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HISTORISCHES BEGEHREN Philip Ursprung über Claes Oldenburg im Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien

„Claes Oldenburg - The Sixties“, mumok, Wien, 2012, Ausstellungsansicht

„Claes Oldenburg - The Sixties“, mumok, Wien, 2012, Ausstellungsansicht

In Andenken an Claes Oldenburg, der vorgestern verstarb, wiederveröffentlichen wir eine Besprechung aus der Ausgabe The Curators von 2012. Unter dem Titel „Claes Oldenburg: The Sixties“ nahm die Ausstellung, die damals im Wiener mumok gezeigt wurde, das Frühwerk des Künstlers in den Blick und trat dazu an, geläufige, allzu eindimensionale Etikettierungen zu konterkarieren. Philip Ursprung rezensierte die Schau mit besonderem Fokus auf Fragen der Kontextualisierung: Gelang es, das Wirken des Künstlers in seinem zeitlichen Zusammenhang nachvollziehbar zu machen? Gaben die einzelnen Werkserien hinlänglich Rückschluss auf ihre Entstehungsbedingungen? Genügten Dokumente und Archivalien zu Oldenburgs Arbeitsprozess, um seine frühen Arbeiten und Beweggründe zu erfassen oder wäre doch der Bezug zum künstlerischen Werk von Zeitgenoss*innen notwendig gewesen?

Die von Achim Hochdörfer im Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien kuratierte Ausstellung „Claes Oldenburg: The Sixties“ bietet zum ersten Mal seit der Bonner Schau „Claes Oldenburg: Eine Anthologie“ (1996) einen umfassenden Überblick über Oldenburgs Œuvre. Mit einem Fokus auf die frühe Phase der künstlerischen Produktion versucht die Präsentation einerseits zu zeigen, dass der Begriff „Pop“ Oldenburgs Werk nicht gerecht wird. Und sie versucht andererseits dem „Klischee“ eines Künstlers, der der Konsumgesellschaft und dem Kunstmarkt allzu „affirmativ“ gegenüberstand, wie es im Katalogvorwort heißt, entgegenzuwirken und Oldenburg als „subversiven“ Künstler darzustellen, der sich für die „mysteriöse Rückseite“ der kapitalistischen Gesellschaft interessiere. Ein Besuch lohnt sich wegen der schieren Menge an selten gezeigten Kunstwerken und Materialien aus dem Archiv. Aber der kuratorische Anspruch, den Begriff des Pop und zugleich das Image von Oldenburg zu revidieren, wird durch die Ausstellung nicht eingelöst. Einerseits ist das Bild des „kritischen“ Künstlers, das die Ausstellung vermitteln will, wiederum ein Klischee, andererseits steht die Loslösung der Kunst von den Produktionsbedingungen, welche die Ausstellung vornimmt, einer kritischen Revision gerade im Weg.

Ohne Frage: Es ist heute schwieriger als noch vor 15 Jahren, eine solche Ausstellung überhaupt zu realisieren. Oldenburg stand Mitte der 1990er Jahre auf dem Höhepunkt seiner Popularität, namentlich dank der monumentalen Skulpturen im Freien. Spätestens nach der Jahrtausendwende sank allerdings die Qualität der „Large Scale Projects“, die er seit den 1980er Jahren gemeinsam mit Coosje van Bruggen realisierte. Die Wirkung von Flying Pins (2000) in Eindhoven, Dropped Cone (2001) auf der Kölner Neumarkt Galerie und Houseball (1996) an der Berliner Mauerstraße ist anekdotisch, ohne aber einen gewichtigen Beitrag zur jüngeren Geschichte von Kunst im öffentlichen Raum zu leisten. Die Werke funktionieren zwar als Orientierungspunkte, aber es fehlt ihnen die Mischung aus Ortsspezifik und Ikonizität, mit welcher Arbeiten wie Lipstick (Ascending) on Caterpillar Tracks (1974) in der Yale University, Flashlight (1981) in der University of Las Vegas, Spitzhacke (1982) in Kassel oder Binoculars (1991) in Venedig ihre Umgebung geprägt und gar eine städtebauliche Ausstrahlung entfaltet hatten.

