Gezwungenermaßen „cool“ Hans-Jürgen Hafner über Michael Franz in der Kienzle Art Foundation, Berlin
Veröffentlichung ist seit jeher ein Kernproblem künstlerischer Arbeit. Ausstellungen, als traditionelle Schauplätze von Veröffentlichungen eines künstlerischen Anspruchs, haben heute viel zu leisten, weil sie zum eigentlichen Medium konzeptuell informierter künstlerischer Projekte avanciert sind. Die Anforderungen an sie steigen, wenn sich die Kunst mehr und mehr dem Druck einer Aufmerksamkeitsökonomie aussetzt, die im großen Maßstab von visuellen Industrien reguliert wird, die – anders als die Kunst – tatsächlich in industriellem Maßstab operieren können.
Künstler*innen dagegen sind normalerweise im Einzelkämpfermodus unterwegs und in der Regel nur mit beschränkten Ressourcen ausgestattet; und sie sind mit zunehmender Willkür konfrontiert, wenn es darum geht, im kommerziellen oder institutionellen Rahmen Ausstellungen zu machen, die ein begehrtes Asset für das individuelle Ringen um Aufmerksamkeit und - im Idealfall - etwas Anerkennung und wenigstens ein Eintrag im Lebenslauf sind. Ganz zu schweigen davon, dass es immer noch Leute geben muss, die sich eine Ausstellung anschauen wollen.
Von Michael Franz’ Ausstellung „The Rise and Fall of The Rise and Fall“ im großbürgerlich-gediegenen Boutiquenambiente der Kienzle Art Foundation in Charlottenburg sind mir, wie ich gestehen muss, mit Ausnahme der Videos weder einzelne Arbeiten in Erinnerung geblieben, noch wollte sich die Ausstellung als Ganzes einprägen. Das meine ich in dem Sinn, dass sich die Schau als Format oder Produkt mit einem bestimmten Anliegen – etwa: Schau dir meine (neuen) Arbeiten an! – oder einem spezifischen Aufhänger – etwa: Konjunkturen von Aufstieg und Fall – visuell/konzeptionell nicht prägnant genug erklärt. Arbeiten und Ausstellung scheinen sich in Franz’ Fall ständig gegeneinander auszuspielen, so eine erste Arbeitshypothese. Warum und mit welchem Effekt?
Ein erster Blick ins Schaufenster macht deutlich, dass die Ausstellung auf eine „gesuchte“ Weise installiert wurde, bei der die Spezifik des Ortes vermutlich mitgespielt haben mag. Gleichwohl scheint es nicht darum zu gehen, die Arbeiten „gut“ in Szene zu setzen – trotz eines frei von der Decke hängenden Bildobjekts, das als Eyecatcher in der Auslage präsentiert wurde. Schon dies ist – als Bild und Kunst – eher schwer zu dechiffrieren. Ein Mix aus Infografik und Kinderzeichnung wurde als Digitalausdruck produziert und auf Leinwand kaschiert. Sein Motiv stammt aus einer Zeichnung und einem Screenshot der Unterstützerplattform, die sich vor einiger Zeit für die erneute Anstellung von Beatrix Ruf als Direktorin des Stedelijk Museum starkgemacht hatte. Die Zeichnung, von Franz selbst angefertigt, zeigt betont naiv wirkende wilde Tiere (Wölfe? Krokodile?), die über eine nackte männliche Figur herfallen. Ein zweites Poster, eine Art Versuchsreihe auf Basis einer Image-to-Image-Übersetzungssoftware, ist zudem von innen direkt auf ein Fenster gekleistert und zeigt den Passant*innen seine blaue Rückseite.
So geht es auch in der Ausstellung selbst weiter. Die besten Hängeflächen, die gestalterisch „günstigen“ Optionen, scheinen geradezu mutwillig verschmäht. Durch die Einbeziehung von Monitoren, Bildobjekten, Wandtapeten, Postern, Zeichnungen, Digitalem und Handgemachtem und auch durch die Installation vermittelt sich immerhin ein Eindruck von Varianz, die Franz’ künstlerische Arbeitsweise kennzeichnet. Das war überfällig und zumindest in Berlin in dieser Form noch nicht zu sehen. Arbeiten und performative Auftritte des Künstlers gibt es zwar häufiger und nicht selten in von ihm selbst oder koinitiierten Gruppenprojekten; eine „amtliche“ Berliner Einzelausstellung war bisher jedoch nur 2018 in der Galerie Lars Friedrich zu sehen. Diese Schau fokussierte sich allerdings ganz auf Zeichnungen und da auf eine - hinsichtlich Format und Machart - spezifische, nicht unbedingt repräsentative Sorte aus Franz’ recht umfangreichem Œuvre.
