UPCYCLING ODER DOWNGRADING? Gunter Reski über Albert Oehlen in der Galerie Max Hetzler, Berlin
Immerhin, bei einem Ausstellungstitel wie „unverständliche braune Bilder“ muss man sich als Schreiber weniger Sorgen machen in puncto eigener Verständlichkeit. Ich sehne mich schon länger nach mehr Beschreibungs- oder Stilkategorien auch in der zeitgenössischen Malerei. Alles muss notdürftig eingetütet werden zwischen Bad Painting, Art brut, Abstraktem Expressionismus, Crapstraction oder postungegenständlicher Malerei, wie Albert Oehlen seine ersten abstrakten Bilder Ende der 1980er Jahre betitelte. Die Ausstellung bei Max Hetzler in Berlin, die bis Mitte August zu sehen war, bezog sich direkt auf diese Werkgruppe nach gut 30 Jahren. Also Zeitreise, Relaunch oder sentimentale Reminiszenz an den Galeristen? Die 16 großformatigen Bilder, wie sie in der Goethestraße zu sehen waren, bewegen sich gekonnt ungekonnt „im eigenen Saft“, der von einer verwaschenen erdigen Palette genährt wird. Im Vergleich zu sonst häufig komplexeren Bildmodellen spielt Oehlen hier wieder mit einer Art Unterlassungsklage gegen übersteigerte Heilserwartungen an Malerei, die immer noch in Stellvertretung Erbauliches in Richtung Metaphysik oder Un- bis Übermenschliches für das bildungsbürgerliche Individuum liefern soll. Auch wenn schon länger eher als Fashionfetisch.
Seit den 1990ern steht Oehlen für ein variantenreich aufgefächertes Malereiprogramm, das sich auch gern versiert ineinander verfranst. Mitunter passieren auch so überraschende Ausfallschritte wie Bilder mit Wasserfarben oder cartoonartige XXL-Zeichnungen, die Ende 2019 in einer großen Einzelausstellung in der Londoner Serpentine Gallery zu sehen waren und die man Oehlen nicht auf Anhieb zuschreiben würde. Viel häufiger produziert er dagegen eine recht wörtlich zu verstehende Collagemalerei, die unterschiedliche Stilprotagonist*innen (wie redundant applizierte Werbeposterfragmente im Kontrast zu gestisch ausgedünnter abstrakter Malerei) munter gegeneinander antreten lässt. Oder man nennt es postmoderne Synergieeffekte, wenn ursprünglich eigenständige Stile und Haltungen einzelner Malereipositionen sich plötzlich ungefragt ein Bild teilen müssen, wodurch symbiotische Kontrastmixturen entstehen können. Unvereinbarkeit als ästhetisches Prinzip lautet hier die Parole. Und tatsächlich ist Oehlens Reminiszenzen-Katalog schwer auseinanderzudividieren, abgesehen von de Kooning, Rauschenberg und dem späten Twombly. Was man leicht vergisst: Oehlen arbeitet in seinen Serien und Werkgruppen stets nach einem strikten Regelkatalog, demzufolge er nur bestimmte Farben plus diese oder jene Pinselmethode verwendet. Es geht sozusagen um Systemmalerei wie bei Bernard Frize oder Klaus Merkel, auch wenn sich diese als Nachbarn noch nicht einander vorgestellt haben.
Gut die Hälfte der Bilder in der Show bei Hetzler zeigten große verschwommene Bildanteile, die, wenn überhaupt, dann landschaftliche Assoziationen erlauben: Schlammigkeiten und unförmiger Matsch, die anderes Unkonkretes dahinter verbergen. Aktuelle Flutkatastrophen können nicht gemeint sein. Selbst wenn der Künstler (unbewusst) Visionäres im Handgepäck gehabt hätte, würde er das sofort in die Tonne treten. Oehlen als Gesamtpaket ist weder utopisch noch dystoptisch orientiert. Bleibt nur noch das Hochamt des Stil-Pragmatismus. Vielleicht ist es ja auch Merkelmalerei? Man kennt das: zu viel halbtolle dicke Farbe auf dem Bild und dann mit dem großen Zauberpinsel bei 200 km/h drüberhuschen. Wenn die anderen Bildanteile in der abstrakten Formwerdung oder Pinselduktus-Genese stehen gelassen werden, sieht man unartikulierte kurvige abstrakte Artefakte. Diese Formkonvulute sind schwer zuzuordnen. Zwischen einer Melange aus verwirrten Notenschlüsseln, kollabierten Signaturen oder schlecht geplanten Autobahnzubringern bleibt immer auch negativer Bildraum präsent. Einzelne saftig-schmackige Pinselstriche kommen nicht vor. Der abstrakten Malerei bzw. dem Malprozess wird nur scheinbar freien Lauf gelassen.
