Cookie Warnung
Für statistische Zwecke und um bestmögliche Funktionalität zu bieten, speichert diese Website Cookies auf Ihrem Gerät. Das Speichern von Cookies kann in den Browser-Einstellungen deaktiviert werden. Wenn Sie die Website weiter nutzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Akzeptieren

VERBORGEN IN ALLER ÖFFENTLICHKEIT Benedikt Kuhn über „Die Liste der ,Gottbegnadeten‘. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“ im Deutschen Historischen Museum (DHM), Berlin

Max Esser, „Adlerhorst“, 1935

Max Esser, „Adlerhorst“, 1935

Dass es die „Stunde Null“ im Sinne eines radikalen Neubeginns nach Ende des Zweiten Weltkrieges auch kunsthistorisch nie gab, muss angesichts der bis heute andauernden neokonservativen, geschichtsrevisionistischen und antisemitischen Kontinuitäten immer wieder vergegenwärtigt werden. Derart unternahm eine Ausstellung, die kürzlich im Deutschen Historischen Museum zu Ende ging, den Versuch, die (Nachkriegs-)Karrieren jener Künstler nachzuzeichnen, deren Formensprache den Nationalsozialist*innen als vorbildlich galt. Wie Autor und Künstler Benedikt Kuhn argumentiert, gelang es der Schau, einerseits soziale und stilgeschichtliche Ursachen für die Persistenz dieser Künstler und ihrer Werke sichtbar zu machen, andererseits deren Verhältnis zur abstrakten Moderne vor dem Hintergrund eines gescheiterten Neuanfangs der Kunst in Deutschland nach 1945 herauszustellen.

Inmitten von Wohnblocks, neben Rutsche und Klettergerüst, thront ein auf seinem breiten Sockel etwas deplatziert wirkender Adler auf einem Spandauer Spielplatz und spannt die bronzenen Flügel. Es handelt sich um eine Plastik des Künstlers Max Esser, der diese 1935 zur Erinnerung an den Machtantritt der Nationalsozialist*innen zwei Jahre zuvor produziert hatte. Im Jahr 1944 sollte Esser, gemeinsam mit 377 anderen Kunst- und Kulturschaffenden, auf die von Joseph Goebbels initiierte Liste der sogenannten Gottbegnadeten aufgenommen werden. Dieses Dokument, das eine konzentrierte Auswahl der künstlerischen Protagonist*innen des Nationalsozialismus darstellt, bildet den Ausgangspunkt einer eindrücklichen Ausstellung, die bis vor Kurzem im Deutschen Historischen Museum zu sehen war und die biografischen und künstlerischen Kontinuitäten im Leben dieser Personen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg rekonstruierte. Während die Liste in fünf Sparten aufgeteilt war, lag der Fokus der Ausstellung auf zentralen Figuren in Malerei und Bildhauerei, die ausschließlich männliche Künstler enthielten.

Der Kern des überzeugenden Arguments der Schau bestand in der Destruktion des Mythos vom kunstgeschichtlichen Reset nach 1945, wie er beispielsweise von Werner Haftmann konstruiert wurde, der die Nazikunst mit Ende des NS-Regimes so schlagartig wie „spurlos verschwinden“ [1] gesehen haben wollte. Bis heute, das ist eine der beunruhigenden Konklusionen, mit der man aus der Ausstellung entlassen wurde, leben wir allerdings mit und zwischen Kunstwerken, die nationalsozialistische Künstler*innen vor und nach dem Krieg mehrheitlich unbehelligt und wohlfinanziert geschaffen haben. Die Fotografie des Esser’schen „Spielplatzadlers“ ist von 2020 und Teil einer Serie, die etwa 300 Kunstwerke der „Gottbegnadeten“ dokumentiert, die uns im (halb)öffentlichen Raum in Deutschland und Österreich umgeben. [2]

„Die Liste der ,Gottbegnadeten‘. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“ im Deutschen Historischen Museum, Berlin, 2021, Ausstellungsansicht

„Die Liste der ,Gottbegnadeten‘. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“ im Deutschen Historischen Museum, Berlin, 2021, Ausstellungsansicht

Der Ausstellungsrundgang begann im ersten Raum mit einigen Hinweisen auf die herausragende kulturpolitische Relevanz der Kunst für die Nationalsozialist*innen, deren Führungsriege sie als eine entscheidende unter ihren Waffen verstand. „Gottbegnadet“ zu sein bedeutete für die Gelisteten entsprechend nicht bloß eine unter Umständen lebensrettende Auszeichnung (sie waren vom Frontdienst befreit), sondern auch, dass sie vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda als hilfreiche Mittel im Kampf eines Regimes gesehen wurden, dessen Herrschaftsanspruch immer auch ein ästhetischer war. Die Ausstellung dokumentierte nicht nur den immensen Output an Kunstpublikationen und Merchandise des Propagandaapparats, sondern auch die Stilisierung einiger besonders bekannter Künstler der Liste im Rahmen eines rassistisch- essenzialistischen National- und Geniekults. Beeindruckende Aufnahmen zeigten beispielsweise Hermann Kaspar (bis zu seiner Emeritierung in den 1970ern viel beschäftigter Künstler und Professor an der Kunstakademie Nürnberg) neben Hitler auf der Ehrentribüne des Umzugs zum „Tag der deutschen Kunst“, dessen Leitung das NS-Regime Kaspar übertragen hatte. Ein Event wie diese jährliche Feier — die die von ihr konstruierte Fiktion einer hermetischen Kulturessenz im Jahr 1937 beispielsweise im Motto „2000 Jahre Deutsche Kultur“ fasste — ist nur eine der mannigfaltigen Formen, in denen die „Gottbegnadeten“ ihren Hauptbeitrag zur Herrschaft des Nationalsozialismus leisteten: das Fühlbar-, Hörbar-, Sichtbar-Machen seines ideologischen Fundaments, vom Massenspektakel bis in die alltäglichsten Vollzüge der Lebenswelt hinein. [3]

