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KOMPULSIVFEMINISMUS Elena Zanichelli über Phoebe Waller-Bridges Cringe-Comedy „Fleabag“

Phoebe Waller-Bridge, „Fleabag“, 2019, Filmstill

Phoebe Waller-Bridge, „Fleabag“, 2019, Filmstill

Ain’t that funny? Die britische Comedy-Serie „Fleabag“ von und mit Phoebe Waller-Bridge setzte 2016 neue Maßstäbe. Nicht nur ebnete der Antiheroismus der Hauptfigur jenem meist Männern vorbehaltenen Genre der Cringe-Comedy den Weg für eine feministische Überarbeitung weiblicher Stereotype. Auch avancierte Waller-Bridge damit zugleich auf Produktionsebene zu einer der gefragtesten Entertainerinnen der Gegenwart und schrieb nun, nach Johanna Harwood als zweite Frau in der fast 60-jährigen Geschichte der James-Bond-Filme, am Drehbuch von „No Time to Die“ mit. Grund genug, uns im Kontext unserer Märzausgabe zum Thema Comedy noch einmal der feministischen Volte von „Fleabag“ zuzuwenden und die eigentümliche Verbindung der Serie aus „comic relief“ und Thematisierung des Geschlechtervertrags zu untersuchen. Was Verdrängung und Sozialscham mit Comedy zu tun haben könnten, erläutert die Kunstwissenschaftlerin Elena Zanichelli.

Die vielfach ausgezeichnete, zuletzt vom Time-Magazin zu einer der 100 „most influential people 2020“ gekürte Comedian und Drehbuchautorin Phoebe Waller-Bridge stilisiert ihre Hauptfigur und ihr Alter Ego Fleabag in ihrer gleichnamigen Serie (BBC 2016, 2019) als bad girl. Damit steht sie in einer langen Tradition von Screwball Comedies à la Bringing up baby (Leoparden küßt man nicht), in denen der Geschlechterkampf karikiert wird. In Erinnerung gerufen werden hier aber auch Mae Wests berühmte aphorismenhafte Sprüche, die einst die männerdominierten Branchen Film und Theater herausforderten. Auch bei Waller-Bridge werden moralische ‚Fehlhandlungen‘ geschlechtsspezifisch überzeichnet – nicht erst in Fleabag, sondern auch schon in der Vorgängerserie Crashing (UK, Channel 4, 2016), die noch mehr in der Tradition von Sitcoms wie Friends stand. So hat es Waller-Bridge inzwischen selbst in den patriarchalen Mainstream geschafft: Unter den Drehbuchautoren des neuen James Bond No Time to Die (Kinostart verlegt auf Herbst 2021) etwa war sie die einzige Frau.

Als die Kolumnistin Emily Nussbaum im New Yorker – vier Monate vor #metoo – die Bezeichnung „feminist cringe-comedy“ für die Serie I love Dick (USA, Amazon-Video, 2016) verwendete, verkoppelte sie erstmals das feministische Attribut mit dieser spezifischen Art von Comedy – frei übersetzt: einer Komödie der Peinlichkeiten und des Fremdschämens. „The show is a feminist cringe-comedy and, like its horny antiheroine, it’s also a train wreck“ [1] , so Nussbaum über die TV-Serie I love Dick (2016/17). [2] Auch Waller-Bridge fällt laut Nussbaum unter diese Kategorie, da auch sie unterschiedliche Formen der Sozialscham thematisiere, sei es beim Sex oder im Beruf. Von jenen Top Girls, die Angela McRobbie in ihrer Studie von 2010 über die Einebnung feministischer Forderungen in die neoliberale Konsumgesellschaft kritisch untersucht [3] , ist Fleabag jedenfalls weit entfernt. Ob geschäftlich oder geschlechtlich, sozial oder psychisch – hier läuft so ziemlich alles dysfunktional: Ihr ruinös geführtes Café verschreckt Kund*innen; Familienessen sind von peinlichen Geständnissen, ihr Verhältnis zur Stiefmutter in spe von Feindseligkeiten geprägt. Im furiosen Halbfinale der ersten Staffel betrachtet Fleabag eingehend die als Befreiungsgeste gemeinte, von der sexuell freizügigen Stiefmutter im Rahmen ihrer Sexhibition aufgestellte Peniswand – und kann so manchen Penis zuordnen, darunter auch den ihres Vaters (S01, E06). Fleabags Komik ist alles andere als „korrekt“ – etwa dann, wenn sie ihre Stimmungsschwankungen ihrer Schwester gegenüber mithilfe von Menstruationswitzen erklärt. Indem sie intime Geständnisse und ironische Kommentare zudem nur mit den Zuschauer*innen – via Durchbrechen der sogenannten vierten Wand – teilt, gewinnt sie auch in noch so peinlichen Situationen wieder Kontrolle über diese. Für die Zuschauer*innen gleicht das einem Entlastungsmanöver: Das befreite Lachen aus der ironischen Distanz scheint die Ansprüche der Leistungsgesellschaft an das Top Girl jedenfalls für einen kurzen Moment aufzuheben.

