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Matthias Dell

PARODIEN AUF SATIREN Über Jan Böhmermann

Jan Böhmermann in „ZDF Magazin Royale“, 2020, Filmstill

Jan Böhmermann in „ZDF Magazin Royale“, 2020, Filmstill

Dialektische Aufhebung. Comedy aus Deutschland hat oftmals den Ruf, entweder stumpf (Nico Semsrott) oder zynisch (Harald Schmidt) zu sein, also entweder nicht witzig oder politisch falsch, häufig auch beides zugleich (Dieter Nuhr). Bei Jan Böhmermann scheinen sich viele nicht einig zu sein: Ist er genauso kleingeistig und bieder wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das ihn als Showmaster sozialisiert hat, oder ist sein Verhältnis zur Komik im deutschen Vergleich tatsächlich dahingehend eigen, dass seine mediale Performance auch auf politische Wirksamkeit zielt und somit zeigt, dass die Rechten eben doch nicht unkarikierbar sind? Der Autor und Journalist Matthias Dell widmet sich dem Phänomen Böhmermann und macht deutlich, dass dieser durchaus Entertainment-Qualitäten hat, die mit denjenigen von US-amerikanischen TV-Größen wie Jon Stewart und John Oliver vergleichbar sind, ohne dabei das spezifisch Deutsche seiner Sendung zu leugnen.

Als Jan Böhmermann Anfang November 2020 zum ersten Mal das Publikum seiner neuen Sendung ZDF Magazin Royale begrüßte, bat er den Studiomusiker zu Beginn um „staatstragende Akkorde“, um daraufhin entschlossen folgenden Erklärtext in die Kamera zu sprechen:

„Unerbittlich wird das ZDF-Magazin immer am Freitag nach den schadhaften Stellen unserer Demokratie fahnden. Wir werden unabhängig, entschieden und furchtlos Stellung beziehen – das waren 1969 die ersten Worte von Gerhard Löwenthal, dem Erfinder und meinem Vorgänger im ZDF-Magazin in seiner ersten Sendung. Und in diesem Sinne, in dieser Tradition, das verspreche ich Ihnen, werde ich das ZDF Magazin Royale fortführen. Nur mit schlechteren Punchlines, ab und zu zeige ich meinen nackten Arsch, und wir haben am Freitagabend ein Orchester – das Rundfunktanzorchester Ehrenfeld.“

Diese Aussage Böhmermanns bringt auf den Punkt, worin die Fernseharbeit des aktuell wohl besten deutschen Satirikers besteht: in der Travestie eines politischen Magazins. Die Bezüge zu Löwenthals ZDF-Magazin begleiten Böhmermanns Sendung schon von Beginn an. Im ersten Intro zur Vorgängershow Neo Magazin Royale (2013) wurde bereits die Titelmelodie der Sendung von 1969 zitiert, auf die nach Umwegen über andere Klassiker aus dem ZDF (etwa den Soundtrack der Krimiserie Ein Fall für zwei) im Vorspann zur neuen Sendung nun wieder angespielt wird. [1]

Dahinter steckt mehr als die bloße Begeisterung für Retro-Ästhetiken eines Fernsehens, mit dem Böhmermann selbst noch groß geworden ist (bzw. mit den Erzählungen über dieses Fernsehen, in dem Harald Schmidt groß geworden ist), also das Dunkel, die Aschenbecher, die klobigen Mikro­fone, die Böhmermanns gemeinsame Talkshow mit Charlotte Roche prägten (2012). Böhmermann ist nicht nur die Brückenfigur, die sich einerseits für die Anekdoten der Frank-Elstner-Generation interessiert (und das Personal kennt, von dem da die Rede ist) und andererseits Social Media versteht und schon deshalb dauernd alle Fernsehpreise gewinnen muss. Böhmermann ist, anders etwa als Joko & Klaas, ein dezidiert politischer Fernsehmensch, weswegen die Bezeichnung Satiriker noch immer treffend ist. Seine Version eines Magazins im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist das, was man sich unter öffentlich-rechtlichem Fernsehen vorstellen sollte: den sinnvollen Einsatz von Geld zur Produktion einer Informationssendung, die überdies unterhaltsam ist.

