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Bestimmen Medien unsere Lage? Überlegungen zur transatlantischen Kittler-Rezeption von Isabelle Graw, Reinhold Martin und André Rottmann

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Von "der" deutschen Medienwissenschaft kann man im Grunde nicht sprechen; tut man es dennoch, ist man schnell bei Friedrich Kittler. Sein Name steht für eine Medientheorie, die gleichermaßen institutionalisiert ist, wie sie – im hiesigen Kunstdiskurs und auch in den Seiten von Texte zur Kunst – lange zutiefst umstritten war.

Ganz eigene Früchte trugen Kittlers Werk und die Schriften derjenigen, die darauf aufbauten, in den akademischen Debatten der USA, wo diese ab Ende der 1980er zunächst zögerlich, und schließlich, mit Vorlage der ersten Übersetzungen, breiter rezipiert wurden. Anfang der Nullerjahre stand "deutsche Medientheorie" für ein neues Modell, durch das scheinbar erstarrte Ansätze wie postmarxistische Theorie und Institutionskritik auf neue Gegenstandsbereiche anwendbar wurden; eine Entwicklung, die auch in Deutschland neue Lektüren der zugrundeliegenden Texte inspirierte.

Es folgen hier verschiedene redaktionelle Stimmen von beiden Seiten des Atlantiks: Wir befragen Texte zur Kunst-Gründerin und -Herausgeberin Isabelle Graw über die augenscheinliche Positionierung gegen Kittler im ersten Jahrzehnt dieser Zeitschrift, sowie ihr Verständnis der Frage, wie sich Sozial- und Mediengeschichte überschneiden; der ehemalige leitenden Redakteur André Rottmann führt dies im Hinblick auf verwandte medienwissenschaftliche Theorien und kunsthistorische Überlegungen aus; und Reinhold Martin, Mitgründer von Grey Room, schreibt über die Ankunft der Debatte in den USA.

Reinhold Martin

Friedrich Kittler bei einem Vortrag in Graz anlässlich des Steirischen Herbstes "Chaos und Ordnung", 1989

Texte zur Kunst: Die Rezeption von Friedrich Kittler und von sonstiger deutscher Medientheorie verlief an US-Universitäten anders als in Deutschland. Sie sind einer der Theoretiker/innen, die Kittlers Wirken in Amerika mitgeprägt haben. Wie stellt sich aus Ihrer Sicht seine amerikanische Rezeption dar? Die Columbia University war im Vergleich zu anderen amerikanischen Universitäten mit dieser Rezeption eng verbunden; woher kam dieser Einfluss?

Reinhold Martin: Von einer ernsthaften amerikanischen Rezeption von Kittlers Werk kann man wohl erst ab dem Jahr 1990 sprechen, nachdem die Übersetzung von "Aufschreibesysteme" (1985) unter dem Titel "Discourse Networks" erschienen war. Ich selbst bin auf diesen und andere seiner Texte sogar erst Mitte der 1990er als Doktorand in Princeton gestoßen, übrigens nicht an der School of Architecture, sondern über die Geisteswissenschaft. 1997, kurz nach meinem Wechsel an die Columbia University – ich habe noch an meiner Dissertation gearbeitet –, war ich angenehm überrascht zu erfahren, dass Kittler als Gastprofessor an der Fakultät für germanische Sprachen unterrichtete, wohin Harro Müller ihn eingeladen hatte. Ich stellte mich ihm einmal vor, und er war verwundert, dass sich jemand aus dem Bereich der Architektur für seine Arbeit interessierte. Wir haben uns ein paar Mal getroffen, wenn er in New York war (ich kann mich noch an eine besonders lebhafte Diskussion über „Computerarchitektur“ erinnern), und es war auch immer angenehm, ihm zufällig in der Avery Library zu begegnen, wo er oft zwischen Architektur- und Kunstgeschichtsstudenten gearbeitet hat. Generell lässt sich sagen, dass es an der Columbia, aber auch zuvor schon Leute gab, die mit verschiedenen Ansätzen von Medientheorie beschäftigt waren; Ausgangspunkte waren in der Regel die Frankfurter Schule und der Situationismus. In Bezug darauf oder dagegen wurden dann auch Kittlers Arbeiten gelesen, etwa die von Andreas Huyssen, Jonathan Crary oder Dorothea von Mücke, die auch die Einleitung von "Grammophon, Film, Typewriter" übersetzt hat, die in October 1987 veröffentlicht wurde.

Wahrscheinlich hat also sein Buch "Grammophon, Film, Typewriter" (das erst 1999 in seiner Gesamtheit übersetzt wurde) Kittlers amerikanische Rezeption maßgeblich mitgestaltet. Und vermutlich hat der polemische erste Satz in diesem Buch: "Medien bestimmen unsere Lage", mehr als alles andere dazu beigetragen, die amerikanischen Diskussionen in der Medientheorie in Richtung der Frage eines technologischen Determinismus zu verschieben. Ich persönlich halte diese Fragestellung für eher unwichtig, da sie einer übertrieben simplen Erzählung entspringt (für meinen Bereich könnte man entsprechend behaupten: „Stahl bestimmt unsere Lage“). Doch nehme ich Kittlers Posthumanismus sehr ernst: Seine seit "Aufschreibesysteme" gewohnheitsmäßige Rede vom „sogenannten Menschen“ hat im Grunde nur das berühmte Bild am Ende von Michel Foucaults „Die Ordnung der Dinge“ – ein in Sand gezeichnetes Gesicht, das vom Meer langsam weggewaschen wird – aus dem Bereich der Sprache in die Dingwelt übersetzt. In diesem Sinn habe ich Kittler immer unmittelbar in Bezug auf Foucault gelesen.

Aber wie sehr ähnelt ein "Aufschreibesystem" von um 1800 oder 1900 wirklich einem Foucault’schen Dispositiv? Ich würde sagen, dass die Schnittmengen dann groß sind, wenn diese Aufschreibesysteme eine soziale und kulturelle Zurichtung einschließen und sie mit anderen historischen Prozessen wie der Industrialisierung interagieren. Es gibt allerdings auch wichtige Unterschiede, und hier muss wohl auch Kittlers vorsätzliche Vermeidung von Marx oder Marxismus erwähnt werden, die sich von Foucaults umsichtiger Rundsicht unterscheidet. Des Weiteren besteht das Problem des Archivs, das in Kittlers Schriften grundsätzlich auf technische Medien im engeren Sinn bezogen bleibt – im Unterschied zur Berücksichtigung von technologischen Systemen, Infrastrukturen und anderen biopolitischen Regimes. Die Hypothesen der "Kulturtechniken" haben das Archiv der Medientheorie aber beträchtlich erweitert (ich denke zum Beispiel an Bernhard Siegerts Arbeit über Textilien). Ich selbst gehe diese Frage dann noch einmal anders an, und das liegt vielleicht an meinem anderen Ausgangspunkt in der Architektur: Wie kann Medientheorie dabei helfen, ein soziales und historisches Feld in einer Weise zu erklären, die anderen Ansätzen verschlossen ist?

Diese Frage läuft auf eine Geschichtsschreibung mit Medien hinaus, im Gegensatz zu einer Geschichte von Medien als solchen. Einige dieser Aspekte wurden auf einer Konferenz diskutiert, die Stefan Andriopolous, Brian Larkin und ich zusammen mit Kollegen aus Princeton und Weimar 2011 an der Columbia organisiert hatten. Danach wurde die Diskussion in einer Vielzahl von Foren weitergeführt, ohne dass es allerdings zu einem Konsens bezüglich klarer Trennschärfen oder Beschränkungen gekommen wäre. Meiner Ansicht nach hat diese Frage weniger mit der Rezeption eines bestimmten theoretischen Diskurses zu tun als mit der Remediatisierung dieses Diskurses durch die Infrastruktur selbst – ich meine die interdisziplinär aufgestellten Geisteswissenschaften an Forschungsuniversitäten, die dazu neigen, Diskurse zu kombinieren oder sie zu unreinen Beimengungen zu machen.