Phoebe Waller-Bridge, „Fleabag“, 2019, Filmstill

Phoebe Waller-Bridge, „Fleabag“, 2019, Filmstill

In diesem für die Komödie wesentlichen Modus des choreografierten Aufatmens, der Erleichterung problematisiert die Serie den gesellschaftlichen „Geschlechtervertrag“ [4] . Ihm zugrunde liegt die für feministische Theorien zentrale Frage nach dem Trennungsdispositiv öffentlich/privat, wie diese im Zuge der zweiten feministischen Welle unter dem Motto „Das Private ist politisch“ subsumiert und als Frauenbefreiung [5] verhandelt wurde. Mit dem „neuen Geschlechtervertrag“, so McRobbie, wird „vor allem jungen Frauen aus den westlichen Ländern das Angebot gemacht […], öffentlich sichtbar zu werden, die Möglichkeiten des Arbeitsmarkts zu nutzen, sich weiterzubilden, reproduktive Selbstbestimmung zu praktizieren und genug Geld zu verdienen, um an der Konsumkultur teilzuhaben“. [6] Diese „postfeministische“ (McRobbie) Wendung des Feminismus sei durchaus kritisch zu sehen: „Unter Verwendung von Vokabeln wie ‚Ermächtigung‘, empowerment, und ‚Wahlfreiheit‘, choice, wurden diese Elemente in einen wesentlich individualistischeren Diskurs umgeformt und im neuen Gewand vor allem in den Medien und in der Populärkultur, aber auch von staatlichen Einrichtungen als eine Art Feminismus-Ersatz verwendet.“ [7] Vormals feministische Forderungen würden somit instrumentalisiert, neue Frauenbilder „ihrerseits auf aggressive Weise mit dem Ziel verbreitet, das Entstehen einer neuen Frauenbewegung zu unterbinden“. [8]

Nun widersetzen sich Waller-Bridges zugegebenermaßen durchweg privilegierte Figuren nicht nur den flexiblen Arbeitsanforderungen der Leistungsgesellschaft im Zeichen des Gender-Mainstreaming, sondern auch geläufigen Begehrensstrukturen. Fleabags ‚Fehlleistungen‘ trotzen gerade den leistungsorientierten Vorgaben der neoliberalen Gesellschaft. Bei einer nur Frauen vorbehaltenen Vortragsreihe namens „Women Speak“, zu der Fleabag und ihre Schwester Claire sich in einer Episode treffen, eröffnet eine Referentin ihre Rede mit einer rhetorischen Frage: Wer von den Anwesenden sei bereit, im Austausch für einen gesellschaftlich als perfekt geltenden Körper fünf Jahre ihres Lebens zu geben? Als Einzige heben die beiden Schwestern synchron ihre Hand. Beschämt und dennoch trocken schlussfolgert Fleabag: „We’re bad feminists!“ (S01, E01) Hier wird ein immer wiederkehrendes Motiv von Waller-Bridges Humor deutlich: Das Begehren nach sexueller Befriedigung und einem perfekten Körper lösen Schuldgefühle aus – mitfühlend darf sich die Zuschauerin fremdschämen. So ist ihr Witz auch eine Kritik an einem Postfeminismus, der als Erfolgszwangsjacke daherkommt. „I sometimes worry that I wouldn’t be such a feminist if I had bigger tits“ [9] , ruft sie plötzlich in einem Quäkerversammlungshaus aus. Ihr kompulsiv-obsessives Verlangen nach Sexualität bringt sie dazu, Männer zu daten, denen sie Spitznamen verleiht wie Arsehole Guy (benannt nach seinen sexuellen Präferenzen), Bus Rodent (Busnager – ein im Autobus getroffenen Dokumentarfilmer mit übergroßen Schneidezähnen, der die Mechanik des Geschlechtsakts als Triebwerk übertreibt) oder Hot Misogynist (Nomen est Omen).

Phoebe Waller-Bridge, „Fleabag“, 2019, Filmstill

Phoebe Waller-Bridge, „Fleabag“, 2019, Filmstill

Die Komik in dieser Serie resultiert aus den Widersprüchen zwischen Berufstätigkeit und Geschlechterkonkurrenz. In einer Episode fahren Fleabag und ihre Workaholic-Schwester in ein Frauen-Retreat mit Schweigegebot (S01, E04). Als ein gellender Slut-Ruf ihre Aufmerksamkeit erregt, ergreift die Protagonistin die Gelegenheit beim Schopf und sucht nach dem Rufer: Er stammt aus dem benachbarten Männer-Retreat „Better Men“. Hier sollen Männer lernen, ihre Impulse zur sexuellen Belästigung im Zaum zu halten. Als einen der Kursteilnehmer erkennt Fleabag den wegen sexueller Belästigung berüchtigten Bankmanager wieder, der ihr zuvor den Kredit für ihr Café verweigert hatte.

