Cookie Warnung
Für statistische Zwecke und um bestmögliche Funktionalität zu bieten, speichert diese Website Cookies auf Ihrem Gerät. Das Speichern von Cookies kann in den Browser-Einstellungen deaktiviert werden. Wenn Sie die Website weiter nutzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Akzeptieren

27

Amber Jamilla Musser

ZWANG ODER EXZESS?

Gian Lorenzo Bernini, „The Ecstasy of Saint Teresa / Die Verzückung der heiligen Teresa“, 1645–52

Gian Lorenzo Bernini, „The Ecstasy of Saint Teresa / Die Verzückung der heiligen Teresa“, 1645–52

Mit ihrem Konzept der „brown jouissance“ reagiert Amber Jamilla Musser auf die 1987 von Hortense Spillers mit „pornotroping“ beschriebenen Unterdrückungsmechanismen, die Schwarze Menschen ihrer Subjektivität berauben und sie zu Objekten sexueller Verfügungsgewalt machen. Auch „brown jouissance“ entstehe durch diese Strukturen – doch gehe sie darüber hinaus und wende sich Formen der Lust zu, die sich aufgrund von intendierten Verunklarungen nicht im gleichen Maße unterwerfen lassen. Anschließend an die theoretische Herleitung ihrer Analysebegriffe, für die sie sich auch auf Jacques Lacan und Sigmund Freud bezieht, zeigt Musser das emanzipatorische Potenzial ihres Denkens anhand von Beispielen aus der zeitgenössischen Kunst und Kultur.

In Gian Lorenzo Berninis Verzückung der heiligen Teresa (1647–1652) ist Teresa von Ávila mit geschlossenen Augen und zurückgeworfenem Kopf mitten in Ekstase festgehalten, ihr zugewandt richtet ein Engel seinen Speer auf sie. Ihr Gewand ist zu üppigen Faltenwürfen drapiert, die Szene wird durch ein Buntglasfenster mit Licht erfüllt, und von der Decke fällt eine Kaskade skulpturaler goldener Strahlen herab. Das Werk wurde im Januar 1647 von Kardinal Federico Cornaro zu Ehren Teresas, die 1622 heiliggesprochen worden war, in Auftrag gegeben. Im Rückgriff auf eine Passage ihrer Autobiografie, in der sie in ausnehmend sinnlichen Details die Ekstase der Vermählung ihrer Seele mit Gott beschreibt, übersetzt Bernini Teresas Entrückung in Stein. Vor allem der luxuriöse Marmor verleiht der Mischung aus Lust und Schmerz, die Bernini ihren Gesichtszügen mit dem Meißel einschrieb, besonderen Tiefgang. In ihrer Erzählung verbindet Teresa das Überwältigende ihrer Erfahrung mit der Präsenz Gottes und verortet sie jenseits des Körperlichen im Bereich des Seelischen:

„Der Schmerz war so stark, daß er mich diese Klagen ausstoßen ließ, aber zugleich ist die Zärtlichkeit, die dieser ungemein große Schmerz bei mir auslöst, so überwältigend, daß noch nicht einmal der Wunsch hochkommt, er möge vergehen, noch daß sich die Seele mit weniger als Gott begnügt. Es ist dies kein leiblicher, sondern ein geistiger Schmerz, auch wenn der Leib durchaus Anteil daran hat, und sogar ziemlich viel. Es ist eine so zärtliche Liebkosung, die sich hier zwischen der Seele und Gott ereignet […].“ [1]