Mit dem sinkenden Stern des populären Oldenburg drohte auch das Frühwerk in Vergessenheit zu geraten, das mit Ausnahme der Objekte des Store (1961-64) bisher in der Diskussion generell wenig präsent war. Die Wiener Ausstellung fokussiert deshalb zu Recht auf die Environments und die Performances, die zu Beginn der Karriere des Künstlers entstanden sind. Gleich beim Eintreten werden Besucher*innen mit der Filmaufnahme von Snapshots from the City (1961) konfrontiert, Oldenburgs erster Performance. Die Aufnahme zeigt einen Tanz, aufgeführt von Oldenburg in zerfetzten Stoffbahnen, in den Kulissen, welche er später für die Ausstellung „The Street“ verwendete. Lucas Samaras machte die „Schnappschüsse“, indem er während der Performance den Lichtschalter fortwährend an und wieder ausschaltete. Die Projektionen von Snapshots of the City (1961), der Performance Circus (Ironworks/Fotodeath) (1961), Injun (1962) und Necropolis II (1962) sowie eine Diashow mit Aufnahmen von Store Days (1962) und späteren Performances stimmen die Besucher*innen gleich zu Beginn der Ausstellung auf die Thematiken des Voyeurismus und des Fetischismus ein. Die Kamera zeigt, wie die Protagonistinnen sich ausziehen, folgt den Kurven des weiblichen Körpers, erlaubt es, einen kurzen Blick auf Strümpfe, Büstenhalter, High Heels zu erhaschen, zeigt, wie ein Performer einen Gummihandschuh liebkost. Aber die Bilder sind fast immer nur in Ausschnitten sichtbar, für einen Moment, durch die Lücken eines Vorhangs oder der Kulissen.

„Claes Oldenburg - The Sixties“, mumok, Wien, 2012, Ausstellungsansicht

„Claes Oldenburg - The Sixties“, mumok, Wien, 2012, Ausstellungsansicht

Es ist den Kuratoren hoch anzurechnen, dass sie dieses dokumentarische Material nicht, wie bei vergleichbaren Ausstellungen üblich, von den ausgestellten Objekten separieren und ins Begleitprogramm abschieben, sondern ihm ebenbürtigen Raum neben den objekthaften Kunstwerken gewähren. So helfen die filmischen Dokumentationen den Besucher*innen, besser zu verstehen, wie die unmittelbar daneben ausgestellten Pappreliefs damals buchstäblich funktionierten, nämlich zugleich als autonomes Environment wie als Kulisse für die Performance. Weniger gelungen sind allerdings die Präsentationen der Objekte von The Store (1961-64), mit dem Oldenburg der Durchbruch gelang. Es fällt schwer, sich die Atmosphäre dieses Zwitters aus Ladenlokal und Atelier angesichts der mit großem Abstand zueinander platzierten farbigen Gipsreliefs vorzustellen. Außerdem sind die einzelnen Artefakte teilweise so weit von den Besucher*innen weggerückt, dass die zugleich optische und haptische Wirkung, welche die Zeitgenoss*innen faszinierte, nicht erfahrbar ist.

Ebenfalls unklar ist der Umgang mit den Paraphernalia der frühen Projekte. Pseudoinstitutionen sind fester Bestandteil von Oldenburgs Œuvre, vom Store (1961-64) über Ray Gun Wing (1961-77) bis hin zum Mouse Museum (1965-77). Indem die hierzu zirkulierenden Poster mit Vorstudien aus dem Archiv vermischt werden, wird schwer nachvollziehbar, welche Rolle diese Materialien im Zusammenhang mit den Performances spielen.

Der Fokus auf die frühen Performances prägt die Perspektive der Besucher*innen. Es drängt sich nach dem Betrachten dieser Filmsequenzen geradezu auf, die Mitte der 1960er Jahre entstandenen weichen Stoff- und Plastikskulpturen, welche Stecker, Lichtschalter, Lavabos etc. darstellen, als anthropomorphe Darstellungen voller erotischer Konnotationen zu interpretieren. Einige Skizzen mit erotischen Motiven bekräftigen diese Lesart. Auch in den Collagen der „Notebook“-Seiten spielt der Künstler die Assoziationsketten zwischen Körperteilen, Nahrungsmitteln, Mode und Erotik durch, die sich später in den utopischen Denkmalsentwürfen, den Proposed Monuments (1965), wiederfinden. Die Sammlung des bei der documenta 5, 1972, ausgestellten und heute im MuMoK aufbewahrten Mouse Museums (1965-77) schließlich enthält eine Fülle von Materialien zum Thema des Fetisches. Die Skulpturen, Zeichnungen und Collagen handeln fast ausnahmslos davon, wie sexuelles Begehren und das Verlangen nach Konsumobjekten verschwimmen und jedes Artefakt eine Fetischfunktion einnehmen kann.

Wer sich neben kichernden Schulklassen im Halbdunkel den Vitrinen nähert, spielt den Voyeurismus selbst performativ durch. („Dick, dick, dick, dick …“ hörte ich bei meinem Besuch einen englischsprachigen Besucher seiner Begleiterin zumurmeln. Er zählte offensichtlich die Vibratoren, Dildos und phallusähnlichen Souvenirs, wie Türme, Spielzeug und Kugelschreiber, die Oldenburg gesammelt und zusammen mit seinen eigenen Modellen in den Vitrinen angeordnet hatte.) Branden Josephs ausgezeichneter Katalogbeitrag „Psychological Expressionism. Claes Oldenburg’s Theater of Objects“, der auf Oldenburgs Auseinandersetzung mit den Fetischismusstudien von Wilhelm Stekel aus den 1920er Jahren aufbaut, bietet in dieser Hinsicht eine fruchtbare Grundlage für diese Auslegung. Er stützt sich auf aktuelle Gespräche mit Oldenburg und Passagen aus früheren Texten sowie auf die Analyse der Scores und Dokumentation der Performances. Dadurch kann Joseph nachweisen, dass Oldenburg sehr wohl den Fetischcharakter der Waren reflektierte und die Zusammenhänge zwischen dem sexuellen Begehren und den Mechanismen von Werbung und Konsumgesellschaft kritisch beleuchtete.