TzK: In der Zeitschrift Grey Room, die Sie im Jahr 2000 mitbegründet haben, wurde die Arbeit von Kittler nicht nur in die interdisziplinäre Diskussion zwischen Kunst und Architektur integriert, die Zeitschrift war selbst Teil des diskursiven Nexus, in den auch die Beschäftigung mit der "Autonomia", mit Feminismus oder Foucaults Biopolitik hineinragte. Diese Themen scheinen jedoch institutionell meist eher unvereinbar mit Kittlers Medientheorie. Wo würden Sie Letztere politisch ansiedeln?

Martin: Ich habe letztes Jahr ein Graduiertenseminar „Architektonische Infrastrukturen und Kulturtechniken“ an der Columbia abgehalten, in dem wir sowohl Kittler als auch die Autoren/Autorinnen gelesen haben, die man mit der Theorie der Kulturtechniken assoziiert (beispielsweise Cornelia Vismann und Siegert), und in dem wir uns auch mit neueren Ansätzen in der Architekturtheorie auseinandersetzten, die von Infrastrukturen und technischen Systemen ausgehen. Dabei kamen häufig auch Varianten Ihrer Frage auf. Vismanns „Akten. Medientechnik und Recht“ gibt einige stichhaltige Antworten darauf, und es lassen sich in ihren Büchern auch indirekte Überlegungen zur Gouvernementalität finden; Joseph Vogl wiederum hat eine medientheoretische Kritik des Kapitals vorgelegt. In Bezug auf die von Ihnen erwähnten Theorien sollte im Auge behalten werden, dass im amerikanischen Diskurs dieses Material oft erst durch Übersetzungen und daher stark verspätet angekommen ist – hier wurde sich in den 1990er Jahren zum ersten Mal mit Vorstellungen beschäftigt, die im europäischen Denken vielleicht schon in den 1970ern als veraltet gegolten haben. Dementsprechend werden die theoretisch orientierten politischen Debatten an amerikanischen Universitäten zuweilen als anachronistisch angesehen. Mich selbst überzeugt diese Lesart nicht, zumal im Hinblick auf einen postkittlerianischen Zugang, der in diesem Rahmen sowohl epochale als auch progressive Geschichtsmodelle infrage stellt. Tatsächlich deuten bestimmte historiografische Fragestellungen, die vom „Kulturtechniken“-Ansatz aufgebracht werden – einschließlich der Betonung von Grenzbereichen und Übergängen statt von Brüchen – auf die schwierigsten politischen Fragen der Gegenwart. Läuft es im Grunde nicht immer auf das Problem hinaus, zu erklären, wie Dinge sich verändern?

Friedrich Kittler, Graz, 1989

Vielleicht hat Grey Room dabei geholfen, das Archiv moderner Forschungen voranzubringen, in Richtung einer „Nachkriegs“- (und in geringerem Maß, postkolonialen) Periode, auch wenn man redaktionelle Absichten nicht überbewerten sollte. Aber die Fragen nach der Geschichtsschreibung, um die es uns ging, waren gleichzeitig auf die Möglichkeit gerichtet, den epochalen Übergang in das mitzuvollziehen, was bei Deleuze „Kontrollgesellschaft“ heißt – während wir die epistemischen Voraussetzungen untersuchen wollten, unter denen eine derartige Verschiebung überhaupt intelligibel wäre. Kittler hat oft auf die Beschleunigung technologischer Entwicklungen während des Zweiten Weltkriegs verwiesen. Kann sein, dass wir das stillschweigend gebilligt und damit auch eine Verlagerung der Schwerpunkte, zumindest innerhalb der Architekturstudien, mitgetragen haben: von den 1920ern und 1930ern auf die 1950er und 1960er Jahre. Damit kamen neue politische Fragestellungen auf, die in Europa und in den USA auch unter die Chiffre „1968“ fallen. Viele der theoretischen Ansätze, die Sie in Ihrer Frage angeschnitten haben, lassen sich als Nachspiel dieser Zeit verstehen. Als Historiker glaube ich aber immer noch, dass Kittlers Untersuchungen der Veränderungen im 19. Jahrhundert, die er in „Aufschreibesysteme“ und „Grammophon, Film, Typewriter“ vorgelegt hat, ebenso wichtig waren, vielleicht noch wichtiger – trotz seiner Tendenz zur Überzeichung epochaler Verschiebungen.

Was den transatlantischen Austausch betrifft, so kommt hier October ein wichtiges Verdienst zu, die, wie erwähnt, eine Übersetzung der Einleitung von „Grammophon, Film, Typewriter“ abgedruckt hatten. Kittler war ja eines der Gründungsmitglieder des Beratergemiums von Grey Room, dort sind ebenfalls zwei seiner Aufsätze in Englisch erschienen. Und wie andere Beiratsmitglieder hat auch er uns manchmal Studenten/Studentinnen oder Kollegen/Kolleginnen zur Publikation empfohlen. Von Anfang an hatten wir als Magazin nicht vor, eine Synthese oder Parteilinie zu etablieren. Ich untersuche nicht jeden Text auf seinen politischen Gehalt hin, hier spreche ich jetzt allerdings nur für mich selbst. Ich lese zuallererst, um mir Wissen anzueignen, denn ohne so eine Wissensbasis wäre jedes ernsthafte politische Projekt verloren, wenn nicht schlimmer. Trotzdem bleibt das Politische im Großen und Ganzen der blinde Fleck der Medientheorie. Daher würde ich auch empfehlen, sie nicht mit solchen Theorien zu überblenden, mit denen sie nur wenig gemeinsam hat. Sie sollte vor allem diejenige Politik kritisch reflektieren, die den Medien selbst immanent ist. Komplementär zu Foucaults "Biopolitik" könnte man dies „Medienpolitik“ nennen. Wenn man sich an dieser Vorgabe orientieren würde, könnte es auch zu einem direkteren Dialog mit anderen Materialismen kommen, einschließlich marxistischer.

Friedrich Kittler, Graz, 1989

TzK: Seit Ihren Untersuchungen zur Konzern­architektur haben Sie das Thema Architektur und Institutionen durch kittlerianische Aspekte erweitert oder weitergeführt. Ihr augenblicklicher Schwerpunkt ist die Geschichte der Universität. Wie berücksichtigen Sie dabei die Reorganisationen der Universität, der gesamten Pädagogik und ganz allgemein der Verschiebungen in der Bildungspolitik?

Martin: Für mich ist die moderne Forschungsuniversität, deren Gründung man in die Zeit zurückverfolgen kann, die Kittler „Aufschreibesystem 1800“ nennt, eher ein Mediensystem als eine Institution. Ich beschäftige mich im Allgemeinen aber stärker mit denjenigen intermedialen Verhältnissen, die innerhalb von Institutionen herrschen, als mit der Untersuchung einzelner Medien und ihrer isolierten Effekte. In der Pädagogik und in der Wissensproduktion verändert sich beispielsweise mit der Zeit die Beziehung zwischen Sprechen und Zuhören und zwischen Lesen und Schreiben. Mein Ziel ist es, die Universität als ein unvollständiges System von Verflechtungen, Verzögerungen, Ab- und Umsetzungen zu beschreiben, durch die Veränderungen bewerkstelligt werden. Anders formuliert, läuft dies darauf hinaus, Geschichte mit Architektur zu machen – Architektur verstanden als ein Medium unter anderen, das seinerseits, paradoxerweise, andere Medien einschließt –, anstatt eine Geschichte der Architektur zu schreiben. Daraus folgt auch, dass man Bauten bis zu ihren bislang unaufgelösten Teilen aufbricht, bis zu den winzigen Elementen der Hardware, der Werkstoffe und Baumaterialien, die sich auf unterschiedliche Arten verbinden und die auf verschiedene Weise Wissen produzieren.

