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Ryan Mangione

„STILL ILL?“

„Against Nature“ (Arnold Fern), Los Angeles Contemporary Exhibitions, 1989, installation view / Ausstellungsansicht

„Against Nature“ (Arnold Fern), Los Angeles Contemporary Exhibitions, 1989, installation view / Ausstellungsansicht

Nicht nur in der akademischen Geschichtsschreibung hat AIDS-Aktivismus inzwischen einen festen Platz, auch große Ausstellungshäuser widmen den künstlerischen Protagonist*innen der AIDS-Krisenkultur regelmäßig große Retrospektiven, sei es in New York oder in Berlin. Diese Entwicklungen nimmt Ryan ­Mangione zusammen mit den aktuellen Debatten zum Wert der Repräsentation in den Blick und stellt fest, dass beide nach historischem Realismus streben. Politischer Wert bemisst sich dabei am Grad der buchstäblichen Ausdrücklichkeit, gerade auch bei der Darstellung von homoerotischem Begehren. Einen Gegenentwurf dazu entwickelt Mangione aus der Ausstellungsgeschichte von „Against Nature“ (1989), die die Repräsentations­logiken von Theoretikern wie Douglas Crimp unterlief.

Um einen umstrittenen Homosexuellen zu zitieren: „stop me if you think that you’ve heard this one before.“ AIDS ist zurück. Ich möchte nicht melodramatisch klingen – es hat uns nie verlassen. Allerdings braucht es keinen geschulten Blick, um zu erkennen, dass sich im Laufe des letzten Jahrzehnts ein Wandel vollzogen hat, insbesondere in Bezug auf die Stellung, die die AIDS-Krisenkultur in den Debatten über den Wert „politisch engagierter“ Kunst einnimmt. Ein bisschen Einordnung muss sein: Ich verwende den Begriff AIDS-Krisenkultur oder einfach Krisenkultur, [1] um mich auf den sichtbaren Höhepunkt der Epidemie in den USA zu beziehen (etwa 1987–1996; „sichtbar“ aufgrund der gesammelten Energie unzähliger Aktivist*innen, Künstler*innen und Kulturtheoretiker*innen). AIDS ist nicht vorbei, und keine einfache lineare Periodisierung könnte der zeitlichen Komplexität jemals gerecht werden. In den letzten Jahren hat praktisch jedes größere Museum in den USA, das etwas auf sich hält, einigen Künstler*innen der Krisenkultur eine umfassende Retrospektive gewidmet. Die Verlagsbranche scheint in einem nicht enden wollenden Wettlauf festzustecken, vergriffene Texte aus dieser Ära wieder auszugraben (ist ein Kunstbuchverlag überhaupt gut, wenn er keinen Titel von David Wojnarowicz in seinem Sortiment hat?). Die AIDS-Geschichtsschreibung ist inzwischen eine eigene akademische Disziplin. Ursprünglich verstand sich AIDS-Aktivismus als kultureller Kampf, der das Schweigen der Mainstream-Institutionen durchbrechen wollte, als einen Kampf, der durch exzessive Selbstdarstellung ausgefochten werden sollte. Die Gegenwart erweckt den Eindruck eines läuternden Hangovers: Eine immer noch pochende militante Aggression hat ihre Plattform auf Kosten eines klaren Ziels gefunden.

Eine gewisse Angst hinsichtlich des Werts der Repräsentation hat sich breitgemacht. In dem Maße, in dem schwulen Männern während des Höhepunkts der Krise ein gewisses Maß an Mainstream-Sichtbarkeit zugestanden wurde, nahm diese Repräsentation fast ausnahmslos die Form von entsexualisierten Bildern von vom Virus gezeichneten, ausgemergelten Körpern an – eine gefühlsduselige Anspielung auf die Vorstellung, dass solche Männer nur dann das Mitgefühl eines breiten Publikums erregen können, wenn sie jegliche Hoffnung darauf verloren haben, ihren sexuellen Impulsen nachgehen zu können. Angesichts derartiger trostloser Zustände griffen viele, vor allem männliche, AIDS-Aktivist*innen auf eine reaktive Theorie der homoerotischen Repräsentation zurück, in der die Darstellung von nackten schwulen Männern als sexuelle Wesen als eine Form radikaler politischer Aktion verstanden wurde. [2] Im Kontext der Krisenkultur ist es leicht nachvollziehbar, dass die wörtliche Repräsentation von Homoerotik eine gewisse anti-­institutionelle Bedeutung innezuhaben scheint: Wenn Institutionen sich weigern, die bloße Existenz deiner Subjektivität anzuerkennen, bietet die Selbstdarstellung ein griffbereites Werkzeug, um den tödlichen institutionellen Zugriff auf das kollektive Bewusstsein umzukehren.

Heutzutage scheinen Kulturinstitutionen im Großen und Ganzen wenig Probleme damit zu haben, AIDS anzuerkennen. Wenn überhaupt, sind wir Zeug*innen eines ungewöhnlich großen Hungers nach (sprich: finanziellen Interesses an) kultureller Programmgestaltung, die die politische Geschichte des AIDS-Aktivismus würdigt – Veranstaltungen, die sehr oft durch eine vage, auf wiederkehrenden Textbausteinen basierende Aneinanderreihung von Begriffen zu Themenkomplexen wie „queere ancestry“, „Erinnerung“, „Widerstand“, „Trauer“ gerechtfertigt werden. Dabei stößt man auf ein Paradox: Uns wird beigebracht, die Reproduktion der Krisenkultur in unserer Gegenwart als etwas zu verstehen, das gerade deshalb politisch wertvoll ist, weil es die Wahrheit über eine ungeschminkte Form des historischen Realismus ausdrückt – eine Wahrheit, die den aktivistisch-beschönigenden persönlichen Geschmack der liberalen Moral zutiefst beleidigt. Allerdings sind es oft gerade die Institutionen, die mit solchen Idealen liberaler Moral, bürgerlicher Vornehmheit und postaufklärerischem Humanismus assoziiert werden, die genau diese Argumente in Bezug auf AIDS und dessen Darstellung vortragen.

