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Hans-Jürgen Hafner über Jörg Schlick im Künstlerhaus, Graz Immer Ärger mit der Unsterblichkeit

Jörg Schlick, "Steiermark heute", 1992 (Detail), Foto: MK

Die steirische Landeshauptstadt Graz dürfte seit Mitte der 1980er Jahren für rund eineinhalb Dekaden, je nach Blickwinkel, das interessanteste Viertel Kölns gewesen sein – oder eben andersherum. Dazu trugen vor allem das transdisziplinäre Kunstfestival Steirischer Herbst, die Galerien Bleich-Rossi und Artelier Contemporary sowie der 1986 u. a. von Peter Pakesch mit initiierte Grazer Kunstverein bei, die Situationen und Orte für den zeitweise regen Kulturaustausch zwischen Rhein und Mur schufen.

Die sprichwörtlich gewordene Kölner Szene mit ihren usual suspects Cosima von Bonin, Merlin Carpenter, Diedrich Diederichsen, Christoph Gurk, Martin Kippenberger, Justus Köhncke, Jutta Koether, Michael Krebber und Albert Oehlen, die eng damit verbandelten Szenen um die Musikzeitschrift Spex sowie um dieses Magazin, aber auch die Galerien Buchholz, Capitain und Nagel fanden in Graz einen diskursiv, ökonomisch und sozial äußerst rezeptiven und zugleich kooperationsfreudigen Außenposten vor. Dass dieser Kulturaustausch im Nachhinein deutlich zugunsten der exportfreudigen Kölner ausfiel, kann zwar nur eine Randnotiz in diesem Text sein, sie bezeichnet allerdings das Symptomatische der bisher eher dürftigen Rezeption von Werk und Leistung der Schlüsselfigur dieser kulturellen Ost-West-Achse auf Grazer Seite: des Künstlers, Netzwerkers und – speziell unter seinem Musiker-Alias J.B. Slik – sozusagen Ehrenkölners Jörg Schlick, der 2005 mit 54 Jahren viel zu früh an den Folgen einer Krebserkrankung verstorben ist. Seiner Freundschaft speziell mit Martin Kippenberger, vor allem aber einem ebenbürtigen Initiativgeist und Drang zum expansiven Netzwerken – vor dem Hintergrund eines zumindest im Rückblick ziemlich produktiven Provinzialismus, der die kulturelle Topographie des alten Westens prägte – verdankt sich zu einem Gutteil diesem seinerzeit in beide Richtungen fruchtbaren Kulturaustausch. Damit stecken wir allerdings schon mitten im Problem. Wenn heute bewundernd vom Köln der 1980er und 1990er Jahre die Rede ist, erübrigt sich in der Regel jeder Hinweis auf Graz. Käme die Sprache überraschenderweise aber auf Schlick, würde man Kippenberger quasi automatisch dazusagen. Wenn an Jörg Schlick erinnert wird, dann jedenfalls als Initiator der legendenumrankten Lord Jim Loge und als Herausgeber ihres Zentralorgans „Sonne Busen Hammer“.

Jörg Schlick, "Ohne Titel", 1989 "Jörg Schlick", Ausstellungsansicht, Halle für Kunst & Medien Graz, 2015, Foto: MK

In der international gängigen und auf den Mythos Köln – gerade auch als kunstmarkttechnisch bestens verwertbare Erfolgsgeschichte – fixierten Lesart fallen in diesem Zusammenhang die Namen Kippenberger und Oehlen mittlerweile ein wenig zu schnell, etwa gegenüber den ebenfalls wesentlich am Logen-Projekt beteiligten Grazer Literaten Wolfgang Bauer oder Walter Grond. Dass Jörg Schlick eine unbestritten wichtige Rolle in dem von Isabelle Graw 1997 für diese Zeitschrift profilierten „Komplex Kippenberger“ [1] spielte, mag einerseits vielleicht verhindert haben, dass er nach seinem Tod aus der offiziellen Kunstgeschichte sozusagen herausgefallen ist. Andererseits hat dies, mit Rücksicht auf die Handvoll Ausstellungen, die wenigen Artikel und Erwähnungen seit seinem Tod den Blick auf Schlicks eigenes und allein schon statistisch ziemlich umfangreiches Werk sowie seine konkrete Leistung als Netzwerker und regelrechter Entrepreneur bisher eher verstellt.

