LASS UNS ÜBER GELD REDEN Hans-Jürgen Hafner über Mark Grotjahn in der Galerie Max Hetzler, Berlin
Der institutionelle Ausstellungbetrieb verlangt in der Regel Eintritt, um seine Produkte anschauen zu lassen, und versteckt zugleich verschämt seine ökonomischen Grundlagen in Bilanzen und Sachberichten. Wenn Museen, Biennalen oder die Documenta Kunst zeigen, spricht man nicht übers Geld – als stelle sich das öffentliche Interesse an der Kunst vor die vielen individuellen und wirtschaftlichen Interessen, die beides doch erst hervorbringen: Kunst wie Öffentlichkeit. Im Falle der Kunst, die aus dem Schulterschluss von „kuratorische[m] Komplex“ [1] mit der Kulturadministration jüngst vermehrt unter dem Etikett des „Politischen“ hervorgebracht wird, sind die eigenen ökonomischen Grundlagen regelrecht ein Anathema. [2]
Kunst in Galerien anzuschauen hat dagegen den Reiz des guilty pleasure: eines vielleicht nicht so ganz statthaften Vergnügens. So, als dürften du und ich zwar bei etwas zusehen, bei dem wir aber gar nicht gemeint sind – bei den Vorbereitungen für einen diskret ablaufenden Tausch Ware gegen Geld als eigentlichen Zweck galeristischer Ausstellungsarbeit. Der Tauschakt selbst geht zu Recht nur einen kleinen Kreis Beteiligter an: Künstler*innen, Kunsthändler*innen und Käufer*innen. Galerien sind schließlich privatwirtschaftliche Unternehmen, „freie“ Künstler*innen unternehmerisch tätig, oft nicht im allergrößten Stil, und kaufen soll, wer kann. Die Vorbereitungen zum Tausch dürfen aber auch uns Nicht-Käufer*innen interessieren: Bei der angebotenen Ware handelt es sich schließlich um Kunst. Ohne öffentliches Interesse geht es also nicht – und der Spaß ist gratis.
Nicht, dass es in Galerien automatisch „un-verschämt“ zugehen müsste. Doch bei Max Hetzler fühle ich mich regelmäßig eher dazu ermutigt als dabei ertappt, die Kunst in ihrer zweifachen Gestalt, der schönen Werk- und der viel geschmähten Warenform, zugleich zu erkennen. Warum auch nicht?! Ist eine Galerie schon schwer zu finanzieren, wie muss es sein, wenn man allein in Berlin vier Zweigstellen unterhält? Darunter die 2021 in Betrieb genommene ehemalige Tagesspiegel-Druckerei in der Potsdamer Straße, die allein aufgrund der Riesenräume wohl gleich auf Augenhöhe mit Museen sein will – die ihrerseits, in Berlin, London oder Shanghai, oft genug in viel zu großen Industriearchitekturen residieren.
In der Potsdamer Straße ging kürzlich die Ausstellung „Kitchens“ von Mark Grotjahn (geb. 1968) zu Ende. Seit 30 Jahren im Geschäft, ist der Künstler in Deutschland dennoch kaum bekannt. Dabei erzielen einzelne seiner Bilder auf dem Auktionsmarkt durchaus mal zweistellige Millionenbeträge. Der New York Times war das 2017 einen eigenen Artikel wert, der, statt sich erneut mit Grotjahns im Großen und Ganzen der Abstraktion verpflichteten Kunst zu befassen, lieber hinter das Geheimnis seines Markterfolgs blicken wollte. [3] Schade, dass der Hamburger Bahnhof für Gegenwartskunst als Käufer eher nicht infrage kommt. Er muss sich bekanntlich den Miniaturankaufsetat von jährlich 6.000 EUR mit den anderen beiden Ablegern der Nationalgalerie teilen. Man fragt sich, zu welchen Bedingungen überhaupt Arbeiten dort in der Sammlung landen.
Passend zur letzten Ausgabe des Gallery Weekend getaktet, war Grotjahns Schau bei Hetzler ein Coup – auch aufgrund der verstörenden Nachricht, die exklusiv gezeigte, über 70 Positionen umfassende Werkgruppe großformatiger Farbzeichnungen würde nur en bloc, als eine Arbeit verkauft werden. Mehr als zweifelhaft, ob sich in Berlin Käufer*innen dieses Kalibers finden würden.
So überzogen das Projekt, war es doch eine seltene Gelegenheit, direkt in Augenschein zu nehmen, was nun eigentlich die Kunst Grotjahns, die spezifische Leistung seiner Bilder sein könne. Die Werkgruppe Kitchens, heißt es im Pressetext, wurde 2001 begonnen und seither in kontinuierlicher Arbeit fortgesetzt. Dass die meisten der 71 in Berlin gezeigten Arbeiten auf die letzten fünf Jahre, seit 2019 datiert waren, dass im Los Angeles County Museum of Art bereits 2018 50 andere Exemplare der Serie zu sehen waren und als Block in die Sammlung eingegangen sind, passt ins Bild.
