Der Wert der Autonomie – ein Gespräch zwischen Kerstin Stakemeier und Marina Vishmidt über Reproduktion in der Kunst
Die Autorin Marina Vishmidt und die Kunsthistorikerin Kerstin Stakemeier hinterfragen bereits seit mehreren Jahren die Beziehung zwischen Reproduktion und Autonomie als Bedingung zeitgenössischer Kunstproduktion. Sie machten dabei eine interessante Entdeckung: Je mehr die Kunst im Laufe des 20. und 21. Jahrhunderts kulturelle, soziale und ökonomische Formen in ihre Konzepte und Inhalte einbezog, desto nachdrücklicher bestand sie auf ihrer Unabhängigkeit. Da es unmöglich geworden war, diese Unabhängigkeit historisch oder kritisch zu rechtfertigen, ließ sie sich nur noch reproduzieren: in Form einer funktionalen oder Markt schaffenden Autonomie. Parallel dazu untersuchten Vishmidt und Stakemeier, welche Spuren (wenn überhaupt) die vom frühen Feminismus politisierte reproduktive Arbeit in der Kunst hinterlassen hat.
Im folgenden Gespräch argumentieren sie, dass die Beziehung zwischen Reproduktion und Autonomie in der Kunst eher struktureller als thematischer Natur war. Reproduktive Arbeit muss aufhören, das Trugbild von der Autonomie der Kunst, ihre eigene Behandlung als Dienstleistung, die sie weitgehend mit dem Kunstwerk teilt, sowie die reproduktive Rolle der Kunst bei der Sozialisierung der Partikularitäten und Subjektivitäten des Kapitals mit aufrechtzuerhalten.
Marina Vishmidt: Als Erstes muss man sich fragen: Warum gerade jetzt über Autonomie sprechen? In der Kunstkritik hat dieser Begriff längst ausgedient. Die fundamentale Abhängigkeit in all ihren flüssigen und kontextuellen Varianten scheint zum unwidersprochenen Dogma geworden zu sein. Das zeigte sich z.B. auf der letzten documenta. In thematischer Hinsicht wurde eine quasi chthonische Horizontalität der Zeiten, Räume und Diskurse betont, während in praktischer Hinsicht einmal mehr „100 Praktikanten/Praktikantinnen für 100 Tage“ einspringen mussten, um die Realisierung der partizipatorischen Projekte über die Bühne zu bringen. Ein Gespräch über Autonomie lohnt sich insofern, als sie einen neuralgischen Punkt – mit einer äußerst umstrittenen Geschichte – im System der materiellen und konzeptuellen Verleugnungen markiert, das die allumspannende Kosmologie der Kunst in ihrer aktuellen Version zusammenhält. Die Autonomie der Kunst ist – im Adorno'schen und für mich noch immer subversiven Sinn – eine Narbe dessen, was sie nicht abschütteln kann: dass ihre Wurzeln in der Arbeitsteilung und der Klassengesellschaft, der magnetischen Abstoßung zwischen Kunst und Arbeit, Kunst und Geld, Kunst und all jenen Parametern der kapitalistischen Realität liegen, die sie mit Leben und Spielzeug versorgen.
Kerstin Stakemeier: Wenn wir Autonomie als neuralgischen Punkt der zeitgenössischen Kunst begreifen – im Gegensatz zur Moderne und zur Nachkriegszeit, als die Kunst selbst noch keine ökonomische Machtstruktur war –, begeben wir uns zwangsläufig in einen Diskurs über Produktivität und über die Entstehung sozialer Macht. Die Wurzeln der Autonomie, die du erwähnst, ortete Adorno noch außerhalb der industriellen Arbeit in den Tiefenschichten künstlerischer Arbeit. Mit dem Niedergang des Fordismus nach Ende des Zweiten Weltkriegs kam es zu einer Annäherung von industrieller und künstlerischer Arbeit und damit zu einem Bedeutungswandel der Autonomie, vom sozialen Bezug des ins Werk gesetzten Unterschieds zur Aufgabe, die sowohl inner- als auch außerhalb der Kunst innerhalb der Arbeit zu erfüllen ist.