Diesen Ansatz könnte man infrastrukturell nennen, sofern man voraussetzt, dass der Begriff Infrastruktur nicht auf voll integrierte Systeme beschränkt sein muss. Obwohl das späte 18. und frühe 19. Jahrhundert im Zentrum meiner Arbeit über die Universität stehen und ihr Datenbestand damit zeitlich erheblich vor dem meiner Studie zur Konzernarchitektur liegt, betrachte ich Letztere doch als Vorarbeit hierzu, da darin bereits etwas behandelt wird, das der Wirklichkeit näher ist: Partialobjekte, unvollständige Dinge und eben nicht komplett (und ideologisch) konstituierte Totalitäten. Aus diesen Fragmenten leite ich die Grundlagen einer „Architektur des Wissens“ ab, die auch die Macht- und Wissensstrukturen von intellektueller Arbeit miterklären soll, wie man das gemeinhin nennt, als Basis einer "Wissens­ökonomie". Es wäre interessant, in dieser Weise die wichtigen Teile in einem vermeintlich unübersichtlichen Haufen halb veralteter, provisorisch zusammengesetzter Hardware zu identifizieren. Das setzt aber voraus, dass man vorgegebene Vorstellungen aufgibt, die ein Begriff wie "Typus" aufbringt, in dem es etwa einen Raumtyp "Campus" oder die Bautypen "Universitätsgebäude" oder "universitärer Raum" gibt, beispielsweise eine Bibliothek oder ein Seminarraum. Die Aufgabe wäre vielmehr, diese Gebäude und Räume aufzubrechen, um gewissermaßen hinter die Wände oder zwischen die Wände zu sehen und so auch Elemente von Macht- und Wissenskomplexen sowie deren Genealogien zu rekonstruieren.

Speisezimmer von Thomas Jefferson, Monticello, Virginia

Nehmen Sie zum Beispiel die Speiseaufzüge, die Thomas Jefferson, der bibliophile Gründer der Universität von Virginia, in seine für sich entworfene Villa in Monticello bei Charlottesville einbauen ließ. Im Hochparterre dieses Gebäudes befand sich der Speisesaal, der im archetypischen bürgerlichen Haus zu den öffentlichen Räumen gehört. Er fungierte auch als ein Salon (wenn auch nicht gerade mit den Berliner Kaffeehäusern vergleichbar, die Habermas gefeiert hat), in dem Jefferson und seine vornehmen weißen Gäste dringende intellektuelle und politische Angelegenheiten verhandelt haben, während sie an französischen Weinen nippten. Der Weinkeller lag unmittelbar darunter. Der Speiseaufzug war somit ein Mechanismus, der diese beiden Räume miteinander verbindet, sodass Jeffersons afroamerikanische Sklaven, die sich ein Stockwerk tiefer aufhielten, den Wein nach Bedarf hochschicken konnten, ohne den Speisesaal selbst betreten zu müssen. Somit wurde dieser Fall einer „Gelehrtenrepublik“ vom doppelten Schweigen dieser Sklaven mitproduziert. Der Aufzug unterband nicht nur, dass sie die wichtigen Diskussionen, die oben stattfanden, zufällig mitanhören konnten, er bewahrte die Runde auch vor der Unterbrechung ihrer Gespräche. Als Vorrichtung zur „Reinhaltung“ des Speisesaals und der dauerhaften Aufrechterhaltung der Trennung zwischen dem, was oben und unten jeweils gesprochen wurde und gehört werden konnte, war der Speiseaufzug – durch seine Repetitionen – ein infrastrukturelles, medienpolitisches Gerät, vergleichbar mit der Kette, die die beiden ungleichen Partner in Hegels Dialektik von Herr und Knecht miteinander verbindet.

TzK: Inwiefern hilft uns der Diskurs der ­„Kulturtechniken“, den Betrieb dieser „Infrastrukturen“ zu verstehen, und worin bestünde der Zusammenhang zu unserem Verständnis einer „Mediengeschichte des Sozialen“?

Martin: Infrastruktur ist alles, was sich wiederholt. Der Speiseaufzug, hier auch verknüpft mit Zwangsarbeit, trägt Flasche für Flasche hinauf in Jeffersons Speisesaal. Systemische Eigenschaften werden allerdings oft erst sichtbar, wenn die Wieder­holungen ausbleiben. Wenn der Wein nicht mehr hochkommt, rückt für einen Moment der gesamte Mechanismus der Sklaverei in den Blick. Wenn man den Hahn aufdreht und es fließt kein Wasser, springt das Wassersystem selbst ins kognitive Feld. Es gibt diesen alten Gemeinplatz in der Architektur, dass, wer ein Gebäude wirklich verstehen will, sich zuerst das Badezimmer ansehen sollte. Das kann man durchaus wörtlich nehmen, denn gerade in Badezimmern stößt man auf die primitivsten infrastrukturellen Wiederholungen. Diese sind beispielsweise hörbar als Toilettenspülung. Mit den Analytikern der Kulturtechniken teile ich das Interesse daran, wie einfache Differentiale produziert werden – wie innen/außen oder, in diesem Fall, Versorgungstechnik/Abfall. Wenn sich Biopolitik auf das Management von Lebens­prozessen bezieht, dann bezieht sich eine so verstandene Medienpolitik vor allem auf die Streuung infrastruktureller Wiederholungen.

Friedrich Kittler, Graz, 1989

Dieses Nachdenken über infrastrukturelle Topologien (oder die infrastrukturelle Produktion und Erhaltung von innen/außen) leitet sich aus meiner Veröffentlichung über Konzernarchitektur ab, in der ich die Entdeckungen der Kybernetik mit einer topologischen "Mustererkennung" auf der Basis des Figur/Grund-Problems in der Architektur und der bildenden Kunst verknüpft habe. Indem ich so die logistischen, prozeduralen Wiederholungen hervorhebe, in denen Differenzen entstehen, verändert sich diese Arbeit aber auch. In Hinsicht auf eine „Mediengeschichte des Sozialen“ bin ich kürzlich auf Jacques Donzelot zurückgekommen, zum Beispiel auf seine von Foucault ausgehende Geschichte der Familie als ein Element der Gouvernementalität, für das Gilles Deleuze übrigens das Vorwort mit dem Titel "Die Erfindung des Sozialen" geschrieben hat. Donzelot lokalisiert die Familie im Foucault’schen Dispositiv, was das Sexualitätsdispositiv und die Praktiken der Sozialarbeiter/innen einschließt. Ich bin nicht der Erste, der vorschlägt, diese Art der Analyse auf den Bereich Wohnungsbau auszuweiten. Dabei bin ich vor allem daran interessiert, wie sich eine neofoucaultianische Analyse von „Techniken“ des Wohnungsbaus – einschließlich heutiger und früherer "Techniken" der Ungleichheit – mit einer eher klassischen marxistischen Herangehensweise an das Thema verschneiden ließe, was diese Letztere auch modifizieren würde.

In dieser Arbeit wie in der Studie zu infrastrukturellen Systemen wie Konzernen, Universitäten oder, auf einer anderen Ebene, Städte (das heißt Mittler) will ich darstellen, dass Macht und Wissen, da sie das Denken wie die Handlungen umgestalten, eine Dimension des Kapitals sind und nicht dessen analytische Alternative. So ist die globalisierte, neoliberale Stadt zum Beispiel die Komponente einer kognitiven Infrastruktur, aber auch ein materialhafter Komplex. Die Einsichten und Werkzeuge der materialistischen Medientheorie, die die "Techniken" der „Kulturtechniken“ einschließen, fordern eine Beschäftigung mit diesen Bereichen geradezu heraus. Es besteht allerdings immer die Gefahr, dass die aus solchen Beschäftigungen hervorgehenden Theorien für diejenigen nicht mehr nachvollziehbar sind, die mit ihren ursprünglichen Aufstellungen vertraut waren und diese als "geschützten Modus" betrachten.

