Während die bisherigen Beiträge zu unserer aktuellen Ausgabe „Country“ neben politisch aufgeladenen Bildern des Ländlichen vor allem das eklatante Erstarken rechter Parteien im deutschsprachigen Raum in den Blick nahmen, ist es kurz vor den Präsident*innenschaftswahlen in den USA an der Zeit, die Perspektiven des Titelthemas transatlantisch zu weiten. Ausgehend von einem Foto, das diesen Sommer in Pennsylvania entstand und daraufhin um die Welt ging, verweist Gregor Stemmrich im Folgenden auf Ähnlichkeiten zu einem zweiten, ideologisch aufgeladenen Bild. Dabei schlägt er eine (wie er selbst betont nur bedingt auf die Tragfähigkeit des Vergleichs bauende) Brücke – von der gegenwärtigen Weltpolitik zur Kunstgeschichte, von Butler nach Aachen, von Donald Trump zu Joseph Beuys.
Das Attentat vom 13. Juli 2024 auf Donald Trump in Butler, Pennsylvania, ist in der öffentlichen Wahrnehmung unlösbar mit seiner unmittelbaren Reaktion darauf verbunden. Seinem Instinkt, sich medienwirksam, einer Schussverletzung am Ohr trotzend, blutend mit erhobener Faust an seine Anhänger*innen zu wenden, hat der Agenturfotograf Evan Vucci ikonische Prägnanz verliehen. Trump gibt sich als Märtyrer, als siegreicher Kämpfer und als von Gott erwählter Heilsbringer. Hat es ein solches Szenario schon einmal gegeben? Die Historikerin und Faschismusforscherin Ruth Ben-Ghiat verweist auf Parallelen zu Violet Gibsons Attentat auf Benito Mussolini im Jahr 1926. Gibson hatte aus einer Menschenmenge heraustretend einen Schuss auf Mussolini abgefeuert, der lediglich dessen Nase streifte. Den Verband darauf habe Mussolini anschließend als „a kind of badge of honor“ zur Schau getragen, was Trump mit seiner Schussverletzung am Ohr ebenso tat. Auch die durch die gescheiterten Attentate ausgelösten Dynamiken und deren Effekte sind im Prinzip vergleichbar. Doch hatte Trump anders als seinerzeit Mussolini zur Zeit des Attentats keine offiziellen Machtbefugnisse. Umso wichtiger war es für ihn, sich on the spot unmittelbar nach dem Schuss mit einer ikonischen Geste an seine Anhänger*innen zu wenden.
Die Parallelen zwischen Mussolini und Trump, die Ben-Ghiat aufzeigt, dienen ihr zur Illustration der Begriffe Autoritarismus und Faschismus. So basiert die Korrelation der historischen Situationen auf der Annahme einer nahezu durchgängigen Parallelisierbarkeit. Die Beschreibungen bilden Vektoren, die alle in die gleiche Richtung weisen, es entsteht ein Doppelporträt aus zwei separaten Hälften. Die erwähnten Ereignisse und Umstände weisen dabei gerade genug Unterschiede auf, um erkennen zu lassen, dass sie fast 100 Jahre auseinanderliegen.
Wie könnte es gelingen, Unterschieden der Persönlichkeiten, der historischen Kontexte, der kategorialen Zuordenbarkeiten stärkeres Gewicht zu verleihen, ohne den Gedanken der Parallelisierbarkeit im Ansatz auszuschließen? Wohl nur, wenn man akzeptiert, dass das, was parallelisiert wird, nicht direkt und selbstverständlich vergleichbar sein muss. Es kann vorgestellt werden, als ob es vergleichbar sei – nicht im Sinne einer Behauptung, sondern im Sinne der Frage, was dadurch allererst oder auf neuartige Weise in den Gesichtskreis treten kann. Die kontrafaktische Unterstellung einer Parallelität liefe auf eine Konfrontation hinaus, die unvermutete und uneingestandene Korrespondenzen zu denken gibt. Eine entsprechende Versuchsanordnung müsste im Prinzip allegorisch erfolgen, nicht verstanden als Illustration eines abstrakten Begriffs, sondern als das Verhältnis zweier Reihen von Texten, Bildern, Ereignissen, die interagieren. Personen, Aktionen, Ereignisse können dabei in unterschiedlichen Rücksichten gleichzeitig im Verhältnis der Entsprechung und des Gegensatzes stehen.
