzenatin – in deren Rolle Sherman geschlüpft ist – dazu, ihr Bildnis qua Rahmung dem Stil der Innenausstattung anzupassen. Hat man seinen Palazzo etwa im venezianischen Stil eingerichtet, wie in einigen Portraits angedeutet, dann muss natürlich auch die Rahmung des eigenen Bildnisses entsprechend gestaltet sein. Der kitschige Rahmen sprengt demnach nicht nur modernistische Konventionen, sondern verweist mehr noch auf einen dekorativen Umgang mit Kunst, den Shermans Bilder selbst forcieren, wenn Frisur, Sofa und Schoßhündchen farblich und stofflich miteinander harmonieren. In der formalen Nähe zum Auftragsportrait hallt aber auch die Situation des Künstlers im „dealer-critic-system“ (Harrison/White) nach, der schließlich regelmäßig Galerieausstellungen zu beliefern hat, was der Situation des Auftragskünstlers durchaus verwandt ist. Nur ist es in Shermans Fall die Künstlerin selbst, die sich den Auftrag für das Auftragsportrait gegeben hat.

Abb. oben: UNTITLED #466, 2008, COLOR PHOTOGRAPH, 246,1 X 162,6 CM

Ihre neuen Bilder stellen unterschiedliche Typen von als „älter“ ausgewiesenen, vermögenden Frauen dar, die mit den entsprechenden Insignien für Macht, Prestige und Reichtum ausgestattet wurden: Sei es, dass sie schmuckbehängt, üppige Gewänder oder eine Pelzstola tragend in ihren privaten Gemächern posieren. Sei es, dass sie grell geschminkt und mit deutlich sichtbar falschen Fingernägeln vor ihrer persönlichen Bildergalerie, unter den Arkaden ihres Anwesens oder vor ihrem Logenplatz in der Oper auftreten. In einem der stets sichtbar digital bearbeiteten Hintergründe taucht die Fassade eines eleganten New Yorker East-Side-Appartmenthauses auf, die zugleich an jene Sorte Grand Hotels erinnert, wie sie etwa in Cannes zu finden sind. Auch diese Fassade lässt sich als Hinweis auf eine versunkene Welt interpretieren. Denn heute wird „Älter Werden“ von den Medien anders als bei Sherman repräsentiert. Kaum denkbar, dass man in der Lifestyle-Presse auf jene maskenhaft-pudrigen Gesichter, dick übermalten Lippen oder massiv sichtbaren Halsfalten stoßen würde, wie sie Sherman wohl in Anlehnung an das Bild wohlhabender Pensionäre in Nizza oder Miami inszeniert. Jegliche Zeichen des Alters würden heute sogleich per Photoshop wegretuschiert, sodass Sechzigjährige wie dreißig aussehen.

Der zentrale Einsatz der Arbeiten Shermans scheint mir jedoch darin zu bestehen, dass sie ein so schonungsloses wie emphatisches Interesse für ihren Gegenstand aufbringen, der zwar erbarmungslos und mit einer perversen Liebe zum Detail, doch ohne jeden Hang zur Denunziation gezeichnet wird. Eben weil Sherman die Rolle der unter günstigen finanziellen Umständen Alternden selbst auf sich genommen hat, weist sie sich selbst als von diesen Prozessen nicht ausgenommen aus. Indem sie unterschiedliche Herrscherposen aufführt, wie sie etwa in den Auftragsportraits eines Joshua Reynolds variiert wurden, reflektiert sie zudem ihre eigene Position im Kunstbetrieb als eine der erfolgreichsten (und mächtigsten) Künstlerinnen. Der Preis für diese Rolle der Ausnahmefrau ist jedoch – und auch dies ist den Portraits eingeschrieben – soziale Isolation und Vereinsamung. Shermans Protagonistinnen werden stets allein, gleichsam als einsame Herrscherinnen über ihr materielles Reich, in Szene gesetzt.

