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Elena Meilicke

LINDA MANZ (1961–2020)

Linda Manz, 1980

Linda Manz, 1980

Linda Manz hat nur in einer Handvoll von Filmen mitgespielt, Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre. Dann gab es ein kurzes Comeback Ende der 1990er, das so schnell und unerwartet endete, wie es begann. Trotzdem schrieb ein Fan im Netz, als im August 2020 ihr Tod bekannt wurde: „Linda Manz was the James Dean of Genera­tion X.“ Und das ist nicht übertrieben.

Es sind im Grunde nur zwei Filme, auf denen ihr ganzer Ruhm gründet: Days of Heaven (1978) unter der Regie von Terrence Malick und Out of the Blue (1980) von Dennis Hopper – zwei sehr unterschiedliche, ja, gegensätzliche Filme, lyrisch-impressionistisch der eine, punk-nihilistisch der andere.

Days of Heaven spielt um 1900 in Texas unter Wanderarbeiter*innen, die sich als Erntehelfer*innen verdingen. Trotz seines roughen Sujets ist der Film – ausgezeichnet mit einer Palme für die Regie in Cannes und einem Oscar für die beste Kamera – fast überirdisch schön: im Wind wogende Weizenfelder, der Himmel ein Farbverlauf zwischen Zartrosa, Violett und Dunkelblau; dazu ein Morricone-Soundtrack und Bildkompositionen nach Gemälden von Andrew Wyeth und Edward Hopper. Inmitten dieses ausgesuchten Gefüges das Kinodebüt der Linda Manz, die 15 Jahre alt ist, aber viel jünger aussieht; sie gibt die kleine Schwester von Bill (gespielt vom jungen Richard Gere), der zusammen mit seiner Freundin Abby (Brooke Adams) den Großgrundbesitzer (Sam Shepard) in eine amouröse Intrige verwickelt.

Gegenüber dem Star-besetzten love triangle hat Manz nur eine kleine Nebenrolle inne und dominiert doch den Film: Als Erzählerin hält sie die fragmentarischen Szenen zusammen, kommentiert das Geschehen mit heiserer Stimme und New Yorker Akzent, spricht frühreif und weise vom Haben und Nicht-Haben und auch von der Hölle: „There’s going to be creatures running every which way, some of them burnt, half their wings burnin’. People are going to be screaming and howling for help.“ Manz’ Voiceover verwandelte Days of Heaven von einem okayen in einen herausragenden Film und war ganz ihre eigene Schöpfung. Nach monatelangen erfolglosen Versuchen, aus dem gedrehten Material ein Ganzes zu montieren, hatte Malick Manz ins Aufnahmestudio gebeten: „No script, nothing, I just watched the movie and rambled on … I dunno, they took whatever dialogue they liked“, erzählte sie 2011 der Village Voice. [1] Der improvisierte und idiosynkratische Monolog setzt einen Kontrapunkt zu der an Kitsch grenzenden Schönheit des Films, so wie Manz selbst – zerrupft, lässig, abgeklärt – ihre Co-Stars Gere und Adams fast abgeschmackt wirken lässt: die Gesichter zu glatt, die Gesten theatral und übertrieben. Zu Manz und ihrer Stimme hingegen notierte ein Filmkritiker: „Her voice sounds utterly authentic. It seems beyond performance.“ [2]

Dieser Topos hat sich gehalten, im Reden und Schreiben über Manz: dass sie nicht schauspielere, sondern sei, roh und ungeschliffen, intuitiv, authentisch und wahrhaftig; „completely un-studied, unable to lie or fake it“, schrieb die Zeitschrift Film Comment. [3] Der Filmemacher Harmory Korine, der Manz’ kurzes Comeback Ende der 1990er Jahre einläutete, indem er sie als Stepp tanzende Mutter in seinem Film Gummo (1997) besetzte, beschrieb Manz als pure Präsenz und Erscheinung: „There was this sense about her that I liked – it wasn’t even acting. It was like the way I felt about Buster Keaton when I first saw him. There was a kind of poetry about her, a glow. They both burnt off the screen.“ [4] Malick wiederum setzte die Geschichte in die Welt, Manz sei „a sort of street child“ gewesen, das er in einem Waschsalon entdeckt habe, während seine Casting-Agentin zu Protokoll gab: „Linda was a natural. She never went to classes, never studied. She was wonderful at being. But there weren’t a lot of jobs open for just being.“