Ikonisches Charisma und seine kontextuellen Implikationen
Ein derartiges korrelatives Bild lässt sich, so abwegig dies auf den ersten Blick erscheinen mag, von Donald Trump und Joseph Beuys konstruieren. Den Ausgangspunkt bilden Fotos, die es zulassen, zwei sehr unterschiedliche historische Kontexte unversehens miteinander in Rapport zu setzen. Beim Festival der Neuen Kunst am 20. Juli 1964 im Auditorium Maximum der Technischen Hochschule Aachen, zu dem Studierende eingeladen hatten, reagierte das Publikum belustigt bis verstört auf die Aktionen der Künstler*innen. Dass Teile der Aktionen im Zuschauer*innenraum stattfanden, nahmen manche im Publikum zum Anlass, auf die Bühne zu treten. Als in der daraus resultierenden unübersichtlichen Situation ein Behältnis mit Säure, die Beuys in seiner Aktion verwendete, umfiel, wobei Spritzer auf der Kleidung eines Studenten landeten, schlug dieser Beuys ins Gesicht. Beuys schlug zurück, holte anschließend ein auf eine Apparatur montiertes Kruzifix aus einem Koffer und hielt es mit blutender Nase dem Publikum entgegen. Dabei ließ er das Kruzifix durch einen verborgenen Mechanismus „pneumatisch“ emporsteigen, während er seinen rechten Arm mit offener Handfläche nach oben streckte. Beuys gab sich als Märtyrer und als politisch-religiöser Heilsbringer. Der Fotograf Heinrich Riebesehl, damals noch Student, hat den ikonischen Bild-Sinn dieses flüchtigen Ereignisses in einem Schwarz-Weiß-Foto festgehalten. Das Festival wurde abgebrochen, doch das Bild hat sich der Kunstöffentlichkeit ins Gedächtnis eingebrannt.
Die Fotos von Trump und von Beuys erwecken den Eindruck, das Charisma der gestischen Reaktion der prominenten Persona auf ein für sie bedrohliches Ereignis sei in ihnen gegenwärtig. Trump streckt eine geballte Faust empor, Beuys eine offene Handfläche. Die Faust ist ein Zeichen der Wut und des Kampfeswillens, die offene Handfläche im Verbund mit dem erhobenen Kruzifix ein Zeichen der Gabe und der Aufopferungsbereitschaft. Doch beide Zeichen sind kontextuell ambivalent konnotiert. Die erhobene Faust wird meist mit einer linken Politik und Gesinnung identifiziert. Davon kann bei Trump nicht die Rede sein. Besondere symbolische und ethische Signifikanz erhielt das Zeichen im spanischen antifaschistischen Widerstand; in der Folge griffen verschiedene marginalisierte und unterdrückte gesellschaftliche Gruppen das Zeichen auf. Im Gegenzug haben es rechte Gruppen für ihre Zwecke instrumentalisiert. So verwenden Neonazis und der Ku-Klux-Klan die „arische Faust“. Ohne unterstellen zu wollen, Trump habe seine geballte Faust explizit als „arische“ verstanden wissen wollen, macht der Umstand, dass er linke Gesinnungen seit jeher perhorresziert hat, sowie die ultrarechte Gesinnung vieler seiner Anhänger*innen eine Affinität zu den Implikationen der „arischen Faust“ unverkennbar. Beuys’ erhobener Arm mit offener Handfläche indiziert vordergründig das Gegenteil einer geballten Faust, doch beide, Trump und Beuys, stilisierten sich als Opfer und markierten einen Anspruch auf Überlegenheit. Beuys’ erhobener Arm verläuft parallel zur leichten Schrägstellung des Kruzifixes auf der merkwürdigen Apparatur und erscheint als dessen Erweiterung. Er hat eine Affinität zur Armhaltung des am Kreuz hängenden Christus und ebenso zum „Deutschen Gruß“ („Hitlergruß“), ohne eines von beidem eindeutig zu sein. Das Festival fand am 20. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler, das Claus von Stauffenberg geplant hatte, statt, dessen an diesem Tag in Westdeutschland offiziell, doch aus Sicht der Veranstalter*innen allzu selbstgerecht, gedacht wurde. Einige der teilnehmenden Künstler*innen nahmen dies zum Anlass, Referenzen auf die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands und den Zweiten Weltkrieg in ihre Aktionen einzubauen. Beuys’ Beitrag ließ ein solches Bestreben nicht erkennen; gleichwohl war die Gesamtatmosphäre entsprechend aufgeladen, da anfangs Joseph Goebbels’ Sportpalast-Rede („Wollt ihr den totalen Krieg?“) von 1943 in Endlosschleife vom Tonband abgespielt wurde. In diesem Kontext erhielt Beuys’ Umgang mit der von ihm geschaffenen Apparatur den Charakter einer Beschwörung einer unlösbaren Verquickung von Religion, Kunst und Politik. Ohne zu unterstellen, Beuys habe mit seiner Geste explizit auf den Hitlergruß rekurriert, lässt sich ihre Affinität zu ihm nicht verleugnen.