Der Psychoanalytiker Jacques Lacan konzentriert sich hingegen nicht auf die religiösen Aspekte ihrer Entrückung, sondern auf deren körperlichen Charakter; er setzt die von Bernini dargestellte Ekstase mit dem Orgasmus gleich und zieht Die Verzückung der heiligen Teresa bekanntlich heran, um das Genießen [jouissance] der Frau zu beschreiben. Er sagt: „Sie brauchen sich nur in Rom die Statue [der Heiligen Teresa] von Bernini ansehen zu gehen, um sofort zu begreifen, daß sie genießt, da gibt es keinen Zweifel.“ [2] Doch trotz der Gewissheit, mit der Lacan ihren Orgasmus beschreibt, kann er dessen Ursache nicht erkennen: „Und wessen genießt sie?“ [3] Die Unerkennbarkeit ihres Genießens ist für Lacans Konzeption von zentraler Bedeutung, und die Verbindung zum Orgasmus vergrößert den Nimbus, der das Genießen umgibt, vor allem im Zusammenhang mit weiblicher Sexualität (die per definitionem nicht phallisch ist). Das weibliche Genießen an sich soll geheimnisvoll sein. Im Unterschied zum Genießen, das durch die Zerrüttung des Selbst (phallisches Genießen) entsteht, entsteht das weibliche Genießen angeblich durch die Erfüllung des Begehrens des Anderen, das unerkennbar ist, weil es außerhalb der phallischen Ordnung steht; das heißt, dass das Weibliche und das Genießen, das mit dem weiblichen Begehren zusammenhängt, innerhalb der symbolischen Ordnung nicht zu verstehen sind. In seiner Erläuterung des Begriffs schreibt Néstor Braunstein: „Sein Modell ist der Exzess, der Mehrwert, das Supplement des phallischen Genießens, über das viele Frauen sprechen, ohne genau sagen zu können, worin es besteht, wie etwas, das gefühlt wird, aber unerklärlich ist.“ [4] In Lacans Bezugssystem ist das weibliche Genießen unbegreiflich, weil es jenseits des Symbolischen und damit grundsätzlich unbegreiflich und nicht übersetzbar ist – Gefühle, die erlebt, aber nicht erklärt werden können. Diese Unfähigkeit, das Weibliche zu erkennen, steht für Lacan im Zentrum der Sexualität, wie Jacqueline Rose argumentiert, weil das Wissenwollen (und die beständige Unfähigkeit, diesen Wunsch zu erfüllen) den Kern des Begehrens bildet. [5]

Ayana Evans, „She's AT the Mansion“, 2021, Performance

Ayana Evans, „She's AT the Mansion“, 2021, Performance

Luce Irigaray argumentiert in ihrer Kritik an Lacans Auffassung des Weiblichen und des weiblichen Begehrens, dieses Mysteriöse ließe sich zu einem großen Teil der Tatsache zuschreiben, dass sich Lacan nicht mit Teresas Worten, sondern mit Berninis Interpretation beschäftigt, was seinem Versuch eine weitere phallozentrische Ebene hinzufügt. [6] Darüber hinaus gibt Dany Nobus zu bedenken, dass Lacans Konzentration auf das Gesicht als Ort der Lust besonders symp­tomatisch für Lacans verlagerte Interpretation ist, denn dies ist das Einzige, was Teresa nicht beschreiben kann. [7] Nobusʼ Argumentation hinsichtlich der Bedeutung des Gesichts erinnert an die Analysen von Linda Williams und Annamarie Jagose, die sich mit der Unterstellung beschäftigen, dass sich die visuellen Signifikanten des weiblichen Orgasmus im Gesicht und nicht an anderen Stellen des Körpers finden lassen. [8]

Ich möchte Lacans Unsicherheit, was das Begehren des Anderen betrifft, anekdotisch auch der Tatsache zuschreiben, dass er Berninis Skulptur zum ersten Mal 1934 auf seiner Hochzeitsreise sah, als sich die Frischvermählten vielleicht noch mit den Vorlieben der*des jeweils anderen vertraut machten. [9] Doch Lacans Verwirrung findet einen Nachhall in den scheinbar endlosen Untersuchungen zum klitoralen Orgasmus: Erfüllt er einen evolutionären Zweck? Warum existiert er? [10] Wie Irigaray im Hinblick auf Weiblichkeit und weibliches Genießen nahelegt, ist das mangelnde Wissen zum Teil dem Phallozentrismus geschuldet; dieser sei verantwortlich für die Unterfinanzierung der Forschung zu diesem Thema und für das historische Desinteresse eines männlich dominierten Feldes. Rose weist darauf hin, dass die Mystifikation des Genießens erhebliche Konsequenzen für Lacans eigene Auffassung von Sexualität hat – seine Unbegreiflichkeit mache das Begehren möglich, weil es die Unmöglichkeit des Wissens (und damit des Besitzens) veranschauliche. Doch wenn man die Lust theoretisiert, indem man nur den Umrissen ihres möglichen Entstehungsorts nachgeht, bedeutet das auch, dass ihre tatsächliche Präsenz für diese Dynamik nicht nur äußerlich, sondern überflüssig ist.