Die gewundenen, aber zielbewusst beschrittenen Wege der „Gottbegnadeten“ von den 30er Jahren bis in die 80er des vergangenen Jahrhunderts, lassen sich, so zeigte die Ausstellung schwerpunktmäßig, besonders gut durch innerdeutsche Netzwerke nachzeichnen. Persönliche Kontakte und Freundschaften im Kulturbetrieb erlaubten es Künstlern wie Kaspar, Willy Meller, Paul Mathias Padua und Richard Scheibe, mehr oder weniger direkt nach dem Krieg wieder in ihr Berufsleben einzusteigen — zum Beispiel als Professoren an namhaften Kunstakademien (wie etwa das Gros der ehemaligen Professoren in Düsseldorf). Alle der präsentierten Künstler wurden in den Entnazifizierungsprogrammen als „Mitläufer“ eingestuft. Auch wenn ihnen eine offizielle Aufnahme in den Kanon der deutschen Nachkriegskunstgeschichte verwehrt blieb, erhielten sie Unmengen von öffentlichen und privaten Aufträgen, mit denen sie sich finanzierten und weiterarbeiten konnten.

„Die Liste der ,Gottbegnadeten‘. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“ im Deutschen Historischen Museum, Berlin, 2021, Ausstellungsansicht

„Die Liste der ,Gottbegnadeten‘. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“ im Deutschen Historischen Museum, Berlin, 2021, Ausstellungsansicht

Einzelne Artefakte wie Arno Brekers Pallas Athene von 1954, die von ihrem Schulhofsvorplatz in Wuppertal in das DHM entliehen wurde, fungierten als besonders eindrückliche Knotenpunkte der thematisierten Relationen. Hitlers Lieblingsbildhauer gelang der Wiedereinstieg in den deutschen Kunstbetrieb in den 1950ern dank tatkräftiger Unterstützung aus Wirtschaft und Kultur (entscheidend hierfür zum Beispiel der Gerling-Konzern) mühelos. 1954 gewann er einen Wettbewerb unter Federführung des Architekten Friedrich Hetzelt und produzierte eine schlanke, überlebensgroße Skulptur für den Neubau des Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasiums. Auch Hetzelt hatte auf der „Gottbegnadeten“-Liste gestanden. In Kontrast zu Brekers bekannten muskelbepackten, „idealisierend-realistischen“ Plastiken aus der NS-Zeit ist die Athene zusammengeschmolzen, zitiert expressionistische Stilelemente und tendiert zur Abstraktion. Es ist dieser Formwandel, nicht Brekers Vorkriegskarriere, die in der Presse nach der Präsentation des Werks thematisiert wurde. Durchgehend machte die Ausstellung ähnliche Kombinationen aus sozialen und stilgeschichtlichen Ursachen für die Persistenz der in der Ausstellung diskutierten Künstler und ihrer Werke sichtbar. In Bezug auf die ästhetische Dimension ist die Frage des Verhältnisses der präsentierten Positionen zur abstrakten Moderne entscheidend. Während manche Künstler, wie Breker, handwerklich extrem flexibel auf die gegebenen Anforderungen reagierten, änderten andere ihren Stil kaum (in der Ausstellung besonders nachdrücklich in Bezug auf Werner Peiner expliziert.)

Im Kontext einer „Revision bundesrepublikanischer Kunstgeschichte“ [4] , zu der das DHM zweifellos angetreten ist, wird Abstraktion allerdings aus einem weiteren Grund zum Schlüsselbegriff – nämlich nicht nur mit Blick auf diese Ausstellung, sondern auch aufgrund ihrer provokanten Konstellation mit der gleichzeitig im DHM gezeigten Schau über den Beginn der Documenta. In letzterer begegnete den Besucher*innen erneut der eingangs zitierte Kunsthistoriker Haftmann als einer der Erfinder und Kuratoren der ersten Documenta. [5] Obwohl in der Ausstellung keine der auf der „Liste“ geführten Künstler*innen gezeigt wurden, war man nach dem Rundgang durch die „Gottbegnadeten“-Ausstellung kaum noch überrascht, in der Documenta-Schau über Haftmanns systematischen Ausschluss jüdischer Künstler*innen und seine SA-Mitgliedschaft aufgeklärt zu werden. Kontrastiert man Haftmanns Bezug auf die Abstraktion, wie es das DHM räumlich und diskursiv tat, mit den in der „Gottbegnadeten“-Ausstellung thematisierten Bezügen, ergeben die heterogenen Verwendungsweisen des Begriffs ein noch komplexeres Bild des gescheiterten Neuanfangs der Kunst in Deutschland nach 1945.

