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HISTORY’S GHOSTLY PRESENCE Juliane Bischoff über Bea Schlingelhoff im Kunstverein München

„Bea Schlingelhoff: No River to Cross“, Kunstverein München, 2021, Ausstellungsansicht

„Bea Schlingelhoff: No River to Cross“, Kunstverein München, 2021, Ausstellungsansicht

Geschichtsrevisionistische, antisemitische und rassistische Ressentiments erfordern eine besondere Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und ihren Kontinuitäten innerhalb öffentlicher Institutionen. Für ihre Einzelausstellung „No River to Cross“ im Kunstverein München befasst sich Bea Schlingelhoff mit der nationalsozialistischen Komplizenschaft des Kunstvereins selbst. 1937 fand in dessen vormaligen Galerieräumen ein Teil der von den Nationalsozialist*innen organisierten Ausstellung „Entartete Kunst“ statt. Die Spuren der Diffamierung der damals gezeigten Werke macht Schlingelhoff als Leerstellen im kunsthistorischen Kanon wie im kollektiven Gedächtnis sichtbar und lässt so, wie Juliane Bischoff argumentiert, Raumordnungen und Rechtsnormen als gesellschaftliche Codierungen erfahrbar werden.

Maria Caspar-Filser, Jacoba van Heemskerck, Marg Moll und Emy Roeder – die Namen der vier Künstlerinnen der Moderne, deren Werke 1937 als „entartet“ ausgestellt wurden, sind öffentlich sichtbar an der Hausfassade des Kunstvereins München in der Galeriestraße 4, eingraviert in Messingplaketten. [1] Die permanente Intervention ist Teil von Bea Schlingelhoffs aktueller Ausstellung „No River to Cross“, die sich mit der Geschichte und dem Ort des Kunstvereins in der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt. Bevor dieser 1953 in die Räumlichkeiten am Hofgarten einzog, fand 1937 in den Galerieräumen ein Teil der von den Nationalsozialist*innen organisierten Ausstellung „Entartete Kunst“ statt, in der die Werke moderner Künstler*innen diffamiert wurden.

Schlingelhoffs Ausstellung, kuratiert von Gloria Hasnay, nähert sich dem gebauten Ort und seiner Vergangenheit in Form einer Kartografie an, die sie als Bemalung direkt auf die Wände der Ausstellungsräume aufgebracht hat. Mithilfe verschiedener Quellen empfindet Schlingelhoff die willkürliche Hängung nach, durch die die Werke moderner Künstler*innen wie Paul Klee, Willi Baumeister, El Lissitzky und vieler anderer einst gezielt abgewertet werden sollten. Im Zuge sogenannter Säuberungsaktionen beschlagnahmten die Nationalsozialist*innen mehr als 17.000 Kunstwerke aus deutschen Museen und Galerien. Darüber hinaus raubten sie Privatbesitz, vorwiegend von jüdischen Bürger*innen. Ein Großteil der Werke wurde im Ausland versteigert, viele wurden vernichtet. Über 600 Malereien und Skulpturen wurden 1937 in München sowie in späterer Folge in zwölf weiteren Städten präsentiert. Hervorgehoben in dunklem Grün auf hellfarbigem Hintergrund im gleichen Ton, macht Schlingelhoff die Umrisse der damals gezeigten Werke sichtbar. Durch die invertierte Farbgebung entgeht sie der Assoziation eines Fensters als eines allzu entlastenden Blicks ins Künftige oder als leerer Projektionsfläche für Neubesetzungen. Stattdessen geht es der Künstlerin um eine „geisterhafte“ [2] Präsenz der Bilder und um die Leerstellen, die ihre Abwesenheit im kunsthistorischen Kanon wie im kollektiven Gedächtnis hinterlassen. Ihre Darstellung betont die faktisch-formale Ebene – aktualisiert gerade dadurch die historische Distanz – und vermittelt zwischen Geschichte und Gegenwart. Dabei rückt Schlingelhoff das Display als eine Bedingung der Wahrnehmung in den Blick, materialisiert Spuren der Vergangenheit und bringt sie sichtbar in die räumliche Nähe, die sich heute erinnern. Durch den Verzicht weiterer Arbeiten in den Galerieräumen werden die Besucher*innen unmittelbar Teil der räumlich-ästhetischen Erfahrung. Umgekehrt zeugt die gespenstische Anwesenheit der Bilder von den Geschichten, die da sind, auch wenn sie verdrängt werden. [3]

