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DIE ASPHALTSPRENGERIN ASTRID MANIA ÜBER SARAH SCHUMANN BEI MEYER RIEGGER, BERLIN

„Sarah Schumann: Collages and Paintings from 1954 to 1982“, Meyer Riegger, Berlin, 2025

„Sarah Schumann: Collages and Paintings from 1954 to 1982“, Meyer Riegger, Berlin, 2025

Bekannt ist Sarah Schumann vor allem für ihre Rolle in der westdeutschen Frauenbewegung der 1970er Jahre. Ihre künstlerische Arbeit trat deshalb in den Hintergrund oder wurde lange Zeit im Sinne einer biografischen Lektüre des Œuvres der Autodidaktin Schumann in ein illustratives Verhältnis zu deren Leben gesetzt. Ihre sogenannten Schockcollagen und informellen Gemälde wurden jüngst in großer Zahl und mit einem begleitenden Katalog bei Meyer Riegger in Berlin gezeigt. Schumanns frühe künstlerische Arbeiten lassen bereits den kritischen Blick und die radikale Haltung erkennen, die sie später in Schrift und Aktivismus gegenüber der patriarchalen Gesellschaft der Nachkriegszeit einnehmen sollte, wie Astrid Mania in ihrer Rezension der Schau argumentiert.

Ausstellungen von Künstlerinnen, die vergessen, übersehen oder unterschätzt wurden und werden, begleitet oft ein Opfernarrativ. Sei es, weil die eigenen Karriere-Ambitionen einer Künstlerin im Schatten des Partners standen; sei es, weil man sie beim Wettrennen um den ersten Platz im Verstoß gegen Konventionen rücksichtslos aus der Bahn geworfen hatte. Die Schau von Sarah Schumann in der Berliner Galerie Meyer Riegger sowie der zu diesem Anlass produzierte Katalog zeig[t]en solchen Diskursen gegenüber eine bemerkenswerte Zurückhaltung. Verhehlt wurde nicht, dass eine Künstlerin wie Schumann, Autodidaktin noch dazu, in den 1950er Jahren im Kunstbetrieb kaum auf offene Türen hoffen konnte. Was jedoch in Berlin in Reibung gebracht wurde, waren die nun erstmals in diesem Umfang gezeigten Arbeiten aus Schumanns frühem Schaffen mit der bisherigen Rezeption ihres Werkes und ihres Lebens: mit ihren späteren, harmlosen Gemälden, ihrer (heutigen) Bekanntheit als treibende Kraft hinter der bahnbrechenden Ausstellung „Künstlerinnen International 1877–1977“, ihrer Rolle als Aktivistin der Westberliner Frauenbewegung sowie ihrer Partnerinnenschaft mit der Autorin und Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen, die einen Teil der Ausdeutung von Schumanns späterem Werk übernahm. Allerdings zeigte die Ausstellung dann doch im Obergeschoss in zwei Vitrinen Exemplare von feministischen Zeitschriften wie Courage, Die Schwarze Botin oder Frauen und Film, für die Schumann zahlreiche Cover gestaltete und auch Essays schrieb. Hier finden sich auch einige ihrer Werke aus den 1970er Jahren, die auf einer einzigen Bildtafel zur Synthese bringen sollten, was in ihrem frühem Werk, so das Argument der Schau, bereits vorhanden war: Fotografie, Collage, Malerei. Und dies in deutlich weniger konzilianter Weise, als es die farbig umwölkten Frauenporträts aus Schumanns späterem Schaffen tun.

Tatsächlich sind die Collagen aus den 1950er Jahren, die zum großen Teil im Untergeschoss der Galerie zu sehen waren und für die sich der, auch von Schumann verwendete Ausdruck „Schockcollagen“ eingebürgert hat, in ihrem Clash von Bildwelten und ihren kühlen Schwarz-Weiß-Tönen viel roher und unmittelbarer und vor allem inhaltlich aufgeladener als die späteren Gemälde. Die Collagen sind ebenso verstörend wie wunderschön, ein Widerspruch, den die Künstlerin selbst in den Blättern angelegt hat: Denn in ihnen kollidieren Aufnahmen der internationalen Kriegsschauplätze und Katastrophen jener Jahre – viele Vorlagen entstammen internationalen Magazinen – mit Abbildungen von Frauen und Kindern aus Fotografie und dem Figurenpersonal der Kunstgeschichte.

Auf manchen Blättern brechen die Gesichter schöner junger Frauen in verwüstete Stadtszenerien ein, etwa in sich von unten von oben sehen (1960). [1] Überhaupt wirken viele der Protagonist*innen, als seien sie völlig unberührt von den Schrecken, in die Schumann sie hineinversetzt hat. Ein kleiner Junge lächelt uns aus einer unbetitelten Collage (1960) an, während im Hintergrund drei (Wehrmachts?-)Soldaten in einen Graben blicken, in den die Künstlerin eine männliche Figur, totengleich, gelegt hat. Auf einem anderen Blatt aus dem gleichen Jahr tragen drei kleine Jungen einen Kindersarg durch eine verheerte Stadtlandschaft. [2] Rechts und links werden sie flankiert von einem Herrn in eleganter, altmodischer Gewandung und einer Frauengestalt in Männerhosen und mit nacktem Oberkörper, die selbstbewusst die Arme in die Hüften stemmt. Ihre entspannt-zugewandte Miene weist jeglichen Gedanken an im Bild latente, sexualisierte Gewalt zurück – obwohl Schumann am Ende des Krieges, wie es der Katalog erwähnt, Zeugin solcher Gräuel wurde.

