Gallery Weekend Evaluation
Kurz vor Beginn des Gallery Weekend lädt die New York Times zum szenischen Kunstgipfel. Gesponsert wird „Art Leaders Network“ von den Qatar Museums; gefragt sind Innovation und Expertise. Die Mitglieder des Netzwerks versuchen sich an diplomatischer Verortung und Repräsentation sowie an der Bestimmung kommender Herausforderungen: Neuartige technologische und ökonomische Entwicklungen sollen ebenso eine Rolle spielen wie die Perspektive auf den globalen Kunstmarkt. Stellvertretend für Museen, Galerien, Auktionshäuser oder Sammlungen performend, stellen sie Möglichkeiten der Zusammenarbeit und Strategien zur Schau, die einen maximal effizienten Umgang mit der wachsenden Relevanz von Social Media und Virtual Reality sowie mit Herausforderungen neuer Märkte und Verkaufsformate verheißen, denn „if it looks good, it is good“, wie Glenn D. Lowry, Direktor des Museum of Modern Art, zu berichten weiß. (LK)
In der Galerie Buchholz zeigt Cheyney Thompson mit „Toolpaths for Bellona“ eine Reihe von klein-formatigen Bleistiftskizzen, die er nach Skizzen Cézannes zur Darstellung der hermaphroditischen Kriegsgöttin Bellona im Louvre hergestellt hat. Thompson definiert diese als Schwellenphänomene eines medialen Paradigmenwechsels im Malereidiskurs und unterzieht sie einer Reihe von komplexen Denk- und Verfahrensweisen, die Strichführung, Bewegungsvektoren, Innovationen und Zeitstrahlen als Bündel von Linien um die Figur der Göttin herum organisieren. Der Künstler selbst gefällt sich dabei in der Position des ausführenden Roboters einer Reihe von mathematischen Operationen, die Technologie, Produktionsbedingungen und Ökonomie des Dispositivs „Malerei“ von der beginnenden Moderne bis in die Gegenwart durchstreifen. (TS)
Sind R.H. Quaytmans hoch konzentriert konzipierten Installationen ihrer Malerei als Kapitel eines Buches zu verstehen, so könnte die Show in der Galerie Buchholz als Leaflet einer vergangenen Präsentation fungieren. Auf ihrer 2017 in der Secession installierten Ausstellung „An Evening, Chapter 32“ basierend, zeigt sie eine Auswahl der für die Secession entstandenen Arbeiten, die jedoch weniger als „Gesamtbild“ denn als durch unterschwellige Strömungen von Material, Zeit und Dimension verbundene Einzelbilder fungieren. Die in der Secession buchstäblich auf ein bestimmtes Bild zugespitzte räumliche Dramatik wird durch eine offene, aufs Einzelbild setzende Hängung ersetzt; Historie breitet sich in Landschaften aus, Zeit wird vom Strahl zur Fläche. (TS)
Der chinesische Künstler Yu Honglei führt bei Kraupa-Tuskany Zeidler in Skulptur und Video die Spuren des Formenkanons der Moderne als polysemantisches Mashup auf: Mit Zündschnüren aus Papierchillies scharf geschaltete Messingbomben drohen ihre Quinoaladung auf brancusiinspirierte Porträtsäulen zu sprengen, während nebenan auf silbernen Bodenpodesten tönerne Köpfe alter Männer in Reihe liegen: auf handliche Größe geschrumpfte Trophäen und zugleich körperlose Brainbehälter. Unterlegt wird die formal strenge, visuell starke Präsentation durch den klatschenden Rhythmus eines Videos: Die Hände des Künstlers schlagen Ton, ein prometheisches Relikt im ästhetischen Regime des Posthumanismus. (TS)