Bei der von Adorno beschriebenen Autonomie der Kunst handelte es sich eigentlich um die „formelle Subsumtion“ (Karl Marx) der Kunst unter das Kapital. Sie wurde grundsätzlich als Sphäre der Produktion abgegrenzt, doch die Bedingungen künstlerischen Schaffens blieben bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts weitgehend unverändert. Anfang der 1970er Jahre argumentierte Peter Gorsen, dass die Gesellschaftsschichten, die sich der Kunst als Repräsentationsmittel bedient hatten, ihrer nicht länger für emanzipatorische Erfahrungen oder für die Symbolisierung ihrer Bildung bedurften. [1] Die zeitgenössische Kunst war (im Gegensatz zur modernen) nie berufen, Macht auszuüben oder zu rechtfertigen. Ich glaube, wir können diesen Gedanken heute noch weiter fassen: Kunst wurde dieser Funktion enthoben, weil sie nicht wie früher ein Feld der Reproduktion und Repräsentation, sondern eines der Produktivität und der sozialen Macht absteckt. Sie drückt Macht durch ihren Status innerhalb der zeitgenössischen kapitalistischen Kultur aus, nicht durch überlegene Reflexion oder soziale Sonderstellung. Die Autonomie avanciert zum exportierbaren Verkaufsargument, sie befördert nach Gorsen die „reelle Subsumtion“ der Kunst unter das Kapital. Kunst wird zum modernisierten und modernisierenden Zweig der produktiven zeitgenössischen Kulturindustrie.
Der Fetisch der unproduktiven Arbeit in der Kunst, den Peter Bürger und andere Ästhetiker der Nachkriegszeit pflegten, bedeutete am Ende nur, dass der soziale und der ökonomische Status der Autonomie gegeneinander ausgespielt wurden. Man kritisiert die Abwesenheit der Autonomie, nicht ihre inhärenten Widersprüche.
Vishmidt: Richtig. Die Geschichte der künstlerischen Autonomie ist eng mit jener der Autonomie des Kapitals verbunden. Wachsende Unabhängigkeit von der Arbeit, ja sogar von der Produktion selbst – diese Tendenz kennzeichnet die Entwicklung des Kapitals bis heute. Häufig verwendet man den Begriff der „Finanzialisierung“ für die Unabhängigkeit des Kapitals von jenen Formen der Wertproduktion, deren Gewinn aus der direkten Ausbeutung der Arbeitskräfte und der Herstellung von Industriegütern resultiert (richtiger wäre, von einem Ersatz durch andere Formen zu sprechen). Diese These der Autonomisierung kann irreführend sein: Wie sich in Zeiten der Austerität herausstellt, beruhen die Gewinne des Kapitals nach wie vor darauf, den Wert der Arbeitskraft zu mindern und eine „nutzlose“ Überschussbevölkerung aufrechtzuerhalten. Die Restrukturierung des Kapitals und die politische Souveränität der Finanzwirtschaft greifen direkt in die Kunst ein, anstatt sich nur in ihren Prozessen und Narrativen zu spiegeln. Wie Andrea Fraser unlängst in ihrem Text „L’1%, C’est moi“ aufzeigte, wächst die Institution Kunst in enger Komplizität mit der Finanzwirtschaft – auf Kosten der restlichen Gesellschaft. [2] Das eigentliche Problem liegt meiner Ansicht nach jedoch woanders, nämlich in der Gesellschaft des Kapitals, die den Kapitalismus akzeptiert, bis er erst aufgrund seiner negativen Auswirkungen schließlich doch inakzeptabel wird.
Wir haben also Parallelen zwischen der sich autonomisierenden Subjektivität des Kapitals und einer idealisierten Vorstellung von der Autonomie der Kunst. Autonomie ließe sich auf dieser Basis als Klassenkonzept für die Kunst denken – in Bezug auf die „Klasse“ oder Kategorie, der sie angehört, und auf die Klassenverhältnisse, an denen sie teilhat bzw. an denen sie durch ihre Ablösung von der sozialen Realität als Kunst teilhat. Ihre Nähe zur Autonomie des Geldes prädestiniert die Autonomie als Wirtschaftsgut – nicht nur auf dem Kunstmarkt, dem Arbeitsmarkt, dem Immobilienmarkt, überall kann Kunst die Ware sein, die alle anderen verkauft. Dass Kunst als Vermögensart dienen kann, verdankt sie ihrer Autonomie. Deren Hauptvorteil sah schon Adorno darin, dass die Kunst als Ware eigenen Gesetzen gehorchen kann. Von der Logik der kapitalistischen Produktion in ihrem privilegierten Status gefestigt, hat sie die Möglichkeit, in einer von allgemeiner Gleichwertigkeit beherrschten Gesellschaft die Nicht-Identität zu repräsentieren.