Was Vuccis Foto von Trump nicht zeigen kann, auf den Fernsehaufnahmen jedoch umso mehr die Aufmerksamkeit auf sich zog, ist die Tatsache, dass Trump, der sich zuerst aus dem Kreis der ihn umringenden Bodyguards emporkämpfen musste, bevor er ikonisch seine Faust erheben konnte, mit dieser eine Pumpbewegung machte, wobei er „Fight, fight, fight!“ rief, was mangels Lautsprecherübertragung nur zu sehen, jedoch nicht zu hören war. Auch Beuys musste im Gedränge vermutlich zunächst darum kämpfen, sich genügend Raum zu verschaffen, um eine signifikante Geste ausführen zu können: stumm, doch deklamatorisch effektiv, streckte er seinen rechten Arm mit offener Handfläche empor.
Auf Vuccis Foto von Sicherheitsbeamt*innen umgeben, die seinen Schutz zu suchen scheinen, anstatt ihn zu schützen, erscheint Trump, sich hoch über sie erhebend, geradezu plastisch als patriotischer Rächer und, für die Augen seiner Anhänger*innen, als gottgesandter Heilsbringer. Trumps umfassendem Machtanspruch im Verbund mit dem Kalkül, diesen religiös legitimiert erscheinen zu lassen, lässt sich Beuys’ umfassender Kunstanspruch und sein Bestreben korrelieren, diesen religiös überhöht erscheinen zu lassen.
Das Attentat auf Trump war, wie sich herausstellte, eher der erweiterte Suizid eines 20-Jährigen und nicht auf eine klare politische Absicht zurückzuführen, wurde jedoch zuerst als Attentat mit politischer Zielsetzung aufgefasst. Dies weckte traumatische Erinnerungen an entsprechende Attentate in der Vergangenheit. Da keine politische Motivation feststellbar war, verschob sich der Schock über das Attentat zum Schock darüber, dass jemand bewaffnet ungehindert so nahe an Trump herankommen und tatsächlich Schüsse abgeben konnte. Im Falle des Fluxus-Festivals gehörte die traumatische Erinnerung an ein gescheitertes Attentat mit politischer Zielsetzung zu den Prämissen der Veranstaltung. Räumliche Nähe als Voraussetzung für einen Angriff auf einen der Protagonist*innen war schon allein dadurch gegeben, dass der Saal brechend voll war und die Studierenden, dem Postulat der Aufhebung der Grenze zwischen Kunst und Leben folgend, die Grenze zwischen Bühne und Publikumsraum überschritten hatten. Mit der Unübersichtlichkeit der Situation während der Trump-Veranstaltung und der Unachtsamkeit des Secret Service korrespondieren die Unübersichtlichkeit der Situation während der Beuys-Aktion und die Unachtsamkeit, die zum Kontakt mit der Säure führte.
Politisches Posturing
Das Medienecho seiner ikonischen Geste machte Beuys 1964 schlagartig zur öffentlichen und für seine Anhänger*innen, deren Schar er zu mehren wusste, zur charismatischen Figur. Seine Politik, jede*n, der*die bei ihm studieren wollte, in seine (bereits auf mehrere hunderte Studierende angewachsene) Klasse an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf aufzunehmen, führte 1972 zum Eklat, als er nach heftigen Akademie-internen Auseinandersetzungen zusammen mit mehr als 50 Studienbewerber*innen, die keinen Aufnahmebescheid von der Akademie erhalten hatten, das Sekretariat besetzte und sich nach Aufforderung weigerte, es zu räumen, was als Hausfriedensbruch gedeutet wurde und seine Entlassung zur Folge hatte. Ganz Deutschland nahm an dem „Akademiestreit“ Teil. Geschadet hat dieser seinem Ansehen nicht, eher im Gegenteil. Das Korrelat zu der von Beuys initiierten friedlichen Besetzung des Sekretariats liegt, wie unvergleichlich auch immer, in der Stürmung des Kapitols am 6. Januar 2021 durch Trumps Anhänger*innen, nachdem er die Präsidentschaftswahl verloren hatte, ohne dies einzugestehen. Dass Trump seine Machtbasis im parteiinternen und öffentlichen Zuspruch trotz der Gewalttätigkeiten jedoch nicht verlor, eher im Gegenteil, deutet auf eine virtuelle Vergleichbarkeit der Publicityeffekte beider Aktionen.