Es stimmt sicherlich, dass das amerikanische Kino wenig Rollenangebote für „just being“ bereithält, womit Manz’ frühes Verschwinden aus dem Filmgeschäft zusammenhängen könnte. Manz als gänzlich naives Naturtalent ohne jegliche Ausbildung zu zeichnen, wird ihr aber auch nicht gerecht; denn zum einen nahm sie, die 1961 in New York City geboren und von ihrer Mutter – einer Putzfrau, die Büros im World Trade Center reinigte – allein großgezogen wurde, früh Gesangs-, Tanz- und Schauspielunterricht: „My mother had an idea of me being in movies – never had an idea of me being in movies“, erzählte Manz 2011. [5] Und zum anderen verschleiert die Rede von Manz als Darstellerin, die stets „beyond performance“ agiert habe, inwiefern sie in ihrer kurzen Laufbahn eben doch sehr distinkte und pointierte Performances abgeliefert hat.

In Out of the Blue spielt Manz die Figur der Cebe, einer rebellischen Teenagerin, die Elvis Presley verehrt und mit ihren Eltern hadert. Die Mutter ist flatterhaft und heroinabhängig, der Vater (gespielt von Dennis Hopper) ein aggressiver und übergriffiger Trinker, gerade aus der Haft entlassen. Cebe stromert allein durch die Gegend, pöbelt herum und bastelt sich eine Punk-Persona zusammen: „Disco sucks! Kill all Hippies! Pretty vacant, hey? Subvert normality!“, skandiert Cebe. Manz’ Darstellung ist eine umwerfende Tomboy-Performance: Breitbeinig und halbstark stolziert sie durch den Film, mit entschlossener Miene und hochgespannter Energie im Körper, Kopf und Oberkörper ganz gerade und aufrecht. Um das linke Auge hat sie zwei große Narben, die ihr ein verwegenes Aussehen geben, das halblange Haar ist glatt und straßenköterblond, der Unterkiefer stets leicht nach vorn geschoben. Cebe trägt enge stonewashed Jeans und eine Jacke, auf deren Rücken groß „Elvis“ gestickt ist, und wenn sie raucht, hält sie die Zigarette zwischen Zeigefinger und Daumen wie ein 50er-Jahre-Leinwandheld. Am Ende geht alles in Flammen auf.

Manz hat das Vorbild, an dem ihre Cebe-Performance ausgerichtet war, klar benannt: „James Dean, James Dean, James Dean! He was it for me. A lot of people used to tell me back then I looked like the female James Dean.“ Regisseur Hopper wiederum hatte als Teenager in den 1950ern neben Dean in Rebel Without a Cause und Giants mitgespielt und war tief beeindruckt vom rebellischen Außenseitertum, das Dean repräsentierte, ein jugendliches Außenseitertum, das Hopper selbst als Easy Rider für die Counterculture der 1960er Jahre verkörperte. Out of the Blue knüpft an diese Genealogie adoleszenter Rebellion an, der Film zitiert, reinszeniert und aktualisiert die mythische und uramerikanische Figur des aufbegehrenden Teenagers, der mit den Eltern bricht; und er lässt, endlich, mit Manz als Cebe ein Tomboy-Mädchen die bis dahin ausnahmslos männliche Herkunftslinie beerben.