Sarah Schumann, Schockcollage, ohne Titel, 1960

Sarah Schumann, Schockcollage, ohne Titel, 1960

Ausgeliefert wirken die Frauenfiguren selten inmitten dieser Gewalt. Das Prekäre ihrer Situation erschließt sich häufig erst auf den zweiten Blick, so bei einer vermutlich javanischen Tänzerin, die ihre Pose in einem halb verwitterten, kargen Innenraum eingenommen hat. Den Unterleib bildet eine schematische Zeichnung, die den Eindruck vermittelt, als schaue man in den Kelch einer Blüte – oder einen chirurgisch geöffneten Uterus (Ohne Titel, vor 1959). Wenn man in den Collagen eine Feier des Weiblichen sehen will, eine Widerständigkeit inmitten all der Gräuel, so schließt dieser empathische Blick sämtliche Frauen dieser Welt ein, wie auch die Collage einer Ndebele-Frau mit ihren typischen Halsringen, die Schumann in eine europäisch wirkende Landschaft versetzt hat, zeigt. Manche Frauenkörper wiederum scheinen aus einem Frankenstein’schen Kunstgeschichtslabor zu stammen. So verdankt sich der Torso einer Mutterfigur auf einer ebenfalls unbetitelten Collage (vor 1959) einer griechischen Marmorstatue, der Schumann die Köpfe von Élisabeth Vigée-Lebrun samt ihrer Tochter aus dem bekannten Selbstbildnis aufgesetzt hat – einer von mehreren Verweisen auf Vertreterinnen einer weiblichen, feministisch verstandenen Kulturgeschichte.

Das Medium der Collage lässt mit seinem Fragmentarischen und seinen unerwarteten Begegnungen natürlich an surrealistische Bildfindungen denken – dies gilt bei Schumann besonders für der Aktualität entrückte Werke, wie die unbetitelte Collage (vor 1959), die ein Paar Frauenbeine unter einem kurzen Rock zeigt, der aus dem Bild herausschaut: Er ist ein Wolfsgesicht. Doch solche (alb-)traumhaften Kompositionen stellen den kleineren Teil der Schockcollagen dar, denen von Christoph Keller, Kurator der Schau, nun erstmals gründlich nachgeforscht wurde und die sämtlich, soweit sie aufzufinden waren, im umfangreichen Katalog zusammengetragen wurden. Schumann ging es jedoch nicht um eine Beschäftigung mit dem Irrationalen. Ihre Collagen sind dicht am Realen, und die Brüche, die sich in den Bildern auftun, sind die Brüche einer durch eigene Erfahrung ebenso wie durch die in Westeuropa verfügbaren Medien vermittelten Welt, in der blanker Horror, Gleichgültigkeit und Momente des Schönen nebeneinander existierten. Denn auch das Leben der Künstlerin selbst, die sich stets dagegen verwehrte, die Collagen autobiografisch oder gar psychoanalytisch auszulesen, war von historischen und persönlichen Brüchen geprägt – bis hin zum selbst gewählten Namenswechsel zu Sarah Schumann 1963 während ihrer Zeit in London.

Schumann, aus prekärem, künstlerischem Haushalt stammend – die Eltern waren beide in der Bildhauerei ausgebildet, der Vater aber war der Tätige –, hatte das Kunstbetrachten und -machen als Kind gewissermaßen eingeatmet. Die Trennung der Eltern, Krieg und Flucht, frühe Selbstständigkeit und eine ganz den damaligen Konventionen entsprechende Ehe mit dem späteren Galeristen Hans Brockstedt ließen die Kunst, geschweige denn den Besuch einer Akademie, in den Hintergrund rücken. Erst auf eine Anregung ihres Vaters hin begann Schumann um 1954 mit der Malerei. Zwei Jahre später setzte die Arbeit an den Collagen ein.