Übersetzung: Manfred Hermes

ISABELLE GRAW

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Texte zur Kunst: Du hast – mit Stefan ­Germer – Texte zur Kunst gegründet. Könntest du etwas dazu sagen, warum die Zeitschrift die Diskussion über „Medien“ lange gemieden und sich im Allgemeinen eher gegen die deutsche Medientheo­rie in ihren verschiedenen Spielarten gestellt hat? Warum zum Beispiel schien euch in den frühen bis mittleren 90er Jahren Pierre Bourdieu (mit seinem Begriff des „sozialen Feldes“) mehr Anknüpfungsmöglichkeiten zu bieten als etwa Niklas Luhmann (mit seinem Begriff der „sozialen Systeme“, sozusagen der „Software“ zu Friedrich Kittlers „Hardware“)? Oder würdest du die Unterscheidungen anders treffen?

Isabelle Graw: Ich kann eure Einschätzung, dass Texte zur Kunst das Thema „Medien“ in seinen Gründungsjahren konsequent gemieden und sich mehr noch gegen die deutsche Medientheorie positioniert hätte, nicht ganz nachvollziehen. Aus meiner Sicht ist es vielmehr so, dass wir uns von Anfang an mit unterschiedlichen Medientheorien befasst und auseinandergesetzt haben, so etwa in dem Gespräch mit Niklas Luhmann über seine Medium/Form-Differenz (September 1991) oder in dem Interview mit Friedrich Kittler über die technischen Voraussetzungen der Kunst (Juni 1994). Aber vielleicht ist die Wahl des Formats Interview an dieser Stelle auch symptomatisch gewesen für die von euch vermutete Distanzierung. In einem Gespräch kann man schließlich die Grenzen einer Theorie diskutieren, sich kritisch zu ihr verhalten. Ich denke jedoch, dass es uns immer, auch in Bezug auf unsere Haustheoretiker/innen wie etwa Pierre Bourdieu, ein Anliegen gewesen ist, nicht auf den fahrenden Zug der jeweiligen Theorie­moden aufzuspringen, sondern uns ihnen gegenüber zu positionieren und eigene Setzungen vorzunehmen. Für eine solche Setzung ist die „Apparate“-Ausgabe (März 1996) ein gutes Beispiel – unser erstes Medienheft, wenn man so will. Statt mit dem eher unpräzisen Medienbegriff zu arbeiten, brachten wir hier die Apparatekategorie auch im Sinne eines „materialistischen Diskurses“ (Vorwort) ins Spiel. Der Begriff „Apparate“ hatte für uns damals zudem den Vorzug, dass er nicht nur Technisches, sondern auch Soziales und Ideologisches umfasste, exemplarisch etwa in Louis Althussers Rede von den „ideologischen Staatsapparaten“.

Der Grund dafür, dass sich Texte zur Kunst nicht durchgehend und von Anfang an primär auf Medientheorie bezog, ist aber auch in anderen theoretischen und kunstpolitischen Prioritäten zu finden. In den ersten Jahren war es uns schlicht ein dringenderes Anliegen, den Import der Methode der Social History voranzutreiben, die Diskussionen um Identitätspolitik zu führen und die Einsichten der Gender Studies, der kritischen Theorie, des französischen Poststrukturalismus und der Psychoanalyse für die Kunstgeschichte produktiv zu machen. Wir suchten nach Methoden, die uns dabei unterstützen würden, den Nexus zwischen Kunst und Gesellschaft auf eine nichtreduktionistische Weise zu denken. Dieses methodische Interesse war auch Resultat unserer künstlerischen Vorlieben – hatten wir uns doch von Anfang an programmatisch jenen Praktiken verschrieben, die gleichsam nicht an ihrem Rahmen enden und ihre gesellschaftlichen Verhältnisse zu ihrem Material erklären –, angefangen von der historischen Institutional Critique über die sogenannte Kontextkunst der frühen 1990er Jahre bis hin zur konzeptuellen Malerei. Aufgrund unseres engen Austausches mit Künstlerinnen und Künstlern hatten wir zudem die Erfahrung gemacht, dass das, was in ihren Arbeiten jeweils auf dem Spiel stand, nur dann annähernd nachvollzogen werden konnte, wenn man sie innerhalb ihrer spezifischen künstlerischen Formation und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verortete. Bourdieus Soziologie war für eine solche Perspektive besonders hilfreich: Denn auch er situierte künstlerische Produktion grundsätzlich in einem „Raum des Möglichen“, was ihre Freiheit zu einer bedingten Freiheit erklärt. Das künstlerische Feld wurde von ihm entsprechend als „relativ autonom“ bestimmt, wodurch es sich trotz seiner Eigengesetzlichkeit als zugleich auch von feldexternen Ereignissen durchquert erweist. Luhmann hingegen geht bekanntlich von einer „operativen Schließung“ des Kunstsystems aus, das zwar aufgrund seiner Ausdifferenzierung mit anderen sozialen Systemen vergleichbar wird, sich aber durch eine klare Außenabgrenzung auszeichnet.

Von einer solchen klaren Außenabgrenzung kann jedoch heute weniger denn je die Rede sein. Der von mir viel diskutierte Strukturwandel des Kunstbetriebs seit den späten 1990er Jahren ist ja auch eine Folge der Umstellung von Industrie- auf Finanzkapitalismus und deshalb eindrücklicher Beleg dafür, dass das Kunstsystem auch von anderen Systemen, allen voran dem Wirtschaftssystem, geprägt und neu strukturiert werden kann. Neben Luhmanns Systemtheorie haben wir uns auch mit der Analyse technischer Medien von Friedrich Kittler befasst. Das Problem war hier vor allem sein Technikdeterminismus, einmal abgesehen von seinem ebenfalls fragwürdigen kulturkritischen und zuweilen alteuropäisch-antiamerikanischen Gestus. Kittler irrt, wenn er künstlerische Arbeiten monokausal allein auf bestimmte technologische Entwicklungen zurückführt. Denn es sind nicht nur Medien allein, die unsere Lage bestimmen. Sie haben zwar durchaus einen Impact auf künstlerische Praktiken, vermögen diese aber letztlich nicht zu erklären.

An Kittler interessierte uns dennoch sein Fokus auf die materiellen Bedingungen der Produktion, so wie wir Luhmanns systematische Ausarbeitung eines relationalen Mediumbegriffs hilfreich fanden. Nur: Während es Luhmann aufgrund seines Autonomiepostulats schwerfällt, die gestiegene Bedeutung von Fremdreferenzen im Kunstsystem zu theoretisieren, setzt Kittler einen Typus der Fremdreferenz absolut – die Programmierung durch Technologien. Beiden Theorien fehlt die gesellschaftskritische Dimension, was sie konservativ macht: So wie sich Luhmann von all jenen Gesellschaftstheorien distanziert, die an der Analyse von Ungleichheitsstrukturen und Machtverhältnissen festhalten und auf der Möglichkeit von Veränderung bestehen, ist auch Kittler allein an den Auswirkungen der technologischen Produktivkräfte interessiert, um die Produktionsverhältnisse insgesamt auszublenden.

TzK: Was wären aus deiner Warte Probleme, die ein Rückbezug auf die Medientheorie der 90er im Jahr 2015 – und insbesondere daran, das Thema in Texte zur Kunst aufzugreifen – aufwerfen könnte?

