Cookie Warnung
Für statistische Zwecke und um bestmögliche Funktionalität zu bieten, speichert diese Website Cookies auf Ihrem Gerät. Das Speichern von Cookies kann in den Browser-Einstellungen deaktiviert werden. Wenn Sie die Website weiter nutzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Akzeptieren

81

Exhibitionistische Architektur Von Beatriz Colomina

Dan Graham, „Inspired by Moon Window“, 2003

Dan Graham, „Inspired by Moon Window“, 2003

Bereits zu Beginn der 1990er Jahre kritisierte Rosalind Krauss die spezifische Form der Raumerfahrung, die das Museum im Zeitalter des Spätkapitalismus produziert: Die ausgestellten Kunstwerke würden zu bloßen Etappen im architektonischen Erfahrungs-Parcours. Anlässlich der vor einigen Wochen eröffneten 17. Architektur-Biennale in Venedig veröffentlichen wir an dieser Stelle einen Text, den Beatriz Colomina 2013 für unsere „Architektur“-Ausgabe verfasst hat. In einer kleinen Geschichte der Architekturausstellung von der klassischen Moderne bis heute unternimmt Colomina eine differenzierte Neukalibrierung der Terme „Raum“, „Ästhetik“, „Architektur“ und „Ausstellung“ und lenkt dabei den Blick auf gelungene ästhetische Praktiken an der Schnittstelle von Architektur und Kunst. In Ausstellungen, aber auch direkt implementiert in städtische Strukturen, wie die seit 40 Jahren in Downtown Manhattan operierende Storefront for Art and Architecture zeigt, entwickeln solche Ausstellungsarchitekturen Formen eines hypothetischen Urbanismus und übertragen das Prinzip der verzeitlichten Performance-Intervention in die Dimension des Bauens, so Colomina.

Es erscheint mir bemerkenswert, dass beide Essays bevorzugt auf den Minimalismus eingehen und Künstler wie Gordon Matta-Clark oder Dan Graham ausschließen, die seit Mitte der 1970er Jahre auf direktere Weise mit dem Medium der Architektur experimentiert und die Methoden des Feldes neu justiert haben. Matta-Clark hatte Architektur an der Cornell University bei Colin Rowe studiert, und Graham verfügt über größeres architekturhistorisches Wissen und über eine umfangreichere Bibliothek als die meisten Architekt*innen. Beide versuchten, sich von Galerien und Museen zu lösen, indem sie mit Bauwerken arbeiteten.

Es ist außerdem symptomatisch, dass die Architektur ihren Einzug in das Museums- und Galeriensystem genau Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre hatte. Im Jahr 1978 zog Max Protetch, der zuvor minimalistische und konzeptuelle Künstler, aber auch Andy Warhol, frühe Performances von Dan Graham, Vito Acconci und anderen ausgestellt hatte, mit seiner Galerie von Washington nach New York, wo er sich auf Architekturzeichnungen zu spezialisieren begann. 1980 organisierte Leo Castelli die Ausstellung „Houses for Sale“, für die er eine internationale Gruppe von acht Architekten eingeladen hatte, ihre Visionen des modernen Hauses „zu verkaufen“. Im Katalog wird klargestellt, dass die „Zeichnungen unabhängig von einem Auftrag für das Projekt erworben werden können“. Die nichtkommerzielle Galerie Storefront for Art and Architecture in New York mit ihrem Schwerpunkt auf der Schnittstelle von Kunst und Architektur eröffnete 1982 unter der Adresse 51 Prince Street. Sie veranlasste das Entstehen neuer Arbeiten und neuer Energien und zeigte bald Architekt*innen und Künstler*innen wie Diller + Scofidio, Morphosis, James Wines, Lebbeus Woods, Steven Holl, Dan Graham, Dennis Adams, Jenny Holzer, Krzysztof Wodiczko, Wolf D. Prix, Tadashi Kawamata, Peter Cook und Christine Hawley, Mike Webb, Enric Miralles und Carme Pinós, Mel Chin, Camilo José Vergara, Muntadas, Matthew Ritchie, Julia Scher – viele von ihnen noch in jungen Jahren. Erst 1980 fand mit der Strada Novissima von Paolo Portoghesi die erste Architekturbiennale statt (vorangegangen war seit der Mitte der 70er Jahre in der Zeit von Vittorio Gregotti eine kleine Zahl von Ausstellungen innerhalb der Kunstbiennale). Die ersten Architekturmuseen und -archive sind ebenfalls ein postmodernes Phänomen (etwa das CCA in Montreal, das Building Museum in Washington usw.).