Gran Fury, „Let The Record Show“, 1987

Gran Fury, „Let The Record Show“, 1987

Dieser Beitrag ist ein Versuch, eine bislang relativ wenig untersuchte Verschiebung in der populären Einordnung der Beziehung zwischen künstlerischen Darstellungen des Begehrens  – insbesondere des „homosexuellen“ Verlangens – und politischem Handeln zu analysieren: eine Veränderung, so möchte ich behaupten, die AIDS-Aktivismus und die ihn begleitenden Kulturtheoretiker*innen zu unfreiwilligen Kompliz*innen hat werden lassen. Unser Verständnis von der sozialen Funktion der Darstellung des Begehrens ist auf einen bestimmten Punkt reduziert worden: Die wortwörtliche Darstellung ist, vielleicht ironischerweise, zu einer Metapher für die Beurteilung des grundlegenden Wertes eines Kunstwerks geworden, insbesondere da es auf der Basis eines Nullsummen-Spektrums von politisch rückschrittlichen (falschen) bis hin zu politisch radikalen (korrekten) Ausdrucksformen existieren soll. Das Ideal einer nie zu Ende gehenden Revolution – einer immerwährenden Krise, die den Luxus passiverer, dekadenter oder analytischer Betrachtungen des Begehrens immer wieder aufschiebt – subsumiert die Repräsentation, wodurch sie jegliche Überlegungen darüber über Bord wirft, was sexuell aufgeladenes Material über eine eng gefasste Vorstellung von politischer Bewusstseinsbildung hinaus gesellschaftlich zu leisten imstande sein könnte. Potenziell spannende Begriffe wie „Künstlichkeit“, „Ironie“, „Abscheu“ und „Täuschung“ werden außer Acht gelassen, um eine direkte Verbindung zwischen einer wortwörtlichen Interpretation des dargestellten Inhalts einerseits und einer universellen politischen Plattitüde andererseits zu konstruieren, von der angenommen wird, dass sie sich direkt unter der Oberfläche verbirgt.

Der Großteil der kritischen Schriften, die in den letzten Jahren zur Geschichte von AIDS veröffentlicht wurden, hat sich im Wesentlichen diesem wortwörtlichen Denken angeschlossen. Sarah Schulmans Publikation Let the Record Show zum Beispiel stellt eine relativ einfache Behauptung über die Politik der Repräsentation im Zusammenhang mit AIDS auf: Um die Bedeutung einer sozialen Bewegung zu erfassen, müsse man sich auf die gelebte Erfahrung derer stützen, die an der Bewegung selbst teilgenommen haben. „AIDS wurde extrem missinterpretiert und auf eine ganz falsche Weise historisch dargestellt“, [3] so drückt Schulman es unverblümt aus. Verfasst als Antwort auf die, nach Schulmans Ansicht, vorherrschenden Wohlfühl-Metaphern der Mainstream-AIDS-Geschichtsschreibung – den fetischistischen Mythos des heldenhaften schwulen Mannes, das Wohlwollen der Heterosexuellen, die Existenz eines einheitlichen Ansatzes für den AIDS-Aktivismus –, bietet Let the Record Show ein historisches Korrektiv in Form von medial nicht bearbeiteten, unverfälschten Erinnerungen derjenigen, die an der Front waren. Es arrangiert jahrzehntelange Archivrecherchen, Interviews mit ehemaligen ACT-UP-Mitgliedern und persönliche Erinnerungen zu einem dichten Geflecht, das ein kaleidoskopisches Bild des Lebensstils der New Yorker AIDS-Aktivist*innen nachzeichnet. Dem Konzept der akkuraten Darstellung als Stellvertreter*innenkampf in einem umkämpften Bereich von Wahrheiten wird de facto Vorrang eingeräumt. Mein Ziel ist es nicht, die politische Wirksamkeit eines solchen Denkens zu kritisieren. Um zu gewinnen, müssen Militante über solche rhetorischen Mittel verfügen: das negative Bild eines eindeutig erkennbaren Feindes; die Entschlossenheit, schnell und nüchtern zu handeln, und die Überzeugung, dass ihre Erfahrung mehr als nur individuelles Leid bedeutet. Meine Sorge gilt vielmehr dem Punkt, an dem in historischer und kultureller Hinsicht spezifische politische Taktiken zu einem dekontextualisierten Maßstab für die Analyse von Kultur im Allgemeinen werden.