Die Ausstellung wird ergänzt durch Archivalien des Künstlers. Dazu gehören eine Reihe von Schwarz-Weiß-Fotografien aus dem New York der 1950er und frühen 1960er Jahre, einige Dutzend Dias sowie eine Reihe von „Home-Movies“. Obwohl dieses Material für die Oldenburg-Forschung durchaus interessante Hinweise gibt, etwa zur Umgebung des Store (1961-64) in der heruntergekommenen Lower East Side, sowie dazu, welche Motive dem Künstler auf seinen Reisen ins Auge springen – namentlich Objekte, die seinen eigenen Kunstwerken gleichen, also beispielsweise die aufblasbaren Figuren der New Yorker Thanksgiving-Paraden –, tragen sie im Ganzen nicht dazu bei, das Werk neu zu beleuchten. Wir erfahren nicht, ob und wie solche Bilder Eingang ins Werk erhalten. Und wir erfahren auch nicht, welchen Stellenwert diese Materialien innerhalb des Œuvres einnehmen, also ob es sich dabei um eine Art Ergänzung zu den „Notes“ handelt, ob sie einen Fundus von Motiven bilden und wie umfangreich diese Sammlung ist.

Es drängt sich die Frage auf, warum die Kuratoren die Chance nicht wahrgenommen haben, Oldenburgs Werk tatsächlich in ein neues Licht zu rücken. Indem sie sich ausschließlich auf das Œuvre des Künstlers selbst stützen und dieses lediglich um einige bisher nicht veröffentlichte Dokumente aus dem Atelier ergänzen, indem sie sich nur auf dessen eigene Texte und Aussagen berufen, implizieren sie, dass sein Schaffen zuvorderst aus sich selbst heraus erklärbar ist bzw. es sich aus sich selbst entwickelt hat und dass es der Rezeption bisher mangels Daten oder mangels Fantasie einfach nicht gelungen sei, den „eigentlichen Oldenburg“ hinter der Fassade des angeblichen „Zynikers“ wahrzunehmen. Aber der Anspruch der Revision kann im Rahmen einer monografischen Ausstellung, die sich abgesehen von einigen Vorstudien und Notes sowie den aus dem Zusammenhang gelösten Dias und „Home-Movies“ vor allem auf die Endprodukte beschränkt, gar nicht eingelöst werden. Warum werden beispielsweise die Produktionsbedingungen und Herstellungsprozesse nicht unter die Lupe genommen? Warum wird weder in der Ausstellung noch im Katalog auf die Struktur der Zusammenarbeit eingegangen, die Oldenburg anfangs mit Patty (Oldenburg) Mucha, später mit Hannah Wilke und schließlich mit Coosje van Bruggen durchführte? Oldenburg hatte mit diesen drei Frauen Beziehungen, und es wäre wichtig, den Beitrag seiner Partnerinnen für das Œuvre zu beleuchten, um so auch das Verhältnis zwischen Mann und Frau im Hinblick auf die künstlerische Produktion zu reflektieren. Darüber hinaus gehört es ja gerade auch zur Struktur des performativen Frühwerkes, dass es sich hierbei stets um Kollaborationen gehandelt hat, u.a. mit Kolleg*innen wie Carolee Schneemann, Lucas Samaras, Jim Dine und Allan Kaprow.

Es ist offensichtlich, dass Künstler wie Paul McCarthy oder Jeff Koons Oldenburg viel verdanken. Umgekehrt ist die Rezeption aber auch dank der Präsenz von McCarthys Kunst empfänglich für den Rückblick auf Oldenburgs kaum bekanntes Frühwerk. Man kann die „Sixties“ nicht loslösen von ihrer Rezeptionsgeschichte, also von dem, was die aktuelle Kunst auf diese Phase der sexuellen Befreiung, der künstlerischen Blüte und gesellschaftlicher Dynamik projiziert. Aber warum lässt sich dies in einer Ausstellung nicht artikulieren? Warum ist es so schwer, sich vom Paradigma der monolithischen, heroisierenden Präsentation von Kunst zu lösen? Diese Fragen betreffen nicht nur die Präsentation von Oldenburgs Kunst. Sie gelten ganz allgemein für die Darstellung einer Phase der Kunstgeschichte, bei welcher sich heute die Frage stellt, ob sie zeitgenössisch oder historisch sei, Teil unserer Gegenwart oder Dokument einer vergangenen Epoche.

„Claes Oldenburg – The Sixties“, Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, 4. Februar bis 28. Mai 2012.

Image Credit: Courtesy of Claes Oldenburg and mumok/Rastl, Vienna