Nicht zufällig begannen Künstler*innen zur gleichen Zeit, als in Museen, Galerien und Biennalen ein eigenes Territorium für die Architektur abgesteckt wurde, das Terrain der Architekt*innen einzunehmen. In der von Germano Celant organisierten Biennale „Ambiente/Arte“ von 1976 errichtete Dan Graham seine „Public Space / Two Audiences“, einen Raum in Form eines golden verspiegelten Rechtecks, das durch eine schallisolierende Glasscheibe in zwei quadratische Räume aufgeteilt war. Die Wand an einer der kurzen Seiten war vollständig mit einem Spiegel bedeckt, während die gegenüberliegende Wand weiß blieb. Für Graham glichen die Venedig-Biennale und andere Kunstmessen Weltausstellungen, in denen jedes Land seinen eigenen Pavillon hat und die Kunst die Ware darstellt. Dieses System versuchte er in Venedig zu durchbrechen, indem er das Publikum zum Ausstellungsgegenstand machte. Die Besucher des Pavillons sahen sich selbst dabei, wie sie sich selbst sahen. Sie wurden zur Ware. Der Pavillon kompliziert den Schauplatz. Das Subjekt wird zum Objekt.

Vermittelt über die Idee des Glaspavillons ist Dan Graham natürlich mit der historischen Figur Ludwig Mies van der Rohes verbunden. Als dieser den Auftrag zum Entwurf des deutschen Pavillons für die Weltausstellung von 1929 in Barcelona erhielt, erkundigte er sich zunächst danach, was dort ausgestellt werden sollte. Für eine*n Architekt*in ist dies eine übliche Frage. Was ist der Zweck dieses Gebäudes? Ein*e Künstler*in muss diese Frage nie stellen. Die Antwort lautete: „Es wird nichts ausgestellt werden. Der Pavillon selbst wird das Ausstellungsstück sein.“ [1] Interessanterweise wurde Mies hier wie ein Künstler behandelt. Der Pavillon verfügte nicht einmal über sanitäre Anlagen. Wenn nach Matta-Clark der Unterschied zwischen Architektur und Skulptur darin besteht, dass die eine über Sanitärinstallationen verfügt, die andere nicht, dann ist der Barcelona-Pavillon Kunst. Gerade weil es kein traditionelles Programm gab, wurde der Pavillon zu einer Ausstellung über das Ausstellen. Er stellte nichts anderes aus als eine neue Betrachtungsweise. Gezeigt wurde das Betrachten selbst anstelle zu betrach­tender Objekte.

Im 20. Jahrhundert waren Ausstellungen Entwicklungsstätten für neue Formen der Architektur, die bisweilen so schockierend originell, so neu waren, dass sie nicht einmal als Architektur wahrgenommen wurden. Der Barcelona-Pavillon, den die Architekturwelt heute weithin als das einflussreichste Bauwerk des 20. Jahrhunderts ansieht, wurde in Wahrheit von „niemandem“ gesehen. Trotz seiner prominenten räumlichen Lage auf der Weltausstellung von 1929 in Barcelona wurde er sogar von Journalisten, die für Architekturfachzeitschriften arbeiteten, übersehen, da sie nicht in der Lage waren, seine Bedeutung zu erkennen.