Was erhofft man sich vom Beharren auf einer genauen Darstellung? Ein defensiver Standpunkt kommt mir in den Sinn: Verzerrte Darstellungen von AIDS haben direkt zur unkontrollierten Ausbreitung des Virus und zur hohen Anzahl der Toten beigetragen – im Gegensatz dazu kann eine korrekte Darstellung Leben retten. So weit, so gut. Es gibt jedoch noch eine zweite, aktivere Behauptung, die hier zum Tragen kommt. Indem argumentiert wird, dass Repräsentation nur dann wertvoll ist, wenn sie die politischen Realitäten der eigenen Lebenserfahrung akkurat abbildet, wird stillschweigend behauptet, dass Subjektivität eng verbunden ist mit den politischen Geschichten und Ideologien, die ihr eine lesbare Form geben. Dabei handelt es sich um ein radikal positives Bild von Existenz: Es gibt keine grundsätzlichen Negationen oder Ausschlüsse, die der subjektiven Erfahrung jenseits der politischen Repräsentation zugrunde liegen, sondern nur gesellschaftlich erzeugte Grade der Erhellung und Verschleierung, die es bestimmten Artikulationen der Existenz erlauben zu leuchten, während andere im Schatten verharren. Dieses Bild der Subjektivität hat seine Wurzeln im Glauben: Es stützt sich auf die Überzeugung, dass es eine mögliche Welt gibt, in der alle Aspekte der gelebten Erfahrung ohne politische Hindernisse gedeihen können, in der alle Subjektivitäten zu einem harmonischen Ganzen werden. Eine solche Sichtweise hält an der merkwürdigen Überzeugung fest, dass die eigene Subjektivität nicht nur fortbestehen, sondern sich sogar zu einer größeren Version ihrer selbst entwickeln würde, wenn die politischen Repressionen, die ihr Form geben, wegfielen – während Homosexualität zum Beispiel nur in ihrer Abweichung von den heterosexuellen Sitten lesbar ist, würde die Zerstörung dieser Moralvorstellungen paradoxerweise die Bedingungen, die es der Homosexualität überhaupt erst ermöglichen, sich zu artikulieren, eher verbessern als vernichten. Dabei handelt es sich um eine messianische Vision: eine theologische Metapher der endgültigen Erlösung, einer aufgeschobenen Zukunft, in der wir endlich zu uns selbst werden, und zwar so, wie wir bereits existieren. Diese Art des Denkens ist für Projekte wie das von Schulman von grundlegender Bedeutung: Gesellschaftlicher Wandel, schreibt sie, hänge von der nicht erzwungenen Ankunft des richtigen „Zeitgeistes“ [4] ab – ein Wort, das bequemerweise alles und damit auch gar nichts bedeuten kann. Die Aufgabe des radikalen Intellektualismus in der Übergangszeit zwischen dem einen und dem anderen Zeitgeist, so Schulman, bestehe darin, die Realität so zu archivieren, wie sie tatsächlich stattgefunden hat, und die politische Wahrheit unserer gemeinsamen Geschichte offenzulegen. Wenn der Moment gekommen ist, diese Geschichte endlich lesbar zu machen, werde die vollständige Wahrheit ganz natürlich ans Tageslicht kommen und der falschen Totalität der Mainstreamkultur eine bösartige Artikulation unseres wahren Selbst aufzwingen.

Kevin Wolff, „Hanged Man“, 1986

Kevin Wolff, „Hanged Man“, 1986

Die Wurzeln eines solchen Denkens lassen sich teilweise bis zu den Kulturtheorien zurückverfolgen, die von einigen prominenten AIDS-Aktivist*innen selbst vertreten werden. Gestattet mir einen kurzen historischen Abstecher: Im Januar 1989 wurde eine Ausstellung mit dem Titel „Against Nature: A Group Show of Work by Homosexual Men“ in der Los Angeles Contemporary Exhibitions (LACE) eröffnet. Die von dem jungen Dennis Cooper und dem noch jüngeren Richard Hawkins kuratierte Schau versammelte neue Werke von unter anderen Gary Indiana, Nayland Blake, Vaginal Davis, Kevin Killian und Peter Christopherson von Coil/Throbbing Gristle/Psychic TV. Ursprünglich von Joy Silverman, der Direktorin von LACE, als Solidaritätsbekundung mit dem AIDS-Aktivismus konzipiert, war die eigentliche Ausstellung wesentlich melancholischer, vermied jeden eindeutigen Bezug zum AIDS-Aktivismus und konzentrierte sich stattdessen auf Arbeiten, die eine „Respektlosigkeit gegenüber den kulturellen und moralischen Standards, die von und für Heterosexuelle(n) auferlegt werden, und eine Verehrung des Körpers des Mannes und ein Verlangen nach ihm, verbunden mit der Angst vor diesem, zum Ausdruck brachten“. [5] Cooper erinnert sich: „Im Kontext von ‚Against Nature‘ war Homosexualität wie ein Auftrag, und zwar auf eine seltsame Art und Weise. So ähnlich wie: ‚Okay, wir haben dieses Problem gefunden, und wir wollen es bekämpfen.‘ Es ging also vor allem darum, schwul zu sein – wir haben natürlich absichtlich ‚homosexuell‘ gesagt.“ [6]

Einer direkten Analyse der Ausstellungsthemen am nächsten kam Hawkins’ einleitender Aufsatz im Katalog, der als kurze Interpretation von J. K. Huysmans’ dekadentem Roman Against Nature (deutsch: Gegen den Strich) strukturiert ist, von dem sich der Titel der Show ableitete:

„Die Präsentation der unappetitlichen Details einer Krankheit in einem anderen als ihrem eigenen Kontext löst bei denjenigen, die mit Verlust/Krankheit vertraut sind, ein Gefühl der erhabenen Erlösung aus. […] Sie löst nicht unbedingt Vergnügen aus, sondern präsentiert das, was die Erniedrigung nicht ist, während sie sich immer noch auf das, was erbärmlich ist, selbst bezieht und es enthält […] wodurch die Angst durch Distanzierung in Ironie verwandelt wird.“ [7]

Obwohl es in den Materialien zur Ausstellung nur selten direkt erwähnt wird, waren homoerotische Darstellungen im Überfluss vorhanden: Boyd ­McDonald schwärmte von den Beulen in den Hosen von Hollywood-Schauspielern, Kevin Wolff malte Bilder von nackten Boys, die an Unterwäsche schnüffeln und an Seilen hängen, die an ihren Knöcheln befestigt sind, und Dennis Cooper erfand kurze Geschichten von an AIDS erkrankten Teenagern, die in Bartoiletten von einer Gruppe vergewaltigt werden.