Als die ARD sich den späten Harald Schmidt mit seiner Late Night Show im Spätherbst ihrer Popularität ins Programm holte, war das der Zukauf von Prominenz, die man selbst einst hervorgebracht und dann dem Privatfernsehen überlassen hatte. Nichts an Schmidt war politisch, oder das Politische bei Schmidt kam höchstens in einem Sinne vor, den AfD-Mann Peter Bystron im Prolog zum ersten ZDF Magazin Royale lobte: Hier wurden vorauseilend gute Wünsche zur Sendung von denen gesammelt, die ihr nichts abgewinnen können, und der ungemein humorlos wirkende Bystron bezeichnete Schmidt, durchaus konsequent, als jemanden, der rechts sei und lustig. Dass Bystron sich für Böhmermann nicht interessiert, weil der „links“ sei, zeigt, wie klug der ironische Bezug auf das ZDF-Magazin Löwenthals funktioniert. Denn Böhmermann will damit keineswegs einem Vorbild huldigen. Löwenthal war ein Scharfmacher, kein Aufklärer, die Kontrastfigur zu Karl-Eduard von Schnitzler im DDR-Fernsehen: ein Propagandist im Kalten Krieg, der trotz seiner Verfolgung als Jude im Nationalsozialismus über einen tief sitzenden Antikommunismus in neurechten Netzwerken seine Bestimmung fand – die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit verleiht seit 15 Jahren einen nach Löwenthal benannten Journalist*innenpreis. Böhmermanns Hinweis auf Löwenthal führt also einerseits zu einer Vorgänger-Figur, die das strategische Gejammer über die vermeintliche Linksversiffung schon gelebt hat, als Alexander Gauland noch Protegé des hessischen CDU-Politikers Walter Wallmann war. Andererseits funktioniert der Rekurs auf Löwenthal als Antidot zum kalkulierten AfD-Vorwurf in Gestalt von Bystron – zuerst war im ZDF die Rechtsversiffung. Mindestens.

Wie geschickt sich Böhmermanns Sendung gegenüber den von rechts angezettelten Kulturkämpfen verhalten kann, zeigt das Remake des Umweltsau-Hits des WDR-Kinderchors: Meine Oma 2.0. Das Original wurde am Jahresende 2019 durch Agitation von rechts zum Skandal hochgejazzt – und weil diese organisierte Empörung auf schlecht informierte oder rückgratlose Ministerpräsidenten (Armin Laschet) und WDR-Intendanten (Tom Buhrow) traf, bewirkte sie ernsthaft eine Entschuldigung für die mittellustige Parodie eines mittellustigen Kinderliedklassikers (Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad).

„Last Week Tonight with John Oliver“, 2020, Filmstill

„Last Week Tonight with John Oliver“, 2020, Filmstill

Wenn im ZDF Magazin Royale ein Jahr später nun ein WDR-Kinderchor singt: „Meine Oma weiß, es gibt gar kein Corona, Corona, Corona“, dann wird damit nicht das mittellustige Kinderlied von der Oma im Hühnerstall satirisch aufgeladen. Der Clip dient vielmehr dazu, den Skandal selbst zum Gegenstand kritischer Überhöhung zu machen. Durch einen Liedtext, der genüsslich in dem Wort- und Zeichenapparat badet, der das Jahr über zur Verfügung gestellt wurde von den Leute, die Corona leugnen. Die kindische Beschwerde über das Umweltsau-Lied ließ sich an einem Wort wie „Umweltsau“ krampfhaft festmachen. Diese Form vorgenommenen Beleidigtseins durch Menschen, deren Praxis nicht selten die drastische Beleidigung anderer ist, läuft in der Böhmermann-Version vor die Wand – Meine Oma 2.0 besteht aus reiner Beschreibung. Die nimmt bisweilen das ,Querdenker‘-Vokabular auf („Meine Oma ist kein Schlafschaf“ … „hat auf Telegram ne Gruppe, ne Gruppe, ne Gruppe“) und affirmiert den Text noch durch Choreografie, wenn die strahlenden Kindergesichter die Zeile „Meine Oma feiert Après-Ski in Ischgl, in Ischgl, in Ischgl“ mit bouncendem Party-Arm unterstützen. Lustig ist das auch, weil die kindliche Begeisterung des Mitmachens zugleich ungelenke Schönheit produziert, die von einem onkelig-grinsenden Böhmermann-Auftritt mit Ivan-Rebroff-Gedächtnisbass beschlossen wird („Meine Oma liegt seit vorgestern im Koma, im Koma, im Koma“).

So rückt das kluge Cover Böhmermanns, das, auch musikalisch deutlich ambitionierter als das Umweltsau-Arrangement, das Ganze noch mit Last Christmas-Geklingel überzuckert, die Verhältnisse wieder zurecht: Es inszeniert mit breitem Grinsen eine völlig künstliche Unschuld, die dem tatsächlich unschuldigen Umweltsau-Lied durch das Sich-blöd-Stellen von rechts genommen wurde. Zugleich kann aber aus voller Überzeugung gegrinst werden – so die etwas älteren Kinder, vor allem aber Böhmermann selbst –, weil Meine Oma 2.0 das Problem mit dem Skandal nach rechts zurückschickt. Dort sind die Menschen dies­-mal wirklich verletzt, weil sie sich von der Anordnung, die sich über sie lustig macht, verarscht fühlen – sie können das aber selbst mit größtem Doof-Getue nicht beweisen. Die Gerhard-­­­­Löwen­thal-­Ehrenpreisträgerin Vera Lengsfeld verbreitete in ihrer selbst eingestandenen Hilflosigkeit („eigentlich wollte ich mich … nicht äußern“) eine hilflose Programmbeschwerde („kann gern als Anregung benutzt werden“), bei der man im dritten Absatz schon nicht mehr weiß, wo hinten und vorn bzw. was das Problem ist.