Das einzige Zeugnis für die Existenz des Pavillons lieferten einige Lokaljournalist*innen ohne besondere architektonische Vorbildung. Sie beschrieben dessen rätselhafte Wirkung, „da eine Person, die vor einer dieser Glaswände steht, sich selbst wie in einem Spiegel reflektiert sieht; wenn sie sich jedoch hinter die Wand bewegt, kann sie den Außenraum klar und deutlich wahrnehmen. Nicht alle Besucher bemerken diese kuriose Eigenheit, deren Ursache keine Beachtung findet“. [2] Man muss zu einer derlei frischen Aussage zurückkehren, um die Überraschung, die ein Glasgebäude im Jahr 1929 verursacht haben muss, nachvollziehen zu können, etwas, das – wie Alison Smithson es formuliert hat – für eine Generation, die im Umfeld von Hilton-International-Hotels aufgewachsen ist, nur schwer vorstellbar sein mag. [3]

Erst in den 1950er Jahren, im Gefolge von Mies van der Rohes Ausstellung 1947 im Museum of Modern Art, die Philip Johnson organisiert hatte, tauchte der Barcelona-Pavillon in jeder Architekturpublikation auf und wurde als das schönste Gebäude des Jahrhunderts gerühmt. Ein Gebäude, das nur vermittelt über Fotografien bekannt war (nach dem Ende der Ausstellung in Barcelona wurde es demontiert, seine Einzelteile sind verschollen, da sie auf dem Weg nach Deutschland abhanden kamen), wurde zum bedeutendsten Monument der modernen Architektur.

Bruno Taut, Glashaus-Pavilion, Kölner Werkbundausstellung, 1914

Bruno Taut, Glashaus-Pavilion, Kölner Werkbundausstellung, 1914

Tatsächlich entstanden die extremsten und einflussreichsten Projekte in der Geschichte der modernen Architektur im Kontext zeitgenössischer Ausstellungen. Man denke etwa an Bruno Tauts „Glashaus“ (den Pavillon für die Glasindus­trie auf der Kölner Werkbund-Ausstellung 1914), Le Corbusiers und Pierre Jeannerets Pavillon de L’Esprit Nouveau in Paris (1925), Konstantin Melnikows sowjetischen Pavillon in Paris (1925), Mies’ und Lilly Reichs Seidenausstellung in Berlin (1927), Le Corbusiers und Xenakis’ Philips-Pavillon in Brüssel (1958), Buckminster Fullers Geodätische Kuppel für die Amerika-Ausstellung in Moskau (1959) und seinen US-Pavillon für die Expo 67 in Montreal, Eero Saarinens und Charles und Ray Eames’ IBM-Pavillon für die New Yorker Weltausstellung von 1964, Frei Ottos Pavillon für die Expo 67 in Montreal, den Pepsi-Pavillon für die Expo 70 in Osaka von E.A.T. (Experiments in Art and Technology), die Wolke von Coop Himmelb(l)au, ein Prototyp für zukünftiges Wohnen für die documenta 5 (1972), Aldo Rossis Il Teatro del Mondo, das temporäre Theater für die Architekturbiennale von 1979 in Venedig, das an die im 18. Jahrhundert während des venezianischen Karnevals beliebten schwimmenden Theater erinnerte, und viele weitere. Die Tradition des Pavillons als Ort des architektonischen Experimentierens setzt sich nach der Jahrhundertwende in solch legendären Projekten fort wie dem Blur Building von Diller + Scofidio im schweizerischen Yverdon-les-Bains, einem inzwischen zerstörten Medienpavillon für die Schweizer Expo 2002, und in der Reihe von Pavillons, die jedes Jahr für die Serpentine in London entstehen (Toyo Ito, Oscar Niemeyer, Rem Koolhaas, Ólafur Eliasson, SANAA).

Wenn moderne Architektur Ausstellung ist, dann lässt sich auch behaupten, dass das Ausstellen moderner Architektur selbst eine Form von Architektur ist. Kehren wir zu Mies’ Ausstellung im MoMA 1947 zurück. Nach der Meinung von Charles Eames, der damit gewissermaßen bereits vor dem Symptom warnte, das Krauss beinahe ein halbes Jahrhundert später beschreiben sollte, lag die Bedeutung dieser Ausstellung nicht in den einzelnen gezeigten Objekten, sondern vielmehr in dem Organisationssystem, das der Architekt zu deren Präsentation entwickelt hatte und das, Eames zufolge, die Idee von Mies’ Architektur besser als jedes einzelne Modell, jede Zeichnung oder jede Fotografie vermittelte. Eames schrieb: „Das Wesentliche ist offenbar die Art und Weise, wie er [Mies] Dokumente seiner Architektur und Möbel genommen und sie als Elemente genutzt hat, um einen Ort zu schaffen, der ausdrückt: ‚Genau darum geht es‘.“ [4] Eames war beeindruckt von der Vergrößerung und Überlagerung der Maßstäbe: Ein riesiges Wandfoto von einer kleinen Bleistiftzeichnung war neben einem Stuhl zu sehen, der über einem Modell neben einer überlebensgroßen Fotografie aufragte, und so weiter. Er verwies außerdem auf die Interaktion zwischen der Perspektive des Raumes und der der lebensgroßen Fotografien. Indem er sich durch die Ausstellung bewegte und andere bei ihrer Bewegung beobachtete, erfuhr der Besucher Mies’ Architektur selbst statt lediglich eine Repräsentation von ihr. Es war eine sinnliche Begegnung. „Die Ausstellung selbst bietet den Geruch und das Gefühl dessen, was sie und was Mies van der Rohe großartig macht.“ [5]