Zudem unterscheidet sich Lacans unzureichende Beschäftigung mit dem Genießen merklich von Sigmund Freuds Zuwendung zu diesem Thema, vor allem in seinen frühen Arbeiten, in denen er behauptete, dass der Lustgewinn viele menschliche Verhaltensweisen motiviert. Der erste Absatz der Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie von 1905 unterstreicht die zentrale Bedeutung der Lust, indem er sie als Bedürfnis charakterisiert. Freud schreibt:

„Die Tatsache geschlechtlicher Bedürfnisse bei Mensch und Tier drückt man in der Biologie durch die Annahme eines ,Geschlechtstriebes‘ aus. Man folgt dabei der Analogie mit dem Trieb nach Nahrungsaufnahme, dem Hunger. Eine dem Worte ,Hunger‘ entsprechende Bezeichnung fehlt der Volkssprache; die Wissenschaft gebraucht als solche ,L i b i d o.‘ .“ [11]

Lyle Ashton Harris, „Billie #21“, 2002

Lyle Ashton Harris, „Billie #21“, 2002

In einer Fußnote, die einer späteren Ausgabe des Textes hinzugefügt wurde, schlug Freud vor, dass der deutsche Begriff Lust besser als Hunger sein könnte. [12] Dieses Wort steht für Appetit, Begehren oder Vergnügen und konnotiert Bedürfnis, Genuss und Dringlichkeit. Der Begriff vermittelt zugleich den engen Zusammenhang von Sexualität, Leben und Lust im Freud’schen Denken um 1905. Diese zentrale Bedeutung der Lust lässt sich teils auf Freuds Interesse an der frühkindlichen Entwicklung zurückführen. Er erkannte auch Kleinkindern Sexualität zu und konzentrierte sich dabei auf das Lust- und Schmerzempfinden als die beiden Achsen der Untersuchung, die sich aus seiner Sicht auf Kleinkinder übertragen ließen. Da man davon ausging, dass Kinder noch nichts von ihrer Einbindung in ein soziales Bezugssystem wissen, konnte Sexualität nicht auf dieser Grundlage verstanden werden. In dieser Hinsicht wich Freud auch von früheren Theoretiker*innen ab, die in den meisten Perversionen biologische Manifestationen von gebrochenen sozialen Normen sahen. Die kindliche Sexualität ist demnach nicht durch eine soziale Ordnung, sondern durch Lust geprägt, was zur Grundlage von Freuds Sexualtheorie wurde. Allerdings war Freuds Lustbegriff facettenreich – der Lustgewinn durch den Orgasmus unterscheidet sich vom Lustgewinn durch die Nahrungsaufnahme. Entscheidend ist hier, dass Freud beides als Formen der gleichen wünschenswerten emotionalen Erfahrung zusammenfasste. Dieser Auffassung zufolge wird immer nach Lust gestrebt.

Daher frage ich mich, wie im Raum zwischen Freud und Lacan über Lust nachgedacht werden kann: Ist sie irrelevant? Ist sie ein Bedürfnis? Zwischen den Polen von Lacans Theorie des phallischen Genießens als etwas, das die Idee des Selbst zunichtemacht, und Hortense Spillers’ Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie der transatlantische Sklav*innenhandel Schwarzen Menschen ihr Menschsein absprach, entwickle ich den Begriff brown jouissance, der sich innerhalb dieser beiden Pole bewegt. [13] Ich behaupte, dass brown jouissance durch verdinglichende Rassifizierungsprozesse entsteht, jedoch über die Parameter des Verletztseins hinausgeht und sich Intimitäten und Lüsten nähert, die nicht erfasst werden können. [14] Die Parallelen zu Lacans Mysterien des weiblichen Genießens sind offenkundig; wichtig ist allerdings, dass ich den Mystifikationsprozess der brown jouissance als eine Art bewusster Verneblung verstehe, die nichts mit den von Lacan beschriebenen Interpretationsschwierigkeiten zu tun hat, sondern durch Expressivität erzeugt wird.