Graw: Das Problem einer heutigen Rückkehr zur Medientheorie der 1990er Jahre könnte in der Gefahr bestehen, über die triftigen Einwände, die damals schon gegen sie erhoben wurden, hinwegzugehen. So hatte beispielsweise Georg Stanitzek auf den hartnäckigen Präzisionsmangel des Medienbegriffs hingewiesen und die These aufgestellt, dass dieser durch den Metaphernreichtum der Medientheorie kompensiert würde. [3] In der aktuellen Kittler-Begeisterung wird auch oft übersehen, was für eine unangenehm-sektenhafte Ausstrahlung seine Anhänger, die „Kittlerboys“, in den 1990er Jahren haben konnten. Genauso wichtig ist es aber auch, sich klarzumachen, welche Provokation Kittlers „Aufschreibesysteme“ in den 1980er Jahren darstellten und welches Wagnis dieses Buch bedeutete, das schon stilistisch aus dem akademischen Rahmen fiel. Mit Kittler könnte man heute sicherlich die viel diskutierte „Post-Internet-Art“ untersuchen, um der Frage nachzugehen, wie das Internet und soziale Medien im Speziellen unsere Subjektivitäten programmieren. Für ein genaueres Verständnis der gesellschaftlichen Dimension dieser Vorgänge bedarf es jedoch meines Erachtens einer sowohl ökonomiekritischen als auch machttheoretischen Perspektive, die sich eher in den Sozialwissenschaften und bei Michel Foucault finden. So kann man z. B. soziale Medien wie Twitter, Instagram oder Facebook als durchaus symptomatisch für die Funktionsweise der in den Sozialwissenschaften derzeit viel diskutierten „neuen Ökonomie“ ansehen, die für ihre Wertschöpfung bei den Subjekten ansetzt und entsprechend deren „Lebensereignisse“ (Facebook) vermarktet. Foucaults Konzept der Biomacht vermag zudem den Blick für die Genese und Funktionsweise dieser Machttechnologie zu schärfen, die sich ihm zufolge durch unsere Körper hindurchzieht und sich „an das Leben wendet“. [4] Nun haben Medientechniken innerhalb einer solchen Machtform, die auf das Leben zielt, eine zentrale Rolle gespielt, zumal sie die Abschöpfung und Verwertung von Lebenswirklichkeiten ermöglichen und forcieren. Nur wie sie dies tun und was es bedeutet, wenn diese Wertschöpfung in Form von Datenströmen erfolgt – um dies zu untersuchen, müsste man über Kittler hinausgehen.

Britta Thie, "Transatlantics", 2015

TzK: Texte zur Kunst hat Kunst immer als gesellschaftlich wie wirtschaftlich durch den Markt bedingt verstanden. Könnte man deines Erachtens nach Märkte nicht nur als gesellschaftliche, sondern auch als Mediensysteme begreifen? Könnte eine „Mediengeschichte des Sozialen“ an bestimmte Topoi von Texte zur Kunst anschließen?

Graw: In meinem Buch „Der große Preis“ (2008) war ich mit Lars Gertenbach davon ausgegangen, dass der Markt die ganze Ebene des Sozialen in Form eines Netzes umschließt. Da jedoch jedes Netz Löcher aufweist, ist diese Netzmetapher nicht totalisierend gemeint. Es ist mithin möglich, sich marktreflexiv zu diesem netzförmigen Markt zu verhalten, in den man dennoch eingebunden bleibt. Nun würde ich auch Medien als zentrale Instanzen dieses Marktes auffassen wollen, zumal wir spätestens seit den 1960er Jahren in einer Mediengesellschaft leben. Dabei würde ich jedoch nicht trennscharf zwischen medialen und sozialen Systemen unterscheiden. Die viel zitierten Social Media sind ein buchstäblicher Hinweis darauf, dass soziale und mediale Systeme zumal in der digitalen Kultur unmittelbar ineinander­greifen. Es scheint mir auch wenig sinnvoll, einer „Mediengeschichte des Sozialen“ vor einer „Sozialgeschichte der Medien“, wie sie für Texte zur Kunst charakteristisch wäre, den Vorzug zu geben. Denn mit einer Mediengeschichte des Sozialen läuft man einmal mehr Gefahr, dem technologischen Apparat eine determinierende Rolle zuzubilligen, und zwar unter Ausblendung aller anderen gesellschaftlichen Faktoren. Wenn überhaupt, dann müsste eine „Mediengeschichte des Sozialen“ mit einem Medienkonzept arbeiten, das unter Medien eben nicht nur die „Konkretion der Apparaturen“, sondern auch „das Spektrum unterschiedlicher Kulturtechniken“ fasst. [5] In dem Moment, wo man Medien jedoch als Kulturtechniken versteht, wird der Übergang von der Medien- zur Sozialgeschichte ohnehin wieder fließend. Und eine solche Mediengeschichte als Sozialgeschichte wäre natürlich ganz in meinem Sinne.

André Rottmann

Mark Tansey, "Action Painting II", 1984

Texte zur Kunst: Die Rezeption der Texte Friedrich ­Kittlers und seiner Schüler in Deutschland ist verschlungen und zwang in den 1990ern und Nullerjahren viele Akademikerinnen und Akademiker, vor allem jene, die Kunstgeschichte studierten oder lehrten, für oder gegen ihn Stellung zu beziehen. Kittler schrieb wenig direkt über Kunst, und seine Beschäftigung mit visuellen Medien ist bekanntlich problematisch; könntest du daher sagen, was an seinem Werk möglicherweise für kunsthistorische Debatten relevant erschien und woran es andererseits lag, dass es von Kunsthistorikern/-historikerinnen in Deutschland weitgehend abgelehnt wurde?

André Rottmann: Tatsächlich sind Friedrich Kittlers Schriften in den Geisteswissenschaften auf aggressive Ablehnung gestoßen. Trotzdem haben sie bei einer Reihe von (fast ausschließlich männlichen) Schülern loyale, fast schon unterwürfige Bewunderung und Nachahmung gefunden. Obwohl dieser Gegensatz einer längst vergangenen Zeit angehört, könnte gerade dies der Grund gewesen sein, warum Kittlers theoretische Vorschläge nicht unmittelbar eine größere Verbreitung fanden – von der Neigung des Autors zu dunkler Prosa, assoziativen Argumentationen, apodiktischen Behauptungen und politischen Provokationen einmal abgesehen. Doch Kittlers neuartige Methode, Diskursanalyse, lacanianische Psychoanalyse, nietzscheanische Genealogie und Heidegger’sche Seinsgeschichte miteinander zu verbinden, um die Grundsätze der ästhetischen Ideologie und hermeneutischen Traditionen zu demontieren, lieferte die Grundlage für ein ganzes Forschungsgebiet (nämlich die Medienwissenschaften). Und was noch wichtiger ist: Sie trug entscheidend zu einem neuen Epistem bei. Indem Kittler auf der Methodik seines Idols Michel Foucault aufbaute, aber auch über diese hinausging, beschäftigte er sich mit der modernen Kultur (über den Bereich des rein Textuellen hinaus) unter dem Aspekt der Hardware, Speicherung, Übertragung und Verarbeitung von Datenströmen. Dabei ging er auch über die Grammatologie seines Gesprächspartners Jacques Derrida hinaus, indem er Schrift nicht nur im Sinne ihrer différance verstand, sondern auch als eine Informationstechnologie, die zunehmend die Regeln vorgab, denen die Menschen gnadenlos unterworfen sind. [6] Geisteswissenschaftler/innen begannen bald darauf, das Aufkommen ästhetischer Errungenschaften sowie wissenschaftlicher Entdeckungen und Subjektformationen anhand einer „Matrix von Materialitäten“ nachzuvollziehen, das heißt anhand der faktischen Verstrickungen zwischen Wissen, Geräten, Körpern und politischen Ökonomien; der Erfolg dieser einstmals heftig umstrittenen Herangehensweise ist inzwischen so verbreitet, dass man sie kaum noch wahrnimmt. [7] Kittlers Werk reicht von seinen Untersuchungen der 1980er Jahre zum verborgenen Erziehungsapparat der romantischen Literatur und einer Analyse des Übergangs der Moderne von der halluzinatorischen Erfahrung der stummen Lektüre zur Modulierung der Sinne durch die Medien bis zu einem Fokus auf die Computerisierung in den 1990er Jahren und, in seiner letzten Dekade, auf die griechische Antike; es hörte bald auf, Stoff für Schocks und Skandale zu sein, und Kittler fand schon zu Lebzeiten als Klassiker der Theorie der Nachkriegszeit Eingang in die Lehrbücher. [8] Während ich dies schreibe, werden tatsächlich 26 Bände seiner gesammelten Schriften zur Publikation vorbereitet, und eine kürzlich erschienene Anthologie geht so weit, „Current Perspectives in Kittler Studies“ zu versprechen. [9] Die Kanonisierung scheint abgeschlossen zu sein.

