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Sabeth Buchmann und Rike Frank über "Available Light" von Lucinda Childs Available History

Wie vor drei Jahren, als Lucinda Childs im Rahmen von „Tanz im August“ ihr Stück „Dance“ (1979) mit einer Komposition von Philip Glass und Filmeinspielungen von Sol LeWitt zur Aufführung brachte, handelt es sich auch bei „Available Light“ um die Wiederaufnahme oder Re-Imagination [1] einer früheren Choreografie. „Available Light“ war ursprünglich 1983 im Vorfeld der Eröffnung des MOCA in Los Angeles von der Kuratorin Julie Lazar als Auftakt von dessen Public Program beauftragt worden. Ohne Vorgabe eines räumlichen Settings sollten Teams aus Choreographen und Choreographinnen, Architekten/Architektinnen und Designern/Designerinnen an unterschiedlichen Orten der Stadt Performances entwickeln, die die Bühnensituation programmatisch adressieren. Gemeinsam mit dem Architekten Frank Gehry und dem Komponisten John Adams [2] fiel die finale Entscheidung für Childs‘ Stück auf „Temporary Contemporary“, eine ehemalige Eisenwarenhandlung und Autowerkstatt in Little Tokyo, die Gehry zeitgleich zum interimistischen Standort des Museums umbaute.

Das Bühnendesign spiegelte dessen provisorischen Charakter in einer konstruktivistisch anmutenden Serie von Gerüstkuben wider: Fünf raumhohe, nebeneinander aufgereihte Metallkäfige mit vertikalen und diagonalen Streben definierten die zwei durch seitliche Treppenaufgänge verbundenen Tanzebenen. Die Bühnenarchitektur korrespondierte zugleich mit Childs‘ minimalistisch anmutender, knapp einstündiger Choreografie als eine gleichermaßen vertikal wie diagonal strukturierte Anordnung von einzelnen Einheiten, Reihen, Linien wie auch mehrstufigen Sets. An die Vorliebe serieller Kunst für mathematische Regelwerke erinnernd, erschienen die mal zentrierten, mal dezentrierten Bewegungsabfolgen der zwölf Tänzer/innen einer strikt geometrischen Struktur unterworfen, die (dem minimalistischen Credo folgend) zugleich frontale Ausrichtungen dynamisierte und ihnen eine räumliche, dreidimensionale Tiefe verlieh.

Im August 2015 betrachtet, als „Available Light“ nun im Haus der Berliner Festspiele wiederaufgeführt wurde, drängte sich, neben der Debatte über Methoden und Strategien der Rekonstruktion, die Frage auf, ob und worin sich die in der Hochphase der Postmoderne entstandene Inszenierung von Childs‘ Choreografien der 1960er Jahre unterschied. Anna Kisselgoff schrieb in ihrer damaligen Hymne über Childs‘ Stück, das nach seiner Premiere in L.A. noch im selben Jahr im Rahmen einer „New Wave“ genannten Veranstaltungsreihe an der Brooklyn Academy of Music gezeigt wurde, dass es die „Integrität ihrer mathematischen Stringenz“ mit einer neuen „fruchtigeren Dichte“ kombiniere. [3] In „Available Light“ begegnete man also einer ‚wavigen’ Version der geometrischen Abstraktion, die zwar augenscheinlich unspröder als die Choreografien der 1960er war – im Unterschied zur narrativen Wende, wie sie etwa Yvonne Rainer Anfang der ’70er Jahre mit ihrer Entscheidung, den Tanz zugunsten des Films aufzugeben, vollzog [4] – weiterhin aber an einer strikt strukturellen Ästhetik festhielt. „Available Light“ verweigert(e) sich somit dem modernistischen Innovations-Credo genauso wie der modernismuskritischen Referenz.

