Ein wesentliches Moment von Tanz, von der Lust, selbst zu tanzen wie der, Tanzenden zuzusehen, ist die Erfahrung von Schwerkraft, die den Körper im Raum stabilisiert, ihn zu Boden zieht und zugleich aufstrebende, sogar schwebende Bewegungen zulässt. Der begehrte, der ausgelassene, der trainierte, der unterstützende, der vergessene, der vertraute Körper und dessen Verlust sind mehr als nur Motive in der aktuellen Performance des in Guadeloupe (FR) geborenen Künstlers Jimmy Robert. In „Joie noire“ tritt er gemeinsam mit der US-amerikanischen Tänzerin Courtney Henry auf. Über die Dauer von ca. einer Stunde werden von ihnen und dem Publikum eine ganze Reihe von Zuständen durchlaufen, die immer entweder zu schwer oder zu leicht scheinen, in denen emotionale Nähe ebenso wie historische Distanz zu den verhandelten Themen abgebildet und provoziert wird.
An zwei Abenden in den Kunst-Werken aufgeführt, ist die Performance der Auftakt einer dreiteiligen Reihe, die sich dem britischen Künstler, Filmkurator und Autor Ian White widmet, der 2013 an Krebs verstorben ist. Anders als in der im vergangenen Jahr im Camden Arts Centre in London realisierten Ausstellung werden hier keine Bezüge zu spezifischen Arbeiten Whites hervorgehoben. Mit der von Mason Leaver-Yap kuratierten Einladung an drei Künstler*innen, die mit White befreundet waren, verbindet sich vielmehr die Idee, die jahrelange gegenseitige Einflussnahme und Auseinandersetzung mit ihm anzuerkennen und weiterzudenken. Emma Hedditch und Every Ocean Hughes werden ebenfalls jeweils zwei Tage lang die Räume der KW bespielen und dabei, wie Robert, mit unterschiedlichen künstlerischen Strategien auch die Institution selbst in den Blick nehmen. Denn in dieser Konstellation von Künstler*innen bilden sich nicht nur Freundschaften ab – die schließlich privat wären, wie Robert/White in „Time|Form(s)|Friendship“ über ihre gemeinsame Performance-Praxis schreiben: „By this time we were dramatising friendship. Which is always a risk – not least to friendship itself, which is private.“ In diesen früheren wie auch den aktuellen „Dramatisierungen“ geht es diesen vier Künstler*innen immer auch um das Verständnis und die Bearbeitung der Räume, in denen intime, kollaborative oder ökonomische Beziehungen entstehen und wie sie davon geprägt werden. Bereits in seiner Arbeit als Filmkurator hat White die Bedeutung der Vorführung für die Aktualisierung eines Films betont, und, durch performative Interventionen, die genre- und zeitenübergreifende Kombination von Filmen und Videos oder die intensiven Gespräche mit Filmemacher*innen und Publikum, dem Kino als Live Art eine Form gegeben. Auch seine Performances benennen, strapazieren oder verlassen immer wieder den Rahmen dieser temporären sozialen Nähe der Aufführung: „Now, 6 things we couldn’t do, but can do now“ (mit Jimmy Robert, 2004) ist eine Versuchsanordnung um auf der Bühne Zeit miteinander zu verbringen, in „Democracy“ (2010) tritt er auf die Straße und lässt das Publikum hinter sich zurück.