Stakemeier: Ein interessanter Punkt. Wenn Autonomie sich von einer sozialen Beziehung der Nicht-Simultaneität zwischen Kunst und Kapital in eine Homologie zwischen der Ideologie des Kapitals als „automatisches Subjekt“ (Marx), als Perpetuum mobile, und der Ideologie der Kunst als Vermögenswert mit immensem Spekulationspotenzial verwandelt, kann sich ein unternehmerisches Produktionssystem festsetzen. In diesem System muss die Autonomie bestätigt werden, nicht als sozialer, sondern als ontologischer Status (nicht nur) des Produkts jedes einzelnen Künstlers als Ware. Das hat mit dem erweiterten Warenfetischismus zu tun, den Isabelle Graw in ihrem Buch „Der große Preis“ beschreibt, mit der Rolle des Künstlers/der Künstlerin als ihr/sein eigenes Produkt.
Die historische Wende in der sozialen Bedeutung der Autonomie, die du da hervorhebst, macht die 1970er Jahre zu einer solch lehrreichen Periode, wenn man die Verhältnisse in unserer eigenen Zeit studieren will. Die strukturellen Analogien zwischen der Arbeit von feministischen Marxistinnen wie Silvia Federici in der Kampagne „Wages for Housework“ (WfH, Lohn für Hausarbeit) seit 1972 und der Arbeit von feministischen Kunstmacherinnen wie Lucy Lippard oder Helke Sander, die etwa um dieselbe Zeit begann, lassen den damaligen Umbruch in der sozialen Bedeutung der Autonomie in aller Deutlichkeit hervortreten. WfH kritisierte die Unterscheidung von produktiver und unproduktiver Arbeit bei Marx, die unbezahlte reproduktive Arbeit als unsichtbar, privat und natürlich festschrieb. Zur selben Zeit problematisierten Lippard, Sander und andere die zwiespältige oder vielmehr unmögliche Position, in der sich Akteurinnen in der zeitgenössischen Kunst wiederfanden. Sie sahen sich gezwungen, einem Ideal der Autonomie anzuhängen, das auf dem genauen Gegenteil ihrer eigenen Rolle innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft beruhte, der vorbestimmten Ausübung der natürlichen und unbezahlten reproduktiven Arbeit. Keine der beiden Gruppen gab sich damit zufrieden, die Validierung ihrer Aktivitäten innerhalb der Domäne der produktiven Arbeit zu fordern, stattdessen bestanden beide auf einer relativen Autonomie jener Sphären, von denen aus und für die sie sprachen. Ihre Praxis forderte eine Anerkennung der Differenz, der Nicht-Simultaneität eigenständiger Wirkkreise der Arbeit und des gelebten Lebens. Auch wenn dies heute bekannt ist, da die „Globalisierung der Fürsorge“ (Arlie Hochschild) als Dienstleistung und die „Globalisierung von Kunstservices“ als Markt für kulturalisierte Differenzen solche Versuche innerhalb einer Kultur des Kapitals erneut in Erinnerung gerufen hat, scheint das Bestehen auf Autonomie in der Reproduktion als Differenz auch heute noch brauchbaren politischen Zündstoff zu liefern. Autonomie dient somit als Losung für die Besetzung spezifischer Bereiche der Produktion oder Reproduktion als Konfliktzonen, sei es die Hausarbeit oder die abstrakte Malerei. Autonomie wird sozialisiert.
Vishmidt: Ich denke, das bestätigt, dass man mit dem Gegensatzpaar Produktivität und Unproduktivität oft nicht an die sozialen Beziehungen des Kapitals herankommt. Wir benötigen eine andere Logik für diesen Kampf. Die Geschichte des Feminismus bietet reichlich Fallstudien, wie etwa die WfH-Kampagne: Spielt es eine Rolle, ob Hausfrauen produktive Arbeiterinnen sind oder nicht, wenn es einzig darum geht, das Kapital dazu zu bringen, für die Arbeit zu zahlen, die es reproduziert? Schon bei Marx sieht man, dass es nicht unbedingt vorteilhaft ist, ein produktiver Arbeiter zu sein.