Sarah Schumann, ohne Titel, ca. 1957

Sarah Schumann, ohne Titel, ca. 1957

Schumann wird sich von da an eine Zeit lang parallel mit dem Collagieren und der Malerei befassen. Nach einem Blick auf Willi Baumeisters Konstruktivismus wendet sie sich dem Informellen zu. Es entstehen Gemälde, deren Oberflächen von Schrunden überzogen sind und die in Ockergelb aufleuchtende, amorphe Formen auf dunkle Hintergründe zeigen, so zum Beispiel in Ohne Titel (Gelb Weiß Dunkelgrün), ca. 1957. Auf anderen Leinwänden lösen sich die Formen organisch ineinander auf: Die Farboberflächen scheinen zu oxidieren – Keller spricht angesichts der verschiedenen Malmaterialien, die Schumann hier in Reaktion miteinander bringt, von „alchemistischen“ Werken. [3] Zu sehen ist dies an einem unbetitelten Gemälde (1962), einer sich verschlingenden Palette von Violetttönen, die sich im unteren Bilddrittel ein rostiges Schlieren einverleibt – oder das osmotisch in das Violett hineindiffundiert. Die Arbeiten aus den 1950er Jahren verhandeln also in separaten Medien, was die Künstlerin im Folgenden formal zusammenführen sollte. Inhaltlich jedoch markieren die späteren Gemälde mit ihrem Fokus auf Frauenporträts oder sogar Blumen eine Abkehr von dem in den „Schockcollagen“ zur Ansicht gebrachten Panorama der zivilisatorischen Katastrophen. Schumanns Interesse am Politischen, konkret an Fragen des Emanzipatorischen, hatte da sein Ventil in der schreibenden und gestalterischen Mitarbeit an feministischen Publikationen oder auch Filmen gefunden. [4]

Wenn man einen Referenzpunkt für Schumann nennen will, so ist das fraglos die von ihr bewunderte Hannah Höch. Dies gilt sowohl für deren Beschäftigung mit dem objektivierenden und exotisierenden Blick ihrer Zeitgenossen auf Frauen – etwa in den ebenfalls aus unterschiedlichen Kulturen und Kontexten gebildeten Figuren in der Collagenserie Aus einem ethnographischen Museum (1927) – wie für deren Einbezug aktueller politischer Geschehnisse. Zudem war Höch immer auch Malerin, als die sich Schumann stets verstanden hat. Dass die Ausstellung ihre informellen Gemälde wortwörtlich neben den Collagen zeigte, entspricht ganz und gar dem künstlerischen Selbstverständnis Schumanns, die beides zusammendachte. Noch schöner wäre es tatsächlich, die Collagen Schumanns würden, und zwar institutionell, wortwörtlich, in die Nähe von Hannah Höch gerückt. In zeitlich umgekehrter Richtung lässt sich eine Linie zu Martha Rosler denken, die in der Ausstellung „Künstlerinnen International“ vertreten war. Die Frage, ob sie Kenntnis von den „Schockcollagen“ hatte, muss allerdings offenbleiben.

Ganz abwegig ist die Hoffnung auf eine Institutionalisierung Schumanns nicht. Denn die Ausstellung wollte nicht nur einen Beitrag zur kunsthistorischen Wertschätzung einer Künstlerin leisten, der zeit ihres Lebens die große Überblicksschau oder Retrospektive vorenthalten blieb – vom kommerziellen Durchbruch ganz zu schweigen. Tatsächlich waren die in Berlin gezeigten 53 Collagen und sechzehn Gemälde, die aus einer Privatsammlung stammen, nicht verkäuflich und sollten dem Markt entzogen werden: Sie sind als Geschenk an ein öffentliches Museum gedacht, idealerweise in Berlin als langjährigem Lebenszentrum Schumanns. Es wäre schön, wenn jemand zugreift. Denn Schumann könnte einen bemerkenswerten Beitrag zur westdeutschen Kunstgeschichte der späten 1950er und frühen 1960er Jahre leisten – einer Zeit, die bislang von der Hinwendung zu oder möglicherweise auch Flucht in die Abstraktion dominiert und in der die künstlerische Auseinandersetzung mit Krieg und Gewalt, zumal aus weiblicher Perspektive, marginalisiert wurde.

„Sarah Schumann: Collages and Paintings from 1954 to 1982“, Meyer Riegger, Berlin, 12. September bis 1. November 2025.

Astrid Mania ist Professorin für Kunstkritik und Kunstgeschichte der Moderne an der Hochschule für bildende Künste (HFBK) Hamburg. Sie publiziert zur Kunst der Moderne und Gegenwart, zur Geschichte der Kunstkritik und zum Kunstmarkt.

Image Credits: 1: Courtesy Meyer Riegger, Berlin, Foto Oliver Roura; 2 + 3: Fotos Nicolai Stephan

ANMERKUNGEN

[1]Die meisten dieser nicht als Serie angelegten Blätter entstanden bis 1960, wobei zahlreiche undatiert sind. Hinweise auf ihre Entstehungszeit geben bisweilen die Bildmotive.
[2]Die ursprüngliche Fassung ist verloren und liegt nur noch als Fotoabzug vor. Es sollte erwähnt werden, dass viele Collagen auch als Offsetdruck bzw. als Fotografie vom Original oder Druck existieren. Offenbar ging es Schumann weit mehr um das Motiv als um das buchstäbliche Material der Collage.
[3]Christoph Keller, „Zwischen Traum und Trauma. Sarah Schumann und ihre Schockcollagen“, in: Ders. (Hrsg.), Sarah Schumann. Schockcollagen 1957–1964. Leipzig 2025, S. 7–75, hier: S. 32.
[4]So etwa in der Dokumentation Macht die Pille frei?, die 1973 mit Helke Sander entstand. Dieser und andere Filme von, mit und über Schumann wurden im Rahmen der Ausstellung als Filmprogramm gezeigt.