Zehn Jahre nach seinem Tod, wollte nun eine erste retrospektive Ausstellung im Grazer Künstlerhaus Schlicks künstlerisches Werk, oder genauer gesagt, ausgerechnet seine bildnerische Produktion in den Fokus rücken. Demgegenüber sollten die vielfältigen und längst nicht nur auf den „Komplex Kippenberger“ beschränkten Kooperationen, die Schlick als Herausgeber, Choreograph, Graphiker, Bühnenbildner – und eben Netzwerker – betrieb, absichtsvoll ausgespart bleiben. Ähnlich wie im Falle Kippenbergers stellt sich dabei die Frage, wie das Werk zu demarkieren, wie sein methodisch schwer zu fassendes Ausfransen ins Soziale und Kommunikative darstellbar wäre [2].

Taktisch durchaus im Sinne einer zukünftig zu leistenden Aufarbeitung ging es also darum, den sichtbaren Aspekt, das künstlerische ‚Werk’ Jörg Schlicks vom anekdotischen ‚Projekt’ des Netzwerkers zu trennen, ohne zwangsläufig das eine gegen das andere auszuspielen. Kuratiert wurde das dennoch beeindruckend umfangreiche Ausstellungsprojekt von Sandro Droschl, Direktor des Künstlerhauses und Christian Egger in Kooperation mit dem Steirischen Herbst, dessen diesjährige Ausgabe passenderweise unter dem Motto ‚Heritage/Erbe’ stand.

Jörg Schlick, Ausstellungsansicht, 2015, Halle für Kunst & Medien Graz "Jörg Schlick", Ausstellungsansicht, Halle für Kunst & Medien Graz, 2015, Foto: MK

Obwohl die Ausstellung laut Pressetext ohnehin nur „Stichproben“ liefern sollte, waren beide Etagen des Künstlerhauses buchstäblich vollgeräumt: Malerei-, Zeichnungs-, Collage- und Fotoserien, dazu, ebenfalls gerne seriell entwickelt, skulpturale Objekte, Materialassemblagen, Leuchtkästen und Multiples aus einem Zeitraum von 1984 bis 2005 ergaben ein All-over, das, in sich auch qualitativ heterogen, trotzdem merkwürdig ausbalanciert, ja ziemlich ‚cool’ temperiert rüberkam. Obwohl streng nach Werkgruppen getrennt und mit kuratorisch distanzierter Sorgfalt installiert, erweckte dieses All-over auf Anhieb also einen Eindruck des Zuviel und Allesmöglichen, ohne es zugleich an Strenge missen zu lassen. Auf den zweiten Blick wurde dadurch das Serielle als Arbeitsprinzip Schlicks kenntlich gemacht, wie es – in frühen wie späten Arbeiten gleichermaßen – einerseits variative Vielfalt nach innen begünstigt und regelrecht hervorrufen muss; und wie es diese sichtlich lustvoll und mit schmerzfreier ‚badness’ ausgeschlachtete Varianz andererseits den streng, zugleich formal wie thematisch gesetzten Grenzen der Serie unterwirft.

Jörg Schlick, Ausstellungsansicht, 2015, Halle für Kunst & Medien Graz "Jörg Schlick", Ausstellungsansicht, Halle für Kunst & Medien Graz, 2015, Foto: MK

