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Flucht zurück nach vorn Felix Prinz über David Maljkovic im Kunstverein Nürnberg

David Maljkovic, „Lost Memories from These Days“, Kunstverein Nürnberg, 2008, Ausstellungsansicht David Maljkovic, „Lost Memories from These Days“, Kunstverein Nürnberg, 2008, Ausstellungsansicht

Nachdem bereits im Kunstverein in Hamburg im Herbst 2007 sowie während der diesjährigen 5. berlin biennale Arbeiten von David Maljkovic präsentiert wurden, zeigt nun der Kunstverein Nürnberg – Albrecht Dürer Gesellschaft eine Einzelausstellung des kroatischen Künstlers. In den Räumlichkeiten des ehemaligen Milchhof-Verwaltungsgebäudes sind im großen Saal zwei Video-arbeiten und in den beiden kleineren Räumen Collagen ausgestellt. Diese zwischen 2005 und 2007 entstandenen Arbeiten haben stets Architekturen der Zagreber Messe aus den 1960er Jahren, insbesondere den dortigen Italienischen Pavillon, zum Gegenstand. Angesichts dieser thematischen Kontinuität, welche die Werke Maljkovics als Teil einer aktuell virulenten Auseinandersetzung mit der Moderne in der konzeptuell orientierten Gegenwartskunst, wie sie etwa auf der documenta 12 mehr oder weniger explizit thematisiert wurde, erscheinen lässt, stellt sich die Frage, wie der Künstler mit seinen historischen Referenzen umgeht und wie er sich zu den in ihnen aufscheinenden Ideologien und Utopien verhält. Die Zagreber Messe wurde 1956 eröffnet, der von Giuseppe Sambito entworfene Italienische Pavillon hingegen erst 1961 vollendet. Bereits 1957 wurde damit begonnen, in ihrem Umkreis den modernen Stadtteil Novi Zagreb zu errichten, der entsprechend der „Charte d’Athènes“ [1] konzipiert wurde. Die dort geforderte Funktionstrennung aufgreifend kann auch die Architektur der Messe als Fortführung von Ideen der Moderne, wie sie in der Charta von Athen formuliert wurden, verstanden werden, und darüber hinaus steht sie auch für die Begegnung zweier wirtschaftlicher, politischer und kultureller Systeme, denn während des Kalten Krieges kam es hier zu einer Annäherung zwischen dem kommunistischen Jugoslawien und dem kapitalistischen Westen, da, dem Konzept einer Weltausstellung folgend, auch westliche Nationen wie z.B. Italien zur Präsentation in eigenen Länderpavillons eingeladen wurden. Während die Zagreber Messe, auch auf Grund ihrer vom Stadtzentrum entfernten Lage, heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist, ist Novi Zagreb vielen dort Aufgewachsenen, heute 30- bis 40-Jährigen, sehr gut in Erinnerung. [2] In Maljkovi´cs Video „These Days“ (2005) sitzt eine Gruppe 30-Jähriger, in und um zwei Kleinwagen im Italienischen Pavillon, der sich durch geometrische Betonstützen auszeichnet. Zwischen den Bewegungen ihrer Münder und dem englischsprachigen Text, der von Wohlbefinden und Zukunftsplänen handelt, ist eine Differenz erkennbar, da dieser als akustische Lernhilfe verlangsamt eingespielt ist. Das Erlernen der englischen Sprache sowie die ebenso optimis-tischen wie Klischee beladenen Aussagen selbst scheinen hier für das Bemühen um eine Eingliederung in die westliche Kultur zu stehen. Diese Sehnsucht einer Generation ist dem Zagreber Kuratorinnenkollektiv WHW zufolge das Thema der Arbeiten Maljkovics. [3] Der Künstler selbst äußert in einem Interview mit Natasa Ilic, dass seine Werke von „Müdigkeit“ und der „Vorstellung dessen, was potentiell sein könnte“, handeln. Das vom Künstler formulierte Interesse an den Möglichkeiten der Zukunft, die er als „Offenheit“ und „Ausflucht“ bezeichnet, aber nicht auf einen konkreten gesellschaftlichen Wandel bezieht, kommentiert indirekt zugleich den Italienischen Pavillon. [4] Die Situation der frühen sechziger Jahre wird bei Maljkovic so zu einer Allegorie für die Gegenwart: Beide Situationen beherrscht die noch uneingelöste Sehnsucht nach einer weiteren Öffnung des Landes hin zum Westen. Mittels dieses Vergleichs erfährt auch der Italienische Pavillon eine neue Deutung, indem die sechziger Jahre nämlich als der heutigen vergleichbare Übergangs- und Aufbruchszeit gezeigt werden. Diese Parallelisierung von Vergangenheit und Gegenwart verdeckt jedoch gravierende