Während die Sache im konservativen Spektrum des Nachkriegsdiskurses klar ist – die abstrakte Moderne bleibt der Hauptfeind einer wiedererstarkenden regressiven Bewegung, die den Begriff im Sinne einer antisemitischen und rassistischen Kunstpolitik gegen die Neoavantgarden mobilisierte –, zeigte die Documenta-Ausstellung andererseits, dass die Abstraktion auch nicht einfach dem Politisch-Progressiven zugerechnet werden kann. [6] Vor jeder Möglichkeit der normativen Bewertung eignet dem Begriff vielmehr eine irreduzible Ambivalenz. Selbstverständlich wurde auch im Nachkriegsdeutschland Abstraktion in der Kunst als dezidiert antifaschistische Praxis betrieben. [7] Auf der von Haftmann kuratierten Documenta jedoch wurde sie in einer Geste falscher Universalisierung als „Weltsprache“ [8] gefeiert und konnte als Teil seines revisionistischen, antisemitischen Programms wirken, da Haftmann sie genauso drastisch enthistorisierte, wie er sie entpolitisierte. Wenn Ludwig Erhard in „Die Liste der ,Gottbegnadeten‘“ mit seiner Einschätzung zitiert wurde, Brekers „Werk“ habe deswegen „alle politische Gunst und Missgunst überdauert […] weil sein Fundament unerschütterlich ist“ [9] , ist dies bloß ein weiterer der unzähligen Belege dafür, wie sehr Haftmanns Strategie, sich nach dem Krieg auf eine zeitlose Kunstessenz zu beziehen, die in bewusster Absehung von ihren historischen Entstehungsbedingungen beschrieben wird, als Ausdruck einer im Nachkriegsdeutschland allgegenwärtigen Tendenz zu lesen ist. In der Resonanz zweier Ausstellungen, denen es überzeugend gelang, ein entscheidendes Moment der Kunstgeschichte in Deutschland neu zu beleuchten, erinnert die Abstraktion daran, dass sie, wie alle Allgemeinbegriffe, ihre Bedeutung erst im Licht der Geschichte erhält.

„Die Liste der ,Gottbegnadeten‘. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“, Deutsches Historisches Museum (DHM), Berlin, 27. August bis 5. Dezember 2021.

Benedikt Kuhn lebt und arbeitet als Autor und Künstler in Lüneburg und Berlin.

Image credits: Courtesy of DHM, Berlin; 1. photo: Eric Tschernow, 2020; 2. - 3. photo: Yves Sucksdorff

Anmerkungen

[1]Werner Haftmann, Verfemte Kunst. Bildende Künstler der inneren und äußeren Emigration in der Zeit des Nationalsozialismus, Köln 1986, S. 218.
[2]Die in der Ausstellung in einer Medienstation präsentierte Bildserie stammt von den Fotografen Thomas Bruns und Erich Tschernow.
[3]Beeindruckend in der Ausstellung sind z. B. ästhetische Gebrauchsgegenstände wie Anstecknadeln zur Feier und Refinanzierung des Nürnberger Reichsparteitags.
[4]So der Kurator Wolfgang Brauneis in: Die „Gottbegnadeten“ in der BRD im Rahmen des Symposium zur Documenta-Ausstellung.
[5]Zur Rolle Haftmanns in der Documenta-Ausstellung und ihrer Rezeption vgl. auch: Hans-Jürgen Hafner, „Dokumentation und Analyse. Hans-Jürgen Hafner über ‚documenta. Politik und Kunst‘ im Deutschen Historischen Museum, Berlin“, in: Texte zur Kunst, 123, 2021.
[6]Ein eindrückliches Beispiel für diese regressive Tendenz ist der an einer Ausstellungswand mit dem Satz „Die Exzesse der ‚Moderne‘ waren der sichtbar gewordene Eiter an einer tiefliegenden Wunde“ zitierte Kunsthistoriker Eichler, der mit seiner Monografie im Jahr 1960, eine auf der Differenz von „artreiner“ und „entarteter“ Kunst aufbauende Kunstgeschichte fortschreiben und von seinem Buch ohne großen Gegenwind 40.000 Exemplare absetzen konnte.
[7]Wie etwa in Max Benses auf die von ihm diagnostizierte und mit dem Faschismus verbundene Krise der Rationalität reagierenden, frühen Computerdichtungen.
[8]Wolfgang Brauneis, „Auftragskunst und Netzwerke“, in: Brauneis/Gross (Hg.), Die Liste der „Gottbegnadeten“. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik, München/London/New York 2021, S. 57.
[9]Zit. nach Erhard, in: Ebd. S. 15.