In ironischer Abgrenzung zu Huysmans’ Text, dessen Erzähler danach strebt, die Trivialität des Alltags zu überwinden, indem er sich dem uneingeschränkten Vergnügen einer Existenz eines zurückgezogenen Ästheten hingibt, betrachteten viele der in „Against Nature“ versammelten Werke die Lust als etwas, das bemerkenswert widersprüchlich ist: weder rein individuell noch eindeutig kollektiv, weder politisch bedeutsam noch spirituell erhaben, weder vollständig kontrollierbar noch außerhalb unserer Reichweite. In seinem Beitrag zum Katalog der Ausstellung schrieb Kevin Killian: „Ich war 1969 in New York und hatte in der Nacht der Stonewall-Unruhen schrecklich schlechten Sex.“ [8] Damit präsentierte er Homoerotik zwar außerhalb des Kontextes von politischem Aktivismus, verweigerte ihr aber gleichzeitig auch jede Art von transzendenter Großartigkeit. Tony Greenes Beitrag auf der Rückseite des Katalogs, der einen maskierten Pestarzt und die Worte „silence equals death“ (Schweigen bedeutet Tod) in strahlend weißer Schrift zeigt, erzeugte eine sich gegenseitig entkräftende Dialektik, indem er die überholte Mystik der Abbildung von Pest durch die Einbeziehung eines zeitgenössischen politischen Slogans untergrub, während er gleichzeitig dem abstumpfenden ACT-UP-Slogan einen Hauch von konspirativer Esoterik verlieh.

Title story on / Titelgeschichte zu „Against Nature“

Title story on / Titelgeschichte zu „Against Nature“

In der gesamten Ausstellung erschien Homoerotik vor allem als Mittel, sich wichtigeren Themen wie Angst, Paranoia, Isolation und natürlich Geilheit zu widmen – nicht aber der Homosexualität selbst. Es war keine einheitliche Vision zu erkennen, sondern eher ein fieberhaftes, widersprüchliches Geben und Nehmen zwischen konkurrierenden Ebenen der Realität. „AIDS“, so Cooper im Katalog der Ausstellung, „hat den Tod ruiniert.“ [9] Die Eliminierung einer eindeutigen Abgrenzung zwischen der entsubjektivierenden Freude an sexueller Lust einerseits und der sehr realen Möglichkeit des eigenen Ablebens andererseits machte es unmöglich, Lust mit irgendeinem Gefühl von Großartigkeit oder Wagemut in Verbindung zu bringen.

Im Gegensatz zur militanten Theorie der Lust von Autoren wie Douglas Crimp, die die homoerotische Repräsentation als Instrument zur Materialisierung und Umsetzung der eigenen politischen Subjektivität betrachten, ist die Vision des Homoerotismus, die in „Against Nature“ präsentiert wurde, von unüberwindbarer Konfusion und Ambivalenz geprägt: Lust bietet weder die Aussicht auf Selbsterkenntnis noch die Möglichkeit einer politischen Atempause. Künstlichkeit, Delirium und Entfremdung sind allgegenwärtig: Ein anarchischer Verdacht, dass die Welt niemals den eigenen Fantasien entsprechen wird, macht sich breit. Dennoch sorgt die anhaltende Bekundung von Sehnsucht, Begehren und Anziehung angesichts dieser Unmöglichkeit dafür, dass ein Großteil der Werke außerhalb des Bereichs reiner ästhetischer Kontemplation zu positionieren ist – so wie es an politischem Wagemut mangelte, mangelte es auch an einer Huysmans-würdigen spirituellen Transzendenz. Diese Homos sind hilflos auf die Welt, wie sie ist, zurückgeworfen. Ihnen fehlt der Glaube an die Vorstellung von einer endgültigen Einheit zwischen individueller Lust und kollektiver Erfahrung, und trotzdem jagen sie der Fantasie einer solchen Einheit nach. Weit davon entfernt, von der Gesellschaft entkoppelt zu sein, befasst sich eine solche Ausdrucksform mit den Bedingungen unserer Existenz aus einer Perspektive, die über den Bereich der Politik hinausgeht: Das Fortbestehen einer liebevollen Bindung an die Welt wird zu einem wütenden Nachweis der grundsätzlichen Unzulänglichkeit der Welt, dem gerecht zu werden, was sie sein sollte. Eine solche Sichtweise der Welt lehnt messianisches Denken ab: Sie akzeptiert eine gewisse unvermeidliche Negativität, die der subjektiven Erfahrung innewohnt. Dennoch entscheidet sie sich, lieber an den zum Scheitern verurteilten Freuden von Künstlichkeit und ewiger Sehnsucht festzuhalten, anstatt zu versuchen, eine solche Negativität zu überwinden.

Doch ich greife vor. Die Ausstellung „Against Nature“ war schon umstritten, bevor sie überhaupt eröffnet wurde. Das weitverbreitete Gerücht, es handele sich um eine „Anti-ACT-UP“-Ausstellung – eine Behauptung, die von keinen Teilnehmer*innen der Ausstellung, von denen mehrere selbst ACT-UP-Mitglieder waren, jemals aufgestellt wurde –, brachte Cooper und Co. schnell den Hohn der lokalen und nationalen Kunstkritiker*innen ein. In einer Rezension von LA Weekly hieß es spöttisch:

„[Cooper und Hawkins] wollen die überschwängliche dionysische Erotik von einst wiederherstellen, allerdings indem sie jede Spur von AIDS ausblenden: kein Wort über die fieberhaft geführten Debatten über Gesundheit oder über den Krieg des Establishments gegen die schwule Community – dafür aber viele GQ-Torsos … Diese Art von Reaktion unterstützt nur die Gegenseite.“ [10]

Queer Nation brachte die Empörung von der Zeitschriftenseite auf die Straße und veranstaltete am Eröffnungsabend der Ausstellung ein Die-in. Während der Laufzeit der Ausstellung gaben Cooper und Hawkins keinen öffentlichen Kommentar ab, allerdings legten sie ihre Haltung einige Jahre später in einem Memo dar (es ist nicht bekannt, in welchem Umfang dieses veröffentlicht wurde), in dem sie schrieben: „Tief verwurzelt in ‚Against Nature‘ war eine Reaktion auf den zeitgenössischen kunstfeindlichen Aktivismus, der von Kritiker*innen wie Douglas Crimp verkündet wurde und der in einer Art ‚legt eure Pinsel nieder; dies ist ein Krieg‘-Vorstellung verankert war.“ [11] Cooper und Hawkins lehnten Crimps Beharren darauf ab, dass Kunst „vermeintlich nüchterne Fakten und unbestreitbare Wahrheiten“ beinhalten solle – eine Position, die sie so interpretierten, dass jegliche „schwule“ Kunst, die solchen Idealen nicht gerecht wird, als grundsätzlich „feindlich, uninteressiert und ohne gesellschaftliche Bedeutung bzw. Tragweite“ abgelehnt wird. [12]