Ein Beispiel für brown jouissance findet sich in Lyle Ashton Harris’ performativem Selbstporträt als Billie Holiday, Billie #21 (2002), in dem Harris mithilfe von Kleidung, Haltung und chirurgischem Klebeband Holiday nachahmt. In diesem Polaroid ist Harris leicht mit der Sängerin zu verwechseln: Sein Kopf mit dem geöffneten Mund ist in einer ekstatisch aussehenden Geste zurückgeworfen, hinter sein Ohr hat er eine Gardenie gesteckt. Sogar die Art und Weise, wie Harris Freude, Trauer und Würde ausdrückt, wirkt vertraut. Die Fotografie weist auch einen spezifischen Überschuss auf; ich sehe ihn im Flaum des Pelzes, den Harris trägt, und im Glanz, der auf seinen Perlen und Lippen schimmert. Ich bezeichne Harris’ Entrückung angesichts seiner Nähe zu Holiday und sein körperliches Durcharbeiten ihrer Lust als brown jouissance, obwohl dieses Zitat auch Holidays eigene Suchterkrankung und ihr durch Rassismus und Misogynie verursachtes Leid evoziert. [15] Einerseits kann sich die Lust in diesem Szenario verwirrend anfühlen; andererseits verstehen wir vielleicht auch, wie Lust Holiday und Harris als Überlebensmechanismus dient. Die Mischung aus Lust und Schmerz, die Teresa als spirituelle Vereinigung beschreibt, wird hier zu einem Modus, die schwierige Gegenwart durchzuarbeiten. Ist eine solche Praxis wirklich frei gewählt? Können wir diese Lust als notwendig ansehen, selbst wenn sie vielleicht als Überschuss gekennzeichnet ist?

Crystal Pearl Molinary with / mit Jillian Hernandez, „Ill fitted“, 2014

Crystal Pearl Molinary with / mit Jillian Hernandez, „Ill fitted“, 2014

Anhand der Kleidungsstile und Stylings, die Latinx Frauen und Mädchen der Arbeiter*innenklasse in Miami wählen, untersucht Jillian Hernandez in ähnlicher Weise, wie wichtig es ist, den Exzess zu genießen, um dadurch die Politiken der respectability auszuhandeln. [16] Die oberflächlichen Verschönerungen – lange Haare, lange Fingernägel und Push-up-BHs – markieren diese Weiblichkeiten nicht nur nach Race und Klasse, sondern bieten auch Quellen der Lust. Diese Lüste sind multipel. Die Accessoires helfen den Frauen, sich schön zu fühlen, indem sie ihnen ermöglichen, den verdinglichenden gaze, dem sie begegnen, zu besitzen (und um ihn zu werben). Sie signalisieren zugleich, dass durch den Glauben an den eigenen Wert Zeit und Mittel in das Selbst investiert werden. ­Hernandez verbindet diese Formen der Herstellung des Selbst mit Lust, weil sie den zahllosen Formen von Gewalt und Ablehnung, denen diese Frauen gegenüberstehen, ein alternatives Wertesystem entgegensetzen, in dem ihre Wünsche im Vordergrund stehen. Während die Politik der respectability auf dem Versuch beruht, die Lüste der Menschen zu disziplinieren – und die Lust als unerreichbar oder schmutzig erscheinen zu lassen –, zeigt ­Hernandez’ Arbeit, wie die Lust eine ergiebige Ressource bleibt. Lust hat hier nicht nur mit Überleben zu tun, sondern eröffnet auch einen Zugang zu einer anderen Lebensweise, bei der gesellschaftliche Funktion oder Konformität nicht oberste Priorität haben.

