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Vorwort

„I don’t really like the way it looks“, schrieb Mike Kelley 1995 in einem Statement anlässlich einer Ausstellung Marcel Broodthaers’ als Begründung dafür, dass er sich nie ausführlich mit dessen Werk beschäftigt hat. Er fand das Aussehen der Arbeiten einfach nicht besonders ansprechend: „I never found its surface aspects very appealing.“ Mit Idiom sind genau diese „Oberflächenaspekte“ und darüber hinaus alle lokalen, sozialen, ökonomischen, individuellen und zeitlichen Besonderheiten gemeint, die einem künstlerischen Look eingeschrieben sind. In dieser Ausgabe wird es also weniger um spezifische Bildsprachen als vielmehr um das Spezifische von Bildsprachen gehen, und zwar jenseits eines engen Bildbegriffs.

In der Sprachwissenschaft bedeutet Idiom: Sprechweise, Spracheigentümlichkeit oder besondere Ausdrucksweise, die als Soziolekt, also sozial bedingte Gruppensprache, definiert wird oder aber als individuelle Artikulationsform bis hin zur idiomatischen Wendung, die sich nur so und nicht anders sagen lässt. In kunsthistorischen und kunstkritischen Texten stößt man immer wieder auf den Begriff des Idioms, nur wird er dort so gut wie nie präzisiert. Diese auffällige Unbestimmtheit wollen wir nutzen, um Definitionsversuche zu unternehmen und Resonanzräume des Idioms zu testen. Statt Kunst wie im allgegenwärtigen Bekenntnismodus „My work is about …“ auf ein vermeintliches Anliegen zu reduzieren, was nicht zuletzt einer professionalisierten Selbstvermarktungsnotwendigkeit von Künstlern und Künstlerinnen geschuldet ist, fragen wir nach der spezifischen Verbindung materieller Artikulationsformen, Referenzen, Ikonografien und ästhetischen Anschlüssen in künstlerischen Arbeiten.

Warum halten wir die Untersuchung der Idiome gerade jetzt für wichtig? Zunächst einmal waren wir nachhaltig darüber verwundert, wie unterschiedlich zwei Großausstellungen zur zeitgenössischen Kunst 2017 ausfallen können. Hatten die Skulptur Projekte in Münster gewissermaßen beruhigende Wirkung, weil hier Kunst noch als Kunst erkennbar schien, stieß der auf der Documenta 14 allgegenwärtige Anspruch, Kanons zu entgehen, auf Ratlosigkeit. Feststellen ließ sich so immerhin, dass künstlerische Bezugssysteme ihre Selbstverständlichkeit verloren haben und sich die Frage nach der Wahl künstlerischer Mittel akut stellt. Entsprechend haben wir zunächst Künstler/innen um Statements zu ihren Arbeiten gebeten und uns dabei für solche Positionen interessiert, die eher über ihr Was als über ihr Wie diskutiert werden. In unserer Umfrage kommen Künstler/innen zu Wort, die in ihren Werken explizit Anschluss an vorangegangene künstlerische Idiome suchen (wie sie in der Land Art, dem Abjekten in der Kunst oder in Diskursen um das Spekulative in der Skulptur angelegt sind), bzw. solche, die in ihren Arbeiten dezidiert die Fäden aufnehmen, die von gegenwärtigen, oft scheinheilig geführten, gesellschaftspolitischen Diskussionen um Kapitalismuskritik, Menschenrechte oder Ökologiefragen ausgehen.