Friedrich Kittler, Graz, 1989

TzK: An diesem Punkt erscheinen heute noch die „problematischsten“ Elemente in Kittlers Denken als selbst schon historische Verweise auf seine intellektuelle Biografie und sein akademisches Milieu. In diesem Sinne plädiert beispielsweise der Medienwissenschaftler Claus Pias in der soeben erschienenen Aprilausgabe des Merkur für eine kontextualisierende Herangehensweise an Kittlers Erbe und argumentiert gegen dessen anhaltende Bewunderung (oder auch Ablehnung). Pias hinterfragt insbesondere die Relevanz der berüchtigten Idee, dass alle zivilen Kommunikationsmittel auf einem „Missbrauch von Heeres­gerät“ beruhen – eine Idee, die der Inbegriff jenes Techno-Determinismus ist, der Kittlers Werk oftmals zu Recht vorgeworfen wurde. Pias lokalisiert das Aufkommen dieser Vorstellung in einer früheren Zeit der Computerisierung und der Hackerkultur, die um einzelne Apparate organisiert war, was zu unterscheiden ist von den monolithischen, miteinander vernetzten Diensten, die unsere Gegenwart organisieren und die sich nicht für vergleichbare Arten des Missbrauchs anbieten. [10] Anders gesagt untergräbt Kittlers Prophezeiung, dass eine allgemeine Digitalisierung von Informationen und Kanälen die Differenz zwischen den einzelnen Medien auslöschen würde, inzwischen ein Apriori seiner eigenen theoretischen Agenda: Die Hardware allein reicht nicht aus (wenn sie es denn jemals tat), um die Fähigkeit heutiger Mediennetzwerke zu erklären, Wert aus Humanressourcen zu absorbieren und zu erzeugen.

Rottmann: Allerdings ist Historisierung nicht gleich Obsoleszenz. Kittlers theoretische Beiträge sind aufgrund der Stringenz und des Tiefgangs seiner Analysen noch immer entscheidend für alle Debatten über unsere mediengesättigte, technologisch ausgerichtete Gegenwart – ungeachtet der verstörenden Tatsache, dass seine apokalyptische Rhetorik und sein Hang zum politisch Unkorrekten (wodurch seine Schriften mittlerweile in einer Reihe mit denen von Paul Virilio, Jean Baudrillard und anderen Exponenten des poststrukturalistischen Antihumanismus stehen) häufig in den Wundern des deutschen Ingenieurswesens während des Zweiten Weltkriegs schwelgen. Ich würde, anders gesagt, für eine dialektische Neubewertung von Kittlers Werk eintreten, die dessen aktuelle Relevanz gerade mittels der Anerkennung seiner historischen Begrenztheiten, innewohnenden Unzulänglichkeiten und politischen Wirrungen bemisst.

Rückblickend kann die künstlerische Produktion sicher als ein wesentlicher Prüfstein einer solchen kritischen Neubewertung dienen, weil der Bereich des Ästhetischen oder genauer, der Idealismus und die Werte, die ihm traditionell entsprechen, das Zentrum der Kittler’schen Zurückweisungen bildeten, die zugleich eine kolossale Unkenntnis (oder Gleichgültigkeit gegenüber) der komplexen Geschichte seiner Anfechtung, seines Deskilling und seiner Entsublimierung seit den 1960er Jahren aufweisen. [11] Es ist daher nicht überraschend, dass kunsthistorische Betrachtungen oder gar Kooperationen immer noch selten sind – ungeachtet der Tatsache, dass Kittlers Schriften zunächst in October und später in Grey Room erschienen (und gelegentlich in Texte zur Kunst rezensiert und diskutiert wurden). [12] Doch die Tatsache, dass Kittler selbst sich wenig bis gar nicht für zeitgenössische Kunst interessierte und nur gelegentlich über sogenannte Medienkunst oder über die Standardisierung schrieb, die die computergestützte Architektur mit sich brachte, spricht keineswegs gegen die potenzielle Relevanz seiner Schriften für die Kunstgeschichte und Kunstkritik – schließlich bieten auch die Texte von Derrida über Peter Eisenman oder von Alain Badiou über Mark Lombardi keine wirklich überzeugenden Interpretationen. Entgegen aktuellen Behauptungen über die Erschöpfung der Theorie und ihrer selbstzufriedenen Verweisung an die Ideengeschichte sollte man Kittler einfach als einen weiteren Theoretiker betrachten, dessen Konzepte für die Kunstgeschichte anregend sein können, ohne dass man deshalb gleich das gesamte diskursive Gerüst dieser Disziplin verwerfen müsste – in einer Zeit, in der die Kritik offenkundig damit zu kämpfen hat, den Einfluss von Medien auf die Produktion und Verbreitung von Kunst zu verarbeiten.

Commodore Amiga 1000 (mit Monitor), 1985

TzK: Texte zur Kunst hat sich historisch an der marxis­tischen Soziologie und an Foucaults Theorien zur Biopolitik orientiert, doch die Medienfragen, die Kittlers Werk aufwirft, haben wir, bis auf ein paar Ausnahmen, weitgehend umgangen. Du warst von 2006 bis 2010 leitender Redakteur dieser Zeitschrift; warum wurde diese Trennung aus deiner Sicht aufrecht erhalten? Welche Probleme könnten sich auftun, wenn man heute auf diesen Diskurs zurückkommt? Und welche Möglichkeiten könnte er andererseits eröffnen?

Rottmann: Wenn es um eine dialektische Herangehensweise an Kittlers Werk geht – die versuchen würde, es neu zu positionieren, indem es über dessen tote Punkte hinausgeht –, dann ist es wirklich wichtig, sich daran zu erinnern, dass er im Laufe der 1990er Jahre immer entschiedener betonte, dass man die Hardware der Medien als die einzige Grundlage der modernen Geschichte, Kultur und Gesellschaft verstehen sollte. So erklärte er unermüdlich seine Geringschätzung für die Kritische Theorie der Frankfurter Schule und für die Disziplin der Soziologie als Ganze und trieb damit genau jene Interessen, Methoden und Anliegen aus, die für eine Zeitschrift wie Texte zur Kunst von grundlegender Bedeutung waren: die Sozialgeschichte der Kunst und ihre Hinwendung zu den ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen des Ästhetischen; die Cultural Studies und ihr Beharren auf alternativen Modellen von Subjektivität und Community, die die Popkultur lieferte; Pierre Bourdieus Analyse von Geschmack und Distinktion; und auch den Feminismus, die Queer Studies und die Aktualität der sogenannten Institutionskritik. Was Wunder also, dass es nur wenige Annäherungen und Verbindungspunkte gab. Die Hinwendung von Texte zur Kunst zu Fragen der Biopolitik und der damit zusammenhängenden Verflechtung von zeitgenössischer Kunst und projektbasierten Ökonomien hat diese Distanz sicher nicht verringert. Die Analyse solcher Entwicklungen – die diese Zeitschrift in Ausgaben wie „Nach der Krise“ (2009) und „Life at Work“ (2010) untersucht hat – erforderte eher eine Konzentration auf ökonomische Veränderungen (und deren künstlerische Folgen und Infragestellungen) als eine Beschäftigung mit der Vorherrschaft von Medien. Rückblickend betrachtet, wurde die konstitutive Rolle, die mediale Geräte und Dienste für die kognitive Arbeit und das unternehmerische Selbst im Spätkapitalismus spielen (wie der Aufstieg von Plattformen wie Instagram zur wichtigen Bildquelle jüngerer Ausgaben von Texte zur Kunst bezeugt), sicher nicht ausreichend thematisiert (oder vorhergesehen). Inzwischen hat die Auflösung der monolithischen Kulturindustrie in miteinander verbundene Me­diennetzwerke eine neue Aufmerksamkeitsökonomie für zeitgenössische Kunst hervorgebracht, die das Versprechen größerer Zugangsmöglichkeiten, erhöhter Sichtbarkeit und vermehrter Partizipation ebenso mit sich bringt wie die Gefahr einer anomischen Verstreuung, erzwungenen Fragmentierung und diskursiven Leere. Vor diesem Hintergrund stützt Kittlers programmatische Behauptung „Es gibt keine Software“ von 1992 nur Pias’ Aufforderung, manche von dessen Standpunkten zu historisieren. Trotzdem schließen sich eine an Kittler orientierte Medientheorie und eine Reflexion über „Kontrollgesellschaften“ (die von Gilles Deleuze in seinem berühmten „Postskriptum“ analysiert wurden) grundsätzlich nicht gegenseitig aus. Ganz im Gegenteil: Der Begriff der Kontrolle – die über dezentrierte Netzwerke funktioniert – und der des Aufschreibesys­tems, das Kittler als das „Netzwerk von Techniken und Institutionen“ definierte, „die einer gegebenen Kultur die Adressierung, Speicherung und Verarbeitung relevanter Daten erlauben“, müssen als höchst kompatibel und daher als gleichermaßen produktive Bezugssysteme betrachtet werden, um über Kunst in einem Zeitalter nachzudenken, das Rosalind Krauss durch seine „Post-Medium Condition“ definiert sieht. [13]