So kennzeichnete die Choreografie das für die minimalistische Postmoderne charakteristische Oszillieren zwischen Fragment und Ganzheit, zwischen sichtbarer Machart und formaler Eleganz. Hierin schwingt schließlich auch jene Dystopie dekonstruktivistischer Ästhetik mit, für die Gehrys Architekturen der 1970er und 80er emblematisch stehen. Das für die sechziger Jahre charakteristische ‚Grid’ wurde dabei gegen die ins Expressive changierende Diagonale eingetauscht: Sowohl im Fall von Gehrys ‚Käfigen’ als auch im Fall der Choreografie ersetzt sie die minimalistische Gegensatzspannung durch ein dynamischer wirkendes Zickzackmuster. Das ‚Wavige’ ist hier offenbar ganz und gar buchstäblich zu verstehen, nannte Adams sein Stück doch „Light over Water“ – womöglich nicht nur die Lichterveränderungen vor seinem Studio am Meer zitierend, sondern auch in Anlehnung an die Entstehung von Licht aus der Kopplung elektronischer und magnetischer Wellen. Ein Motto, das in „Available Light“ zugleich der choreografischen Kopplung von Bewegung, Sounddesign (Mark Grey) und Beleuchtung (Beverly Emmons, John Torres) zu entsprechen schien.

Auf abstrahierter Ebene verknüpften sich die beteiligten Disziplinen – Tanz, Architektur/Design und Musik – somit im kinematischen Prinzip des bewegten Lichts. Doch anders als die von LeWitt entworfene Bühnenprojektion in „Dance“, die dazu diente, die Tänzer/innen zu verdoppeln und zu vergrößern sowie ihre Bewegungen quasi-kinematisch zu verzeitlichen, stellt das Medium des Films in „Available Light“ kein explizites Dispositiv dar, sondern eine implizite ‚Schnittstelle’ zwischen den visuellen und performativen Künsten. Childs‘ Interesse am Film findet auch anderswo eine Spiegelung: So spielte sie 1983 eine Hauptrolle in „Giro Turistico Senza Guida“ von Susan Sontag, neben Jeremy Gilbert-Rolfe und Ingram Marshall ihrerseits eine der Autor/innen des Katalogs zu „Available Light“.

Dem visuell-performativen Schnittstellen-Prinzip entsprachen schließlich auch die in je einer Grundfarbe (rot, weiß, schwarz) gehaltenen Kostüme (Kasia Walicka Maimone), die – klassischen Schnittmustern von Baumwollunterwäsche angelehnt – mit individuell gestalteten Schärpen dekoriert waren. Dass Lichtwechsel die Dreifarbigkeit dabei auch in ‚zweifarbige’ Hell-Dunkel- bis hin zu Schwarz-Weiß-Kontraste tauchte, brachte noch zwei weitere, auf den ersten Blick nicht sichtbare Momente zum Ausdruck: Die Entstehung von Farbe aus Licht, sowie die dem Licht zugrundeliegende wellenförmige Bewegung („light over water“), in Anknüpfung an das zentrale Motiv der Choreographie. Die Lichtwechsel verbanden insofern nicht nur programmatisch Bühnenraum und kalifornische Architektur, mehr noch erinnerte „Available Light“ auch an die besondere Bedeutung, die der Film – in Childs‘ ersten Jahren als Choreografin – für die Crossover aus Tanz und bildender Kunst im Rahmen der Judson-Church-Bewegung [5] und der Minimal Art hatte.

Das hierbei virulente Interesse an ‚non-illusionistischer’ Bewegung lässt sich auch an der von Childs zu Anfang der 1980er Jahre gewählten Form der Kollaboration ablesen. Sie unterschied sich indes von damals populär werdenden Verfahren der ‚Referenzialität’ und ‚Hybridität’, die seither die Fusionen von visuellen und performativen Künsten bestimmen. „Available Light“ ruft eine historische Genealogie auf, die weder mit dem modernistischen Reinheitsdenken noch mit postmoderner Multimediaästhetik in Einklang steht. Dem stellt Childs‘ Choreografie eine sukzessive Weiterentwicklung von Strukturprinzipien gegenüber, die dazu angetan sind, das postmoderne Credo der Pluralität und Heterogenität in ein komplexer gewordenes System aus Beziehungen zu überführen: Stets als distinkte Einheiten innerhalb eines zwölfköpfigen Ensembles operierend, war es bezeichnender Weise das zugrunde gelegte Zählmaß, das die modularen Bewegungen der Tänzer/innen miteinander verband und das man selbst an ihrem Atemrhythmus zu erkennen meinte. [6] Während die untere, auf Augenhöhe des Publikums befindliche Bühne als Ort des Kollektivs fungierte, führten jeweils ein/e, zwei oder drei Tänzer/innen auf der die fünf Metallkäfige miteinander verbindende oberen Plattform die Grundelemente einer jeden Bewegungssequenz vor.

