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Offensive der hängenden Spitze, Barbara Buchmaier über „Die Tiefe des Raumes“ in der Galerie Jahn Baaderstraße, München

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„Die Tiefe des Raumes", Ausstellungsansicht, Galerie Jahn Baaderstraße, München 2011.

Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass Ben Kaufmann seine 2004 in München eröffnete und seit 2005 in Berlin ansässige Galerie zum Ende des Jahres schließen wird. Was er – selbst ursprünglich Künstler und selten auch mal Kurator – im Anschluss tun wird, ist noch unbekannt. Galerist, Künstler und Kurator: Diese drei Rollen waren bei Kaufmann nie klar getrennt. Auf der Art Cologne 2010 bot er unter dem Titel „Nachlass-Show (1993-2003)“ seine früher entstandenen künstlerischen Arbeiten zum Kauf an. Für die Ausstellung und Veranstaltungsreihe „Meisterwerke des 21. Jahrhunderts“, die sich auf die 1972er-Ausstellung „Meisterwerke des 20. Jahrhunderts“ des Düsseldorfer Avantgarde-Galeristen Alfred Schmela bezog, verwandelte er im Winter 2008 seine Räume am Strausberger Platz in ein Café und Forum für Performances und Vorträge, um das Programm und die Funktion seiner Galerie öffentlich zur Diskussion zu stellen. Vor diesem Hintergrund ist es natürlich interessant, was Kaufmann – der selbst in einer Performance schon mal seinen Namensvetter, den US-amerikanischen Entertainer Andy Kaufman (1949–1984), imitierte – in der von ihm kuratierten Ausstellung „Die Tiefe des Raumes. Transkription von Präfigurationen im Ausstellungskontext“ in München gezeigt hat.

Eingeladen von Matthias Jahn, seit knapp zwei Jahren Betreiber einer eigenen Galerie und selbst auch ursprünglich Künstler, präsentierte Kaufmann nicht die von ihm erwartete Gruppenausstellung, sondern eine reduzierte und dezidiert nüchterne, konzeptuell chiffrierte Schau, versetzt mit einer Prise Institutionskritik. Die zwei zentralen Elemente von „Die Tiefe des Raumes“ waren zum einen Kopien von vier unterschiedlichen Pressetexten früherer Ausstellungen anderer Institutionen und Galerien, welche an einer der Galeriewände nebeneinander in vier neutralen Plexiglashaltern zum Lesen und Mitnehmen angeboten wurden. Dazu wurde im Zentrum der Galerie auf einer auf Holzböcken aufgelegten Tischplatte ein sichtlich selbst gebautes, von außen schwarz-weiß bemaltes und beschriftetes Papp-Modell der Galerie Jahn Baaderstrasse im Maßstab 1:15 gezeigt.

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„Die Tiefe des Raumes", Ausstellungsansicht, Galerie Jahn Baaderstraße, München 2011.

Beide Elemente, die Pressemitteilungen, die in der Regel die Idealform einer Ausstellung beschreibend anpreisen, und das Galeriemodell, ein Mittel, das häufig zur räumlichen Planung einer Kunstpräsentation herangezogen wird, stehen oft am Anfang der Konzeption und Rezeption einer Ausstellung und deuten somit darauf hin, dass es hier um eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen von Produktion, Vermittlung und Präsentation von Kunst gehen soll – wie auch im kryptischen Untertitel der Ausstellung angedeutet – , und zwar vor allem von „neo-konzeptueller“ Kunst. So begleiteten die vier hier ähnlich Readymades oder Werbebroschüren präsentierten Pressetexte ursprünglich auch relativ aktuelle Ausstellungen, die man in ihrer Anlage dem gängigen Verständnis nach durchaus als „konzeptuell“ bezeichnen könnte: Michał Budny, „Between“, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2011 – „Běla Kolářová und Lucie Stahl“, Kölnischer Kunstverein, Köln, 2011 – Mandla Reuter, „Here is a picture“, Croy Nielsen, Berlin, 2010 und Dominik Sittig, „die gesänge des gedärms. moral & malerei 1“, Galerie Christian Nagel, Berlin, 2011. Kaufmann begründete seine Auswahl damit, dass diese Ausstellungen ihm in der letzten Zeit besonders gut gefallen hätten. Und so vertreten diese Texte – in den ersten drei Fällen wurden die von der Ausstellungsinstitution verfassten Pressemitteilungen gezeigt; im Falle von Dominik Sittig hingegen ein ausstellungsbegleitender Text des Künstlers, der an Stelle einer offiziellen Pressemitteilung veröffentlicht wurde - „ihre“ Ausstellungen, Künstler/innen und Institutionen nicht nur, sondern verweisen auch auf den Geschmack des hier als Kurator auftretenden Galeristen und Künstlers, der die Texte zwar in ihrem originalen Schriftbild, inklusive der individuellen CIs belassen hat, sie aber auch nivellierend nebeneinanderstellt. Damit reduziert er sie „auf ihren Status als Ausstellungsobjekte“, wie dies im ausliegenden, zur Ausstellung verfassten Pressemitteilung der Galerie Ben Kaufmann formuliert wird, die sich im Übrigen selbst wiederum mehrerer neutraler Versatzstücke aus den ausgestellten Texten bedient. Erinnert man sich an die Kommentierung von Galerie-Pressetexten, wie sie das britische Kollektiv Bank in den 1990er Jahren vornahm – Bank analysierte und versah Pressemitteilungen bekannter Galerien mit kritischen, teils bissigen Kommentaren und sandte diese dann per Fax an die jeweilige Galerie zurück – , bleibt die Rolle der Kommentator/in hier jedoch der Ausstellungsbesucher/in überlassen.

