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CONCEPT CAR PARK Christoph Chwatal über „The Collection. Curated By Krist Gruijthuijsen“ in der FAHRBEREITSCHAFT, Berlin

Florian Slotawa, „Gesamtbesitz“, 1995–2000

Florian Slotawa, „Gesamtbesitz“, 1995–2000

Mit der Jubiläumsschau „the collection“ feiert die FAHRBEREITSCHAFT ihr zehnjähriges Bestehen. Die Ausstellung präsentiert Werke von rund 80 Künstler*innen aus der umfangreichen Sammlung Haubrok, die sich speziell auf die Konzeptkunst der ersten und zweiten Generation konzentriert. Wie Christoph Chwatal in seiner Rezension darlegt, zeigt sich der Schwerpunkt auf das Konzeptuelle nicht nur angesichts der Exponate, sondern auch in den kuratorischen Zugriffen von Krist Gruijthuijsen, Direktor des KW Institute for Contemporary Art. Zugleich wird in der Ausstellung das Konzept des Sammelns als auktoriale Erzählweise, das sich ebenfalls auf das Kuratieren anwenden lässt, verhandelt. Chwatal geht zudem den Effekten fehlender Kontextualisierungen nach.

In einem BBC-Interview, das die Journalistin Joan Bakewell 1968 mit Marcel Duchamp führte, sinniert der direkt neben einer seiner Porte-bouteilles (1964) platzierte Künstler über seine Arbeit, die zum Zeitpunkt des Gesprächs eine Konjunktur erlebte: Duchamps Readymades, die ihre Differenz zu Alltagsgegenständen über Kunstfeldspezifika wie Signatur, Datierung und Auflage behaupten, sind der wohl einschlägigste Referenzpunkt für die Konzeptkunst der späten 1960er und frühen 1970er Jahre. Wenngleich Duchamp als Künstler der Ausstellung geführt wird, ist die BBC-Aufzeichnung das einzige Exponat in „the collection. curated by krist gruijthuijsen“, das nicht aus dem Bestand der Sammlung stammt. Auf einem Sockel und Museumsmonitor präsentiert, wird sein (Werk-)Status umso fraglicher, als der Blick auf Hans-Peter Feldmanns Kissen (2015) fällt, das auf einem identen Sockel ruht. Anlässlich des zehnjährigen Bestehens der FAHRBEREITSCHAFT in Berlin-Lichtenberg wurde Krist Gruijthuijsen, Direktor des KW Institute for Contemporary Art, vom Sammler*innen-Paar Axel und Barbara Haubrok eingeladen, eine Präsentation zu kuratieren. Die Sammlung, die ihren Anfang im Düsseldorf der 1980er Jahre nahm, ist durch Leihgaben und „Gastspiele“ bekannt, nicht zuletzt von Arbeiten wie Christoph Büchels F-16 (2003). „the collection“, wie die Jubiläumschau heißt, kommt mit einem nüchternen, absichtlich generischen Titel und ohne Begleittext und Objektbeschriftungen aus; nur eine Liste von rund 80 Künstler*innen und ihrer gezeigten Werke, die ca. ein Zehntel des Sammlungsbestands abbildet, zirkuliert. Gerade weil Gruijthuijsens kuratorischer Zugriff Verunsicherungen hinsichtlich Werkstatus und damit einhergehender Erwartungshaltungen sowie unterschiedlicher Genealogien der Konzeptkunst betont, öffnet sich die Ausstellung durchgängig persönlicheren und emotionaleren Bezugssystemen.

„the collection. curated by krist gruijthuijsen“, FAHRBEREITSCHAFT, Berlin, 2023, Ausstellungsansicht

„the collection. curated by krist gruijthuijsen“, FAHRBEREITSCHAFT, Berlin, 2023, Ausstellungsansicht

Neben Duchamps Protokonzeptualismus ist Ian Wilson ein weiterer Referenzpunkt, der zu Beginn des umfangreichen Parcours eine Stoßrichtung andeutet. Wilsons Chalk Circles, hier Circle on the Floor #14 (1968), die auch in Lucy Lippards Six Years: The Dematerialization of the Art Object from 1966 to 1972 (1973) Erwähnung fanden, wird begleitet von einem gerahmten Blatt mit der Aufschrift „There was a discussion, in Berlin, on the 28th of April, 2013“, das von Axel Haubrok und Wilson unterschrieben wurde. Wilsons Interesse am gesprochenen Wort und der „Discussion“ war bereits Teil einer Auftaktausstellung von Gruijthuijsen in den KW 2017, die diesem Konzeptkünstler der ersten Stunde gewidmet war. Eine auditive Verbindung der beiden Orte bietet Susan Philipsz’ Rosa (2002), ein Lautsprecher, der regelmäßig eine Hymne für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht abspielt. Während Philipsz’ in den KW dauerhaft installiert ist und erst beim Verlassen des Hofs ins Auge sticht, ist sie in Lichtenberg in einem Säulengang an der Stirnseite des Grundstücks untergebracht.