Gran Fury, „Art Is Not Enough“, 1988

Gran Fury, „Art Is Not Enough“, 1988

Crimp war der schärfste Kritiker von „Against Nature“. In dem Essay „Good Ol‘ Bad Boys“ warf er der Ausstellung vor, durch die wiederholte Verwendung des Begriffs „homosexuell“ in den Pressematerialien (im Gegensatz zu „schwul“ oder, was noch verwirrender ist, „Schwuchtel“) eine pervers-kindische Form der politischen Unkorrektheit zu präsentieren – eine Entscheidung, die Crimp den Eskapaden einiger rachsüchtiger Gören ankreidete, die nach der Macht in der Kunstwelt streben würden. Es ist wichtig anzumerken, dass Crimp keinerlei Kommentar zu den ausgestellten Werken abgab. Sein Hauptkritikpunkt an der Verwendung des Begriffs „homosexuell“ war, dass er ein falsches Bild von schwuler Identität als einem festen, grundsätzlichen Zustand suggeriere, im Gegensatz zu einem politisch konstruierten – und daher anfechtbaren – Konzept. In dem Beitrag, den man angesichts des scharfen kritischen Intellekts von Crimp mit Fug und Recht als einen bewussten Akt von Dummheit bezeichnen könnte, schrieb er:

„Die Kuratoren von ,Against Nature‘ liefern keine Argumente für ihre Positionen. Daher bleibt uns nur die Vermutung, dass die Bezeichnung der Ausstellung als ‚eine Schau von homosexuellen Männern‘ lediglich ein Mittel ist, die Weigerung zu bekunden, politisch korrekt zu sein. […] Die Kuratoren lehnten eine öffentliche Diskussion über die Ausstellung entschieden ab, ebenso wie sie sich weigerten, im Katalog eine klare Position zu beziehen.“ [13]

Nach Crimps Einschätzung hat „Against Nature“, insofern als es der Ausstellung misslang – oder, was wahrscheinlicher ist, sie sich weigerte –, eine klare politische Position zu beziehen, es versäumt, sich selbst einer direkten, wörtlichen Interpretation ihrer Auseinandersetzung mit Homoerotik zuzuwenden, indem sie ein weiteres Stöckchen auf den „Schwuchtel“-Stapel voller dekadenter, „anti-aktivistischer“ Fiktionen warf, die den wahren Sachverhalt in Bezug auf AIDS verschleiern.

Es war nicht das erste Mal, dass Crimp eine solch entschlossene Haltung gegenüber dem Zusammenspiel von Ästhetik und Macht zum Ausdruck brachte: Wie er es 1987 formulierte, „hat Kunst die Macht, Leben zu retten, und gerade diese Macht muss auf jede erdenkliche Weise anerkannt, gefördert und unterstützt werden. […] Wir brauchen kulturelle Praktiken, die aktiv am Kampf gegen AIDS teilnehmen.“ [14] Auch wenn Crimps Schriften über AIDS schließlich einen dauerhaften Keil zwischen ihn und seine Redaktionskolleg*innen bei October trieben, ist es hilfreich, seine theoretische Position als eine Erweiterung derselben Foucault’schen Theorie zu verstehen, zu deren Verbreitung im Rahmen der Kunstkritik auf den Seiten der genannten Zeitschrift er ursprünglich einen großen Beitrag geleistet hatte. In Aufsätzen wie „The End of Painting“ hatte er bereits eine Vorstellung vom Verhältnis zwischen Repräsentation und Macht entwickelt, die alle Formen der Subjektivität als inhärent nicht festgelegt interpretierte und damit als untrennbar von den wissensbildenden Systemen, die ihnen eine lesbare Form geben. Dies brachte er deutlich in seiner Einleitung zur October-Ausgabe „AIDS: Cultural Analysis/Cultural Activism“ zum Ausdruck: „AIDS existiert nicht losgelöst von den Praktiken, die es konzeptualisieren, repräsentieren und darauf reagieren.“ [15]

Im Kontext eines solchen theoretischen Rahmens trägt jede Repräsentation eine ausgeprägte politische Dimension in sich, entweder indem sie die Realitäten der direkt von AIDS Betroffenen bekräftigt oder die Aufmerksamkeit aktiv von der Sache ablenkt. Crimps Glaube an die Möglichkeit, die unterdrückerischen Strukturen seiner Zeit zu überwinden, trug, wenn auch unabsichtlich, bereits die Spur eines messianischen Denkens in sich. Um zwischen schädlichen und emanzipatorischen Darstellungen von AIDS zu unterscheiden, muss man zunächst an die grundsätzliche Möglichkeit einer besseren Welt glauben: Jeder Äußerung wird ein sozialer Wert zugeordnet, je nachdem, inwieweit sie uns näher an eine zukünftige Möglichkeit bringt oder von ihr entfernt, eine Zukunft, in der wir in der Lage wären, die Wahrheit unserer subjektiven Erfahrung frei zu artikulieren und zu verkörpern, ohne Hindernisse oder Fehldeutungen. Die Entfremdung wird an die Oberfläche der materiellen Realität gezerrt und nimmt die konkrete Form politischer Feinde an. Die subjektive Negation verliert jede existenzialistische bzw. ontologische Grundlage und wird auf die anhaltende Wirkung eines kulturellen Kampfes reduziert, bei dem es darum geht, wer oder was das Monopol über die Darstellung der Realität besitzt.