Um zur Unterscheidung zwischen formeller und reeller Subsumtion der Kunst zurückzukehren, die du eingangs getroffen hast, bin ich wie du überzeugt, dass dieser Schritt nicht mehr rückgängig zu machen ist. Die reelle Subsumtion als Tendenz des Kapitals, aus allen Arten der sozialen Aktivität, nicht nur auf dem Arbeitsplatz, Wert zu schöpfen, hat die Spielregeln der Kunst grundlegend verändert. Eine allgemein oder im Sinne einer „Sozialfabrik“ gefasste Definition der reellen Subsumtion ist meines Erachtens besser geeignet zu beschreiben, wie das Kapital in das Soziale investiert. Zur Untersuchung des eigentlichen Arbeitsprozesses sowie auch der Frage, wie das Kapital Arbeit reorganisiert, kann ein enger gefasster Begriff herangezogen werden. Demzufolge würde ich eher vorsichtig sein zu sagen, dass Kunst tatsächlich subsumiert wurde, schon aus dem Grund, dass es dem Kapital noch nicht gelungen ist, den künstlerischen Produktionsprozess zu kontrollieren. Kunst wird nicht industriell organisiert, gesteuert, verwaltet und nicht entlohnt nach Zeit und Vertrag – die Künstlerin verfügt über ihre eigene Zeit. Die Kunst bezieht ihre finanzielle Infrastruktur aus Einkünften (öffentlichen Steuern, Zuschüssen von Stiftungen oder Mäzenen) und nicht aus produktiven Investitionen, die reinvestiert werden, um mit den realisierten Gewinnen die Produktion zu steigern. Kunst ist ein Statussymbol, eine Luxus-Subjektivität, die nach wie vor handwerklich erzeugt wird.
Stakemeier: Die reelle Subsumtion meint nun nicht unbedingt, dass die Kunst oder auch nur die Relevanz der künstlerischen Autonomie in ihre Endphase eingetreten ist. Angesichts der steigenden Vernetzung von Kunst, Haute Couture, Design und anderen Sparten der kulturellen Luxusindustrie würde ich vorschlagen, sie alle ein und demselben Zweig des Kapitalismus zuzuordnen, der wie alle anderen laufend seine Reproduktionsmittel rationalisiert. Zwischen dem pseudonaiven Kult der handwerklichen Fertigung in diesen Sparten und der Existenz ganzer Fabriken mit hoch qualifizierten, international ausgebildeten Fachkräften besteht ein riesiger Unterschied. Der Künstler als Kapitalist, den Diedrich Diederichsen in seinem Aufsatz „Mehrwert und Kunst“ schildert, scheint die einzige Figur zu sein, die von der kapitalistischen „Normierung“ der Kunst ausgenommen ist. Sie oder in diesem Fall besser er inszeniert sich als durch und durch professionalisiertes Genie. Doch nicht einmal das trifft zu, wenn man bedenkt, wie die steigende Zahl globaler Kunstmessen und Biennalen das Aufkommen einer seriellen, erkennbaren und gewissen Qualitätsstandards gehorchenden Produktion gefördert hat. Das Œuvre explodiert. In vor Helfern wimmelnden Ateliers und in den Betrieben spezieller Kunstdienstleister wird Kunst heute weltweit nach den Regeln der gesellschaftlich notwendigen Arbeit (Marx) erzeugt.
Die Behauptung, dass die reproduktiven Kräfte der Kunst auf der Höhe des modernen Kapitalismus stehen, zielt absolut nicht auf ein (moralisches) Urteil über die Kunst ab. Sie hat sich, wie du bereits mit Bezug auf Adorno gesagt hast, ihre Eigenart bewahrt. Ihr Anspruch auf Autonomie bleibt bis heute aufrecht. So sehr sich die soziale Funktion der Autonomie auch verändert haben mag, die Kunst besetzt weiterhin ein Feld, innerhalb dessen diese Funktion problematisiert und ausgereizt werden kann. Aus diesem Grund erscheint mir die Beziehung zwischen reproduktiver Arbeit und Dienstleistung so aufschlussreich, wenn wir über Kunst sprechen: Sie verknüpft den Diskurs über die soziale Relevanz der Kunst mit ihrer konkreten sozialen Funktion innerhalb der Reproduktion der Gesellschaft.
