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DIE SPRACHE DER LANDSCHAFT Esther Buss über die Filme des Sommerfests im Kino Arsenal, Berlin

Jorge Jácome, „Super Natural“, 2022, Filmstill

Jorge Jácome, „Super Natural“, 2022, Filmstill

Die kritische Auseinandersetzung mit dem Anthropozän ist in den letzten Jahren nicht nur verstärkt Thema aktivistischen Engagements geworden, die Debatte um das Verständnis von Natur wird längst auch mit künstlerischen Mitteln geführt. Dabei geht es immer wieder um das Problem, wie der menschliche Blick das Wesen anderer Spezies überhaupt erfassen kann. Die Filmkritikerin Esther Buss hat einige der Filme des Sommerfests im Berliner Kino Arsenal auf diese und ähnliche Fragen hin angesehen. Buss beobachtet, wie die Kamera sowohl menschlichen Protagonist*innen in postindustrielle Landschaften folgt als auch den Versuch unternimmt, nichtmenschlichen Organismen näherzukommen.

Berkeley Pit im US-Bundesstaat Montana ist eines der toxischsten Gewässer der Erde. Nach der Schließung des ehemaligen Kupfertagebaus Anfang der 1980er Jahre füllte sich die Grube mit säurehaltigem Grundwasser, eine blau-grün-bräunliche Suppe, die bereits Tausenden Vögeln und Gänsen den Tod durch Vergiftung gebracht hat. In Nuclear Family (2021) von Erin und Travis Wilkerson zählt die „Todesgrube“ zu den zahlreichen ökologisch wie historisch kontaminierten Orten einer gewaltigen Sammlung an Verwüstungen.

Travis Wilkerson, ein Vertreter der politaktivistischen Filmpraxis, ist mit Frau und Kindern auf Atom-Rundreise. Nach seinen durch die Wahl Donald Trumps wiedererweckten Albträumen von der nuklearen Apokalypse, die bereits seine ganze Kindheit begleiteten – die Mutter hatte eine nuclear obsession, schleppte die Kinder zu Demonstrationen und ängstigte sie mit Büchern und Filmen über den Atomkrieg –, beschließt er, sie in Form einer Konfrontationstherapie zu zähmen. Der Roadtrip entlang der Raketensilos führt die „Kernfamilie“ in eine Natur, die nicht nur von Atomwaffenstützpunkten und sichtbaren wie verborgenen Umweltkatastrophen gezeichnet ist. Auch die Geschichte des Genozids an den Native Americans hat sich tief in die Landschaft eingeschrieben.

Erin und Travis Wilkerson, „Nuclear Family“, 2021

Erin und Travis Wilkerson, „Nuclear Family“, 2021

Nuclear Family ist von einer Mischung aus Grausen und Schauerlust angetrieben. In Wilkersons mit sonorer Stimme gesprochenem Voice-over mischen sich Aufklärung mit Anrufung und Beschwörung. Zu Aufnahmen von umzäunten Landschaften, ausgestorbenen Motels, Brachen und auf verseuchtem Boden errichteter Renaturierung häuft Wilkerson erschreckende Informationen und Daten zur Geschichte der Verbrechen an Menschen, Tieren und der Natur. Dazwischen montiert sind von Erin Wilkerson aufgenommene Fotografien von Flora und Fauna – darunter das in US-amerikanischen Gegenden eher rare Exemplar einer „Fukushima-Sunflower“ – und Archivbilder von Pilzwolken in leuchtenden Farben, begleitet von Sun Ra’s ironisch-apokalyptischer Hymne Nuclear War.

Zu sehen ist Wilkersons Essay nun im Kino Arsenal in Berlin im Rahmen eines kleinen, aus dem diesjährigen Forum und Forum Expanded kompilierten Sommerprogramms, das sich auf vielfältige Weise mit dem Verhältnis von Mensch und Umwelt befasst. Die im Anthropozän manifest gewordene Dominanz des Menschen und seine Rolle als geologischer Faktor stehen dabei jedoch eher am Rande. Filme wie Jacquelyn Mills’ Geographies of Solitude (2022) über die auf Sable Island lebende und forschende Naturschützerin Zoe Lucas und Terra que marca von Raul Domingues (2022) sind ganz auf das nicht-menschliche Leben und auf die natürlichen Kreisläufe von Wachstum und Verwesung perspektiviert. In Terra que marca spielt der Boden im portugiesischen Hinterland die Hauptrolle. Von den wenigen Menschen, die den kargen Acker mit primitiven Werkzeugen bearbeiten, sind meist nur harkende und pflückende Hände und gebückte Rücken zu sehen.

Raul Domingues, „Terra que marca“, 2022, Filmstill

Raul Domingues, „Terra que marca“, 2022, Filmstill

Von Wilkersons unheilvoll aufgeladenen Landschaftsbildern und Domingues’ konkreter Bildlichkeit sind Super Natural (2022) von Jorge Jácome und Dane Komjlens Afterwater (2022) gleichermaßen entfernt. Beide Filme erzeugen auf jeweils sehr eigene Weise einen immersiven Erfahrungsraum, der ganz auf der Idee von Fluidität gebaut ist. Anders als in jüngeren speziesismuskritischen Tierbeobachtungen wie Victor Kossakovskys Gunda (2020) und Andrea Arnolds Cow (2021) ist die Überwindung des Anthropozentrismus bei Jácome und Komjlen auf ein viel umfassenderes – und taktileres – Beziehungsgefüge von Menschlichem und Nicht-Menschlichem gerichtet. Auch die Sprache spielt eine andere Rolle. Sie trennt sich von den Körpern, weht als autonomes Element durch die Bilder und zirkuliert zwischen Realitäten und Zeiten.