Mit „Die Einholung“ zeigt Monika Baer bei Barbara Weiss eine routinierte Setzung ihres malerischen Repertoires, bei der sie mit leichter Hand die Ökonomien der Malerei und des Marktes im und am Bild verhandelt. Akzentuierte Bildsicherungen, im musealen Bereich als unsichtbare Diebstahlprävention eingesetzt, fixieren monochrome neapelgelbe Leinwände wie Nabelschnüre an der Galeriewand als Ort der Wertschaffung, während auf großformatigen abstrakten Pigmentbildern aufgesetzte Tränenformen die Idee des Schaffens im Angesicht von Schweiß und Tränen mit einem Augenzwinkern konterkarieren. (TS)
Die Ausstellung „Search Parameters“ von Danny McDonald bei Isabella Bortolozzi findet gefühlt vor zehn bis zwölf Jahren statt. Mit akribischer Liebe zum kitschigen Detail komponierte Klein-skulpturen aus Spielzeug- und Merchandisefiguren illustrieren, wie die Titel verraten, die Suche nach Wahrheit hinter der gängigen Meinung, nach dem besten Gehalt (salary), nach einem Gegengift, nach statistischen Sicherheiten und Anonymität und nicht zuletzt nach dem Heilmittel für Glatzenbildung bei Männern. Titel, Material und Bildwelt fügen sich zu einer Narration über das Internet als populärkulturelles Märchenbuch, dessen Protagonisten Pinocchio, C-3PO, Ken und Uncle Sam promiskuitiv-sterile Verbindungen eingehen, die nicht nur für Google & Co geldwert sind. (TS)
In der Galerie PSM sind zwei Videos von Christian Falsnaes zu sehen. Seine Ausstellung „Self“ zeigt Tänzerinnen und Tänzer, die Einzel- und Gruppenchoreografien in Berliner Straßen aufführen. In Nahdistanz von hinten gefilmt, wird dem Betrachter/der Betrachterin das Gefühl vermittelt, Teil eines Mobs oder Rudels von Hipstern zu sein, die Versionen von gegenkulturellem Verhalten als elaboriertes Ausflippen, Kriechen, Tänzeln und Marschieren auf die Straße als Bühne bringen. Als Nebeneffekt wirken unbeteiligte Passanten gecastet, wodurch verpuffte Subversionseffekte als passiv-aggressives Kernmoment der Arbeit aufscheinen. (TS)
Thomas Fischer zeigt Fotografie und Film von Dirk Braeckman. Dessen Medium ist das matte Schwarz der ungeschützten fotografischen Oberfläche, in dem sich bedeutungstragende Texturen und Formen abzeichnen, die teils lesbar und spezifischen Bezügen zuzuordnen sind, teils im Abstrakten verbleibend ein Signum für Bildsensibilität an sich abgeben. Die zeitliche Verhaftung der (analogen) Fotografie in Richtung eines Bildes ohne zeitlichen Horizont zu lösen, ist konzeptueller Drehpunkt des Werks. Dadurch wird ein Paradigmenwechsel innerhalb des Mediums lesbar, ohne das Medium an sich zu dekonstruieren. (TS)
Esther Schipper reiht in Form einer Retrospektive die Arbeit des Kollektivs General Idea und seines letzten noch lebenden Mitglieds AA Bronson auf. Anhand eines Zeitstrahls von 1969 bis 2018 wird die Arbeit durch Fotografien, Skulpturen, Performances, Objekte, Video und Installation erzählt, wobei auf einbettende Texte verzichtet wird. Sichtbar wird eine Praxis, deren Begehren sich parasitär durch mittlerweile kanonisierte Ästhetiken, Formen und Strömungen der letzten 50 Jahre zieht, ohne den Fokus auf den (meistens männlichen) Körper und die ihn umgebenden Politiken zu verlieren.(TS)
Plan B zeigt mit „Depressive Alcoholic Mother“ eine umfangreiche Arbeit von Becky Beasley, die um wiederkehrende Panoramen möglicher biografischer Verweise in Form medialer Transformationen und Relationen kreist. Im Schreiben und Abbilden sowie im Verbinden und Überschneiden immaterieller und materieller Komponenten mit bruchstückhaften Narrationen entstehen Orte als mentale Konstruktionen und Ereignisse als potenzielle Erinnerungen: Ein verschlüsselter Raum, der komplexe Erfahrungen anbietet und auslöst. (TS)