Mit Blick auf die Ausstellung ist aber wichtig zu notieren, dass Franz nicht nur im Technischen/Formalen, sondern auch in Fragen der Autorschaft und Originalität überdurchschnittlich auf Transgression setzt. Neben häufigen Kollaborationen mit Künstlerkolleg*innen und Kulturschaffenden greift der Künstler hierfür auf verschiedene, wenngleich nicht immer explizit gemachte Aneignungsverfahren zurück, verwendet Zitate, annotiert und kommentiert in seinen Arbeiten Phänomene aus Kunst und Popkultur. Vor allem seine ergebnisoffen gehaltenen Kollaborationen platziert er in einer Grauzone zwischen künstlerischer, kuratorischer und kunstkritischer Praxis. Darin ist eine gewisse Lust auch an Abhängigkeit, Komplizenschaft und Instrumentalisierung zu spüren, ein Interesse für die „weichen“, sprich: sozialen Faktoren künstlerischer Arbeit. Dies in einer einzigen Ausstellung zu bündeln, ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Auffällig ist dann allerdings weniger die Werkauswahl als vielmehr die Installationsweise, für die sich Franz entschieden hat. Es ging mir regelrecht auf die Nerven, wie sich die verschiedenen Arbeiten im Ausstellungsraum „herumdrücken“, sich in die Ecken schieben oder auf die Bodenleiste gesetzt finden, wie die Monitore im Foyer und im hinteren Kabinett gleich so ostentativ cool installiert wurden, dass sie in die jeweiligen Türdurchgänge hineinragen. Die Installationsweise ist nicht nur konsequent irregulär, ihr Effekt ist regelrecht awkward: als Inventar verweigernder Gesten, die – kurzes Scrollen durch die PR-Plattform Contemporary Art Daily mag das bestätigen – nur zu gut bekannt sind in einem Ausstellungsbetrieb, in dem das individuell natürlich völlig zu Recht beanspruchte Irreguläre zur Regel im Wettbewerb um Distinktion geworden ist. Entsprechend spießig wäre es, darauf herumzuhacken. Schließlich haben sich die routinierten Ausstellungs- und CAD-Besucher*innen heute längst an die Konvention des Irregulären gewöhnt, auch wenn trotz aller Konventionalität nur mehr der Geier – sprich: der eingefleischte Connaisseur – eine Ahnung davon haben kann, wie bewusst, mit welcher kommunikativen Absicht, als rhetorisches Mittel oder eigentliches Thema, ein Ausstellungsdisplay daherkommt; ob es sich, gemessen an der Intention, gestalterisch entsprechend gekonnt oder konzeptionell schlüssig vermittelt. Das ist in der Vermittlungsarbeit immer wieder festzustellen: Laien und selbst Profis riskieren kaum mehr, eine Ausstellung kritisch zu bewerten, schlicht deshalb, weil die Chance groß ist, danebenzuliegen. Vielleicht ein Grund dafür, warum Rezeptionskultur samt der darauf gebauten Ästhetik in Scherben liegt. Allerdings wirkt an besagter Schau ihrerseits spießig, wie fleißig der Eindruck von coolem downplaying herbei- und didaktisch vorgeführt wird, nicht ohne im Pressetext eigens darauf hinzuweisen, dass Franz sich, natürlich nur „lose“, auf konzeptuelle und institutionskritische Strategien bezöge.
Am Ende war ich zwar ganz gut auf die Feinheiten des gesamten Set-ups kalibriert, gleichwohl waren es die Videos, die überzeugten. Nicht etwa das vergleichsweise spektakuläre, per Drohnenkamera aufgenommene Quantities (2019), das auf neun Minuten unkommentiert, aber von lärmenden Motorensound unterlegt, die sorgfältig auf dem Boden im Elternhaus des Künstlers ausgebreiteten Besitztümer, Bücher, Platten, Kleingeld, Feuerzeuge, den ganzen prosaischen Krimskrams, der sich in einem Jungmännerleben so aufhäuft, abfilmt. Und auch nicht der elegische Kunstweltpornoflick Drive (2016), der, schwarz-weiß entfärbt, zum gleichnamigen Song von R.E.M. in Archivaufnahmen der Konferenz zu „Speculations on Anonymous Materials“ im Kasseler Fridericianum schwelgt und so entrückt wirkt, als käme das aus einer längst vergessenen Zeit. Am einprägsamsten, vielleicht als zentrales Element dieser Schau, stellte sich für mich +491631615759 (2015) heraus. Es zeigt vor dem Hintergrund einer fixen Kameraeinstellung auf eine verkehrsreiche Kreuzung die aus Geburtstagskerzen gebildete Mobilnummer des Künstlers, die im Laufe des gut 20-minütigen Videos langsam abbrennt, während es allmählich dunkel wird.
Spätestens da wurde „The Rise and Fall of The Rise and Fall“ für mich zu einer Parabel über das Dilemma einer Kunst, die ihren Zweck offenbar im ständigen Veröffentlichen, Distribuieren und Verwerten findet, real aber aufgrund der sozialen, technischen und ökonomischen Bedingungen, denen Veröffentlichung unterliegt, kaum mehr Aussicht darauf hat - nicht mal mehr innerhalb der sogenannten Kunstöffentlichkeit) -, angemessen rezipiert zu werden. Vielleicht hat aber doch mal wer angerufen.
Michael Franz: The Rise and Fall of The Rise and Fall“, Kienzle Art Foundation, Berlin, 8. September 2019 bis 31. Januar 2020.
Hans-Jürgen Hafner ist Kunstkritiker, Autor und Ausstellungsmacher und lebt in Berlin.
Titelbild:„Michael Franz: The Rise and Fall of the Rise and Fall“, Kienzle Art Foundation, Berlin, 2019, Ausstellungsansicht