Unterschiede zwischen einer staatlich arrangierten Begegnung zwischen dem kapitalistischen Westen und dem kommunistischen Jugoslawien Titos und einer Übergangssituation von der Nachkriegszeit des Balkans zu einer EU-Mitgliedschaft Kroatiens – diese geopolitischen Differenzen werden nicht thematisiert, sondern im Modus der melancholischen Apathie nivelliert, so dass Maljkovics Verfahren eher suggestiv denn analytisch und historisierend zu nennen ist. In einem zweiten Film mit dem Titel „Lost Memories from These Days“ (2006) erscheint abermals der Italienische Pavillon. An verschiedenen neuen Autos, denen durch nahezu kristalline Stützkonstruktionen an den Rädern die Möglichkeit der Bewegung genommen ist, lehnen junge Frauen wie Hostessen in einer Automobil-ausstellung. Maljkovic selbst beschreibt als Ausgangspunkt dieses Filmes im bereits erwähnten Interview das Foto eines Automobilsalons aus den 1960er Jahren. [5] Er arbeitet also mit einem Reenactment, ändert die Vorlage in der Wiederholung aber dahingehend, dass Hostessen und Bremsen hinzugefügt sind. Herausgestellt wird so eine erstarrte Situation, in der buchstäblicher Fortschritt verhindert ist. Maljkovi´cs Bilder für die aktuelle gesellschaftliche Situation in Kroatien bedienen sich nicht eines Dokumentarismus, um die Nationalismen, die Kriegsfolgen und kapitalistische Neuordnung der Ökonomie sichtbar zu machen. Vielmehr abstrahiert er von dieser Gegenwart mittels eines nur zeichenhaften Bezugs auf die Historie, die für den Aufbruchswillen der 1960er Jahre, das Versprechen einer wirtschaftlichen Prosperität und die Überwindung der Fronten des Kalten Krieges steht. In den zwei kleineren Räumen des Kunstvereins werden Collagen aus den Jahren 2005 bis 2007 gezeigt. Indem historische Ansichten der Zagreber Messe mit aktuellen Fotografien kombiniert werden, greift Maljkovic eine in der Moderne maßgeblich geprägte Montagetechnik auf, deren geometrische Schnittkanten zudem auf den Konstruktivismus verweisen. Maljkovic beschreibt diese Collagen als Entwürfe und Studien zu seinen Filmen. Doch ist der Bezug auf die Innovationen und Utopien der Moderne durch die Doppelung in Collagetechnik und zitierter Architektur derart dominant, dass er in einem Widerspruch zu Maljkovics eigener Aussage steht, wonach er „nicht am Phänomen des Modernismus in Jugoslawien und Kroatien in einem allgemeinen Sinne interessiert“ war. [6] Die Collagen sind auf Gipsplatten gehängt, die an Verstrebungen zwischen Boden und Decke in Hängehöhe die Fenster verstellen. Neben der Referenz auf Ausstellungsarchitekturen der 1950er Jahre ist auch das Material bewusst gewählt, denn Rigips wurde, nachdem es in den USA gegen Ende des 19. Jahrhunderts erfunden wurde, vor allem in der Zeit des Kalten Krieges zu einem beliebten Material des Innenausbaus. [7] Auch die Ausstellungsarchitektur ist wie bereits die von Maljkovic aufgegriffenen Architekturen und Bildtechniken nicht hinsichtlich der Ideologien der Moderne thematisiert: Aussagen hierzu lassen sich nur vermittelt durch die indifferent parallelisierte Gegenwart gewinnen, die sich analog als Übergangssituation zwischen zwei Systemen beschreiben lassen soll – in der die Zukunft heute aber lediglich im Potenzial eines längst vergangenen Aufbruchs imaginiert wird.

„David Maljkovic“, Kunstverein Nürnberg, 19. September bis 16. November 2008.

Anmerkungen

[1]In der auf dem CIAM Kongress 1933 verabschiedeten „Charte d’ Athènes“ wurden Leitlinien für den modernen Städtebau, insbesondere für dessen Funktionalität, festgeschrieben.
[2]„What, How & for Whom (WHW), Waiting Time“, in: A prior: magazine, 17, 2008, S. 17–21, hier: S. 18.
[3]Ebd., S. 19.
[4]„Der leere Raum der Zukunft. Natasˆa Ili´c im Gespräch mit David Maljkovi´c“, in: David Maljkovi´c. Almost Here, Hg. Yilmaz Dziewior, Ausstellungskatalog, Kunstverein in Hamburg, Köln 2007, S. 171–189, hier: S. 179f.
[5]Ebd., S. 180.
[6]Ebd., S. 177. Im selben Interview äußert er auch: „Ich beschäftige mich nicht mit Architektur; das ist zweitrangig.“ Ebd., S. 186.
[7]Vgl. die Darstellung auf der Internetseite des Unternehmens Saint-Gobain Rigips GmbH: www.rigips.de.