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„Die Tiefe des Raumes", Ausstellungsansicht, Galerie Jahn Baaderstraße, München 2011.

Eine andere Sprache spricht das ausgestellte, von einer Mitarbeiterin der Galerie Ben Kaufmann aus Karton gefertigte Galeriemodell, denn es bleibt nicht sachlich und neutral. Ähnlich einer mise-en-abyme reproduziert es den Raum, in dem es sich selbst befindet, auf einer verkleinerten, bildhaften Ebene. Allerdings genügt es sich nicht darin, der Betrachter/in schlicht die Struktur des Gebäudes aufzuzeigen. Vielmehr erinnert es an ein Aufmerksamkeit erregendes, nach Außen gestülptes geometrisches Artefakt, markiert und angeeignet durch eine überproportional groß aufgesprühte oder besser: hingeschmierte Signatur Ben Kaufmanns im Graffiti-Stil auf einer der langen Außenwände. Durch das angedeutete Zebrafell-Muster, das eine andere Außenwand des Modells ziert, wirkt es außerdem wie ein postmodernes Designobjekt im Memphis-Stil. 

Statt um eine präzise Wiedergabe des Galerie-Innenraums, als tautologischer Verweis auf den Ort, an dem sich die Ausstellungsbesucher/in im Moment der Rezeption befindet, geht es Kaufmann mit diesem spezifischen Exponat, neben einem möglichen Hinweis auf die Bedeutung der Außenperspektive auf eine Galerie, um eine Umkehrung des Effekts der Pressemitteilungen: Hier zeigt sich, auch in der Wahl des ephemeren Materials, die Vergänglichkeit des dreidimensional gewordenen Ausstellungsobjekts, das über die Idee oder einen Text hinaus Form angenommen hat. Kaufmann – früher als Künstler vor allem im Medium Malerei tätig – scheut hier nicht vor plumpen malerischen Gesten zurück, wenn er sein „Piece“, gleichzeitig Modell und Arbeit, mit Lack- und Sprayfarbe als Kunstwerk, und das wiederum als Trophäe eines angeeigneten, fremden Territoriums oder als bloße Dekoration auszeichnet. Denn vermutlich geht es ihm mit dieser attitüdenhaften Geste nicht nur darum, ein individuelles Einzel-Kunstwerk anzubieten, sondern vielmehr auch um eine plakative Demonstration der von ihm gedanklich konstruierten, konzeptuellen Verbindung des dreidimensional geworden Kunst-Objekt-Modells mit den ausgestellten Pressetexten und dem Ausstellungsraum, welche neben seiner Funktion als strategischer Galerist und als expressiver Künstler auch noch seine Rolle als „cleverer“ Kurator ins Spiel bringt. Kommt man nun noch auf den zentralen Ausstellungstitel, „Die Tiefes des Raumes“, zu sprechen, darf der Verweis auf den deutschen Fußballhelden Günter Netzer – einst deutscher Nationalspieler, später Sportkommentator, heute Medienunternehmer und langjähriger Kunstsammler – nicht unerwähnt bleiben. Denn der von Kaufmann – selbst Fußballfan und -förderer – gewählte Titel ist auch eine Referenz auf diesen Netzer, über dessen Spielstrategie man im Volksmund in den Siebzigerjahren sagte „Aus der Tiefe des Raumes – mitten ins Netz“. Ein ähnliches Bewegungsmuster könnte uns Kaufmann in seiner Ausstellung demonstrieren wollen: vom Kleingedruckten der Pressetexte, welche mit ihrem bloß geschriebenen Inhalt die imaginäre Tiefe des Raumes verkörpern, hin zum übergroß signierten, sinnbildlich und „modellhaft“ dargestellten Werk. 

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„Die Tiefe des Raumes", Ausstellungsansicht, Galerie Jahn Baaderstraße, München 2011.

Sicherlich aber sind auch ganz andere Interpretationen dieser Schau möglich, die in ihrer Konstruiertheit und Zusammenführung verschiedener Medien und Urheberschaften einer offenen Versuchsandordnung nahe kommt. Insofern sollte man sie vor allem als einen erfrischenden Beitrag eines professionell erfahrenen und gleichzeitig durchaus humorvoll gebliebenen Praktikers zur Auseinandersetzung mit dem immer häufiger anzutreffenden, transdisziplinären Berufsbildes des Künstler-Kurator-Galeristen betrachten. Wohin hier die Entwicklung läuft, ist noch offen, genauso wie wir darauf gespannt sein dürfen, wo und wie sich Ben Kaufmann selbst zukünftig positionieren wird. 

 

„Die Tiefe des Raumes. Transkription von Präfigurationen im Ausstellungskontext“, Galerie Jahn Baaderstraße, München, 8. – 30. Juli 2011.