All das bringt mich schließlich zu ­Janelle Monáe und dem neusten Album, The Age of Pleasure (2023). Das Album ist auf freudvolle und explizite Weise queer. Die dazugehörigen Videos, wie Lipstick Lover und Water Slide, zeigen Schwarze Menschen vieler Geschlechter beim Tanzen, Essen, Küssen und Schwimmen. Lipstick Lover verwöhnt uns mit glänzenden Körpern, die sich in Badeanzügen winden, mit bemalten Körpern in Stringtangas, Partyszenen, Knutschszenen, kulinarischen Szenen, Sextoys, nassen T-Shirts, knappen Shorts; Monáe leckt an einem Schuh, isst den Schuh, Monáe streichelt und küsst einen tätowierten Arsch, Monáe masturbiert, Monáe in einem Pokémon-Kostüm, Monáe springt in einen Pool. Zu diesen Bildern singt Monáe über eigene Turn-Ons – „I like lipstick on my neck“ – und gibt Anweisungen, um die Lust zu steigern: „Leave a sticky hickey in a place I won’t forget.“ Hier gibt es Lust im Exzess: Anstandsregeln werden in dem Wissen gebrochen, was Lust verschaffen wird, und indem Lust nicht zur Nebensache, sondern zentral wird. Es ist kein Zufall, dass das Video in Monáes Wohnsitz (Wondaland West) in Los Angeles gedreht wurde, woran wir sehen können, dass Lust nicht dargestellt wird, sondern entsteht, während wir zuschauen.

Janelle Monáe, „Lipstick Lover“, 2023, Videostill

Janelle Monáe, „Lipstick Lover“, 2023, Videostill

Hier ist Lust auch eine Weltordnung, und das macht aus meiner Sicht die brown jouissance in Monáes Performance aus. Nicht nur, dass Monáe in eigener Lust schwelgt, diese Lust ist mit der Aufforderung verbunden, das Leben anders zu erleben. Was wir in den Videos sehen, soll kein Supplement, sondern die Hauptsache im Leben sein – nicht als künftige Möglichkeit, sondern als Hier und Jetzt. Omise’eke Tinsley bringt Monáes Hinwendung zur Lust in Zusammenhang damit, dass Monáe kürzlich im Rolling Stone offen über eine diagnostiziere Zwangsstörung (Obsessive-Compulsive Disorder/OCD) sprach. [17] Das Tückische an einer Zwangsstörung besteht laut Tinsley darin, dass sich die Betroffenen mit den zahllosen Möglichkeiten beschäftigen, die es geben könnte, was dazu führt, dass sie eher in der Zukunft als in der Gegenwart leben. [18] Für Monáe geht es bei der Lust jedoch darum, die Gegenwart zu erkunden: „Es ist schön, dass ich ein Album mit dem Titel The Age of Pleasure habe, weil es mir wirklich eine neue Orientierung gibt. Es geht nicht mehr nur um ein Album. Ich habe meine ganze verdammte Lebensweise verändert.“ [19] Ich möchte von Monáe übernehmen, dass es bei dieser Neuorientierung nicht um Bedürfnisse oder Zwänge geht, sondern um eine andere Orientierung in Zeit und Raum. Wenn wir Monáe zuhören – vielleicht so, wie Lacan Teresa nicht zuhörte –, könnten wir womöglich eine ganz neue Episteme entdecken. So schreibt Tinsley:

„Was wäre, wenn wir alle die Kurven und Windungen unseres Denkens so entblößen könnten wie die Liebhaber*innen ihre Ärsche und Titten in ,Lipstick Loverʻ? Was wäre, wenn wir Monáes Reggae-Inspiration ernst nähmen und uns wirklich, wirklich von der mentalen Versklavung emanzipierten – wirklich zuließen, unser Denken zu befreien?“ [20]

Übersetzung: Barbara Hess

Amber Jamilla Musser ist Professorin für Anglistik am CUNY Graduate Center. Ihre Forschungsgebiete liegen an der Schnittstelle von Critical Race Theory, Queer Studies und schwarzem Feminismus. Sie ist Autorin von Sensational Flesh: Race, Power, and Masochism (New York University Press, 2014), Sensual Excess: Queer Femininity and Brown Jouissance (New York University Press, 2018) und Between Shadows and Noise: Sensation, Situatedness, and the Undisciplined (Duke University Press, 2024).