Commodore Amiga 4000/40 (mit Monitor); Software: Deluxe Paint V, 1992

Letztlich betrifft diese Gegenüberstellung den Status der Kunst selbst. Es ist offensichtlich, dass sich künstlerische Praktiken nicht restlos in die Geschichte optischer oder anderer Medien integrieren lassen. Das zunehmend prekäre Versprechen künstlerischer Produktion, ihr epistemisches und kritisches Potenzial, kann nicht durch die historischen Wirkungen von Medientechnologien aufgehoben und determiniert werden. Es gibt keine kittlerianische Kunstgeschichte. Es besteht allerdings die Herausforderung, darüber nachzudenken, inwiefern eine Betrachtung des Netzwerks von Techniken und Institutionen, die einer gegebenen Kultur die Adressierung, Speicherung und Verarbeitung relevanter Daten erlauben, mit der von Benjamin Buchloh vorgeschlagenen Analyse der Institutionen verbunden werden könnte, „die die Bedingungen des Kulturkonsums bestimmen […] [und] in denen die Kunstproduktion in ein Werkzeug der ideologischen Kontrolle umfunktioniert wird“. [14] Eine solche Fragestellung könnte Untersuchungen zur Kunst des 20. Jahrhunderts (die an mehreren Wendepunkten durch den Einsatz so unscheinbarer Medien und Geräte wie Karteikarten, Schreibmaschinen, Typografie, fotografische Dokumentationen, Beschilderungen und das Postwesen charakterisiert werden kann) neue Wege eröffnen. Die Aufgabe besteht also darin, zwischen der Medientheorie und der Geschichte der zeitgenössischen Kunst spannungsvolle Zusammenhänge herzustellen, das heißt, weder die Auswirkungen der Technik auf die Ästhetik zu ignorieren, um traditionelle Vorstellungen von Autonomie wiederherzustellen (oder das Unzeitgemäße und Obsolete zu bestaunen), noch Kunstwerke auf Kosten ihres angestammten kritischen Potenzials vollständig in den Netzwerken von Kommunikationskreisläufen aufzulösen.

Wie Simon Baier kürzlich in Texte zur Kunst argumentiert hat, neigen aktuelle kunsthistorische Auseinandersetzungen mit der neuen Geschwindigkeit und Intensität von Kommunikation und Zirkulation – auch wenn sie dringend benötigt werden und einleuchtenden Impulsen folgen – zu Letzterem. [15] Häufig dienen Metaphern und Idiome – die eher aus dem Bereich der Social Media und digitalen Technologien als aus dem der greifbaren materiellen Strukturen kommen, von denen Letztere getragen werden – als Ausgangspunkte für Argumentationen oder reine Spekulationen. In dieser Hinsicht kann Kittlers Werk dazu dienen, an die Berechtigung der umgekehrten Herangehensweise zu erinnern: den greifbaren Einfluss der Computerisierung in seiner Materialität zu erkennen und zu bemessen (obwohl die Technologie dazu neigt, ihr Wesen zu verbergen) und dabei jede Ästhetisierung der Medien zu vermeiden.

Britta Thie, "Transatlantics", 2015

TzK: Der Begriff der „Kulturtechniken“, den Cornelia Vismann (†) und Bernhard Siegert weiterentwickelt haben, war für die jüngste Erweiterung der Definition von „Medien“ von entscheidender Bedeutung. Hier werden Medien nicht bloß als einzelne technologische Objekte, sondern zunehmend als Operationen definiert. Wie könnte ein solcher Begriff für das Verständnis bestimmter künstlerischer Praktiken produktiv gemacht werden? Meinst du, dass sich die Operationen der Kunst-„Institution“ in diesen Begriffen beschreiben lassen?

Rottmann: Der Begriff der „Kulturtechniken“, der ursprünglich aus Abhandlungen des frühen 20. Jahrhunderts zur Landwirtschaft stammt, taucht in Kittlers Werk sporadisch auf. Wahrscheinlich ist es trotzdem der zentrale Gedanke, an dem sich die deutsche Medientheorie neu orientiert hat. Zwar handelt es sich um einen viel diskutierten Begriff, von dem es heißt, er markiere den Übergang vom Anti- zum Posthumanismus; doch man kann ihn so auffassen, dass er Ideen und Implikationen umfasst, die in ihrer Gesamtheit als Korrektive für die ausschließenden Tendenzen des Techno-Determinismus dienen. Wie Bernhard Siegert ausgeführt hat, bezeichnen Kulturtechniken – von denen Schreiben, Rechnen und Zeichnen wohl die elementarsten sind – im Allgemeinen Abfolgen von Operationen, die dem Alphabet, der Zahl oder dem Bildbegriff vorangehen, ihrerseits aber von einem historisch gegebenen „Mikronetzwerk“ aus Technologien und Techniken abhängen. [16] Sie erzeugen Medien durch Praktiken und Prozesse, und als solche ermöglichen sie es, noch einmal neu – das heißt jenseits bereits eta­bl­ierter Kategorien von Appropriation, Zitat und Simulation – über die unterschiedlichen Formate und vielfältigen Materialien nachzudenken, die seit den Avantgarden in die Morphologie von Kunstwerken integriert wurden. Im Unterschied zu Kittlers Herangehensweise – der Marshall McLuhans Diktum, dass Medien Erweiterungen des Menschen seien, bekanntlich zurückwies – implizieren Kulturtechniken (wenigstens in dieser Hinsicht) eine physische, körperliche Dimension, die man erweitern könnte und sollte, um Überlegungen zu Gender und Ethnizität einzubeziehen, die in der sogenannten deutschen Medientheorie bislang so offenkundig fehlen. [17]

Die grundlegendste Operation, die Kulturtechniken ausführen, besteht darin, jene Unterschiede herzustellen – wie etwa die, die ein Tor zwischen innen und außen oder die ein Pflug zwischen Land und Grundbesitz erzeugt [18] –, die zu einem ersten Grad an Akkulturation führen. Siegert betont, dass Kulturtechniken, als Anordnungen von Ersetzungen und Symbolen, einerseits die Schnittstelle zwischen der kulturellen Ordnung und dem Realen erzeugen und instituieren; doch andererseits bergen sie das Potenzial, eben diese Ordnung zu durchbrechen und zu stören, indem sie den unmarkierten Raum aufzeigen, der durch ihre Implementierung vorausgesetzt wird – daher schließen Kulturtechniken die Möglichkeit ein, jene Elemente, die in allen Formen der Institutionalisierung ausgeschlossen sind, greifbar zu machen und sie intrinsisch mit einer Analyse der Macht zu verbinden. [19]

