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Isabelle Graw

Mein Yoga

Madonna auf der Bühne Yoga machend

Vor ein paar Jahren sah ich eine junge Frau auf der Bleecker Street in New York, die ein T-Shirt mit der Aufschrift „Fuck Yoga“ trug. Wie ein einsamer Rufer im Wald schien sie sich gegen den sich schon damals abzeichnenden Konsens stemmen zu wollen, der besagt, dass Yoga ein Muss für jeden gestressten urban professional ist. Zugleich verwies diese Beschimpfung des allgemein für gut Befundenen aber auch auf die Übermacht von Yoga, das einem Anrufungssystem gleicht, dessen Appellen kaum jemand entkommt. Ich spreche hier gleichsam aus eigener Erfahrung und möchte mich auf diesem Wege als langjähriger Yogi outen! Als Yogi jedoch, der die zentralen Ideologeme dieser Praxis durchaus fragwürdig findet und dies trotz meiner Begeisterung für ihre wohltuenden Effekte! Es sind letztlich zwei dem Hang des Neoliberalismus zur Individualisierung sämtlicher Probleme entsprechende Aufforderungen, die im Yoga zusammenfließen – die Aufforderung „bei sich zu bleiben“, sowie die Aufforderung, über seine Grenzen hinauszugehen. Diese Mixtur aus Voluntarismus (Du schaffst es, wenn Du nur willst) und Gelassenheit (Lass es geschehen) ist es meines Erachtens, die den aktuellen Yoga-Boom erklärt. Das ideale Subjekt soll dran bleiben und nicht aufgeben und zugleich dazu in der Lage sein, locker zu lassen. Im Yoga verdichtet sich das gängige Anforderungsprofil. Es ist deshalb kaum verwunderlich, dass die yogatypischen Stellungen und Bewegungsabfolgen, die zwar ausgesprochen herausfordernd und anstrengend sind, aber eben auch qua begleitender Atmung Entspannung bringen, längst ihren Siegeszug durch die Fitnessstudios angetreten haben. Neben Pilates, war es Yoga, das zu der sportlichen Betätigung schlechthin avancierte, was nebenbei bemerkt das noch in den 1980er Jahren kollektiv praktizierte Aerobics zu einer Fußnote in der Geschichte der Sporthysterien werden ließ. Noch die vielbeschworene Wirtschaftskrise trägt dem Yoga neue Adepten zu, die sich jetzt erst Recht die Sinnfrage stellen und sich zugleich körperlich besser fühlen wollen. Yoga gehört, anders gesagt, zu einer der wenigen krisenresistenten Wachstumsbranchen – je prekärer, unvorhersehbarer und kraftraubender die kapitalistischen Verhältnisse, desto größer scheint das Verlangen nach einer Betätigung zu sein, die sich im überschaubaren Rahmen der eigenen Yogamatte abspielt und die Möglichkeit eines „zu sich Kommens“ verheißt. Gerade in dem Moment jedoch, wo man – etwa in der finalen Entspannungsphase beim Yoga – einfach nur daliegen und „loslassen“ soll, stürzen meiner Erfahrung nach die eigenen und die Probleme der Welt erst Recht auf einen ein. „Bei sich sein“ bedeutet folglich bei genauerer Betrachtung, dass das Andere einen durchquert. Wenn der Yogalehrer dann noch regelmäßig dazu auffordert, an etwas zu denken, das „größer ist als wir selbst“, womit er eine gottähnliche Kraft meint, fällt mir entsprechend stets das Bild der Gesellschaft ein. Denn obwohl im Yoga die gesellschaftlichen Verhältnisse tendenziell ausgeblendet bleiben sollen, sind sie in dieser Praxis doch überaus präsent. Der offiziellen Yoga-Doktrin zufolge soll man es zwar tunlichst unterlassen, zu urteilen oder sich in Konkurrenz zu den anderen zu begeben. Es gibt jedoch kaum konkurrenziellere Ereignisse als fortgeschrittene Yogastunden, wo sich die Schüler ehrgeizig aneinander messen und ihr Können oder ihr Yogaoutfit gegenseitig mit einem durchaus klassifizierendem – sprich urteilendem – Blick begutachten. Yoga ist aus dieser Sicht betrachtet die ideale sportliche Betätigungsform in einer Wettbewerbsgesellschaft und dies nicht zuletzt deshalb, weil sie auf einen Wettbewerb vorbereitet, wo nicht mit offenem Visier gekämpft wird. Man konkurriert ja heute eher verdeckt miteinander, zumal Kooperation in einem vernetzten Kapitalismus groß geschrieben wird. Dieser latent bleibende und dennoch stattfindende Wettbewerb hat auch in Yogastunden seinen Ort. In einer Stadt wie Berlin konnte man die Popularität des Yoga in den letzten Monaten an immer wieder neu eröffnenden Yoga-Studios ablesen. Allein im Stadtteil Mitte sind mittlerweile sämtliche Yoga-Richtungen vertreten und man kann morgens überlegen, ob man lieber Mantren singen, bei Gluthitze die immer gleiche Bewegungsabfolge absolvieren oder sich mit Power-Yoga zur Erschöpfung bringen möchte. Noch jene, die sich in den 1980er Jahren gegen die Idee, dass es so etwas wie ein authentisches Selbst geben könne, mit Händen und Füßen wehrten und dies mit dem berechtigten Verweis auf die Konstruiertheit von Identität, finden sich plötzlich im „Hund“ auf der Matte wieder, wo sie von ihrem Yogalehrer dazu aufgefordert werden, mit ihrem tiefsten Inneren in Kontakt zu treten. Womöglich ist es ein direkter Weg, der vom überzogenen Anti-Essentialismus zum Rückfall in Essentialismen führt? Eben weil schon der bloße Gedanke an Authentitzität und essentialisierenden Identitätsvorstellungen in den 1980er und 1990er Jahren so anrüchig war, melden sich diese womöglich mit Wucht spätestens in dem Moment zurück, da sich dieselben Akteure auf die Suche nach dem begeben, was sie „eigentlich“ ausmacht. Und bei aller Kritik an den essentialistischen Implikationen von „Eigentlichkeit“ muss man doch einräumen, dass man sich nach jeder Yogastunde innerlich ruhiger oder „geerdeter“ fühlt, wie die Yogas sagen. Bin ich folglich selbst der Yoga-Ideologie vollständig erlegen? Ja und Nein. Einerseits denke ich tatsächlich, dass man für die extreme Ablehnung von allem vermeintlich Authentischen einen Preis zahlt – man geht gewissermaßen über sich und die Frage, wie es einem geht, hinweg. Andererseits versuche ich mir noch während meiner Yoga-Praxis eine Art analytische Distanz zu ihrem Authentizititätsgebot zu wahren. Wie weit ich in den Yoga-Kosmos schon eingestiegen bin, lässt sich jedoch daran ermessen, dass ich augenblicklich mit dem Gedanken an einen Aufenthalt in einem „Yoga-Retreat“ spiele. Ich hätte nie gedacht, dass es mit mir einmal so weit kommen würde.