In „Joie noire“ wird das Publikum zunächst von den Angestellten der KW in zwei Gruppen geteilt und zeitlich versetzt durch einen Seiteneingang in die Kellerbar geführt. Noch unter dem Eindruck der dort über Audio eingespielten Lesung Ian Whites von Jessica Mitfords „Behind the Formaldehyde Curtain“ betritt man den sich langsam mit Nebel füllenden, in blaues Diskolicht getauchten Ausstellungsraum. Und wartet. Mit diesem Auftakt entfalten sich in der Folge die einzelnen Elemente der Performance in einem beeindruckenden Timing, das ihnen viel Zeit einräumt, zu erscheinen, sich zu überlagern und wieder abzulösen. Die im Raum verteilten Zuschauer*innen sind in diese Choreographie eingebunden, nehmen jedoch keinen Einfluss auf deren Ablauf. Mit dem Auftritt der beiden Performer*innen, von einer der Treppen herabschreitend, entsteht eine unmittelbare Gewichtsverlagerung von Aufmerksamkeit und körperlicher Präsenz. Das räumliche Zentrum verschiebt sich geradezu magnetisch in ihre Richtung. Robert und Henry, als Double gekleidet, sich in ihren Bewegungen häufig spiegelnd und ergänzend, sind einander eher in Komplizenschaft zugewandt, als dass sie die heterosexuelle Figur eines klassischen Tanz-Paares reproduzierten. In mehreren, durch Licht, Bewegung und die Verschiebung des Blicks der Betrachter*innen hervorgehobenen Stationen, werden über das Ein- und Ausblenden von Sound, Tanz, Lesung und Fotografie verschiedene Referenzen und Materialien aufgerufen und in Beziehung gesetzt. Die von Robert eingenommene Pose Grace Jones’ mit Zigarette von ihrem Album Nightclubbing und der von ihm gesprochene Songtext – „Tu cherches quoi, rencontrer la mort?|Tu te prends pour qui.|Toi aussi tu detestes la vie“ – wirken wie eine melancholische Nahaufnahme der androgynen Ikone der Popkultur. Andere Bezüge hingegen, wie etwa der Remix „Untitled: Disco Reconstructed“ der Soundkünstlerin und DJ Ain Bailey oder die Erinnerungen des Kunstkritikers Douglas Crimp an die Entstehung der Diskokultur in New York, erschließen sich erst über die Bibliographie des Handouts. „The innovations of disco mirrored the ethos of gay liberation regarding the expansion of affectional possibility.“ – Die von Crimp aufgerufenen Vorstellungen exzessiven Tanzens, von sich verausgabenden und schwitzenden Körpern, von temporären Begegnungen auf der Tanzfläche, sind hier nur indirekt spürbar. Und mit diesem Echo einer vergangenen Clubkultur, aufgeführt in einer Kunstinstitution, befragt Robert die Grenzen der aktuellen „affektiven Möglichkeiten“ beider Räume.
In anderen Performances hat Robert sich dem hypertransparenten Ambiente von Ausstellungsräumen, deren Helligkeit, Geradlinigkeit und verglasten Wänden, gleichsam körperlich entgegengestellt, um sich und sein Publikum mit dem darin eingeschriebenen kolonialistischen Erbe und Genderstereotypen zu konfrontieren. Das gilt auch für Auftritte auf Theaterbühnen, nicht zuletzt in der Zusammenarbeit mit Ian White. Die Kunsttheoretikerin Kerstin Stakemeier schreibt: „White animiert seine Quellen, indem er in seinen Performances auch umgekehrt sich selbst auf sie zuspitzt. Indem White allegorisch wird, werden seine Referenzen lebendig.“ In „Joie noire“ werden einige der gemeinsamen Quellen von Robert und White animiert. An der Wand hängt die Fotografie einer von Roberts Händen aufgeschlagenen Buchseite von Gregg Bordowitz’ „General Idea: Imagevirus“ mit einer Abbildung von General Ideas „Black AIDS Painting“ . Auch hier geht es um verdrängte Erlebnisse, die nicht nur die New Yorker Kunst- und Clubszene in den 1980er Jahren tief getroffen und verändert haben: das verzögerte, von Angst geprägte und staatlich verhinderte Sprechen über AIDS und die daraus resultierende brutale Ausgrenzung. In der Mitte des Stücks liest Courtney Henry eine Montage von Zitaten aus „Women, AIDS, and activism“, einer Textsammlung der ACT UP Women and AIDS Book Group. Sie spricht über die Erfahrungen mit der Krankheit von Frauen aus Haiti und ihrem Zugang zu Sexualität und Gesundheit. Courtney liest den Text von einem großen Bildschirm, der in eine Ecke des Raumes gerichtet ist. Ihr Oberkörper wird dadurch beleuchtet und bleibt für das Publikum verdeckt. Gelegentlich streicht sie dabei in weichen Bewegungen entlang der Kanten des Geräts und über die Wand hinter ihr. Sie stellt damit eine Verbindung her, zwischen sich, den im Raum Anwesenden und der Erzählung von lesbischen Frauen, die zu den wenigen zählten, die mit ihren Händen die kranken Körper ihrer männlichen Freunde pflegten: „The hands that touch. The hands that care. Do you know them? Where do you find them?“
„Joie noire“ ist ein entschieden inszenierter Balance-Akt, eine poetische Reflexion über Räume und Zeichen von Intimität und Freundschaft. Wenn Courtney Henry und Jimmy Robert am Ende miteinander tanzend über die Treppe nach oben verschwinden, werden alle anderen in (und mit) der je eigenen Position im Raum zurückgelassen.
Karolin Meunier arbeitet als Künstlerin und Autorin in Berlin.
Anmerkungen