Für Okwui Enwezor von Ute Meta Bauer
Es ist nicht einfach, in einigen Sätzen wiederzugeben, was der Verlust von Okwui Enwezor bedeutet. Auch für mich persönlich. Ich kann diese Tatsache selbst nach mehr als einem Monat nach seinem viel zu frühen Tod nicht verinnerlichen. Seine Abwesenheit berührt so viele, mit denen er über die letzten 30 Jahre gearbeitet hat, aber vor allem fehlt seine entschiedene politische Stimme. Der Paradigmenwechsel der Documenta11 mit ihren fünf Plattformen lag in der Verschränkung dezidierter Diskurse und ihrer jeweiligen geopolitischen Verortung. Künstlerische Positionen und deren Referenzrahmen können seither nicht mehr auf eine westliche Perspektive reduziert werden. Okwui war souverän im Umgang mit dem symbolischen Kapital von Diskursen, Artefakten, Ausstellungen und ihren Orten, er ließ sich nicht vereinnahmen. Er verstand die Kunstwelt und ihre Organe als eine Bühne, als Polis, als offenes Terrain für unterschiedlichste Akteur*innen, die den realpolitischen Status quo nicht akzeptieren und sowohl Kunstgeschichte als auch Geschichte einer kritischen Revision unterziehen. Dies wurde insbesondere durch seine wegweisenden Ausstellungsprojekte, die er seit Ende der 90er Jahre konzipierte und kuratorisch leitete, evident. Die politische Geschichte kolonialer und postkolonialer Konstellationen, wie Okwui diese benannte, und die Positionen, die Künstler*innen und andere Intellektuelle darin einnehmen, beschäftigte ihn seit der 2. Johannesburg Biennale mit dem Titel „Trade Routes: History and Geography“ (1997), „The Short Century: Independence and Liberation Movements in Africa 1945–1994“ (2001/2002), der Documenta11 (2001/2002), seiner Biennale in Sevilla, der Triennale in Paris bis zu „All the World’s Futures“, der 56. Ausgabe der Kunstbiennale in Venedig (2015).
Okwuis Interesse galt einer Politik mit anderen Mitteln. Er war interessiert an historischer Evidenz, und er war sich im Klaren darüber, dass die Komplexität eines solchen Unterfangens nur durch groß angelegte Formate unleugbare Präsenz erzeugt. Dies wurde nicht zuletzt deutlich in seiner weltumspannenden thematischen Ausstellung am Haus der Kunst „Postwar: Kunst zwischen Atlantik und Pazifik, 1945–1965“, die den Auftakt einer Trilogie markierte, deren zwei andere Kapitel Postkolonialismus und Postkommunismus er bedingt durch seinen frühen Tod nicht mehr realisieren konnte.
Bis zuletzt hat er zu Hause, in München, oder von seinem Krankenhausbett aus an zahlreichen Projekten gearbeitet. Okwui war überhaupt stets am Arbeiten: am Lesen, Denken, Diskutieren, Argumentieren, Schreiben. Er tat dies nicht in Isolation; er war umgeben von einem vielschichtigen Kreis von Freund*innen und Kolleg*innen, die ihn bis zum Tag seines Todes besuchten. Okwui war ein Teamworker, stets auf Mission, mit einer scheinbar unendlichen Energie und Kraft. Er stellte heraus, dass es deutsche Institutionen waren, die ihm Raum, Mittel und Leitungsfunktionen zugänglich machten, um diese, für ihn essenziellen Paradigmenwechsel einzufordern. Was viele dabei übersahen, war seine Verletzlichkeit. Die kontinuierliche Erfahrung von Rassismus, und Fremdenhass trafen ihn zutiefst, und Heuchelei nahm er sofort war.
Okwui war selbstbewusst und nahm seine berufliche Position nicht als Selbstverständlichkeit wahr. Er fand, dass seine Errungenschaften als Direktor am Haus der Kunst, einem Haus ohne Sammlung, dem er durch seine ambitionierten globalen Projekte zu internationaler Relevanz auf dem Level großer Museen verhalf, nach seinem krankheitsbedingten Rückzug durch die Herausstellung bereits vor seiner Zeit bestehender struktureller Probleme geschmälert wurden. Die in den Medien kommunizierten Gründe dieser Probleme und die Absage der Ausstellungen von Joan Jonas und Adrian Piper machten ihn wütend.
Okwui war ein eleganter Weltbürger, charismatisch und eloquent, aber seine Position war die eines Afrikaners, der die kontinuierlichen Hegenomiebestrebungen westlicher Politik und Wirtschaft nicht akzeptierte. Der andere Strang seiner Ausstellungen und Publikationen konzentrierte sich daher auf die Kunst und das Potenzial eines postkolonialen Afrikas, so auch die von ihm gegründete und zunächst mit Olu Oguibe und bis heute mit Chika Okeke-Agulu und Salah Hassen herausgegebene Kunstzeitschrift NKA.
Trotz seiner fortgeschrittenen schweren Erkrankung war er aktiv eingebunden in neue Projekte, wie in den ersten Pavillon von Ghana auf der diesjährigen Venedig Biennale oder das neu gegründete Afrikainstitut in Sharjah, geleitet von seinem langjährigen engen Freund Salah Hassan.
Okwui war betroffen angesichts eines wieder zunehmend von Fremdenhass und Rassismus geprägten Populismus, auch war er besorgt um die Zukunft seiner Tochter. Er wollte sich weiterhin einbringen und einmischen. Wollen wir Okwuis wichtige Position und kompromisslose Haltung in der Tat würdigen, heißt dies, seine Projekte ebenso kompromisslos fortzusetzen.
Ute Meta Bauer ist Gründungsdirektorin des NTU Centre for Contemporary Art Singapore und Professorin an der School of Art, Design and Media, Nanyang Technological University. Sie war Co-Kuratorin der Documenta11.