Das Areal der FAHRBEREITSCHAFT diente einst dem Fuhrpark der DDR-Spitzen und beheimatet heute Gewerbe- und Atelierräume. Einige Arbeiten, etwa Judith Hopfs Vinegar Branch resembling a Cherry Tree (2021), nehmen direkten Bezug auf das Gelände, auf dem Hopf neben anderen ihr Studio hat. Unter den Bauten befindet sich auch ein von Arno Brandlhuber entworfenes Atelierhaus: ein Riegel, der das Grundstück an seiner südlichen Rückseite abschließt und das Ensemble aus Bürogebäuden, Garagen, Autowerkstätten, einer Tankstelle und einem Casino mit Tanzsaal ergänzt. Die in ihren Funktionen sehr unterschiedlichen Räume werden mit verschiedenen Strategien bespielt: Eine Galerie im Atelierhaus versammelt alle Arbeiten von Georg Herold aus der Sammlung Haubrok. Im Kellergeschoss eines anderen Gebäudes werden alle zwölf Bruce Nauman-Arbeiten der Sammlung präsentiert. Ähnlich kellerartig abgedunkelt ist ein unter dem Dach gelegenes ehemaliges Teilelager mit Arbeiten von SoiL Thornton, Park McArthur, Carolyn Lazard, Martha Rosler und Cady Noland, das einzig durch Christopher Williams Kochshow 332 min 17 sec (2003) und Ólafur Elíassons wandernden Lichtkegel, Highlighter (2003), beleuchtet wird. Vor dem Raum besticht Rodney McMillians Untitled (Landscape II) (2004), ein Spannteppichzuschnitt aus einem amerikanischen Social Security Office, der Spuren seiner ehemaligen Verwendung abdruckartig speichert. Ergänzt von Claire Fontaines Readymade Passe-Partout (Aspen) (2009), einem Schlüsselbund mit Anhängern und Dietrichen, gruppieren sich hier Werke, die auf die sozialen und politischen Dimensionen (post-)konzeptueller Kunstpraxis verweisen.

Mathias Poledna und Karthik Pandian, „1991“, 2010

Mathias Poledna und Karthik Pandian, „1991“, 2010

Martin Creeds Work #270: The Lights Off (2001) im „Kulturraum“, einem Ballsaal mit angeschlossenem Barbereich, ist eine Fortsetzung von Work No. 227: The lights going on and off (2000), für die Creed den Turner Prize erhielt. Um die Arbeit zu realisieren, wurden alle künstlichen Lichter des Ausstellungsraums ausgeschaltet und die Vorhänge geschlossen, sodass nur wenig natürliches Licht im Raum Orientierung gibt. Wie Willem de Rooijs Bouquet V (2010) und Tino Sehgals This is propaganda (2002) fand Creeds Arbeit als Zertifikat Eingang in die Sammlung. Während Work #270, das als Dauerleihgabe kurzfristig von den Staatlichen Museen zu Berlin „zurückgeliehen“ werden musste, auf die kleinstmögliche physische Intervention abzielt, hinterlässt Gruijthuijsens Ausstellung auch dauerhaftere Spuren: Da eine bestimmte räumliche Konfiguration integraler Bestandteil von Mathias Polednas und Karthik Pandians 1991 (2010) ist, musste eine zusätzliche Wand eingezogen werden, um die Arbeit zeigen zu können. Dargestellt ist ein Fashionmodel, das eine Bluse aus einer kanonischen Yves-Saint-Laurent-Kollektion trägt und mit aufgestütztem Arm regungslos in die Kamera zu blicken scheint. Zur Installation gehört die bestehende Projektionswand sowie eine Wand, in der sich ein Projektor mit 24 Diapositiven befindet (eine Referenz auf 24 Bilder pro Sekunde, das Standardformat im Kinofilm). Täglich wird ein Frame gezeigt, was das in Dias extrahierte Bewegtbild weiter erstarren lässt; nur minimale Differenzen zwischen den Einzelbildern sind festzustellen. Die deutlichste „Hinterlassenschaft“ Gruijthuijsens ist Félix González-Torres‘ Untitled (For Parkett) (1994), ein zirka drei mal sieben Meter messender Siebdruck, der nun dauerhaft im ersten Geschoss eines der Gebäude installiert bleibt.