Out of the Blue spielt den Generationenkonflikt für die Zeit um 1980 durch und orchestriert im Tochter-Vater-Konflikt zwischen Manz und Hopper eine Art Counterculture-Death-Match, das dem entgrenzten 60er-Hippie-Ethos die radikale Verweigerung und dystopische (Selbst-)Zerstörung von Punk entgegensetzt: „Kill all Hippies!“ eben. Der britische Filmjournalist Nick ­Pinkerton beschreibt den Film, der eine Geschichte elterlichen Verrats und Missbrauchs erzählt, als Auseinandersetzung, vielleicht auch Abrechnung, mit den Nachwehen der libertinären 1960er Jahre: Out of the Blue, schreibt er, werde getragen von der Ahnung, „that the Utopianism of the 60s counterculture had given birth to something monstrous.“ [6]

Damit hat der Film einen Nerv getroffen: In Manz‘ Cebe-Performance ist ein generationeller Habitus präformiert, der später unter dem Label „Generation X“ verhandelt wurde. Als Kurt Cobain, Generation-X-Ikone, 1994 Suizid begeht, beschließt er seinen Abschiedsbrief mit einem Zitat aus ausgerechnet jenem Neil-Young-Song, der in Out of the Blue wieder und wieder zu hören und dem auch der Filmtitel entlehnt ist: „Out of the blue, and into the black […] It is better to burn out than to fade away“, heißt es in My My, Hey Hey.

Dass sich Manz als Cebe ins kulturelle Gedächtnis eingebrannt hat, hat natürlich auch damit zu tun, dass danach kaum mehr etwas kam, was das anbetungswürdige Bild des forsch-verletzlichen Tomboy-Teenagers hätte überschreiben und verwässern können. Es ist verführerisch, Manz’ Verschwinden aus dem Filmgeschäft nach Out of the Blue als Punk-Verweigerungsgeste zu deuten, von einer, die bedingungslos unkorrumpierbar war. Vielleicht aber war ihr Verschwinden doch ein schlichtes „fade away“, dessen genaue Gründe unklar sind.

Irgendwann ist Manz ins ländliche Kalifornien nördlich von Los Angeles gezogen, hat einen Kameramann geheiratet, drei Söhne bekommen und soll zeitweise auf Obstplantagen gearbeitet haben. Ein Telefon hatte sie nicht, gelegentliche Anrufe von Journalist*innen nahm sie bei Nachbar*innen oder an der nächsten Tankstelle entgegen. Nach ihrem Tod hat Manz’ Familie auf Gofundme.com um Spenden für die Finanzierung ihrer Beerdigung gebeten, und die Website des Spendenaufrufs ist zu einer Art Kondolenzbuch geworden. „I always wondered what happened to her & now I know“, schreibt einer, der zehn Dollar spendet, und fährt fort: „She certainly was her own woman. Better to have done too little than too much.“ Ein anderer gibt 20 Dollar und schreibt: „You were the realest thing on screen and you will always be violently alive for anyone who’s seen those movies.“ Manz starb mit 58 Jahren an den Folgen von Krebs und einer Lungenentzündung.

Elena Meilicke

Anmerkungen

[1]Manz zit. nach Nick Pinkerton, „Calling Linda Manz“, in: Village Voice, 1. Juni 2011, online unter: https://www.villagevoice.com/2011/06/01/calling-linda-manz/.
[2]Roger Ebert, „Review zu Days of Heaven“, 7. Dezember 1997, online unter: https://www.rogerebert.com/reviews/great-movie-days-of-heaven-1978.
[3]Sheila O’Malley, „Present Tense. Out of the Blue“, 8. August 2019, online unter: https://www.filmcomment.com/blog/present-tense-out-of-the-blue/.
[4]Harmony Korine im Interview mit Antek Walczak, Index Magazine, 1997, online unter: http://www.indexmagazine.com/interviews/harmony_korine.shtml.
[5]Manz zit. nach Nick Pinkerton, „Calling Linda Manz“.
[6]Nick Pinkerton, „Dead End America. On Dennis Hopper and Linda Manz’s 1980 ,Out of the Blue‘“, 15. August 2020, online unter: https://nickpinkerton.substack.com/p/dead-end-america.