In solchen Clips zeigt sich die Brillanz, die sich mit der medialen Performance von ­Böhmermann verbindet: eine Satire zu parodieren, um einerseits in den medial betriebenen politischen Auseinandersetzungen Gerechtigkeit herzustellen und andererseits zu zeigen, wie jämmerlich die Reaktionen von Laschet und Buhrow vor einem Jahr gewesen sind. Meine Oma 2.0 demonstriert so nicht nur, wie man Satire heute richtig macht (also schon eingedenk jener potenziellen Verdrehungen, die von rechts herbeigebrüllt werden könnten), sondern führt performativ auch die Idee ad absurdum, dass man sich für das Umweltsau-Lied entschuldigen müsste – weil sich für Meine Oma 2.0. ja niemand entschuldigen muss mangels sich bietender Angriffsfläche.

Böhmermann und sein ZDF Magazin Royale wären ohne die US-amerikanischen Vorbilder von Jon Stewart über Trevor Noah und John Oliver nicht denkbar als Umbau der Late-Night-Show-Idee zum unterhaltsamen Aufklärungsjournalismus: dass also ein keineswegs neuer Missstand (Humboldt Forum, VW-Vergangenheit, ,Querdenken‘-Abgezocke) vom am Schreibtisch sitzenden Host mit Bezügen zu journalistischen Texten durcherzählt wird – im Modus eines Influencers fürs Seriöse, dekoriert und unterhaltsam gemacht durch die Abschweifung in Meme-Kulturen des Netzes. Spezifisch für Böhmermanns satirische Strategie dabei ist aber, dass es ihm nicht allein darum geht, den jeweiligen Gegenstand seiner kritischen Beschäftigung besser zu verpacken, als die Spiegel-Recherche das mit ihren manchmal lahmen Investigativgesten tut, auch wenn die den Missstand womöglich entdeckt hat – die parodistische Verlinkung der Raubkunst des Humboldt Forums mit dem durch den Remmo-Clan gestohlenen „Sachsenschatz“ in der Show ist so einfach wie grandios und trotzdem etwas, auf das Magazinjournalismus nicht kommen würde. Die Böhmermann-Sendung konstelliert ihre Inhalte darüber hinaus so ungemein präzise, dass sie performative Wirksamkeit entfalten.

Wie im Falle von Meine Oma 2.0. Oder wie in der ersten Folge des ZDF Magazin Royale. Dieser ging ein launiges Verschwörungssprech-Geunke voraus, das leicht erkennbar den Weg des Schlagersängers Michael Wendler in den Irrsinn nachstellte: vermeintliches Stilllegen aller zivilen Social-Media-Aktivitäten, um mit lautem Raunen im Telegram-Kanal die Wiedergeburt als verblendeter Durchblicker zu feiern. Der Gag schien müde, mündete aber in einem großen Aufschlag. Böhmermanns Aktivitäten auf dem Messengerdienst Telegram begnügten sich eben nicht damit, sich über einen Schlagersänger lustig zu machen, der sich in die Echokammern von Verschwörungserzählungen begeben hatte. Stattdessen zielten die Posts mit den genretypischen Ausrufezeichen und Großbuchstaben final auf die Hoffnung, den einen oder die andere in der Vernunftferne auf Telegram doch wieder zu erreichen mit den Inhalten, die der Sendungsbeitrag dann performte. Die bescheuerte Verschwörungserzählung auf der Spur des Wendlers wurde von Böhmermann beim Stichwort Bill Gates übergeblendet in eine gar nicht verschwörerische, sondern politisch-­ökonomische Elitenkritik – das, worüber medial in Wahrheit zu wenig gesprochen wird, ist: ökonomische Ungleichheit.

Zu diesem Schluss gelangt nicht, wer mit „Rechten reden“ oder „die Sorgen der Bürger“ ernst nehmen will – oder wie die Floskeln heißen von Leuten, die glauben, dass sich Hass verflüchtigt, wenn man ihm Raum gibt. Auf Ungleichheit als Grund eines Problems stößt vielmehr, wer nach den schadhaften Stellen in unserer Demokratie fahndet.

Anmerkungen

[1]Ein Zusammenschnitt aller Intros inklusive der historischen Referenz findet sich auf Youtube: tinyurl.com/y26twqra.