Crimps dekonstruktivistisches Grundgerüst fand seine Entsprechung in der Ausbreitung von AIDS selbst. AIDS war, wie Paula Treichler es ausdrückte, eine Epidemie der Bedeutung, die erste wirklich „postmoderne“ Krankheit. [16] Ihre Verbreitung enthüllte eine fragmentierte, rhizomatische Vision des homosexuellen Kontakts, die den Straßenstricher mit dem Geschäftsmann an der Wall Street, dem verheirateten Anwalt aus New Jersey und dem Tänzer in der Innenstadt verband. AIDS zerstörte nicht nur jegliche liberale Illusion von einer inhärenten moralischen oder kulturellen Kohärenz der Homoerotik, sondern lieferte gleichzeitig überzeugendes Beweismaterial für die dekonstruktivistischen Theorien, die in den eher intellektuell orientierten Fraktionen der AIDS-Aktivist*innen immer mehr Anklang fanden. Wenn die Schriften von Theoretiker*innen wie Crimp einen vorläufigen Rahmen für das Verständnis der politischen Bedeutung von Repräsentation während dieser Zeit lieferten, dann setzten die dezentralisierten, in puncto Multimedia versierten Taktiken des AIDS-Aktivismus diese Theorie in die Praxis um, indem sie eine neue Vision der politischen Aktion als lebendige Verkörperung der postmodernen Fragmentierung entwarfen. Crimp wiederum kodifizierte den theoretischen Rahmen, der der Ästhetik der AIDS-Aktivist*innen zugrunde liegt, in Texten wie AIDS Demographics, wobei er sich direkt auf die auf gesellschaftlicher Praxis basierende Arbeit von Kollektiven wie Gran Fury stützte, um eine Theorie der Beziehung zwischen der Repräsentation von Aktivist*innen und der Beeinflussung von gesellschaftlichem Wandel zu entwickeln. Während der zeitliche Kontext die zufälligen Bedingungen schuf, die notwendig waren, damit sowohl Crimps Kulturtheorie als auch die Praktiken der AIDS-Aktivist*innen unabhängig voneinander entstehen konnten, erhielten besagte Theorie und Praxis nicht nur ihre jeweiligen Rechtfertigungen, sondern auch ihre grundlegenden Mittel der Selbstartikulation. Dadurch wurde ein sich gegenseitig verstärkender Einklang von Analyse und Aktion hervorgebracht, der sich unter dem Alibi einer zwanglosen, sich selbst rechtfertigenden Reaktion auf die Krisenkultur isolierte.

„Against Nature“ (Nayland Blake), Los Angeles Contemporary Exhibitions, 1989, installation view / Ausstellungsansicht

„Against Nature“ (Nayland Blake), Los Angeles Contemporary Exhibitions, 1989, installation view / Ausstellungsansicht

Diese Verlagerung war keineswegs auf den lokalen Streit zwischen Crimp und „Against Nature“ oder auf das Thema des homosexuellen Körpers beschränkt. Andere Ausstellungen waren einer vergleichbaren Kritik ausgesetzt, wie zum Beispiel eine Gruppenausstellung in New York mit dem Titel „Erotophobia“ (Simon Watson Gallery, 1989) – ein Name, der eine ähnlich explizite Angst vor bzw. vielleicht auch eine verwirrte Vernarrtheit in Lust und den sexualisierten Körper in sich trägt. In ihrer Rezension für Artforum schrieb Catherine Liu: „Männliche Homosexualität war sicherlich das am stärksten vertretene sexuelle Thema. Allerdings war es die Proliferation von Penissen, die den Eindruck erweckte, dass es in dieser Ausstellung letztlich einzig und allein um Schwänze ging.“ [17] (Im Gegensatz zu „Against Nature“ beschränkte sich „Erotophobia“ nicht ausschließlich darauf, Arbeiten von schwulen Männern zu zeigen.) Umgekehrt wurden andere Ausstellungen, wie die von Nan Goldin kuratierte „Witnesses: Against Our Vanishing“ im Artists Space im Jahr 1989 (die gleiche Jahreszahl könnte zum Entstehen von Verschwörungstheorien beitragen), zu einem wichtigen Thema. „Witnesses“ wurde unter AIDS-Aktivist*innen zu einem Aufsehen erregenden Fall und nicht zuletzt deshalb so bekannt, weil die NEA (National Education Association of the United States) beschloss, die Finanzierung vorübergehend einzustellen, weil sie einen Katalogbeitrag von David Wojnarowicz als besonders anstößig (sprich: „politisch“ im Gegensatz zu „künstlerisch“) erachtete, in dem er Kardinal Joseph O’Connor (einen führenden Vertreter bei den Bemühungen der katholischen Kirche, tödliche Falschinformationen über die Ausbreitung von HIV zu streuen) als „verfluchten fetten Kannibalen“ bezeichnete. [18]

Das Aufsehen, das „Witnesses“ erregte, beruhte zum Teil auf der Leichtigkeit, mit der die Ausstellung die gesellschaftliche Dynamik sichtbar machte, die dem Verständnis des AIDS-Aktivismus von der Politik der Repräsentation zugrunde liegt: Da Wojnarowicz ein HIV-positiver schwuler Mann war, stellte seine Selbstpräsentation an sich schon eine inhärente politische Geste dar. Die Zurechtweisung durch die NEA bestätigte mehr, was viele bereits wussten, als dass sie es verkomplizierte: Darstellungen schwulen Lebens, die einen engen, vorher festgelegten Rahmen akzeptabler Beschränkungen sprengen, stellen einen direkten, greifbaren Affront gegen das Gleichgewicht der institutionellen Macht dar. Anstatt zu argumentieren, dass Wojnarowiczs Arbeit im Wesentlichen künstlerisch zu verstehen sei, haben die meisten Kritiker*innen der NEA nicht nur die Vorstellung bekräftigt, dass Wojnarowiczs Arbeit grundsätzlich politisch sei, sondern auch behauptet, dass es die ethische Pflicht aller, die sich für die Beendigung der AIDS-Krise einsetzen, sei, dafür zu kämpfen, dass solche politischen Ausdrucksformen gedeihen können. Wojnarowicz jedenfalls verabscheute diesen neu gewonnenen Ruhm: In einem Interview mit Sylvère Lotringer schilderte er: „Was wirklich frustrierend an dem war, wie Artists Space mit mir umging, war, dass sie so reagierten, als ob das, was ich gesagt hatte oder was ich verkörperte, unglaublich radikal wäre.“ [19] Im selben Interview stellt Wojnarowicz ausdrücklich eine Verbindung zwischen seiner Arbeit und „Against Nature“ her:

