Gegen Interpretation Astrid Mania über Andreas Slominski in der Galerie Neu, Berlin
Was bitte soll das sein? Was es ist, als Ding, bedarf keiner Frage. Und dass es sich dabei um ein Kunstwerk handelt, muss an dieser Stelle auch nicht weiter ausgeführt werden. Wir sehen also: ein leuchtend rotes, unbenutztes Plastikmietklo, eine Uriniervorrichtung für den Herrn, einen Toilettensitz, einen Kleiderhaken, ein weißes Kunststoffrohr, eine Verriegelung, einen Toilettenpapierhalter, dessen Papierrollen mit einem Vorhängeschloss gegen unautorisierte Entnahme gesichert sind. Korpus und Innenleben sind getrennt, die Kabine steht entkernt, ausgeweidet, funktionslos da, ihre Komponenten sind mit sicherer Geste, gekonnt lapidar, im Raum verteilt – dem Kleiderhaken gehört eine ganze Wand allein, die seltsam bauchvasig geformte Verriegelung wurde gleich neben einen zersprungenen Lichtschalter (Teil der Galerie, nicht des Kunstwerks) platziert. Ja, das ist keck installiert, und ja, die Formen der einzelnen, pardon, Plastiken treten in den Vordergrund. Und vor allem, ja und nochmals ja, die Anspielung auf Duchamps „Fountain“ ist so evident, dass man beinahe vergisst, sie zu erwähnen.
Nun haben wir es aber mit einer Installation von Andreas Slominski zu tun. Und daher, das haben wir so gelernt, muss es da noch mehr geben. Um das Ganze herum muss sich eine sonderbare Geschichte spinnen, oder vielmehr, vor dem Ganzen muss sie stehen. Schließlich hat Slominski uns gut abgerichtet. Wie ein Tier vor seinem Köder geifern wir nach der Lockspeise, die da Überraschungsmoment heißt. Und an der wir dann, mal länger, mal kürzer, vergnügt herumknabbern. Wenn Slominski gut ist, ist er böse, und vor allem – wahnsinnig. Slominski ist der Meister der Aufwandsabsurditäten, des Irrewerdens am Alltagsobjekt und der Arbeitsüberschussobjekte. Wer sonst käme auf die Idee, in einem Londoner Park eine Mini-Skipiste zu errichten, um aus dem Wachs der Skier eine „Kerze“ (2005) herzustellen? Ein „Tornetz ohne Tor“ (1987) zu zeigen? Sein Publikum und seine Sammler/innen vor Garagentore zu stellen, die sie nicht nur bei einem potenziellen Erwerb beleidigen – etwa, wenn sie „Asshole’s Garage“ (2009) kaufen würden –, sondern auch bedrohen, weil, wer weiß schon, ob der Klappmechanismus hält? Oder trauten wir uns da schon nicht, in den Garagentoren Flachware à la Slominski zu erkennen?