Abb. rechts: UNTITLED #467, 2008, COLOR PHOTOGRAPH, 228,6 X 152,4 CM

Es gibt noch etwas anderes, was diese neuen Bilder von Sherman meines Erachtens leisten – sie analysieren die Tiefenwirkung dessen, was Foucault „Biomacht“ genannt hat. Mit Biomacht ist bei Foucault eine Machttechnik gemeint, die auf die Körper und das Leben ausgreift. Sie zielt auf „vitale Werte“ (Maria Muhle) wie Gesundheit, körperliche Fitness und Selbsterhaltung. Als zentralen Schauplatz der Biopolitisierung fungieren heute Lifestylezeitschriften, die uns mit Tipps versorgen, wie man länger jung und fit bleibt und welche Methoden (Laser, Facials, Fruchtsäure etc) sich für die Beseitigung von Falten eignen. Wenn sich als älter geltende Frauen massiv Rouge auflegen; sich mithin geradezu verzweifelt zuschminken, um dem vorherrschenden Schönheits- oder Jugendlichkeitsideal doch noch irgendwie zu genügen, dann zeigt sich auch darin der Zugriff der Biomacht. Kaum entziehen kann man sich ihr, weil sie nicht etwa repressiv funktioniert, sondern uns subtil dazu bringt, ihre Ideale zu verinnerlichen. Dieser, für die Biopolitik entscheidende Zug der Verinnerlichung ist es, um den Shermans Bilder beständig kreisen. Denn Sherman hat sich mit der Rolle der im Wohlstand alternden, mächtigen Diva so stark identifiziert, dass der Unterschied zwischen ihrer Person und der der Sammlerin verschwimmt. Dann wieder gibt es Momente, wo Sherman Distanz zu ihren vom Alter gezeichneten Figuren markiert, etwa, wenn ihre eigene, noch glatte Schulter oder ihre weich geschwungene, durchaus jugendliche Rückenpartie sichtbar wird und mit dem zugeschminkten Gesicht kontrastiert. Ihr Verhältnis zu diesen Figuren ist augenscheinlich von Ambivalenz geprägt, was angesichts des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Künstler/in und Sammler/in nicht weiter verwundert. Geradezu überdeutlich hat Sherman denn auch die Zeichen für den alternden Körper herausgearbeitet: So sind die Finger oft extrem geschwollen und gerötet, das Make-Up bröckelt aufgrund von massiver Faltenbildung, Hammerzehen zeichnen sich unter den Stützstrümpfen ab und die Augen sind stets vor Altersmüdigkeit leicht gerötet. Es wirkt so, als hätte Sherman die Alterserscheinungen und Bewältigungsstrategien der reichen Sammlerinnen mit aufmerksamem Blick studiert, um sie dann zu theatralisieren. Das, was auf sie selbst unweigerlich zukommen wird, scheint einerseits unbarmherzig zugespitzt und andererseits am eigenen Leib durchgespielt zu werden. Momente der Empathie schlagen sogleich in Momente der analytischen Distanz um, so als würden die ambivalenten Gefühle zu Förderern und Gönnern im Kunstbetrieb ausagiert.

Abb.: UNTITLED #475, 2008, COLOR PHOTOGRAPH, 163,8 X 147,3 CM


Diese Bilder korrespondieren aber auch mit einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Der Befund der „alternden Gesellschaft“ hat neuerdings zu einem verstärkten Interesse für Ältere geführt. Es ist nicht nur deren Gesundheit, die aus bevölkerungspolitischer Sicht relevant ist. Mehr noch gelten sie als potentiell kaufkräftige Kunden, die umworben werden müssen. Diese mediale Aufwertung des Alters setzte vor einigen Jahren ein, ablesbar etwa an der Dove-Werbung oder der H&M-Werbung mit dem damals über vierzigjährigen Model Jerry Hall. Voraussetzung dafür, dass sich Medien und Werbung für über vierzig Jährige interessieren, ist jedoch, dass sie sich „gut gehalten“ haben und einen ebenso zeitaufwendigen wie kostenintensiven Aufwand für ihr Aussehen betreiben. Zuletzt war es Madonna, die einmal mehr als biegsame und durch Photoshop faltenfrei wirkende Werbeikone für Louis Vuitton auftrat. Mit einer High Maintenance Woman wie Madonna möchte Vuitton wohl demonstrieren, dass sich die hohen Investitionen für das eigene Aussehen auch in schlechten Zeiten lohnen. Shermans Portraits setzen zwar bei der allgemeinen Aufwertung des Alters an, schlagen jedoch die entgegengesetzte Richtung ein. Bei ihr bedeutet Älter-Werden immer auch Grotesk-Werden – glänzende Haut, falsche Zähne, maskenhafte Gesichtszüge. Und doch fehlt diesen Bildern jede Häme, was nicht zuletzt daran liegt, dass Sherman ihre alternden Diven als sexuelle Wesen präsentiert. Jede von ihnen verfügt über einen sorgfältig zusammengestellten Look, mit dem die Stärken ihrer Figur – schmale Taille, glattes Dekolleté etc. – betont werden. Zwar wirken die teils extrem figurbetonten Kleider „unmöglich“ gemessen an aktuellen modischen Standards. Doch die Tatsache, dass diese Frauen zu Recht auf ihrer sexuellen Attraktivität beharren, berührt eigentümlich und verweist auf eine Zukunft, in der man sich selbst noch sexy wähnt, obwohl die anderen in einem nur mehr die „alte Schachtel“ sehen.