„Dennis Cooper wurde von irgendeinem aktivistischen Philosophen [man kann davon ausgehen, dass er Crimp meint] angegriffen, wegen dem, was er schreibt, und wegen einer Ausstellung, die er in Kalifornien zusammengestellt hat und die ‚Against Nature‘ heißt. Soweit ich das sehe, ist er einer der politischsten Schriftsteller und in der Lage, die Grundstimmung dieses Landes einzufangen.“ [20]

Es ist nicht schwer zu erkennen, wie eine Praxis des selektiven Lesens Gestalt annahm. Subjektive Äußerungen wurden ihrer Komplexität beraubt und auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einer miteinander geteilten homosexuellen Identität reduziert: Es spielte keine Rolle, dass sich Wojnarowicz auf die Seite von „Against Nature“ schlug, denn im Gegensatz zu Cooper hat sich sein Werk (unabsichtlich) einer Art verdrehter politischer Interpretation zugänglich gemacht: Kontext und Sensibilität werden zu einem einheitlichen analytischen Rahmen verkürzt, der in der Lage ist, klare Unterscheidungen zwischen „guten“ und „schlechten“ Formen sexueller Repräsentation auf der Grundlage ihres Nutzwerts für eine sich ständig verfestigende Einheit von Theorie und Praxis zu treffen.

Exhibition catalogue / Ausstellungskatalog

Exhibition catalogue / Ausstellungskatalog

In ihren Bemühungen, dem theologischen Moralismus der Kulturindustrie entgegenzutreten, wählten die AIDS-Aktivist*innen eine Strategie des Todes durch tausend kleine Stiche: Sie setzten eine endlose Litanei fragmentarischer Darstellungen und persönlicher Mythologien frei, die jede Legitimität der Vorstellung von einer einzigen Wahrheit über AIDS auslöschte. Auf diese Weise haben sie vielleicht unbeabsichtigt eine eigene Gegentheologie errichtet. Um Kohärenz zu erlangen – das primäre strategische Ziel aller Bewegungen –, erfordert jeder zielgerichtete Schritt in Richtung repräsentativer Inklusion, egal wie weit diese gefasst wird, immer noch das negative Bild dessen, was ausgeschlossen wird. Der AIDS-Aktivismus setzte dem eine Theologie der unendlich weit reichenden politischen Stimme entgegen: Jede Selbstdarstellung, sofern sie in eine buchstäbliche Beziehung zu einer politischen Praxis gesetzt werden konnte, trug die Verantwortung für die Artikulation einer neuen Welt, die um ihre Entstehung kämpfte.

Es waren nicht diejenigen, die die falsche Politik vertraten, sondern eher diejenigen, die, ähnlich wie Cooper und Co., keine kohärente Politik vertraten, die sich jenseits eines solchen theologischen Rahmens befanden. Vorwürfe der fahrlässigen Respektlosigkeit und Dekadenz – diese altbekannten schwulenfeindlichen Tropen – verschwanden nicht unter dem neuen Glauben, sondern fanden vielmehr eine neue Heimat in Darstellungen des Begehrens, die als barock, rauschhaft, respektlos oder in puncto Analyse zu passiv abgetan werden konnten. Der kulturelle Kampf des AIDS-Aktivismus, der als Versuch begann, die todbringenden Metaphern der Mainstream-Berichterstattung durch eine wortwörtliche Richtigstellung der Aufzeichnungen zu bekämpfen, wurde seinerseits zu einer weiteren, nicht wörtlichen Metapher abstrahiert. Vor dem Hintergrund des Scheiterns des Mai 68, eine dauerhafte Kulturrevolution herbeizuführen, schrieb Guy Hocquenghem:

„Wir verlieren hoffnungslos, wenn wir uns von revolutionären Vorurteilen erpressen lassen und den kleinsten gemeinsamen Nenner akzeptieren: revolutionäre Politik als phallischer Höhepunkt aller lokalen Organisierung. Diese universelle Währung macht alle Strategien austauschbar. Dieser ständige Kompromiss zwischen ideologischen Imperialismen verfestigt die revolutionäre Seite, wie das Gold die bürgerliche, wo wir die Kräfte beider Seiten zählen, messen und vergleichen können.“ [21]

Es besteht kaum Bedarf, solche Ansichten anzupassen, um sie auf die heutige Zeit zu münzen: Genau dieses vorauseilende Ideal der universellen Übersetzbarkeit, der allgemeinen Reduzierung des subjektiven Ausdrucks auf den kleinsten Nenner politischer Lesbarkeit, macht die nachhaltige Auswirkung der AIDS-Kulturanalyse aus – nicht auf das basisorientierte Organisieren an sich, sondern auf unsere Fähigkeit, Repräsentation als etwas anderes als einen metaphorischen Stellvertreter für Basisorganisation zu konzipieren.