Image credit: 1. Public domain; 2. Courtesy of Ayana Evans, photo Ayana Evans; 3. © Lyle Ashton Harris, courtesy of Salon 94 and David Castillo; 4. Courtesy of Crystal Pearl Molinary and Jilian Hernandez; 5. Courtesy of Janelle Monáe and Atlantic Records

Anmerkungen

[1]Teresa von Ávila, Das Buch meines Lebens, hg., übers. und eingeleit. von Ulrich Dobhan OCD/Elisabeth Peeters OCD, Freiburg/Basel/Wien, 2001, S. 427.
[2]Jacques Lacan hielt 1972/73 zwei Seminare über das Genießen der Frau ab, „Gott und das Genießen der Frau“ und „Une lettre dʼâmour“; siehe Ders., Das Seminar. Buch XX. ­Encore. 1972–1973, Texterstellung durch Jacques-Alain ­Miller, übers. von Norbert Haas/Vreni Haas/Hans-­Joachim Metzger, Weinheim 1986, S. 71–96, hier: S. 83.
[3]Ebd., S. 83.
[4]Néstor A. Braunstein, „Desire and Jouissance in the Teachings of Lacan“, in: The Cambridge Companion to Lacan, hg. von Jean-Michel Rabaté, Cambridge 2006, S. 102–115, hier: S. 111.
[5]Jacqueline Rose, „Introduction“, in: Feminine Sexuality: Jacques Lacan and the École Freudienne, hg. von Juliet Mitchell/Jacqueline Rose, übers. von Jacqueline Rose, New York 1985, S. 27–58.
[6]Luce Irigaray, „Così Fan Tutti“, in: Dies., Ce sexe qui n’en est pas un, Paris 1977, S. 83–101; Dies., „Cosi fan tutti“, in: Das Geschlecht, das nicht eins ist, übers. von Monika und Hans-­Joachim Metzger, Berlin 1979, S. 89–109.
[7]Dany Nobus, „The Sculptural Iconography of Feminine Jouissance: Lacan’s Reading of Bernini’s Saint Teresa in Ecstasy“, in: The Comparatist 39, Oktober 2015, S. 22–46, hier: S. 28.
[8]Linda Williams, Hard Core: Power, Pleasure, and the „Frenzy of the Visible“, Berkeley 1989, und Annamarie Jagose, Orgasmology, Durham 2012.
[9]Élisabeth Roudinesco, Jacques Lacan. Bericht über ein Leben, Geschichte eines Denksystems, übers. von Hans-Dieter Gondek, Köln 1996.
[10]Für einen Überblick über die evolutionären Argumente zum Orgasmus, siehe Elisabeth A. Lloyd, The Case of the Female Orgasm: Bias in the Science of Evolution, Cambridge/ Mass. 2006.
[11]Sigmund Freud, Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, 5., unveränd. Aufl. Leipzig/Wien 1922, S. 1.
[12]Ebd. S. 33.
[13]Zum Begriff brown jouissance siehe ausführlicher Amber Jamilla Musser, Sensual Excess: Queer Femininity and Brown Jouissance, New York 2018.
[14]Ich verwende brown und black, sofern sie sich nicht auf Personen beziehen, in Kleinschreibung, um die verdinglichenden Unterstellungen, die mit diesen Kategorien einhergehen, zu vermeiden.
[15]Für eine eingehendere Interpretation von Harris siehe Musser, Sensual Excess.
[16]Jillian Hernandez, Aesthetics of Excess: The Art and Politics of Black and Latina Embodiment, Durham 2020.
[17]Mankaprr Conteh, „Janelle Monáe Is Back from the Future and Ready to Play“, in: Rolling Stone, 22. Mai 2023.
[18]Es ist eine witzige Koinzidenz, dass die Abkürzung für Teresas Orden, Ordo Carmelitarum Discalceatorum, OCD ist.
[19]Conteh, „Janelle Monáe is Back.“
[20]Omise’eke Tinsley, „Black, Queer and Neurodivergent: Janelle Monáe’s ,Age of Pleasureʻ Dives Into Play, Joy and Creativity“, in: Ms., 22. Juni 2023.