Die neoliberale Vereinnahmung feministischer Forderungen erzeugt hier eine Komik, in der die Widersprüche des Strebens nach Chancengleichheit in einer patriarchalen Gesellschaft zur Schau gestellt werden. Als die erfolgreiche Geschäftsfrau Belinda beispielsweise den Women-in-Business-Award von Claire überreicht bekommt, erklärt sie Fleabag später, sie sei gegen eine frauenspezifische Preisvergabe, diese empfinde sie als Ghettoisierung. Fleabags Ex-Freund Harry wiederum leidet unter emotionaler Abhängigkeit; er muss bei Streit mit seiner Ex-Freundin kompulsiv sauber machen. Als sie ihn anlässlich einer katholischen Spendenaktion mit Babytragetuch wiedertrifft, gesteht er, unter postnataler Depression zu leiden. Waller-Bridges promiskuitive Figuren erleben allesamt ein Begehren, das bestimmt ist von Frustration, Antagonismus, Aggression und Beklemmung [10] : „Sex ohne Optimismus“ [11] statt befreiter Sexualität im Post-68er-Gestus?

Verdrängung und Sozialscham sowie der Wunsch nach ihrer Überwindung leiten Waller-Bridges Figuren. Das Top Girls-Phänomen, in Deutschland vergleichbar mit der Position der Alpha-Mädchen-Autorinnen, betrachtet auch Sabine Hark kritisch: Dieser Feminismus 2.0 sei „eher ein Reflex auf als eine Reflexion der gegenwärtigen Verhältnisse“. [12] Deutlich werde vor allem eines: „[D]ass es ihnen um eine bestimmte Gruppe von Frauen geht: sich selbst.“ [13] Fleabag dagegen ist sich ihrer Unzulänglichkeiten hinsichtlich der gesellschaftlichen Erwartungen, die an sie gestellt werden, bewusst, ja, sie setzt das (Fremd-)Schämen gerade als Stilmittel für eine Kritik an einer leistungsorientierten Geschlechtergleichheit ein, wonach nur die erfolgreiche (junge) Frau zählt. Das daraus entstehende Schuldgefühl überführt Fleabag in einen Kompulsivfeminismus: Sie wird zur Elefantin im feministischen Theorieporzellanladen, deren Absage an sowohl Kapitalismus- als auch (Post-)Feminismustreue schlichtweg irritiert und woraus sie gleichzeitig ihre Komik zieht.

Elena Zanichelli lehrt und forscht seit 2018 als Juniorprofessorin für Kunstwissenschaft und Ästhetische Theorie am Institut für Kunstwissenschaft – Filmwissenschaft – Kunstpädagogik der Universität Bremen sowie am Mariann Steegmann Institut. Kunst & Gender: http://mariann-steegmann-institut.de/.

Image credit: Two Brothers, BBC Three, Luke Varley.

Anmerkungen

[1]Emily Nussbaum, „What Women Want on ,I Love Dick‘, in: The New Yorker, June 19, 2017, online abrufbar unter: https://www.newyorker.com/magazine/2017/06/26/what-women-want-on-i-love-dick.
[2]Als Komödie negativ besetzten erotischen Begehrens von Jill Soloway für Amazon Studios realisiert, stand bereits mit Chris Kraus’ literarischer Vorlage I love Dick (1997) die zwanghafte Fixierung ihres literarischen Alter Ego Chris auf „Dick“ (sic!) die Frage nach dem erotischen Objekt des Begehrens als Objekt ihres obsessiven Schreibdrangs im Zentrum. Dieses Objekt wird zugleich aber auch zur Materialisierung der eigenen, verloren gegangenen Kreativkraft der Filmemacherin, also dramaturgisch und narrativ eng verknüpft mit den eigenen Unzulänglichkeiten: Chris, Autorin und Filmemacherin, überschwemmt Dick mit Briefen. Aus dem ursprünglich geplanten Filmprojekt wird der autobiografisch gefärbte Roman: I love Dick.
[3]Angela McRobbie, Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes, Wiesbaden 2010 (London 2008).
[4]Als geschlechtsspezifische Variation des der liberalen Theorie zugrunde stehenden, Gleichheit für alle versprechenden Gesellschaftsvertrags („social contract“) prägte die Politologin Carole Pateman den Begriff „sexual contract“ zunächst in: Dies., The Disorder of Women, Oxford 1989. Zum „Geschlechterdispositiv“ vgl. Birgit Sauer, Die Asche des Souveräns: Staat und Demokratie in der Geschlechterdebatte, Frankfurt/M. 2001, bes. S. 184f.
[5]Dazu exemplarisch Shulamith Firestone, The Dialectic of Sex: The Case for Feminist Revolution, London/New York 2015 [1970].
[6]Angela McRobbie, Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes, Wiesbaden 2010 (London 2008), S. 87 [Hervorhebung der Autorin].
[7]Ebd., S. 17.
[8]Ebd.
[9]Fleabag, BBC, 2019.
[10]Vgl. Lauren Berlant, Desire/Love, Brooklyn/NY: punctum books, 2012, bes. S. 50–52.
[11]Lauren Berlant/Lee Edelman, Sex, or the Unbearable, Durham/London 2014, S. 2.
[12]Sabine Hark, „Die Scham ist vorbei. Feminismus Reloaded“, in: Femina Politica, 2, 2008, S. 111–115, hier: S. 113.
[13]Ebd.