Oliver Larics neue Arbeiten sind an zwei Orten der Galerie Tanya Leighton unter dem gemeinsamen Titel „Year of the Dog“ präsentiert, die sich räumlich gegenüberliegen und auch thematisch zwei Blöcke bilden. Am ersten Ort ist ein Ensemble aus Skulptur und fotografischem Composite-Bild zu sehen. In Rekurs auf gegensätzliche Theorien von Abbild und Kopie, personifiziert durch ein Standbild der Heiligen Veronika (vera icon) und Konfuzius, werden Repräsentationen des Körpers als Orte der Akkumulation gezeigt, deren Fluchtpunkt im Stillstand des Decors liegt. Im Raum gegenüber dagegen entwickelt Laric eine Vorstellung hybrider Betweenness, dargestellt in animierten Zeichnungen und einer Serie von Skulpturen: Ein Mischwesen aus Hund und Mensch beschirmt sein Junges, während auf der Leinwand Menschliches, Tierisches, Biologisches und Technisches in einer stetigen Formwandlung überschnitten werden. (TS)
Exile zeigt Arbeiten von Paul Sochacki: Malerei, Objet trouvé, printed matter und Fresko, und bietet zudem eine Ausgabe der Zeitung Arts of the Working Class in seinen Räumen feil. Die Präsentation kombiniert arabische und deutsche Politposter der 70er und 80er Jahre aus der Sammlung des Künstlers mit zarten Malereien, die mit teilweise irritierend expliziten Titeln versehen sind, einer zart schwingenden Wandmalerei und gut versteckten antiquarischen Postkarten mit Kulizeichnung. Politische Retro-Ästhetik, visuelle Narration und subjektive Bildfindungen ergeben einen zwischen Agitprop, Abkehr und Zweifel schlingernden Sound: große Themen, große Fragezeichen, leise Antworten. (TS)
Between Bridges bringt sieben Künstlerinnen und Künstler, deren Arbeiten teilweise explizit in Bezug zur gegenwärtigen politischen Lage in der Türkei stehen in einer Group Show mit dem Titel „How will the Weather be Tomorrow?“ zusammen. Auf symbolischer, faktisch-konkreter, narrativer und spekulativer Ebene zeigt die Ausstellung Wege des Umgangs mit der Einschränkung von Grundrechten und drohendem Freiheitsentzug und findet dafür ebenso starke wie einfache Bilder, deren Eindringlichkeit auf die Betrachter/Betrachterinnen in direkter Relation zur tatsächlichen Dringlichkeit im Leben der Künstlerinnen und Künstler steht. (TS)
Diese Welt lässt sich nur noch durch die rosarote Brille betrachten. Oder gespiegelt in schicken Radkappen. Oder aus weiter Ferne, wenn man sich zurückgezogen hat in den Konsum naturverbundener und handgemachter Artikel, deren Entdeckung und Verfeinerung man all sein Geld und all seine Zeit widmet. Yngve Holen zeigt in „Rose Paintings“ bei Galerie Neu sechs stark vergrößerte und aus Holz nachgebildete Radkappen-Designs und verweist damit auf die Welt einer sich vor aktuellen und zukünftigen Katastrophen verschanzenden Mittelschicht. Die Kunst über SUV-Ästhetik teilt mit ihrem Sujet den eingehaltenen Sicherheitsabstand zum Rest des Verkehrs und die leichte Obersicht. Aus den Holzrosetten spricht neben einer Diagnose für unsere Gegenwart auch der Fetisch für Radkappen. (AD)
Luisa Kleemann, Tina Schulz, Anke Dyes
Diagramme von Anna Lena von Helldorff.