Was Slominski aber, neben manchem anderen, wunderbar auf den Punkt bringt, ist das mitunter aberwitzige dialektische Verhältnis von Form und Inhalt in der Konzeptkunst, die Tatsache, dass gerade dem ästhetisch unscheinbarsten, kargsten Objektlein eine hoch komplexe Theorie oder Narration innewohnen kann – wenn nicht gar übergestülpt oder aufgezwungen wird. Das Vergnügen, das Slominskis Produktionskapriolen bereiten, ist für den Betrachter/die Betrachterin gerne auch mit einer amüsanten Selbsterkenntnis eben jener, oftmals unbegründeten, Erwartungshaltung an die zeitgenössische Kunst verbunden. Wir sehen in Slominskis Schelmenstücken die ganze Absurdität unseres eigenen verzweifelten Berufsoptimismus – wenn wir an den Werken rütteln, bis da endlich eine Deutung herausspringt – oder unsere Unwilligkeit, den Aberwitz jenes Tuns, die Hohlheit eines Werkes anzuerkennen. ABSATZAll das schwingt natürlich mit, wenn man vor einer Arbeit von Slominski steht. Und erst recht, wenn man vor einer Arbeit von Slominski in der Galerie Neu steht, wo er zuletzt eine ebenfalls sanitäre Installation gezeigt hatte: eine leere Badewanne, durch und über die zuvor, das war bildlich dokumentiert, die Protagonisten/Protagonistinnen eines Fetischclubs geflutscht waren. So eine Story ist ziemlich anschlussfähig, auch in Richtung Klischees über den Kunstbetrieb. Nun aber – nichts. Verschlungene Werkgenese? Fehlanzeige. Es gibt keine Geschichte. What you see is what you get. Das kann nicht sein. Das muss Methode haben! Und so rätselt man herum, ob das vielleicht eine bewusste Frustration unserer Erwartungen, die Erfüllungsverweigerung eines Künstlers ist. Die Gegenstrategie, der narrative Nullpunkt. Oder werden wir hier Zeuge einer ganz anderen Form von Transformation, nämlich des Übergangs von einer Praxis zum Produkt?
Aber halt, Slominski liefert wohl! Er liefert eine Riesenstory, und zwar via Titel: „Ecce Homo“ heißt die Installation, und schon ist er da, der Deutungsüberschuss. Doch Vorsicht, Fallenalarm! Sicher mag es gehen, das christliche Motiv des Schmerzensmannes, aber auch Grosz’sche Gesellschaftskritik und Nietzsches Selbstdarstellung und Abrechnung mit der christlichen Moral konzeptuell irgendwie, im schlimmsten Falle fäkal inspiriert, womöglich aber auch bezwingend originell, an das Dixi-Klo anzuschließen. Doch beschleicht einen das unangenehme Gefühl, dass hier das – zynische? – Vergnügen in erster Linie beim Künstler liegen dürfte, der sich vorstellt, wie sich Betrachter/innen und Kritiker/innen an seinem Titel abarbeiten. Denn letztlich ist auch der nichts anderes als Duchamp-Zitat, das Aufgreifen einer Strategie der Verrätselung, der Ridikülisierung von Sinnbefrachtung, Auratisierung. Also, Finger weg von Deutungen!
Worum aber geht es? Geht es darum, das wäre die günstigste Annahme, uns unseren reflexhaften Deutungsdrang vor Augen und so ad absurdum zu führen? Den Stehaufmännchen-Glauben an die durchdachte, intelligente Intention des Künstlers? Oder ist dies tatsächlich nichts weiter als ein müdes Zitat des Readymade samt Verfremdungseffekt durch Titel? Ein ausgesprochen clever zusammenmontiertes Produkt, das mit einer potenziell gewaltigen Deutungsbehauptung daherkommt? Weil das Werk genau weiß, dass es die Sehnsucht nach lustvollem Überlegen und Kombinieren auslöst? Weil es, wie jedes erfolgreiche Produkt qua Produkt, die Sehnsüchte der Konsumenten/Konsumentinnen aber nicht erfüllen darf, da sonst die Marktmaschinerie zum Erliegen käme? Und, weiß das Werk das alles? Weiß es, dass der Aufwand, der ideelle Mehrwert, das Geschichtenerzählen ganz bei seinen Betrachtern/Betrachterinnen liegen? Ganz sicher weiß es das. Das aber ist nicht wirklich komisch. Denn die Mischung aus Readymade Reloaded und Slominski-Irrsinn wird zur Masche. Und anstatt eine Nadel in das Prinzip Wichtigkeitsblase zu piksen, reiht sich „Ecce Homo“ in eine Kategorie Konzeptkunst ein, von der es im Kunstbetrieb schon viel zu viel gibt – die sich mithilfe geborgter, historisch erprobter Strategien und Be-/Deutungstrigger weit über ihr eigentliches Sein aufbläht.
Andreas Slominski, „Ecce Homo“, Galerie Neu, Berlin, 7. September bis 31. Oktober 2012.