Wolfgang Münch, Kiyoshi Furukawa, "Bubbles", ZKM Karlsruhe, 2000, Ausstellungsansicht

Angesichts dieser Aspekte erscheint mir beispielsweise ein Transfer zwischen dem Konzept der Kulturtechniken und der Erforschung und Kritik der „Institutional Critique“ sowie ortsspezifischer Kunst im Allgemeinen, der dazu beitragen würde, das Erstere zu konkretisieren und zu verorten und die Methoden der Letzteren zu erhellen, geradezu zwingend. Ein solcher gegenseitiger Perspektivwechsel könnte dazu beitragen, das Verständnis künstlerischer Methoden zu erweitern, die seit Ende der 1960er Jahre mithilfe eines breiten Spektrums intermediärer (weder als ästhetisch noch als massenmedial zu qualifizierenden) Techniken die untergeordneten oder flüchtigen Aspekte von Architektur thematisiert haben und die dabei über bloße Überlegungen zu Museumsstrategien und Ausstellungskonventionen hinausgegangen sind. Gleichzeitig bleibt das Konzept der Kulturtechniken, das bezeichnenderweise auch im Hinblick auf die Grenzen des gebauten Raums veranschaulicht wurde, [20] aufgrund seines riesigen historischen Anwendungsbereichs und seiner terminologischen Unschärfen immer noch in einem gewissen Maß schwer fassbar; es bedarf daher einer Konkretisierung in präziser eingegrenzten Kontexten.

Übersetzung: Barbara Hess

Anmerkungen

[1]Britta Thie, „Transatlantics“, 2015, Filmstill
[2]christopherkane.com, 2015
[3]Georg Stanitzek, „Im Medium der Medientheorie. Figuren der Eigentlichkeit/Kulturkritik“, in: Texte zur Kunst, 21 („Apparate“), 1996, S. 32–39.
[4]Vgl. Michel Foucault, „Vorlesung vom 17. März 1976“, in: Ders., In Verteidigung der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1999, S. 282–311, hier: S. 294.
[5]Vgl. Stefan Rieger, Die Individualität der Medien. Eine Geschichte der Wissenschaften vom Menschen, Frankfurt/M. 2000, S. 16f.
[6]Siehe Friedrich A. Kittler, Grammophon, Film, Typewriter, Berlin 1986, S. 5.
[7]Ich entnehme den Begriff „Matrix of Materialities“ einem aktuellen Aufsatz über „Seurat’s Media“ von Carol Armstrong, in: Grey Room, 58, 2015, S. 6–25. Über die paradoxe Unerkennbarkeit von Kittlers erfolgreichem Vorstoß in den heutigen Geisteswissenschaften siehe Peter Geimers Nachruf auf Friedrich Kittler, in: Texte zur Kunst, 84, 2011, S. 207–209, hier: S. 208.
[8]Geoffrey Winthrop-Youngs Einführung in Kittlers Werk „Friedrich Kittler zur Einführung“, Hamburg 2005, die später auf Englisch unter dem Titel „Kittler and the Media“, Cambridge/Malden, Mass. 2015, erschien, ist für diesen Prozess ebenso aufschlussreich wie symptomatisch.
[9]„Kittler Now. Current Perspectives in Kittler Studies“, hg. von Stephen Sale/Laura Salisbury, Cambridge/Malden, Mass. 2015.
[10]Siehe Claus Pias, „Friedrich Kittler und der ‚Mißbrauch von Heeresgerät‘. Zur Situation eines Denkbildes 1964 – 1984 – 2014“, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, 791, 2015, S. 31–44, hier: S. 33f. Pias’ Argumentation bezieht sich vorwiegend auf Kittlers Aufsatz „Rockmusik – ein Mißbrauch von Heeresgerät“, in: Appareils et machines à représentation (Mannheimer Analytica), hg. von Charles Grivel, Berlin 1988, S. 87–101.
[11]Für eine überzeugende Erörterung des Drucks, den die Kräfte der Entsublimierung gegenwärtig ausüben, siehe Benjamin H. D. Buchlohs Einleitung zu seinem Buch „Formalism and Historicity. Models and Methods in Twentieth-Century Art“, Cambridge, Mass./London 2015, bes.: S. xxii–xxvi.
[12]Ich denke hier an Horst Bredekamps Zusammenarbeit und Austausch mit Kittler seit dem Beginn ihrer Tätigkeit an der Humboldt-Universität Berlin, wie etwa in Forschungsprojekten wie „Bild Schrift Zahl“ am Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik; Peter Geimers Geschichte fotografischer „Bilder aus Versehen“ geht von den materiellen Einschreibungen des Realen im Medium aus und scheint daher zum Teil auf einer Kittler’schen Analyse der Hardware ohne menschliche Akteure zu basieren. Siehe beispielsweise Peter Geimer, „A Self-Portrait of Christ or the White Noise of Photography? Paul Vignon and the Earliest Photograph of the Shroud of Turin“, in: Grey Room, 59, 2015, S. 6–43. Rosalind Krauss hat kürzlich ihre Verteidigung der Medienspezifik und ihrer mnemonischen Dimensionen gegen Kittlers weiter oben angedeutete Behauptung, dass alle Unterschiede zwischen Medien unter den Bedingungen der Digitalisierung hinfällig würden, ausführlicher dargelegt; siehe dies., Under Blue Cup, Cambridge, Mass./London 2011, S. 38f.
[13]Gilles Deleuze, „Postskriptum über Kontrollgesellschaften“, in: ders., Unterhandlungen 1972–1990, Frankfurt/M. 1993, S. 254–262; die Definition des Aufschreibesystems findet sich in Kittler, Aufschreibesysteme 1800/1900 [1985], 3., vollst. überarb. Aufl. 1995, S. 519; zum Begriff „Post-Medium Condition“ siehe Rosalind E. Krauss, A Voyage on the North Sea. Art in the Age of Post-Medium Condition, London 2000; zur Beziehung zwischen diesen Positionen siehe meinen Aufsatz „Netzwerke, Techniken, Institutionen: Kunstgeschichte in offenen Kreisläufen“, in: Texte zur Kunst, 81, 2011, S. 67–71.
[14]Benjamin H. D. Buchloh, „Conceptual Art 1962–1969: From the Aesthetics of Administration to the Critique of Institutions“ [1990], in: ders., Formalism and Historicity, S. 464. Für einen ersten Versuch, eine solche Fragestellung zu verfolgen, siehe meinen Aufsatz „Displacing the Site: John Knight and the Museum as Modulation“ [2011], in: John Knight, October Files, Bd. 16, hg. von André Rottmann, Cambridge, Mass./London 2014, S. 177–197.
[15]Siehe Simon Baier, „Das Feste und das Flüssige. Über ‚After Art‘ von David Joselit“, in: Texte zur Kunst, 90, 2013, S. 188–193, hier: S. 192.
[16]Bernhard Siegert, „Cultural Techniques: Or the End of the Intellectual Postwar Era in German Media Theory“, in: Theory, Culture & Society, 6, 2013, S. 48–65, hier: S. 58.
[17]Siehe ders., „Cacography or Communication? Cultural Techniques in German Media Studies“, in: Grey Room, 29, 2008, Special Issue: „New German Media Theory“, hg. von Eva Horn, S. 26–47, hier: S. 30.
[18]Siehe Cornelia Vismann, „Kulturtechniken und Souverni­tät“, in: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung, 1, 2010, „Kulturtechnik“, S. 171–181, hier: S. 171.
[19]Siehe Siegert, „Cultural Techniques“, S. 61f. Siehe auch ders., „Cacography or Communication?“, S. 31.
[20]Ders., „Türen. Zur Materialiät des Symbolischen“, in: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung, 1, 2010, „Kulturtechnik“, S. 151–170.