Ein Foto, das Beuys von seinem langjährigen Wegbegleiter Klaus Staeck machen ließ, zeigt ihn von hinten am Übergang einer Autobahnraststätte, auf deren Fensterfront er oben „DER MANN AM HAUPTHEBEL“ geschrieben hatte, um sich in der perspektivischen Flucht der Autobahn mit angewinkeltem Arm darunter zu postieren. In Andres Veiels Film Beuys (2017) meint Staeck, er denke, ja, so habe sich Beuys empfunden. Als „Mann am Haupthebel“ sah und sieht sich der eine als Businessman und TV-Star, der andere als Künstler und Professor, und beide schienen überzeugt, dass sie berufen waren bzw. sind, den „Haupthebel“ zu bedienen. Der common ground von Kunst und Business ist für sie nicht das „business art business“, das Andy Warhol zum Paradigma erklärte, vielmehr die Rolle des Politikers und des political posturing. Damit hatten beide Erfolg. Davon zeugt Beuys’ Einzug ins Guggenheim Museum 1979 und Trumps Einzug ins Weiße Haus 2016.
Trauma und Amerikanischer Traum – Personalisierte Definitionen von Allgemeinheit
Beuys wird von vielen als ein Künstler gesehen, der in Bezug auf seine eigene Biografie traumatische Erfahrungen deutscher Geschichte thematisiert hat. Doch eine Analyse historischer Ereignisse und Zusammenhänge blieb er schuldig. Trump steht für einen Geschäftsmann, der in seiner Biografie den American Dream verwirklicht hat und daraus die Lizenz bezieht, die amerikanische Gegenwart als traumatisch darzustellen. Eine Analyse historischer Ereignisse und Zusammenhänge bleibt auch er schuldig. Beide pfleg(t)en einen suggestiven Umgang mit Traumata und beide prahl(t)en mit ihrer Liebe zu Amerika. Dass Trump sich in den Farben der amerikanischen Fahne kleidet und bei Gelegenheit medienwirksam die Fahne küsst, dabei „I love you, baby“ murmelt, schafft nicht nur ein Band zwischen ihm und seinen Anhänger*innen, sondern lässt auch keinen Zweifel daran, „wem Amerika rechtmäßig gehört“. Bei Beuys manifestierte sich seine Amerikaliebe unter anderem darin, dass er einen Cadillac fuhr (damals wie heute eine Seltenheit in Deutschland), sowie vor allem in seiner Aktion Coyote – I like America and America likes me von 1974, die man als eine chiastische Liaison von deutschem Trauma und amerikanischem Traum ansehen kann, in der sich ein amerikanisches Trauma als deutscher Traum erweist. Der Titelspruch ist – bewusst oder unbewusst – vom Slogan auf der 7UP-Flasche „You Like It / It Likes You“ abgeleitet. America ist, für Beuys wie für Trump, it und – auf Freuds Dictum „Where It was, shall I be“ bezogen – It. Die politische Bindung an die Ich-sagende Person markiert den Anspruch, für die Allgemeinheit zu sprechen. Darin ist die Vorstellung eines Außen enthalten, da die Person zu definieren beansprucht, wer zur ,Allgemeinheit‘ gehört und wer nicht, oder weil sie eine irreale Allgemeinheit, die selbst ein Außen darstellt, propagiert. Trump identifiziert das Außen mit illegalen Einwander*innen, die er als Kriminelle und Patient*innen psychiatrischer Anstalten diskriminiert, und er droht seinen politischen Gegner*innen, wenn sie seine Diskriminierungen nicht mittragen. Das ist Teil seines politischen Kalküls. Beuys dagegen bezog seine Aktion darauf, dass die Siedler*innen den in Nordamerika heimischen Coyoten als bedrohlich ansahen und ihn auszurotten suchten. Der Coyote verkörperte für ihn die Indigenen, die das Tier als spirituelles Wesen ansahen. Wenn es ihm gelingen würde, in einen Dialog, keine bloße Interaktion, mit einem lebenden Coyoten zu treten, so Beuys’ prophetisches Kalkül, könnten die Spaltungen der amerikanischen Gesellschaft überwunden werden. Obwohl Beuys den Coyoten programmatisch und prominent in sein Mantra „I like America and America likes me“ einzubinden suchte, lief die Vorstellung eines Dialogs mit einem Coyoten auf eine irreale Einbindung eines Außen hinaus. Der common ground von postuliertem Ausschluss und postuliertem Einschluss ist showmanship.