Was ist also zu tun? Es ist zwingend notwendig, dem Ersetzen einer Metapher durch ihre natürliche Antithese keinesfalls uneingeschränktes Vertrauen zu schenken: Diese Taktik bietet zwar Katharsis durch momentane Klarheit der Vision und Überzeugung, kann aber auf lange Sicht nie zu mehr führen als zur Fortsetzung einer unwirksamen, sich selbst verschlingenden antizipatorischen Kritik. Vielleicht ist es an der Zeit, jene vorzeitig aufgegebenen Ideale der Künstlichkeit, der Melancholie und der Unmöglichkeit wieder aufzugreifen, wie sie in Beispielen wie in „Against Nature“ zum Ausdruck kamen – nicht als selbstmörderischer bzw. defätistischer Ausdruck von Zynismus, sondern vielmehr als formale Anerkennung dessen, dass alle Bewegungen scheitern, dass alle Bewegungen der Metapher und Allegorie weichen müssen. Mit solchen Äußerungen wird eine dritte Position in Bezug auf die Darstellung von Lust abgesteckt; eine Position, die sich weder in den Bereich der antisozialen künstlerischen Transzendenz noch in den Bereich des nackten politischen Nutzwerts einordnen lässt. Allerdings scheint es unwahrscheinlich, dass ein solches binäres Denken in Bezug auf die Repräsentation von AIDS und Homoerotik bald seinen Zugriff auf das Mainstream-Bewusstsein lockern wird. Wenn wir uns jedoch gestatten, diese Fantasielosigkeit als das zu erkennen, was sie ist, können wir uns auch erlauben, sie einfach als business as usual zu ignorieren, das heißt, sie als etwas zu betrachten, für das es sich nicht lohnt, viel Energie aufzubringen. Dieser vorübergehende Seelenfrieden könnte uns die Zeit verschaffen, uns vorzustellen, wie ein expansiverer, neuer Ansatz zur Darstellung in unserer Gegenwart aussehen könnte. Nicht etwa ein Ansatz, der davon träumt, die Fehler der Vergangenheit zu verdrängen oder aufzudecken, sondern einer, der darauf abzielt, die Vorrangstellung, die der universellen Übersetzbarkeit bzw. der Bewaffnung der subjektiven Repräsentation eingeräumt wird, zu untergraben; ein Ansatz, der sich der Erwartung entzieht, irgendetwas von dauerhaftem Wert in Bezug auf Identität, Politik oder die düsteren Realitäten des Lebens zu sagen; ein Ansatz, der sein absurdes, fantasievolles Wesen als Nebenprodukt der Negativität betrachtet, die aller Subjektivität zugrunde liegt, und der daher versucht, diese Negativität bzw. dieses Scheitern klar zu kommunizieren und mit dem größtmöglichen Maß an Idiosynkrasie auszudrücken.

Ryan Mangione ist ein in New York lebender Autor und Redakteur von November.

Übersetzung: Uli Nickel

Image credits: 1. Courtesy of Richard Hawkins, Los Angeles Contemporary Exhibitions (LACE) Records, and Getty Research Institute, scan David Evans Frantz; 2. Gran Fury / public domain; 3. Courtesy of the Estate of Kevin Wolff and LACE; 4. Courtesy of Richard Hawkins, LACE Records, and Getty Research Institute, scan David Evans Frantz; 5. Gran Fury / public domain; 6. Courtesy of Richard Hawkins, LACE Records, and Getty Research Institute, scan David Evans Frantz; 7. Courtesy of Richard Hawkins and LACE Records

Anmerkungen

[1]Alexandra Juhasz/Theodore Kerr, We Are Having This Conversation Now: The Times of AIDS Cultural Production, Raleigh, NC: Duke University Press, 2022.
[2]Douglas Crimp, „How to Have Promiscuity in an Epidemic“, in: Melancholia and Moralism: Essays on AIDS and Queer Politics, Cambridge, Mass.: MIT Press, 2002, S. 64.
[3]Sarah Schulman, Let the Record Show: A Political History of ACT UP New York, 1987–1993, New York: Farrar, Straus and Giroux, 2021, S. XX.
[4]Ebd., S. XVIII.
[5]Dennis Cooper/Richard Hawkins, „About Against Nature“, in: Against Nature, Ausst.-Katalog, hg. von Dens., Los Angeles: Los Angeles Contemporary Exhibitions, 1989, S. 4.
[6]Dennis Cooper, „Dennis Cooper in Conversation with Ryan Mangione“, November Magazine, Februar 2022.
[7]Richard Hawkins, „Notations Toward Deciphering Elements of Illness and Loss Through J. K. Huysman’s [sic] Against Nature“, in: Cooper/Hawkins: S. 7–9.
[8]Kevin Killian, „Cherry“, in: Ebd. S. 20–23.
[9]Dennis Cooper, „Dear Secret Diary“, in: Ebd., S. 5f.
[10]Jan Breslauer, „Nature Morte“, in: LA Weekly, 20. Januar 1989.
[11]Dennis Cooper/Richard Hawkins, „1994 Letter on Against Nature“ (Oktober 1994), Box 5, Mappe 132, MSS.085, Unterlagen von Dennis Cooper, Fales Library and Special Collections, Elmer Holmes Bobst Library, New York, NY.
[12]Ebd.
[13]Douglas Crimp, „Good Ol‘ Bad Boys“, in: Ders., S. 112. Der Aufsatz ist zunächst als Konferenzbeitrag erschienen, eingereicht im März 1989 an der Ohio State University.
[14]Ders., „Cultural Analysis/Cultural Activism“, in: Ebd., S. 32f.
[15]Ders., „Introduction“, in: October, 43, 1987, Themenausgabe „AIDS: Cultural Analysis/Cultural Activism“, S. 3.
[16]Paula A. Treichler, How to Have Theory in an Epidemic, Raleigh, NC: Duke University Press, 1999.
[17]Catherine Liu, „Erotophobia“, in: Artforum, 2, 1989, S. 176f.
[18]David Wojnarowicz, „Postcards From America: X-Rays From Hell“, in: Ausstellungsbroschüre, „Witnesses: Against Our Vanishing“, New York: Artists Space, 1989.
[19]Ders., interviewt von Sylvère Lotringer, in: David ­Wojnarowicz: A Definitive History of Five or Six Years on the Lower East Side, hg. von Giancarlo Ambrosino, Los Angeles: Semiotext(e), 2006.
[20]Ebd.
[21]Guy Hocquenghem, „Volutions“, in: Gay Liberation After May ’68, ins Englische übersetzt von Scott Branson, Raleigh, NC: Duke University Press, 2022, S. 7.