„I am a collage“ sagt der Film Super Natural über sich selbst wie auch über die Existenz allen Lebens („life is a collage of species“). Ein Gespräch zwischen zwei Stimmen, die mittels Untertitel miteinander kommunizieren, deren softes „Du“ aber wie bei einer Meditationsübung ebenso an die Betrachter*in gerichtet ist, bilden den Rahmen für eine Diversität von Bildern: Farbflächen, die fließend von Cyan über Hellblau in Magenta übergehen; Schwarz-Weiß-Aufnahmen einer Überwachungskamera; Roboterkrabben; Menschen mit Beeinträchtigung in einem Swimmingpool, die sich als Meerjungfrauen entpuppen; Hände, die Pflanzen berühren, sich ins Fleisch von Früchten hineinbohren. Hoch aufgelöste Digitalaufnahmen stehen neben flackernden Analogbildern. Die körperlosen Entitäten sprechen von der Vervielfältigung von Körpern, vom ständigen Fließen und der Kollektivierung unterschiedlicher Lebensformen in einer Ursuppe, einer „primordial soup“. Der Status als Spezies wird dabei vom Film selbst in Anspruch genommen: „I’m a celluloid species.“

Auch der aus dem früheren Jugoslawien kommende Filmemacher Dane Komjlen verbindet in seinem tryptichonhaften Film verschiedene Bildqualitäten: digital, 16 mm, VHS und Hi8. Afterwater ist bildgewordene Fluidität und buchstäblich nah am Wasser gebaut. Der erste Teil spielt am Stechlinsee in Brandenburg. George Evelyn Hutchinson, englischer Limnologe und „Vater der Ökologie“, bildet die zentrale Referenz – neben zahlreichen anderen theoretischen und literarischen Quellen (der Abspann weist unter anderem Anna Tsings The Mushroom at the End of the World und Theodor Fontanes Der Stechlin aus).

Dane Komjlen, „Afterwater“, 2022, Filmstill

Dane Komjlen, „Afterwater“, 2022, Filmstill

Von den leicht entrückt inszenierten Orten der Wissenschaft und Forschung (Bibliothek, Universitätslabor), den Instrumenten der Biologie (Mikroskop, Pinzette, in Formaldehyd konservierte Pflanzenteile) und mikroskopischen Perspektiven auf Partikel, deren springender Tanz an abstrakte Avantgardefilme erinnern, verlässt der Film mit zwei Studierenden die Stadt. Am Ufer eines Sees schlägt das Paar sein Zelt auf. Jeder Schritt, jede Geste gleicht einer zärtlichen Berührung. Sie wandern durch den Wald, umarmen sich, essen Obst, pinkeln ins Gras und lassen ihre Körper vom Wasser tragen. Der Kamerablick gilt aber auch anderen, nicht-menschlichen Berührungen: Gras wiegt sich im Wind, eine Schnecke kriecht über Moos, die Frau und der Mann lassen einen Frosch zwischen ihren Händen hin- und hergleiten. Aus dem Off lesen sie sich gegenseitig Texte von Hutchinson und der Lyrikerin Wisława Szymborska vor (auf Polnisch und Schwedisch, den Erstsprachen der Darsteller*innen). Sie erzählen von Seen als geschlossenen Systemen, die einen vergleichenden Zugang zu den Mechanismen der Natur ermöglichen, von der Robustheit des Sees als Mikrokosmos, seiner geologischen Vergänglichkeit. Im Wasser treibt bald eine dritte Person zu dem Paar, und gemeinsam formen sie sich ganz selbstverständlich zu einem erweiterten Organismus.

Auch die Figuren im zweiten, auf 16 mm gefilmten Teil, bilden ein Trio, Schauplatz ist eine fruchtbare Landschaft an einem See. Die Textur der Bilder, das lange Priestergewand, das eine der Figuren trägt, doch vor allem der Text – auch er wird aus dem Off (auf Spanisch) von drei verschiedenen Stimmen vorgetragen – versetzen die Szene in eine nicht näher definierte Vergangenheit. Es geht um einen hingebungsvollen katholischen Priester, der mit dem Wasser verglichen wird, und um eine versunkene Stadt im See. Im letzten Teil metamorphisiert sich Afterwater in eine Art posthumanistischen Tanzfilm. Die drei Protagonist*innen – darunter ein baumlanger Mann mit ungewöhnlicher Physiognomie – bewegen sich in zeitlupenartiger Langsamkeit, die „Choreografie“ imitiert die fließenden Bewegungen von Wasserpflanzen, ihre Existenzform oszilliert zwischen vegetativem Dasein und Tierhaftem. Sie wühlen mit den Händen im Moos, essen mit den Mündern vom Boden, klettern auf Bäume, verwachsen wie Pilze mit Stämmen und Wurzelwerk und stoßen pumpende Atemgeräusche aus. Mit den anders-als-menschlichen Wesen kommt dem Film auch die gesprochene Sprache abhanden – „We return like the tired to their beds, to be touched by everything“ ist in einem der Untertitel zu lesen. Unkontaminiert und ursprünglich sind in Afterwater jedoch weder die Natur noch die Bilder. Das pixelige Video irritiert die Landschaft durch sichtbare Technik. Irgendwann floatet das Trio auch in die Ruine eines stillgelegten Atomkraftwerks.

„Sommerfest: Wiedersehen mit Berlinale Forum und Forum Expanded“, Kino Arsenal Berlin, 15. bis 23. Juli 2022.

Esther Buss ist Filmkritikerin und lebt in Berlin.

Image credits: 1. © Ukbar Filmes, 2. © Creative Agitation; 3. Oublaum Filmes; 4. © Flaneur Films; all courtesy of Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V.