Die ersten von Oehlen als abstrakt bezeichneten Bilder waren alles andere als ungegenständlich. Abstraktes Bild 24b (1987) etwa zeigt einen rätselhaften in Deutsche-Post-Gelb gehaltenen Kasten, der mit dem Satz „Sie können alle nicht schlafen“ überschrieben ist. Vielleicht eine Art Kandinsky-Witz; Kandinsky, der bekanntlich zur Abstraktion fand, als dessen (noch) gegenständliche Bilder im starken Halbdunkel plötzlich ganz anders auf ihn wirkten. Diese Art widersinnige Setzung könnte symptomatisch für spätere, versiertere Bildtaktiken Oehlens sein. Ende der 1980er Jahre war die Abstraktion mehr oder weniger der einzige Notausgang aus einem bereits mehr als scheintoten Neoexpressionismus. Außer Kippenberger sind andere Protagonisten aus der Zeit heute kaum noch präsent. Oehlens aktueller Rückgriff auf diese erste abstrakte Phase seiner Bilder gibt trotzdem Rätsel auf. Das ewige Unterlaufen mit extraschlecht oder widersinnig Gemaltem hat längst eigene retardierende Akademismen entwickelt. Auch wenn die Methode, immer das Gegenteil von dem zu tun, was dem Bild helfen würde, an sich nach fröhlicher Abwegigkeit klingt, wird auch diese Bildstrategie bei jahrelanger Wiederholung eine sich selbst ermüdende Routine.
Anders und interessanter verhielt es sich im zweiten Teil der Ausstellung in der Galerie-Dependance in der Bleibtreustraße. Auf vier Bildern der Ö-Norm-Serie kommt ein schlenkerfreudiger Formwille zur Entfaltung, der sonst mit beschriebenen Vermalungen im Zaum gehalten wird. Hier werden ursprünglich ganzflächig bemalte Bilder mit hellem Hintergrund quasi freigestellt. Die entstandenen Formkonglomerate mit organischen Binnenformen und Ausläufer- oder Zubringertangenten bieten eine erstaunlich unmotivierte Schlüssigkeit. Auf zwei der vier Bilder sorgen gerade die collagierten Bildanteile für verdichtende Abwechslung im Bildgeschehen. 1920er-Jahre-Collagelook hilft verdrängtem Discounter-AbEx auf die Sprünge. Die Collageanteile lassen mit ihrer Auswahl des Ausschnitts Erkennbarkeiten ihrer ursprünglichen (Werbe-)Botschaft oder Bildintention außen vor: das, was im Bild mal ursprünglich als Zulieferstelle oder Anfütterung funktioniert hat, aber inzwischen wegkann, aber darum extra noch hier ist. Es tauchen auch Texthappen auf: „I wanna check the canvas“ oder „Mayonnaise“ und Künstlernamen wie Markus Lüpertz, Christopher Wool und Joseph Kosuth, die allesamt ins Leere laufen.
Bleibt abschließend im Falle der „unverständlichen braunen Bilder“ also zu fragen: Wird hier ein Vorläufer der Crapstraction ins rechte Licht gesetzt, oder sind diese abstrakten Bilder in Oehlens Sinn in Wahrheit gegenständlich, um die Spiegelfechterei von der anderen Seite fürs Spätwerk neu aufzuzäumen? Oder ist hier gar nostalgisches Bad Painting als resilientes Downgrading gemeint? Wenn Letzteres, dann scheint auch das als Praxis nicht weiterzuführen, ist diese Art extraschlechte Malerei doch von „ewigen Kanonwerten“ einer Moderne abhängig, um weiterhin durch bestens institutionalisierte Unterlaufung dagegen anstänkern und angehen zu können. Was macht Oehlen wohl, wenn der Kanon weiter wegbröckelt? Das Problem hat er natürlich nicht exklusiv. Die Aufgabe, abgründige Qualitätsstandards als Konsenskunst zu etablieren, hat Oehlen nachhaltig eher mit Konsistenz gelöst. Die Nachmoderne besteht, indem sie sich immer weiter selbstbestätigend im Kreis dreht, vielleicht aus einer Art Zwischenkunst, die selbst als Pausenfüller wesentlich und unabdingbar ist, um mit anwachsendem Unterdruck Luft und Platz für etwas zu schaffen, was sich bisher noch jeder Beschreibung entzieht.
„Albert Oehlen: unverständliche braune Bilder“, Galerie Max Hetzler, Berlin, 28. April bis 14. August 2021.
Gunter Reski, lebt in Berlin und Offenbach/M. Lehrt Malerei an der HfG Offenbach.
Image credit: Courtesy the artist, Galerie Max Hetzler, Berlin | Paris | London © Albert Oehlen; Foto: def image