Vishmidt: Mir gefällt die Idee einer „imaginären Subsumtion“ oder sogar einer „mimetischen Subsumtion“. Sie kann uns helfen zu verstehen, wie Marktideologien bestimmte Bereiche der sozialen Produktion reorganisiert haben, ohne dass die eigentlichen Marktbeziehungen vorhanden wären – das britische Gesundheits-, Bildungs- und Kulturwesen ist spürbar davon betroffen. An Orten, wo wirklich keinerlei Hoffnung darauf besteht, dass irgendwann einmal ein Mehrwert erzeugt werden könnte, scheint es sich eher um ein Zeichen der Krise als der Reichweite der Subsumtion zu handeln. Hier liegt die Ursache dafür, warum die Arbeitspolitik im Kunstsektor so verworren ist. Wenn Kunst Dienstleistungen imitiert, kommt alles auf die Mimesis an – um ihre Aussage zu machen, muss Kunst Kunst bleiben und darf nicht zur Dienstleistung werden. Strukturell ist die Differenz extrem dauerhaft und hat es auch zu sein, ebenso dauerhaft wie die Klassengesellschaft. Kunst kann alle möglichen Gestalten annehmen und trotzdem Kunst bleiben. Darum steht sie meiner Einschätzung nach dem Kapital näher als der Arbeit. Beide müssen die Arbeit leugnen, um ihre ideologische, aber nichtsdestoweniger reelle Autonomie zu behaupten.
Stakemeier: Ich würde sagen, dass künstlerische Arbeit eine Dienstleistung ist und dennoch Kunst bleibt, genauso wie Pflegearbeit eine Dienstleistung ist und dennoch Pflege bleibt. Die reelle Subsumtion bezeichnet keine letzte Akkumulation, sondern die Funktion einer Handlung, eines Objekts oder einer Person für das Kapital. Die imaginäre oder mimetische Subsumtion, die du vorschlägst, könnte ein Weg sein, den ökonomischen Prozess in einen künstlerischen zu transformieren, durch die Affirmation des ökonomischen Status der Kunst ihre Bewegungsgesetze zu externalisieren.
Marx entwarf ein System der Reproduktion, das sich als vervollkommneter Idealismus präsentiert, worauf wir bereits im Zusammenhang mit dem automatischen Subjekt hingewiesen haben, und dennoch alles erbarmungslos zermahlt. Um auf die von dir erwähnte Finanzialisierung des Kapitals zurückzukommen: die offenbare Entmaterialisierung der Reproduktion des Kapitals könnte im Bereich der Kunst produktive Resultate bringen. Seit der Konzept-Ära existierte in der Kunst die Vorstellung, dass das Kurzlebige, Unbeständige eine Lösung für seine Abhängigkeit von den herrschenden Reproduktionsbedingungen finden werde. Ich glaube, sowohl ästhetisch als auch politisch interessiert mich die mögliche Präzision solcher Homologien. Man denke an Ian Whites „Trauerspiel 1“ (2012), eine Performance mit Filmen im Berliner HAU1. White führte auf der Theaterbühne fünf „Tänze“ auf, streng choreografierte langsame, reduzierte Gesten. Dazu liefen fünf verschiedene Filme aus dem Archiv des Arsenals. Die Performance zeigte, dass jede Bewegung, jeder Wunsch, jede soziale Identität des Körpers kulturelle Identifikationen enthält, die sich strukturell in den Filmen – unter anderem von Peter Weiss, Hellmuth Costard und Robyn Brentano & Andrew Horn – spiegelten, ohne explizit bestimmt zu werden. Arbeiter (Weiss), Tänzer (Brentano & Horn) und Politiker (Costard) präsentierten den Körper und seine filmische Reproduktion als Ort der Arbeit, der Klasse, des Geschlechts und der Macht. Dessen ungeachtet entzog sich das gesamte Arrangement einer vereinfachenden funktionalistischen Deutung. Die Autonomie ist ein Spiel, bei dem es um die Auf- und Ausführung spezifischer Differenzen in der Domäne des Kapitals geht.
Vishmidt: Was du über Kunst und Reproduktion sagst, finde ich faszinierend. Ich beschäftige mich seit Jahren mit diesem Thema. Insofern Kunst und Hausarbeit im Wirkungsbereich eines mystifizierten und unmessbaren „Liebesdienstes“ stattfinden, waren die feministische Politik und die feministischen Strategien in der Kunst vor allem darauf ausgerichtet, den „versteckten Wohnort der Re*produktion“ ans Licht zu bringen. Vielleicht, um ihn einer Anerkennung, einer Wertschätzung zuzuführen oder, was mir das radikalere Anliegen scheint, um den ganzen Status quo infrage zu stellen: die Arbeitsteilung zwischen Kunst und häuslichen Pflichten, hier der heroische Künstler, dort die Hausfrau für alles. So geschehen bei Mierle Laderman Ukeles’ „Maintenance Art“-Manifest (1969) oder ihrer Aktion von 1973, bei der sie das Museum reinigte und das benutzte Gerät zur Kunst erklärte. [3]_ Außerdem erinnert es mich an das, was Griselda Pollock und andere über Feminismus in Kunst und Kunstgeschichte geschrieben haben. Pollock will vor allem deshalb die Reproduktion *in der Kunst, um die Reproduktion der Kunst zu durchbrechen – ihre ödipalen Geschichten, ihre männlichen Ontologien, ihre Abstammungslinien, ihre Ängste, all diese Stempel der Authentizität.