Ambivalente Faszination für die Figur des überragenden Kriminellen
Nachdem 1973 ein in Hollywood produziertes Biopic des Gangsters John Dillinger erfolgreich in den Kinos gezeigt worden war, improvisierte Beuys 1974 vor dem Biograph-Kino in Chicago ein Reenactment der Hinrichtung Dillingers, der eben dort 1934 von FBI-Beamten bei seinem Fluchtversuch erschossen wurde. Beuys erklärte dazu: „Ich lege großen Wert auf die Energie, die in einer Biographie wie der des John Dillinger liegt. Diese Energien, die beim Dillinger beispielsweise negativ gepolt waren, können einen positiven Impuls abgeben. Nach dem Motto: Unser Liebesimpuls für solche Menschen oder überhaupt Menschen ist dreifach: untermenschlich, menschlich und übermenschlich.“ Er erklärt, dass die großen Gangster ihre „schöpferischen Fähigkeiten negativ gebraucht“ hätten. Trumps Obsession für die Figur des Hannibal Lecter aus dem Film Silence of the Lambs (1991), die er in seinen Wahlkampfauftritten in einer konfusen Weise in seine Tiraden einbaute, steht dem in nichts nach: „The late, great Hannibal Lecter. He’s a wonderful man. He oftentimes would have a friend for dinner. Remember the last scene? ,Excuse me, I’m about to have a friend for dinner‘, as this poor doctor walked by. ,I’m about to have a friend for dinner.‘ But Hannibal Lecter. Congratulations. The late, great Hannibal Lecter.“ Während er sich einerseits mit dem kultivierten und witzigen Serienkiller und Kannibalen identifiziert, benötigt er die Figur gleichzeitig andererseits, um ein Horrorszenarium zu malen: „People are pouring across the border now, disease-ridden people […] And I said it, I said it over and over: people from mental institutions, from insane asylums […] That’s like Silence of the Lambs stuff. But they’re coming in to our country.“ Die zur Konfusion drängende Ambivalenz, dazu bestimmt, im Fokus auf eine amoralische Persona diffuse Befindlichkeiten des Publikums einzubinden, wurde Teil seines MAGA-Rituals. Beuys’ Aktion Dillinger ist nicht weniger konfus überdeterminiert; Johannes Lothar Schröder spekuliert, sie „gestaltete sozusagen Beuys’ verinnerlichtes Amerikabild um und […] ermöglichte ihm durch die Identifikation, seine eigenen Schuldgefühle auf Dillinger abzuwälzen, der sich im christlichen Sinn stellvertretend und im Voraus schon für den Künstler geopfert hatte“.
Jenseits von Verantwortung: Programmatische Nichtidentifizierbarkeit von Täter*innen
Beuys’ Haltung zum Christentum war hochgradig ambivalent. Umso wichtiger war ihm die Propagierung einer eigenen Form von Vergebung. Mit seinem Beschwören heilender Kräfte, der Suggestivkraft seiner Inszenierungen, seinem Schamanismus und seiner anthroposophisch orientierten Theoriebildung vermittelt sich ein Anspruch auf Generalzuständigkeit für Traumata aller Art: Kriegsverletzungen, Holocaust, Contergan-Skandal, RAF-Terrorismus, die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft im Vietnamkrieg. Trump dagegen frönt ungehemmt seinem Bedürfnis, sich im Geiste mit den Autokraten dieser Welt zu verbrüdern: mit Wladimir Putin, Jair Bolsonaro, Kim Jong-un, Viktor Orbán, Recep Tayyip Erdogan, Xi Jinping. Er weiß sich mit allem verbunden, was seinem Machtwillen sowie der Bestärkung eines entsprechenden Selbstbildes nutzen kann, und inszeniert sich als fixer, der, wenn er wieder an der Macht ist, jede*n (einschließlich sich selbst) begnadigen wird, die*der mit dem Gesetz in Konflikt kam, als sie*er ihm zu Diensten war, falls er ihm weiterhin nutzen kann. Das ist mit dem Versprechen verbunden, es sei nur eine Frage der Zeit, bis er legale Strukturen so geändert habe, dass niemand, der ihm zu dienen bereit ist, als Täter*in identifizierbar ist. Bei Beuys findet man stattdessen eine Vorstellung kreatürlicher Allverbundenheit, die Verletzlichkeit impliziert. Diese annonciert er in seiner Kunst. Mag man darin auch einen Impuls der Deviktimisierung erkennen, ist dieser doch nirgends an eine Vorstellung von Verantwortlichkeit zu binden, die es gestatten würde Täter*innen zu identifizieren. Das lässt sich als eine Nivellierung konkreter politischer Verantwortung, eine Art selbstinduzierter Absolution deuten. Je offenkundiger dies wurde, desto dringlicher erschien es Beuys, die Rolle des Politikers einzunehmen, eines Politikers jedoch, der bereit war, Politik in der Adressierung eines diffusen Gefühls sozialen Unwohlseins mit einfachen Erklärungen ad absurdum zu führen. „Direkte Demokratie durch Volksabstimmung“ bedeutete, dass das nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene politische System als ein das Volk bevormundender Missstand zu gelten hatte, der beseitigt werden musste; und „Jeder Mensch ist ein Künstler“, dass Beuys als derjenige Künstler, der dies erklärte, den Anspruch erheben durfte, „der Mann am Haupthebel“ zu sein, mochte er den Hebel auch an einem allzu imaginären archimedischen Punkt ansetzen.