Jonathan Monk, „A Ten Year Project“, 2005-22

Jonathan Monk, „A Ten Year Project“, 2005-22

Die Beziehung zwischen den Sammler*innen und den Künstler*innen wird etwa in Jonathan Monks A Ten Year Project deutlich. Monk und Axel Haubrok schlossen 2004 einen Vertrag, der jährliche Zahlungen an den Künstler vorsieht, die jeweils am Jahresende durch die Lieferung einer künstlerischen Arbeit ausgeglichen werden. Darunter A Ten Year Project: #6 The Odd Couple (Small German Version) (2009), zwei Ziffernblatt an Ziffernblatt stehende Tischuhren, die Axel und Barbara Haubrok gleichsam vertreten. Die Auswahl der „gelieferten“ Kunstwerke lag beim Künstler – ein Rollentausch, der auf ein Vertrauensverhältnis und die Absicht hinweist, Beziehungs- und Vertragsformen, die das Verhältnis zwischen Sammler*in und Künstler*in für gewöhnlich regulieren, zu hinterfragen. So erscheint das Sammeln als relationaler Akt und auktoriale Ermächtigung, einen zentralen Erzählstrang der Ausstellung zu öffnen. Das zeigt sich paradigmatisch an Monk, aber auch in den Arbeiten Florian Slotawas und Haegue Yangs. Slotawas Gesamtbesitz (1995–2000) bündelt ein Sammelsurium von Gebrauchsgegenständen (inklusive eines VW-Golf), das dem direkten Zugriff des Künstlers nun entzogen bleibt. Von 1996 bis 2001 wurde Gesamtbesitz sortiert und anschließend in Listen, Zeichnungen und Fotografien dokumentiert. Die Arbeit ist hermetisch geschlossen, sie kann nicht mehr „ausgepackt“ werden. Yangs Storage Piece (2003) lässt sich hingegen durch das Auspacken in Form einer Performance animieren. Als Bündel beinhaltet Storage Piece Arbeiten, die die Künstlerin zwischen 1994 und 2003 gezeigt hat. 2004 wurden diese von ihrer Galerie platzsparend auf Paletten zusammengefasst. Yangs deklarierte die Lagerung als eigenständiges Werk, das anschließend in der Galerie verkauft wurde.

In einem unveröffentlichten Schreiben an Axel Haubrok schreibt Krist Gruijthuijsen: „Der Sammler-als-Autor ist ein Konzept, das in Deinem Fall völlig zutrifft – manchmal fast bis zur Instrumentalisierung der Kunstwerke, weg von ihrer ursprünglichen Intention.“ [1] Die Ausstellung macht deutlich, weshalb hier von einer verteilten Vorstellung von Autor*innenschaft gesprochen werden kann. Dies betrifft jedoch nicht nur die Sammler*innen, sondern auch den Kurator: In seinem dreiseitigen Brief, der unter anderem Ausschnitte aus Marcel Broodthaers’ 1970 geführtem „Gespräch mit einer Katze“ wiedergibt, kommt Gruijthuijsen sowohl auf diesen Protagonisten der späten 1960er und 1970er Jahre als auch auf Duchamp zu sprechen. Broodthaers’ in Düsseldorf geführtes „Interview“ hat für den Kurator dabei nicht nur konzeptuelle Relevanz, sondern dient auch einer Referenz auf den Ort, an dem Axel und Barbara Haubrok sich kennenlernten. Ganz im Sinne der Ausstellung, die sowohl auf genealogischer als auch affektiver Ebene operiert, sind hier gleichzeitig agierende Register am Werk. Im Brief spiegelt sich dies auch in einem Changieren zwischen Vertrautheit („Lieber Axel“) und Distanz („Hochachtungsvoll“ als Grußformel). Und so liest sich Gruijthuijsens Brief selbst als ein Stück kuratorischer Konzeptkunst, das nun zur Sammlung zählt.

„the collection. curated by krist gruijthuijsen“, FAHRBEREITSCHAFT, Berlin, 23. April bis 3. Dezember 2023.

Christoph Chwatal ist Kunsthistoriker und -kritiker und lebt in Berlin.

Image credit: Fotos Ludger Paffrath für die haubrok foundation

Anmerkungen

[1]Brief von Krist Gruijthuijsen an Axel Haubrok, undatiert, unveröffentlicht. Dank geht an Franziska Kreuzpaintner, Executive Manager der haubrok foundation, für das Bereitstellen des Briefs.