Im Vergleich zur opulenten Ästhetik von Robert Wilsons und Philip Glass‘ Oper „Einstein on the Beach“, deren Choreografie Childs 1976, also sieben Jahre vor der Uraufführung von „Available Light“, entworfen hatte, nahm sich das spätere Werk also, um nochmals Kisselgoff heranzuziehen, um einiges ‚unfruchtiger’ aus. Dies mag nicht nur am formal reduzierten Bühnenbild, sondern auch an Adams’ rhythmisch an- und abschwellendem Oszillieren zwischen Konstruktion und Komposition gelegen haben. Auch wenn der sphärisch-ambienthafte Synthezisersound die Industrieästhetik des Minimalismus überlagerte, schien dessen Interesse an den maschinengenerierten Steuerungsmechanismen des modernen Lebens für die Bewegungen der Tänzer/innen ausschlaggebend.

Dass Childs ihr Stück nun mit Tänzern und Tänzerinnen unterschiedlicher Größe und Statur einstudiert hat, lässt einmal mehr eine besondere Aufmerksamkeit für multiple Differenzbildung, mithin für eine gegen-normalisierende bzw. antinormative Haltung und Methode erkennen. Und insofern es schließlich ihre eigenen Produktionsprinzipien waren, die sie mit „Available Light“ herausforderte, ohne etwa dem von Wilson eingeschlagenen Weg weiter zu folgen, lassen sich an der Wiederaufführung eines 33 Jahre alten Stücks auch zeitgeschichtliche Sequenzen ablesen, die gerade heute wieder von Bedeutung sind. Bezeichnender Weise waren ihren Stücken, wie aus einem FAZ-Interview von Verena Lueken mit der Choreografin zu erfahren ist [7] , keine größeren Publikumserfolge beschieden – erschwerend seien, wie sie erklärt, die Steuergesetze unter Reagan dazu gekommen, die eine kontinuierliche Ensemblearbeit finanziell verunmöglicht hätten.

Dass „Avaiblabe Light“ inmitten von dessen erster Amtszeit entstand, die für die rabiate Etablierung einer neoliberalen Wirtschaftsordnung steht, wirft ein hoffnungsmachendes Licht auch auf die Entscheidung von Institutionen wie „Tanz im August“, Werkformen wie diese zu zeigen: Also Arbeiten, die ein augenscheinlich unkorrumpierbares Bestehen auf dem Primat des Künstlerischen erkennen lassen, innerhalb eines kulturellen Klimas zu präsentieren, in dem quotenträchtige Großevents mehr zählen als kontinuierliche Strukturarbeit.

"Available Light", 1983, Choreographie: Lucinda Childs, Musik: John Adams, Bühnenbild: Frank Gehry. Wiederaufführung im Rahmen von "Tanz im August", 27. Internationales Festival Berlin, 13. August - 4.September 2015.

Aus rechtlichen Gründen können die Bilder, die diesen Text zum Zeitpunkt der Veröffentlichung begleitet haben, nicht mehr gezeigt werden.

Anmerkungen

[1]Dieser Terminus findet sich auf der Webseite des PewCenter for Arts & Heritage, einem der Förderer der Neuadaption.
[2]Adams, Childs und Gehry erste Zusammenarbeit; wohl kannten sie ihre Arbeiten gegenseitig auch nicht oder kaum, siehe hierzu: Julia Lazars Katalogtext "Setting Sound Sights: Interactive Improvisation", 1983; in: http://www.kcet.org/arts/artbound/counties/los-angeles/available-light-moca-lucinda-childs-frank-gehry.html
[3]Anna Kisselgoff, "Dance: In Brooklyn, Premiere of 'Available Light'", in: http://www.nytimes.com/1983/10/29/arts/dance-in-brooklyn-premiere-of-available-light.html
[4]30 Jahre später sollte Rainer jedoch zum Tanz zurückkehren.
[5]Zum Judson Church Dance Theater zählten neben Childs u.a. Trisha Brown, Simone Forti sowie Yvonne Rainer.
[6]Siehe: "Mein Tanz ist abstrakt und deshalb völlig unpolitisch", Lucinda Childs im Gespräch mit Verena Lueken, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.08.2015.
[7]siehe ebenda.