Personalisiertes Aufbegehren gegen die politische Klasse
Beuys gründete die Free International University, Trump die Trump University. Gemeinsam ist beiden Institutionen, dass es keine Universitäten waren, jedoch als solche gelten sollten. Ihre Attraktivität bezogen sie aus dem Kapitalbegriff, den sie propagierten, Trump den Business-orientierten kapitalistischen, Beuys seinen „kreativen“. Mit den zwischen Kunst und Politik oszillierenden Spektakeln von Beuys korrespondieren die zwischen Politik und Business oszillierenden von Trump. Dessen politischer Erfolg basierte auf der Strategie, scharfe Angriffe auf das politische Establishment zu richten, um den Anspruch glaubhaft zu machen, den American Dream zu verkörpern, ohne sich über einfache Leute zu erheben, sodass diese sich an ihn zu halten hätten, da sie auf sich gestellt nichts gegen die politische Klasse ausrichten könnten. Diese Strategie ermöglicht es Trump, zur politischen Klasse einfach alles zu zählen, was seinen Interessen im Wege steht: andere Parteien sowie die Banken und Firmen, die sie unterstützen; andersdenkende Politiker*innen, Journalist*innen, Rechtsanwält*innen; administrative Regularien, Medien, Gesetze. Indem er die Gesellschaft populistisch in „sie“ und „wir“ einteilt, vermag er eine Definitionsmacht über die Identität sozialer Gruppen zu gewinnen. Trump beschwört nicht wie Beuys eine traumatische Vergangenheit, um in der Gegenwart Heilung in Aussicht zu stellen, sondern verlorene amerikanische Größe, um die Gegenwart traumatisch erscheinen zu lassen. Die politische Stoßrichtung ist gleichwohl dieselbe: der Anspruch auf den „Haupthebel“, nur mit dem Unterschied, dass Trump Aussicht auf reale politische Macht hat, die er autokratisch einsetzen kann. Der archimedische Punkt, an dem er den Hebel ansetzt, liegt in der Erzeugung imaginärer Identifikationen seiner Wähler*innen mit ihm. Dieser Punkt ist real und imaginär zugleich.
Die Einrichtung dieses archimedischen Punktes wäre undenkbar ohne einen schier endlosen Schwall von Lügen, Beleidigungen (die seine Anhänger*innen als Humor registrieren), „alternative facts“ und Verdrehungen von Tatsachen. Dass seine Lügen durchschaubar sind, stellt für Trump kein Problem dar, da er als Idol zu insinuieren vermag, seine Lügen – sei es das Gesagte, die Weise des Sagens oder deren Bezug zu den Umständen – würden eine tiefere Wahrheit enthalten, die kein Faktencheck ermitteln könne. Da dies bei Beuys nicht anders ist, wäre es müßig, durchgeführte Faktenchecks anzuführen. Trump und Beuys genießen/genossen eine Art Narrenfreiheit. Während jedoch Narren am Königshof im Scherz die Wahrheit sagen konnten, leg(t)en jene mythomanisch das Bestreben an den Tag, Könige zu werden.
