KASPER KÖNIG (1943–2024) Von Ulrike Groos
Vieles ist in den letzten Wochen gesagt und geschrieben worden über Kasper König. Dabei wurde sein ungewöhnlicher Werdegang ebenso gewürdigt wie seine besonderen Verdienste als genialer Ausstellungsmacher, Akademieprofessor in Düsseldorf, Rektor in Frankfurt/M. und Museumsdirektor in Köln.
Hier soll es jedoch um meine persönlichen Erfahrungen mit dieser herausragenden und ganz und gar unkonventionellen Persönlichkeit gehen: um meine Geschichte mit Kasper König. Denn er war neben Klaus Bußmann, bei dem ich 1995 mein Volontariat am Westfälischen Landesmuseum in Münster begann, tatsächlich mein erster Chef. Kasper holte mich noch im selben Jahr in das Team für „Skulptur. Projekte in Münster 1997“. Beide, Bußmann und König, hatten 20 Jahre zuvor gemeinsam dieses im Laufe der Jahre immer erfolgreichere Ausstellungsformat für den öffentlichen Raum Münsters begründet.
Für mich waren die Erfahrungen bei den „Skulptur. Projekten“ ein Wurf ins kalte oder, besser gesagt, kochende Wasser der internationalen Kunstwelt, eine kaum zu beschreibende Erfahrung und gefühlt ein 24-Stunden-Job, der mir die Augen öffnete. Die Mitwirkung bei diesem Großprojekt war nach dem Studium meine erste echte berufliche Aufgabe, die Zusammenarbeit mit über 70 Künstler*innen aus der ganzen Welt wurde zum prägenden Erlebnis für meine Sicht auf die Kunst und war bestimmend für meine berufliche Zukunft.
In der Vorbereitung der Ausstellung beeindruckte mich vor allem Kaspers Neugierde auf alle Facetten der Kunst. Gemeinsam mit ihm besuchten wir als Münsteraner Team Akademie-Rundgänge, Ateliers und Eröffnungen jeglicher Art, gingen in Off-Spaces, Kunstvereine oder Museen. Gefühlt war Kasper damals schon (fast) überall gewesen, die Kunstwelt kannte und schätzte ihn als Macher und Netzwerker sowie seine legendär lockere und nonchalante Art.
Kasper besaß keinen Führerschein. Erstaunlich für jemanden, der rastlos unterwegs war. Ich wurde schnell zu seiner Chauffeurin, wenn er zu Terminen mit Künstler*innen, Stiftungen oder Geldgeber*innen wollte. Es war stets das gleiche Prozedere: Ich holte ihn mit meinem Auto ab, nach kurzem Small Talk und Austausch neuester Infos zog er seine Schuhe aus, legte die Füße aufs Armaturenbrett und arbeitete – damals für „Vorgesetzte“ ein eher ungewöhnlicher Vorgang und falls doch geschehen, so waren deren Socken sicher nicht in so bedauernswertem Zustand wie Kaspers. Für ihn kein Grund, sich ablenken zu lassen; er telefonierte, ackerte sich durch seinen voluminösen Papierkalender, plante neue Termine und löschte alte, indem er sie mit schmalen Universaletiketten überklebte. Oder er schlief einfach ein, bis ich ihn am Ziel aufwecken musste.
Durch unsere gemeinsamen Reisen lernte ich viele Menschen aus der Kunstwelt kennen, und allen, die wir trafen, stellte er mich vor. Seine Kollegialität vor allem jungen Kolleg*innen wie mir gegenüber war ungewöhnlich. Zu vielen Mitarbeiter*innen hielt er sein Leben lang Kontakt und brachte sich telefonisch oder schriftlich in Erinnerung, wenn er länger nichts von ihnen gehört hatte.
Unsere zahlreichen Autofahrten schufen nach und nach eine große Selbstverständlichkeit im Umgang miteinander und eine angenehme Vertrautheit. Ähnliches erfuhr ich mit dem von mir besonders bewunderten Künstler Michael Asher, den ich durch das Münsterland kutschieren durfte, um die Aufstellungsorte seines seriellen Ausstellungsformats Caravans von 1977 und 1987 für 1997 zu finden. Oft konnte ich mein Glück kaum fassen, solche Nähe zu diesen großartigen Künstler*innen wie zum Beispiel ihm zu erfahren. 1997 war eben noch Vor-Internet-Zeit. Künstler*innen schienen mitunter unerreichbar, niemand besaß ein solches Adressbuch wie Kasper König. In der Regel hatte man es beim Ausstellungsmachen mit Objekten zu tun. Das von uns in Münster praktizierte projektbezogene gemeinsame Arbeiten über Monate vor Ort gab es damals noch erheblich seltener als heute.