Das historische Wissen, die Leerstellen, aber auch persönliche und kollektive Narrative, deren Um- wie Neudeutungen, schreiben sich in die jeweilige Gegenwart ein. Viele der tausendfach geplünderten Kunstwerke sind für immer verschwunden, in unrechtmäßigem Besitz oder unwiederbringlich zerstört. Schlingelhoffs Nachzeichnung verweist auf die Lücken in der kollektiven Erinnerung in derjenigen Stadt, die nicht nur als ehemalige „Hauptstadt der Bewegung“, sondern auch als „Hauptstadt der Deutschen Kunst“ in besonderer Weise mit der nationalsozialistischen Vergangenheit verknüpft ist. Die bereits 1783 so benannte Galeriestraße, in der sich der Kunstverein heute befindet, trug 1934 für wenige Wochen den Namen Trooststraße, umbenannt zu Ehren des „ersten Baumeisters des Führers“, Paul Ludwig Troost, der weitere, zum Teil bis heute erhaltene Nazibauten in München entwarf. [4] Kurze Zeit später wurde das Straßenschild wieder entfernt, da die nur 38 Hausnummern umfassende Straße für die Ehrung zu unbedeutend erschien. [5]

Bea Schlingelhoff, „Vier Künstlerinnen der ‚Entarteten Kunst‘ Ausstellung in München“, 2021

Bea Schlingelhoff, „Vier Künstlerinnen der ‚Entarteten Kunst‘ Ausstellung in München“, 2021

Neben ihrer Beschäftigung mit der Geschichte des gebauten Raums setzt Schlingelhoff sich auch mit der institutionellen Vergangenheit des Kunstvereins auseinander und knüpft an die bereits seit mehreren Jahren laufende Archivarbeit des Vereins an. [6] Im Kontext der Recherche stieß sie auf eine Satzungsänderung von 1936, die besagte, dass „Nichtarier nicht Mitglied des Vereins“ (§8, Absatz (d)) werden konnten. Bereits drei Jahre zuvor wurde mit der Gründung der „Reichskulturkammer“ ein Instrument des radikalen Ausschlusses durchgesetzt, da fortan nur noch deren Mitglieder künstlerisch tätig sein durften; Museen und Kunstvereine wurden gleichgeschaltet. [7] Archivdokumente legen offen, dass diese kulturpolitische Neuausrichtung auch aktiv vom damaligen Kunstvereinsdirektor Erwin Pixis unterstützt wurde. Schon 1930 warnte er vor der Kunst der Moderne, was von der damaligen „Anschlussfähigkeit von bestimmten bürgerlichen mit völkisch-nationalistischen Auffassungen“ [8] zeugt. Bestätigt findet sich dies im Geschäftsbericht des Kunstvereins der Jahre 1933 bis 1935, in dem rühmend erwähnt wird, sich von der sogenannten entarteten Kunst ferngehalten zu haben.

Ausgehend von ihrer Recherche, schlug Schlingelhoff eine Ergänzung zur aktuellen Vereinssatzung in Form einer Präambel vor, die einerseits eine Entschuldigung für die Kollaboration des Vereins mit dem NS-Regime, andererseits eine Verpflichtung zu „Grundsätzen der Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung gegenüber Mitgliedern und Nichtmitgliedern“ enthält. Die Künstlerin zielt damit auf die Verankerung einer Absichtserklärung innerhalb der Satzung als rechtlichen Rahmen des Vereins. Jede Änderung muss kollektiv durch die Mitglieder beschlossen werden, wozu eine außerordentliche Versammlung im August 2021 einberufen wurde, die in 28 Zustimmungen, einer Ablehnung und drei Enthaltungen resultierte. Schlingelhoffs Anregung verweist auf eine Verantwortung, die aus der Geschichte herrührt. Zugleich offenbart sich aber auch ein Widerspruch gegenüber der Konstitution des Vereins, der immer schon Ausdruck von partikularen Interessen war und ist und mit symbolischen, ökonomischen und nicht zuletzt räumlichen Barrieren operiert. Die Realisierung der Nichtdiskriminierung mag wie eine unlösbare Aufgabe erscheinen, doch verschiebt sich mit Schlingelhoffs Vorschlag mindestens ein Stück des normativen Rahmens für institutionelles Arbeiten, in dem Fragen der Deutung und Beteiligung immer wieder neu ausgehandelt werden müssen.

Bea Schlingelhoff, „Präambel, angenommen von den Mitgliedern des Kunstverein München am 19.08.2021“, 2021

Bea Schlingelhoff, „Präambel, angenommen von den Mitgliedern des Kunstverein München am 19.08.2021“, 2021

Der Präambel-Vorschlag wie auch ein „offener Brief“, der eine persönliche Entschuldigung der Direktorin und der Kuratorin enthält, finden sich in der Ausstellung als handgeschriebene Dokumente, verfasst von der Künstlerin sowie editiert und signiert von beiden Institutionsvertreterinnen. Die Umschreibungen bleiben als Prozesse der Verhandlung sichtbar. Als Konsens und Aufgabe wird die Arbeit am Abbau physischer wie sozialer Barrieren des Kunstvereins erklärt. Dazu sollen künftig 5 EUR von jedem Jahresbeitrag der knapp 1.300 Mitglieder aufgewendet und zur Umsetzung dieses Plans externe Expert*innen hinzugeholt werden.