Mythomanie und Öffentlichkeit in historischer Perspektive
Mythomanie als politisches Kalkül und als künstlerische Antwort auf erfahrene Herausforderungen sind zu unterscheiden, jedoch nicht ohne Berührungspunkte. Wie Walter Benjamin 1940 erklärte, war Charles Baudelaires berühmte Mythomanie als publizistischer Kunstgriff eines Künstlers zu verstehen, der auf einem freien Markt sein eigener Impresario sein müsse, wie auch als Kompensation des Verlustes der hohen Wertschätzung, die Dichtern einst zuteil wurde. Baudelaire habe verstanden, dass Aura wie Aureole als antiquiert zu gelten haben. In seinem Prosastück Perte d’Auréole (1869) lässt Baudelaire einen Dichter zu Wort kommen, der im schockartigen Gedränge der Großstadt seine Aureole verloren hat und, von einem Bekannten darauf angesprochen, erklärt, froh darüber zu sein, da es langweilig sei, Würdenträger zu sein, er lieber incognito unterwegs sei, als gewöhnlicher Sterblicher, und ihn die Vorstellung belustige, irgendein schlechter Poet würde den Heiligenschein aus dem Schmutz auflesen und sich aufsetzen. Mochte Beuys in der außergewöhnlichen Nahbarkeit seiner Persona auch als ein gewöhnlicher Sterblicher auftreten, war er doch (mit seinem Filzhut als Erkennungszeichen) niemals incognito unterwegs. Seine Auswahl von Materialien, deren Auratisierung und seine mythisierende Selbstinszenierung haben viel zu dem Eindruck beigetragen, dass er sich, romantisch hochgespannt, einen aus dem Schmutz aufgelesenen und mit Schmutz heiligender Esoterik und Symbolik passend gemachten Heiligenschein zugelegt habe. Was ihn für Teile seines Publikums lächerlich machte, macht ihn in den Augen seiner Anhänger*innen zu einer Lichtgestalt. Dabei hatte die perte d’auréole ihren Grund bei ihm nicht in kapitalistischen Verhältnissen (dem freien Markt und dem Erleiden von Schocks im Großstadtleben), sondern in der freiwilligen Teilnahme an einem verbrecherischen Krieg (1941 verpflichtete sich Beuys 20-jährig für 12 Jahre als Berufssoldat; „[…] ich halte meine damalige Entscheidung auch heute noch für moralisch richtig“, erklärte er 1980 ). Als nach dem Krieg die Einsicht unausweichlich wurde, dass dieser Krieg mit dem Holocaust verbunden war, verstand Beuys vermutlich, dass ganz andere Register zu ziehen waren, als sie Baudelaire in den Sinn kommen konnten, sollte sich dies mythomanisch kompensieren lassen.
Bedenkt man, welche Verehrung in den USA nach wie vor Präsidenten wie George Washington, Abraham Lincoln, aber auch Ike und JFK zuteilwird und welche Anstrengungen andere unternommen haben, zu ihnen aufzuschließen, lässt sich in Bezug auf die erste Präsidentschaft Trumps ein schaler Nachgeschmack der Würdelosigkeit konstatieren, einer perte d’auréole. Dazu haben die vielen Prozesse beigetragen, die gegen Trump angestrengt wurden, und, mehr noch, die machtpolitisch-juristischen Kniffe, mit denen, meist erfolgreich, versucht wurde und wird, diese Prozesse abzuwürgen und die Lüge von der „gestohlenen Wahl“ als eine offizielle „alternative truth“ aufrechtzuerhalten. Doch diese Einschätzung verdankt sich einer Außenperspektive und erfasst nicht die Perspektive derer, die bereit sind, Trump eine zweite Amtszeit zu ermöglichen. Man hat Grund zu der Annahme, dass die perte d’auréole das Geheimnis seines Erfolgs ist. In Baudelaires Text erklärt der Dichter, der seine Insignie, die Aureole, verloren hat: „Ich kann mich jetzt incognito bewegen, schlechte Handlungen begehen und mich gemein machen wie ein gewöhnlicher Sterblicher. So bin ich, wie Sie sehen, hier, ganz wie Sie!“ ; doch der Bekannte, der ihn erkennt, macht sich kaum verhohlen über ihn lustig. Das gebrochene Incognito des Dichters in Baudelaires Text zeugt davon, dass ein Genuss der Vorteile, keine Aureole zu haben, nicht an das Incognito gebunden sein kann. Im Gegenteil, erst ein In-der-Öffentlichkeit-Stehen, das sich korrelativ zum Incognito derer bestimmt, die keine eigene Öffentlichkeit haben, verschafft einen Genuss der entsprechenden Vorteile. In der Kontinuität seines vulgären Verhaltens und seiner „schlechten Handlungen“ macht Trump sein gegen alle Kritik resistentes In-der-Öffentlichkeit-Stehen zu seiner machtpolitischen Insignie, die identitätspolitisch die Erklärung beinhaltet „Ich bin einer von euch!“ Das macht ihn für seine Anhänger*innen zur Lichtgestalt. An die Stelle einer Aureole kann so eine Inszenierung treten, die für seine Gegner*innen so fadenscheinig ist, wie sie für seine Anhänger*innen volle Überzeugungskraft erhält.