Unser Interesse am Status quo künstlerischer Idiome geht über die beiden oben erwähnten Großausstellungen aber hinaus und begann mit der Beobachtung, dass es bis in die 1990er Jahre hinein primär darum ging, Idiome der Kunst und ihre kanonisierten Ausdrucksweisen zu erweitern (Stichwort „Entgrenzung“), während sich die ästhetischen Referenzen im Zuge der Globalisierung und (westlicher) Kanonauflösung weitgehend verstreut haben. Haben westliche Kunstformen also nicht längst ihren Hegemoniestatus eingebüßt? Die Debatten um eine postkoloniale und transnational verflochtene Kunstgeschichte haben sich in den letzten Jahren jedenfalls erheblich erweitert. Während sie bis vor Kurzem zumindest im europäischen Raum vor allem von Third Text als Ausnahmezeitschrift geführt wurden, sind in der Zwischenzeit vor allem jüngere Kunsträume entstanden, die vorwiegend afrikanische Künstler/innen zeigen und in denen Diskussionen um Dekolonialisierung und globale Ressourcenausbeutung systematisch geführt werden (beispielweise Savvy Contemporary in Berlin oder Bétonsalon in Paris). Aber auch durch die deutlicher werdenden Stimmen nichteuropäischer Kunsttheorie und -kritik (neben dem etablierten NKa auch Zeitschriften wie C& ) und durch ein völlig selbstverständlich gewordenes globales Kuratieren (wie es zuletzt eben die Documenta 14 vorgeführt hat), wobei zudem auf „unentdeckte“, idiosynkratische, marginale Künstler/innen gesetzt wird, hat sich die Situation verändert. Wenn jedoch nicht mehr von einer Global Art, sondern von einem permanenten Verhandeln lokaler Spezifika und einem universalistischen Kunstbegriff ausgegangen werden muss, bilden sich dann nicht auch entsprechend andere Idiome aus (siehe hierzu die Beiträge von Monica Juneja oder Susanne Leeb)?

Tatsächlich sieht es so aus, als würde momentan das Zeitgenössische in der Kunst eher über bestimmte Inhalte als über eine postkonzeptuelle Formensprache behauptet, die Peter Osborne zufolge noch bis vor Kurzem als Garantin des Kontemporären galt. Dabei scheint es weniger um ein Abarbeiten an der Kunst(-geschichte) zu gehen als um das Aufgreifen und Durchdringen bereits als Kunst kanonisierter Formulierungen. Diese Verschiebung lässt sich beispielsweise an einem aktuellen Diskurs um Skulptur festmachen, der von Trash und Deskilling her gedacht war und sich nun mit ökologischen Fragen globaler Müllproduktion kreuzt (siehe hierzu den Text von Yvonne Volkart). Die Frage nach künstlerischen Mitteln stellt sich aber auch bei einer künstlerischen Form, die explizit aus einer Recherche und aus der Arbeit mit Dokumenten hervorgeht und unter dem Label Artistic Research längst Einzug in die Akademien gehalten hat. Hat sich nach etlichen Jahren der Institutionalisierung der künstlerischen Forschung ein eigenes Idiom ausgebildet, und wenn ja, wie ließe sich das im Sinne einer Debatte um aktuelle Sprachen der Kunst fassen (siehe hierzu den Beitrag von Dieter Lesage)?

Nach künstlerischen Idiomen zu fragen, bedeutet darüber hinaus, die Dauer ihrer Relevanz und Bindungskraft in den Blick zu nehmen. Gibt es so etwas wie eine Halbwertzeit für künstlerische Sprachen? Sven Lütticken stellt angesichts der vielfältigen und widersprüchlichen Rahmungen von Günter Förgs Œuvre die Frage, wann und unter welchen Umständen sich eine malerische Sprache behaupten kann, und erinnert uns daran, dass der Begriff „zeitgenössisch“, in der Kunst seit den 1990er Jahrhen zunehmend verwendet, nicht nur „unserer Zeit“, sondern auch „cool“ oder „marktrelevant“ bedeutet.

Während die Malerei für viele westliche Idiome nach wie vor der dominierende Bezugspunkt ist, haben andere − namentlich jene, die „Konnektivität“ benötigen oder den digitalen Raum zitieren − in jüngster Zeit als „zeitgenössische“ Kunst an Sichtbarkeit gewonnen.

Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass alles, was wir (als kapitalistische Gesellschaft) als „zeitgenössisch“ empfinden, ob Blue-Chip-Malerei oder Post-Net-Skulptur, auf einer Industrie basiert, die sich am Fortschrittsparadigma orientiert und auf Ausbeutungsstrukturen von Arbeitskraft und Ressourcen setzt.

Wie könnte also ein politischer Einsatz von Technologie aussehen und wie eine Bildsprache, die sich der Mimikri an techno-kapitalistische Oberflächen verweigert, ohne antitechnologische Ressentiments zu begründen (siehe den Beitrag von Giovanna Zapperi)?

Welche Sprachen spricht also die Kunst heute?

Susanne Leeb, Mirjam Thomann