Auf mehr als metaphorische Art und Weise aus Sicht der Hausarbeit über Reproduktion in Relation zur Kunst nachzudenken, bedeutet auch, die gravierenden Unterschiede zwischen diesen beiden Arbeitsformen, die nicht als Lohnarbeit anerkannt sind, im Hinblick auf ihr Prestige und ihre Glaubwürdigkeit klar herauszustellen. Dies kann uns helfen, ein erstarrtes soziales Feld und seine „Zufluchtsorte“, seine Formen der Legitimität und seine Aporien zu destabilisieren. Die Frage der Reproduktion in der Kunst bleibt in diesem Bereich äußerst brisant. Dabei sind wir noch nicht einmal auf die klassische Althusser’sche Idee eingegangen, dass Kunst strukturell bloß eine Institution der Reproduktion sei …
Mein Interesse an der Reproduktion in der Kunst konzentriert sich in erster Linie darauf, wie alle diese Praktiken oder Felder dazu verwendet werden können, die anderen zu unterhöhlen und zu korrumpieren. Die Aufdeckung der peripheren oder verleugneten Beziehungen der Kunst zur Reproduktion könnte ein Teil dieser Recherche sein, ob aber ihr Hauptaugenmerk oder ein reines Mittel zum Zweck, darüber bin ich mir nicht sicher. Vielleicht auch deshalb, weil die sozialen Beziehungen, die sich in Produktion und Reproduktion, Kunst und Arbeit aufspalten, klarerweise selbst problematisch sind. Die zeitgenössische Praxis einer kritischen Autonomie in der Kunst muss gegen diese Trennungen ankämpfen, und das bedeutet strategisch, sie muss die bislang verborgene Seite ans Licht ziehen.
Stakemeier: Genau. Deshalb erwarte ich mir besonders viel von einer Diskussion über den antisystemischen politischen Wert der Kunst, die etwa von Federicis Forderung ausgeht, dass Autonomie in der Reproduktion zu suchen sei. Ein Diskurs über Autonomie unter dem Aspekt des Produktivismus, sei es der eines genialen Künstlers oder eines agitatorischen Kollektivs, ist purer kapitalistischer Positivismus. Die Debatte um die Reproduktion bietet einen archimedischen Punkt, um diesen Positivismus auszuhebeln, indem man seine Grundvoraussetzungen künstlerisch und politisch abprüft.
Übersetzung: Bernhard Geyer
aus Texte zur Kunst #88
https://www.textezurkunst.de/88/
Anmerkungen
[1] | Peter Gorsen, „Transformierte Alltäglichkeit oder Transzendenz der Kunst?“, in: Das Unvermögen der Realität. Beiträge zu einer anderen materialistischen Ästhetik, hg. von Peter Brückner/Gisela Dischner/Peter Gorsen/Alfred Krovoza/Gabriele Ricke/Alfred Sohn-Rethel u. a., Berlin 1974, S. 141. |
[2] | Andrea Fraser, „L’1%, C’est moi“, in: Texte zur Kunst 83, 2011, S. 114–127. |
[3] | Ukeles erklärte 2009 in einem Interview: „Serra war ein Stahlarbeiter ohne die Arbeit, ohne die Arbeiter. Und Judd war ein Tischler ohne die Arbeiter. Sie hatten keine Arbeiter, sie hatten keine Menschen, sie hatten Objekte – oder sie hatten Resultate. Ich dachte, die tappen in dieselbe Falle wie der Rest der verdammten Gesellschaft, die ebenso blind war für die Strukturen oder Kulturen der Arbeiter, die diese Verfahren erfunden und verfeinert hatten.“ Mierle Laderman Ukeles/Bartholomew Ryan, „Manifesto for Maintenance. A Conversation With Mierle Laderman Ukeles“, online unter: www.artinamericamagazine.com/news-opinion/conversations/2009-03-20/draft-mierle-interview/. |