Die Blätter basieren allesamt auf ein- und derselben Bildidee: Typisch für Grotjahn, dessen Arbeitsweise der Pressetext zurecht als „Formalismus“ bezeichnet. Das gilt auch für die weiteren Bild- und, selteneren, Objekt-Werkgruppen, die seit Mitte der 1990er Jahre als regelrechte Deklinationen auf Basis einer Exegese der „klassisch“ abstrakten Genres Monochromie, Geometrie und gestische Abstraktion als Malerei, Farbzeichnung oder farbig gefasste Skulptur in Umlauf kommen.
Damit spinnt Grotjahn geschickt den Faden weiter, der sich spätestens in den 1970er Jahren aus der Frage ergeben hat, ob und wie sich „nach“ der Moderne – mit der abstrakten Malerei in ihrer Verdichtung von Medium, Stil und Fortschrittsutopismus als Emblem – noch „modern“ malen lässt. Oder ob man sich nicht besser in postmoderner Manier einen modularen Baukasten aus einer historisch „gegenstandslos“ gewordenen Abstraktion zurechtlegt, mit dem die Angebotsseite flexibel auf die sich aus den gegenwärtig postutopischen Bedingungen entstehende Nachfrage flexibel reagieren kann: für den Museums- oder Hausgebrauch, für den Luxus- oder kritischen Diskussionsbedarf. Hat die Moderne ihre Energie einst aus dem Spannungsfeld von Regel und Bruch bezogen, ist dieses Thema bis heute nicht aus der Welt, auch wenn derzeit vor allem der Konformitätsbedarf zu wachsen scheint.
Die Zeichnungen der Kitchens spielen den skizzierten referenziellen Plot formal als geometrisch-abstraktes All-Over durch, das auf die historische Op Art weist. Von einem bildmittigen Fluchtpunkt und einer vertikalen, das Format halbierenden Bildachse aus gehen nach beiden Seiten eng aneinandergesetzte, symmetrisch-radiale Linien zum Bildrand hin ab. Die entstehenden, strahlenförmigen Segmente koloriert Grotjahn in zwei mehr oder weniger kontrastierenden Farben. Das homogen-flächige Farbstift-All-Over öffnet sich zur Bildmitte hin in mächtig illusionistische Tiefen, auf die sich der Blick nicht scharf stellen lässt, wenn die kognitiv erwartete Wahrnehmung am sinnlichen Erleben zerschellt.
Zudem investiert Grotjahn viel Mühe ins Detail, wohl, um den Eindruck serieller Reproduzierbarkeit im Keim zu ersticken. Nicht nur dass er minimale Interferenzen einbaut: Teils verdickte, teils zwischen zwei Farbnuancen fast aufgelöste Linien treffen auf nur partikelgroße insertierte Störelemente, eine Art grauen Star. Vor allem scheint jedes Bild from scratch händisch neu angelegt, als wüsste es nichts von seinen Vorgängern. Das stellt einerseits den unikatären Charakter der Bilder sicher, der in Serie umso sichtbarer hervortritt. Das bereits im Einzelbild begründete Spiel von Wiederholung und Differenz wächst sich, wenn man an den in Reih und Glied gehängten Bildern entlangflaniert, zu einem schwer lokalisierbaren Effekt aus: einem analogen Äquivalent zum digitalen glitch. Solch ein Verfahren dürfte einerseits im Silicon Valley seine Fans finden, wo man weiß, dass der digitaltechnologische Kniff nicht in fordistischer Reproduktion, sondern in der mittels Datenquantität erzielten Spezifizierung liegt. Und wer will andererseits schon genau sehen, was er oder sie kauft?
„Mark Grotjahn: Kitchens“, Galerie Max Hetzler, Berlin, 25. April bis 8. Juni 2024.
Hans-Jürgen Hafner arbeitet als Kunstkritiker, Autor und Ausstellungsmacher. Zuletzt kuratierte er die Ausstellung „I AM THE AUDIENCE & / Theorie installieren: ,Die Idee des Neuen‘“ im Kunstbunker, Nürnberg.
Image credit: © Mark Grotjahn, courtesy the artist and Galerie Max Hetzler, Fotos Douglas M. Parker Studio
ANMERKUNGEN
[1] | Wiebke Gronemeyer, The Curatorial Complex. Social Dimensions of Knowledge Production, Paderborn 2018. |
[2] | Vgl. auch Hans-Jürgen Hafner/Thorsten Schneider, „Mach mal: Oder Produktion ist anderswo“, in: Brigit Eusterschulte/Christian Krüger (Hg.), Involvierte Autonomie. Künstlerische Praxis zwischen Engagement und Eigenlogik, Bielefeld 2022, S. 127–150. |
[3] | Robin Pogrebin, „When an Artist Calls the Shots: Mark Grotjahn’s Soaring Prices“, in: New York Times, 30. Juli 2017; letzter Zugriff 25.6.2024. |