Dass es möglich war, hatte mit Kasper zu tun, der uns jungen Kolleg*innen nicht nur vertraute, sondern ganz selbstverständlich auch alles zutraute. Er ließ uns einfach machen und erzog uns so zur Eigenständigkeit. Wir konnten Erfahrungen sammeln, Lösungen suchen und finden. Er stellte uns den Künstler*innen vor und schickte uns dann los, mit ihnen Münster zu erkunden.
Kasper diskutierte viel mit uns, kritisch, direkt, oft kurz und knapp, er interessierte sich für unsere Ansichten und ließ durchaus auch Widerspruch zu. Bei drastischen Meinungsverschiedenheiten konnte er sich jedoch auch einfach mal umdrehen und verschwinden. So geschehen zuletzt auf Rosemarie Trockels Preview im MMK Frankfurt/M. im vergangenen Jahr. Wir hatten damals unterschiedliche Ansichten zur Ausstellung, und Kasper ließ mich zum großen Erstaunen eines Kollegen, der neben mir stand und ihn kaum kannte, einfach stehen. Nach einer Weile schlenderte er zu unserer Gruppe zurück und begann die Diskussion von Neuem.
Auch wenn Kasper sich, noch bevor er zum Professor an der Kunstakademie Düsseldorf und später an der Städelschule ernannt wurde, über unsere akademischen Werdegänge lustig machte und unsere Promotionen in Kunstgeschichte bewitzelte, meinte er das nie verletzend. Vielmehr amüsierte es ihn, weil er diese zeitraubenden theoretischen Ausbildungen für unnötig hielt, um Kunst zu begreifen und zu vermitteln.
Ich erinnere mich gut, wie sehr Kasper sich für andere einsetzen konnte – er tat dies auch für mich. Mein Volontariatsvertrag am Landesmuseum Münster sollte nach zwei Jahren im Dezember 1996 enden, die „Skulptur. Projekte“ eröffneten jedoch erst im Sommer 1997. Kasper, das gesamte Team und die teilnehmenden Künstler*innen wollten aber unbedingt, dass ich bis zum Ende der Ausstellung bleibe. Im Kern bestand das kleine Team aus Florian Matzner, Claudia Büttner, Barbara Engelbach, Angelika Nollert, Markus Müller und mir. Jede*r von uns trug Verantwortung und war wichtig für das Projekt. Als der Landschaftsverband sich querstellte und aus verwaltungstechnischen Gründen meinen Vertrag gegen die Einwände des Museums nicht verlängern wollte, setzte sich der externe Kurator König im Dezember 1996 so lange vor die Bürotür der Entscheidungsträger, bis mein neuer Vertrag unterschrieben war. Kasper hatte in seiner polternden Art sogar damit gedroht, selbst hinzuschmeißen – was offensichtlich Wirkung zeigte.
Sein Spitzname für mich war Ulllike. So rief er mich schon von Weitem schnoddrig lachend quer durch ganze Ausstellungshallen, so nannte er mich auch auf seinen kunstvoll collagierten Postkarten. Yutaka Sone hatte 1996 in Münster unfreiwillig diesen Namen geprägt, weil er das „r“ in meinem Vornamen nicht aussprechen konnte. Sofort wurde der neue Name – auch zur großen Freude des Künstlers – von Kasper aufgegriffen und fand schnell Verbreitung. Bald nannten mich viele der teilnehmenden Künstler*innen und meine Kolleg*innen nur noch Ulllike.
Einmal gingen wir in Münster alle zusammen abends ins Kino, Lars von Triers Film Breaking the Waves (1996) war gerade angelaufen. Nach einem anstrengenden Arbeitstag wollten wir (endlich) nur noch abschalten. Aber der Film war dann so aufwühlend und belastend, dass selbst Kasper die meiste Zeit in seinem Kinosessel stöhnte und von dem Film anschließend ausschließlich als „Breaking the Fucking Waves“ sprach – und diesen Satz in allen möglichen und unmöglichen Zusammenhängen wiederholte.
Ulrike Groos studierte in Würzburg, New York und Münster Kunstgeschichte und Musikwissenschaft. Nach Stationen in Münster, Luxemburg, St. Gallen und Zürich leitete sie von 2002 bis 2009 die Kunsthalle Düsseldorf. Seit 2010 ist sie Direktorin des Kunstmuseums Stuttgart. Dort kuratierte sie thematische Ausstellungen wie „I Got Rhythm. Kunst und Jazz seit 1920“ und „EKSTASE“ als auch monografische Werkschauen zu Michel Majerus, Candice Breitz, Ragnar Kjartansson, Wolfgang Laib und Sarah Morris. Groos ist Mitglied in zahlreichen Gremien und Kommissionen.
Image credit: Foto Ute Friederike Schernau