Derb, dramatisch und drapiert. Elena Zanichelli über Marianna Uutinen in der Galerie Carlier Gebauer, Berlin
Marianna Uutinen, "Love Supreme", 2013, carlier | gebauer, Foto: Bernd Borchardt
In ihrer ersten Berliner Einzelausstellung widmete sich die in Berlin und Helsinki lebende finnische Künstlerin Marianne Uutinen den Codes des Camp, die sich seit den 1960er Jahren zu queerem Glamour oder auch zu Post-Pop als Pastiches gewandelt haben. In Zeiten eines Revivals der Malerei bringen diese Arbeiten eine eigene Dynamik in ihr Werk, beschäftigen sich doch diese verspielten, in Acryl auf Leinwand gehaltenen Gemälde sowohl mit der ursprünglichen Bedeutung von Camp als auch mit dem Kunstbegriff der 1960er Jahre – samt des vermeintlich endgültigen Ausstiegs aus dem Bild.
Auf den ersten Blick erscheinen die Werke als eine Mischung großformatiger, attraktiven Glanzoberflächen in Shocking Pink-, Neonorange-, Goldgelb- sowie Schokobraun-Tönen, die mit kontrastierend gespachteltem Schwarz bzw. Silber besetzt sind. Andere Arbeiten strahlen in Disco-Farben und sind mit ihren farbtropfenartigen Wirbeln und Drippings an Gestaltungsformen des Informel angelehnt.
Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch als Trägerstruktur dieses zunächst spontan wirkenden Farbfests eine Anordnung penibel gefalteter Schichten, die sich als Umhüllung entpuppen, einer über die Leinwand gelegten Verkleidung ähnlich. Diese Verkleidung ist das Endresultat eines minutiösen Verfahrens. Uutinen verschüttet dunkle Acrylfarbe, verteilt diese auf dem Boden und lässt sie trocknen. Dieses Verfahren wird für die Verarbeitung der darauffolgenden Farbschüttungen im schrillen Kontrast wiederholt. Erst jetzt werden die so entstandenen Folien abgezogen und auf der Leinwand – als quasi dramatische Faltenwürfe – arrangiert. Das Resultat ist eine ikonisch anmutende Travestie der Leinwände – ein Drag Painting, das das White-Cube-Oberneonlicht sogar noch übersteigert und die stilsicher drapierten Oberflächen in Glanz- und Schattenspielen auflöst.
Marianna Uutinen, Quelle: Didrichsen Museum, Helsinki
Ein im Internet zirkulierendes Foto zeigt Uutinen in Rückenpose als potent-schöpferische, athletische Malerin mit hohen Schuhen und Kurzjeanshose im ausstaffierten Atelier. Ihren Blick hat sie dabei auf den Betrachter gerichtet. Den Pinsel hält sie in der Hand wie einen Hammer. In einer Art Betty Grable-Pose – in der sie den Betrachtenden in der Drehung sowohl ihre Rückenseite, und prominent ihr Hinterteil, als auch ihren Blick zuwendet – zeigte sich auch Lynda Benglis in jenem berühmt-berüchtigten Foto, mit dem sie für ihre Ausstellung bei Paula Cooper im Mai 1974 warb. Benglis trug dabei nichts als eine bis zu den Knöcheln heruntergelassene Jeanshose. In den Augen der Betrachterin entsteht ein Paragone: Beiden Künstlerinnen gelingt zu jeweils unterschiedlichen Zeiten eine humorvolle Übertragung des Gestischen ins Plastische als Übergang vom Fließen zum Erstarren flexibler, knallfarbiger Form(losigkeit) – samt potenter Pose.
Lynda Benglis, Ausstellungsankündigung Paula Cooper Gallery, Mai 1974, Foto: Annie Leibovitz
Mit ihrer Praxis horizontal gelagerter Bildlichkeit (etwa in den „Fallen Paintings“) forderte Benglis bereits Ende der 1960er Jahre das spontan-gestische Herumtröpfeln aktionistisch-heroischer Maler etwa dadurch heraus, dass sie Kunststoff in unterschiedlichen, meist grellen Farben in flüssiger Form zubereitete. Sie goss die Farben aus, wartete, bis sie erstarrten, beließ sie auf dem Boden und schuf so eine Farbplatte. Das glich einer Absage sowohl an die illusionistische Malerei als auch an eine an Optikalität ausgerichtete Moderne. Zudem forderte Benglis mit diesem Verfahren die Ausdrucksformen einer individuell-subjektivistisch-männlich dominierten Szene auf plastischer, und – so würde man heute sagen – performativer sowie installativer Ebene heraus.
Diese vergleichende Betrachtung lädt zum Nachdenken über Potenziale und Auswirkungen ästhetischer Mittel ein, die aktuell jene viel beschworene Heterogenität im Fortleben der Malerei begleiten. Dass man heute zu Recht über „Malereidispositive“ spricht, besitzt weniger einen symptomatischen als einen diagnostischen Wert: Die Malerei hat die Krise der letzten eineinhalb Jahrzehnte wohl überstanden und kommt nun zu Ergebnissen, jenseits sich einander ausschließender Alternativraster. Die Rede über Malereien fährt also – statt gegen die Wand des Fortlebens der Gattung – über ihre zirkulierenden Praktiken hinweg.
Marianna Uutinen, "DIM", 2013, carlier | gebauer, Foto: Bernd Borchardt
Dass Malen eben nicht nur Spiel am (eigenen) Rahmen war und ist, zeigt Uutinens Prozedere der Farbschüttungen mit einem Augenzwinkern, das an die verwobene Verkettung zwischen Malerei als Geschichte der Gattung, Strategien des Zitats und Objekt-Performanz gerichtet ist. Bedienen sich Uutinens Werkzeuge der Chiffrierung glamouröser Codes des Camps als ornamentaler Verspieltheit im schrillen Dekor, so stehen ihre Faltenwürfe für eine sichtbare Markierung des handwerklichen, beinahe derben Produktionsprozesses. Beim Zusammenlegen der Farbe und ihrer plastischer Ausgestaltung entstehen Resultate, die in ihrer Größe und Beschaffenheit eine kalkulierte Bildkomposition vorweisen. Durch das Drapieren der Farbfolien als Resultat des Einsatzes von Zufall im Herstellungsprozess zeigt sich auch die Nähe zu Praktiken der 1960er-Jahre. Besonders dem Ausstieg aus dem Bild wird dabei auch bei allen Unterschieden im Resultat Tribut gezollt, da gattungsspezifische Grenzen einhergehend mit Ausdrucksparadigmen auf den Kopf gestellt werden. Bleibt heute auch die klare Kampfansage aus, so wird die durch die glanzvolle, glamouröse Aufmachung samt Selbststilisierung erweckte „Lust am Bild“ geradezu gesteigert, nicht zuletzt durch die von den Titeln hervorgerufenen Lesarten. Diese steigern sich von Untitled bis zu Love Supreme über Titlandart oder Tigress zu einer Climax des Affektiv-Lustvollen. Dass dieses Spiel an der Oberfläche auch über das Begehren einer Kunst der Präsenz verläuft, deutet der Ausstellungstitel selbst an: I am painting.
Marianna Uutinen, "I Am Painting", carlier | gebauer, Berlin, 16. November - 20. Dezember 2013.