Vergleiche vergleichen
Man kann, wie es Ben-Ghiat tut, Trump und Mussolini vergleichen, und man kann, wie es Buchloh in seinem vielbeachteten Artikel „The Twilight of the Idol“ tat, Beuys und Richard Wagner vergleichen. Der Trump-Mussolini-Vergleich und der Beuys-Wagner-Vergleich sind selbst darin vergleichbar, dass sie historische Phänomene, die vielen als einzigartig gelten, auf Präzedenzfälle zurückführen und so als eine Reprise erscheinen lassen, um zu entsprechenden Analysen einzuladen. Dabei halten sie sich an Kategorien, die den Vergleich in Verhältnissen von Generellem und Spezifischem absichern. Die generelle Kategorie Politik und die spezifische, die mit der Formulierung „charismatischer Politiker mit diktatorischem Anspruch“ umrissen werden mag, stabilisieren den Trump-Mussolini-Vergleich; die generelle Kategorie Kunst und die spezifische, die mit der Formulierung „romantisch-programmatisch den Kunstbegriff erweiternder Künstler“ umrissen werden kann, den von Beuys und Wagner. Historische Vergleiche bieten in der Regel die Möglichkeit, Abwägungen vorzunehmen, das heißt, auf historische Gemeinsamkeiten hinzuweisen, um desto effektiver auf signifikante Unterschiede aufmerksam zu machen. Doch das funktioniert in Bezug auf Trump und auf Beuys nicht. Umso mehr drängt sich die Vorstellung einer Reprise (Mussolini/Trump beziehungsweise Wagner/Beuys) als maßgebliche Vergleichsmöglichkeit auf.
Eine Korrelation von Trump und Beuys, wie sie hier vorgenommen wurde, konterkariert das an die Idee der Reprise gebundene Vergleichsschema. Denn für ein abwägendes Vergleichen fehlt einer solchen Korrelation die kategoriale Lizenz. An die Stelle eines Top-down-Verhältnisses von Generellem und Spezifischem kann deshalb nur ein Bottom-up-Verhältnis von Konkretem und Abstraktem treten. Die Korrelation kann nur reflektierend erfolgen, nicht bestimmend; von der Wahrnehmung konkreter Affinitäten ausgehend, lässt sich nach Konvergenzen auf einer abstrakten Ebene fragen, dies auch in Anbetracht extremer Gegensätze.
Ihr initiales Moment hat die hier vorgenommene Korrelation von Trump und Beuys im ästhetischen Erfassen der affinen charismatischen Ikonizität zweier Fotos, die die spontane Reaktionen der beiden auf gegen sie gerichtete Aggressionen zeigen. Der Korrelation liegt die Überraschung zugrunde, dass sie überhaupt möglich ist, was den Wunsch weckt zu sehen, wohin die Korrelierungsidee – über ihr initiales Moment hinaus – führen kann. Dies umso mehr als kein Zweifel daran bestehen kann, dass die anzuführenden Ereignisse, Situationen, Dinge, Fakten gewöhnlich nicht zum Anlass genommen werden, Beuys und Trump aufeinander zu beziehen. So ist die operative Unterstellung einer Vergleichbarkeit der beiden Protagonisten von einem Als-ob geprägt, dem Bewusstsein einer zu überspielenden Inkommensurabilität. Das ist an die Hoffnung geknüpft, mittels der kategorialen Schieflage eine Perspektive zu eröffnen, die im historischen Bewusstsein einen Raum zu erzeugen vermag, in dem Dinge in ungewohntem Licht erscheinen und neu verhandelbar werden. Die Korrelation, die zunächst nur die Möglichkeit im Sinn hatte, ihre eigene Möglichkeit zu exemplifizieren, stößt unversehens und unvermeidlich auf Fragen, die eine politische, ethische und ästhetische Relevanz besitzen. Dass Trumps Agieren in demjenigen von Beuys einen doppelten Boden erhält und Beuys’ Agieren in demjenigen Trumps eine irreale Spieglung, gibt eine allegorische Doppelstruktur zu erkennen, die ihren Konstruktionscharakter nicht verleugnen kann, jedoch ein historisches Wissen (inklusive Wissen von einem Nicht-Wissen) involviert, das nicht an diese Konstruktion gebunden ist.
Gregor Stemmrich ist Kunsthistoriker und unterrichtet an der New York University Abu Dhabi. Zuvor hatte er Professuren an der Freien Universität Berlin und an der Hochschule für Bildende Künste Dresden inne. Neueste Publikation: Robert Rauschenbergs Erased de Kooning Drawing (1953). Modernismus, Literalismus, Postmodernismus, Berlin: Hatje Cantz, 2023.
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