Deutlich spürbar machen diese Bilder auch den Druck, dem sich zumal Frauen ausgesetzt sehen, wenn sie mit zunehmendem Alter immer noch im gleißenden Licht der Öffentlichkeit stehen. Wie den erbarmungslos jede Falte registrierenden Blicken auf der grell erleuchteten Galerieeröffnung standhalten, wenn der eigene Alterungsprozess doch unerbittlich voranschreitet? Sherman ist diesbezüglich die Flucht nach vorn angetreten, indem sie einer Entwicklung vorgreift, von der sie selbst als erstaunlich „jung“ aussehende Künstlerin möglicher Weise niemals in demselben Maße betroffen sein wird. Dennoch bereitet sie sich auf ihren eigenen Alterungsprozess vor, um zugleich ihre widersprüchlichen Affekte gegenüber einem Frauentyp visuell zu organisieren, der im Kunstbetrieb verstärkt an den Schaltstellen der Macht (Sammlerinnen, Galeristinnen etc.) sitzt.

Ist die Ära der Superreichen, die tendenziell unter sich bleiben und sich gegen alles, was ihre Macht in Frage stellen könnte, abschotten, nicht ohnehin im Zuge der Wirtschaftskrise an ihr Ende gekommen? Wie weit gefehlt diese Vermutung ist, zeigte sich beim Opening-Dinner im Anschluss an die Sherman-Eröffnung. Am Morgen des Eröffnungstages hatte man noch die Nachricht vernommen, dass die deutsche Vanity Fair eingestellt werden würde. Einmal abgesehen davon, dass dies für zahlreiche Berliner Kulturproduzent/innen den Verlust ihres Arbeitsplatzes bedeutet, ist damit auch das Ende des vielbeschworenen „mover und shakers“ gekommen. Sollte man meinen. Doch das Dinner im Grill Royal – beliebter und immer noch ausgebuchter Treffpunkt der Berliner Jeunesse Dorée – belehrte einen eines Besseren. Das Selbstbewusstsein der „mover und shaker“ scheint ebenso ungebrochen, wie sich die markterfolgreichen Künstler immer noch unbesiegbar und an der Spitze der kulturellen Hierarchie wähnen. Suchte man nach Anzeichen für eine Erschütterung ihres Wertesystems, dann musste man ihre Gesichtszüge schon genau studieren. Manchen stand die Angst und Verunsicherung buchstäblich ins Gesicht geschrieben, doch hielten sie sich an einer scheinbar intakten sozialen Hierarchie fest, die sie auf ihren sicheren Platz verwies. Diese Welt der finanziell Abgesicherten, von der Sherman nur einen kleinen (und eigentümlich historisch wirkenden) Ausschnitt zeigt, scheint darum bemüht, sich von allem, was in der Welt sonst so los ist, verstärkt abzuspalten. In demselben Maße, wie diese Eröffnungsfeier den wirtschaftlichen Zusammenbruch auszublenden suchte, spürte man bei einigen jedoch die unterschwellige Ahnung davon, dass die Karten neu gemischt werden könnten. Denn das Alte lässt sich – und auch daran erinnern Shermans Bilder auf eindrückliche Weise – auch beim besten Willen nicht konservieren.