Ich möchte vorschlagen, in der Tradition des temporären Pavillons eine Form der Performance zu erkennen, genauer eine Form der urbanen Performance. Im Zusammenstellen ihrer experimentellen Prototypen werden Architekt*innen zu urbanen Aktivist*innen. Die Bauwerke untergraben stets die Alltagslogik der Stadt. So kann etwa der Innenraum einer Hochhauswohnung plötzlich innerhalb eines Parks erscheinen, wie 1925 bei dem Pavillon de L’Esprit Nouveau von Le Corbusier. Und diese Subversion urbaner Normen ist auch eine kollektive. Jede Messe, jedes Festival, jede Biennale usw. produziert eine Art von hypothetischem Urbanismus. Sie schaffen eine temporäre Stadt innerhalb der Stadt. Auf Biennalen wie der von Venedig mit ihren eigenen Straßen entlang der Pavillons ist dies offensichtlich, es trifft jedoch genauso zu, wenn Installationen und Veranstaltungen über die ganze Stadt verteilt sind, wie etwa bei der Performa oder im Fall von Storefronts „Performance Z–A: A Pavilion and 26 Days of Events“, die in der Hula-Hoop-Kuppel stattfand, die der Seouler Architekt Minsuk Cho 2007 entworfen hat. Zu jeder dieser Ausstellungsveranstaltungen gibt es eine eigene Karte zur Orientierung der Besucher, die sie durch einen alternativen Urbanismus, der sich temporär über die existierende Stadt legt, führt. An die Stelle der üblichen städtischen Verbindungssysteme treten neue Muster sowie die Performance von temporärer Architektur, die, wie die einer Künstler*in, neue Bewegungen, neue Interaktionen und neue Denkweisen provoziert. Diese Verwirrung, wenn nicht sogar Auflösung des Kunstobjekts in eine Art von landschaftlicher Erfahrung ist auch eine Auflösung der Grenze zwischen Innen- und Außenraum des Museums. Indem Architektur in den Ausstellungsraum einzieht und Ausstellungssysteme die Straße betreten, werden neue Arten von Museen – oder Post-Museen – möglich, und dies scheint mir etwas Gutes zu sein.

Übersetzung: Robert Schlicht

Beatriz Colomina ist Architekturtheoretikerin, Professorin für Geschichte und Theorie an der Princeton University School of Architecture und Gründungsdirektorin des dortigen Studiengangs Medien und Modernität.

Image credit: 1. Courtesy Galerie Meyer Kainer, Wien

Anmerkungen

[1]Zit. nach: Julius Posener, „Los primeros años: de Schinkel a De Stijl“, in: A&V: Monografías de Arquitectura y Vivienda, 6, 1986, S. 33.
[2]Ein Lokaljournalist aus Barcelona in einer Besprechung des Pavillons, zit. nach: José Quetglas, „Fear of Glass. The Barcelona Pavilion“, in: „Revisions 2“, hg. v. Beatriz Colomina, New York 1988, S. 130.
[3]Alison Smithson im Gespräch mit der Autorin.
[4]Charles Eames, „Mies van der Rohe“ (photographs by Charles Eames taken at the MoMA exhibition), in: Arts & Architecture, December 1947, S. 27.
[5]Charles Eames zit. bei Digby Diehl, „Q & A. Charles Eames“, Los Angeles Times WEST Magazine, 8, 1972, S. 14.