Die zunehmenden geschichtsrevisionistischen, antisemitischen wie rassistischen Tendenzen und eine sinkende gesellschaftliche Bereitschaft, sich mit der NS-Geschichte auseinanderzusetzen, lässt eine Konfrontation mit der Vergangenheit und ihren Kontinuitäten innerhalb öffentlicher Institutionen umso dringlicher erscheinen. Historisches Wissen prägt die ästhetische wie die gesellschaftliche Urteilskraft. Schlingelhoff setzt Kartografie oder das Verfassen von Bekenntnisschreiben als künstlerische Verfahren ein, um Zeugnisse der Geschichte sichtbar und in ihrer Materialität wahrnehmbar zu machen. In „No River to Cross“ werden Raumordnungen und Rechtsnormen als gesellschaftliche Codierungen sinnlich erfahrbar. In der Gegenwart einer „postnazistischen Gesellschaft“ (Astrid Messerschmidt) wirken Deutungsmuster der faschistischen Vergangenheit in allen gesellschaftlichen Bereichen nach und fordern auch Ausstellungsorte als soziale Räume dazu auf, ihre Versäumnisse zu überprüfen, anzuerkennen und ästhetische wie politische Alternativen zu ermöglichen.

„Bea Schlingelhoff: No River to Cross“, Kunstverein München, 11. September bis 21. November 2021.

Juliane Bischoff ist Kuratorin und arbeitet am NS-Dokumentationszentrum München. Zuvor war sie in der Kunsthalle Wien tätig.

Image credit: Courtesy die Künstlerin und Kunstverein München e.V.; Foto: Constanza Meléndez

Anmerkungen

[1]Die verwendete Schriftart ist von Schlingelhoff entworfen worden und nach der kommunistischen Widerstandskämpferin Maria Baum benannt.
[2]Bea Schlingelhoff, No River to Cross, Booklet zur Ausstellung, S. 15, Kunstverein München 2021.
[3]In der Nachkriegszeit wurde insbesondere die vormals verfemte Kunst der Moderne zum Bezugspunkt eines neuen bundesrepublikanischen Selbstverständnisses, das zugleich von erinnerungspolitischen Verzerrungen wie personellen und funktionellen NS-Kontinuitäten geprägt war, wie unter anderem die aktuelle Beschäftigung mit der Documenta-Geschichte zeigt. Zugleich wirkten aber auch offen reaktionäre, antimodernistische Ausprägungen der NS-Zeit in der Kunst nach 1945 fort. Dies illustrieren unter anderem aktuell zwei Ausstellungen im Deutschen Historischen Museum, Berlin: „Documenta. Politik und Kunst“ und „Die Liste der ‚Gottbegnadeten‘. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“.
[4]Unter anderem war er für die Umgestaltung des „Braunen Hauses“ verantwortlich und entwarf den „Führerbau“ am Königsplatz sowie das „Haus der Deutschen Kunst“, das erst nach seinem Tod fertigstellt wurde.
[5]Vgl. Sabine Brantl, Haus der Kunst, München. Ein Ort und seine Geschichte im Nationalsozialismus, hg. von Haus der Kunst, erschienen in der Edition Monacensia, München: Allitera Verlag, 2007, S. 36, online via: https://issuu.com/haus_der_kunst/docs/brantl_hausderkunst, gesehen am: 03.10.2021.
[6]Seit 2019, unter der Direktion von Maurin Dietrich, ist das Archiv des Kunstvereins zum Teil auch in einem an den Ausstellungsbereich angrenzenden Archivraum einsehbar, in dem laufende Ausstellungen in Bezug zu Projekten der jüngeren Vereinsgeschichte gesetzt werden.
[7]Bereits im April 1933 wurde das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ verordnet, das zwar vorrangig staatliche Institutionen betraf, in dessen Folge aber auch in privaten Kunstbetrieben jüdische Mitarbeiter*innen und politische Oppositionelle entlassen wurden. Die Gründung der „Reichskulturkammer“ erfolgte im September 1933.
[8]Vgl. Adrian Djukic, „Der Klassenbegriff im Kunstverein München, Teil 3: Bürgerlichkeit und Nationalismus Anfang des 20. Jahrhunderts“, Archiv-Newsletter des Kunstvereins München, 2021, online via: https://www.kunstverein-muenchen.de/newsletter/archiv-newsletter-no-8-3, gesehen am: 03.10.2021.