Mitte der 1980er Jahre treffen etwa mittels bunter Klebefolie, Papierstreifen, Acrylfarbe etc. auf unkonventionellem, dabei offensiv ‚low’ daherkommendem Trägermaterial wie Pressspanplatten, beschichtetem Karton oder Spiegelfolie ausgeführte Basteltechniken, auf ein konsequent ungegenständliches, am Gestischen orientiertes Formenvokabular (z. B. „ohne Titel“, 9-teilig, oder „120 x 100“, 4-teilig, beide 1986). Diesen Arbeiten allerdings mit Genrezuschreibungen beikommen zu wollen – sie etwa im Fahrwasser der seinerzeit (und gerade auch in Österreich) populären Bewegungen des Neoexpressionismus oder des Neo Geo mit seinem Faible für industrielle Looks zu sehen, muss scheitern. Jedoch spiegelt sich darin eine höchst eigenständig geführte Auseinandersetzung mit typischen Diskursen der Zeit – etwa der notorisch problematische Stand der Malerei und ihre Wiederaneignung aus konzeptueller Perspektive, wie vergleichbar bei Förg oder Oehlen, oder das Verhältnis von Kunstobjekt und Kontext, wie bei Kippenberger oder Zobernig – sehr wohl wider. Und trotz des handgemachten/gebastelten Charakters der Arbeiten ist ihnen das Expressive, mit dem sich ein nicht unwesentlicher Teil der sich auf Malerei verlassenden Kunst Anfang der 1980er Jahre herumschlägt, ausgetrieben. Ausdruck erscheint bei Schlick zum Layout-Problem degradiert, wandert ab in Eigen- und Fremd-PR, wird zur Veröffentlichungs- und Branding-Strategie transformiert.

Dies gilt sogar noch für die letzten, nun geradezu obsessiv gemalten und gezeichneten Serien, etwa den prominent an Stirnwand bzw. in der Apsis des Künstlerhauses installierten Zyklen „Studio Lascaux 972“ und „Heidegger“ (beide 2005). Setzt Ersterer buchstäblich beim Anstrich als Grundlage aller Malerei an und wird zum in der Farbe Studio Lascaux gemalten Protokoll seiner eigenen performativen Herstellung, erstreckt sich im „Heidegger-Zyklus“ eine aus „Sein und Zeit“ gewonnene Blütenlese auf achtzehn mittelgroße Hochformate. Während die einzelnen aus dem Zusammenhang gerissenen Sentenzen umso typischer ‚heideggern’, werden sie mittels Airbrush-Technik grenzwertig auf pastellig-lasierende Hintergründe getaggt und geben inklusive Schreibfehlern à la „Das Nichts Nichet“ eine Art Therapiekunst zwischen Pathos und Banalität ab.

Jörg Schlick, "Heidegger Zyklus", 2005 (Detail), Foto: MK

Konnte Schlick in der im Erdgeschoß des Künstlerhauses gezeigten Werkauswahl locker als fleißiger Bildkünstler durchgehen, eröffnete die Präsentation im Untergeschoß (endlich!) dann doch eine Perspektive auf den Gesamtkunst- und Netzwerker. Im Zentrum standen dabei die mobilen Leuchtkastenobjekte, die wie „Die Bewegung der neun Kästen“ (1998) auf Rädern montiert und mit zwei Schauseiten ausgestattet, als bequeme Ausstellungsrequisiten fungieren, die frei im Raum arrangiert werden können. In der Kombination von nicht selten selbstreferenziell aufs eigene Werk bezogenen Fotomotiven, Übermalungen und Text, mischt sich hier Biographisch-Dokumentarisches und mutwillig Fiktionales, tauchen Orte, Daten, Personen, konkrete Ereignisse – etwa Ausstellungsinstallationen, ein Erinnerungsfoto an einen Barbesuch mit Martin Kippenberger – auf, die ein weit gespanntes Bezugssystem vermuten lassen. An anderer Stelle erinnert ein mit dem berühmten „Sonne Busen Hammer“-Logo der Lord Jim Loge ausgestattetes Bildobjekt samt beigegebenem Musikvideo an den Performer und Musiker Schlick bzw. Slik, dessen gern kollaborativ – etwa mit Andreas Dorau, Justus Köhncke und Albert Oehlen – hergestellter, musikalisch-publizistischer Output immerhin kostengünstig im Bookshop des Künstlerhauses zu erwerben war.

Denn so profund dieser erste retrospektive Einblick ins Werk Jörg Schlicks ausfiel, war es das dadurch ausgelöste Versprechen, dass es neben den Objekten auch noch ganz Anderes, eben Geschichte, Anekdoten und womöglich sehr viel zwischen Graz, Köln und anderswo längst Vergessenes gibt, was dieses, in der Tat, Gesamtkunstwerk historisch und künstlerisch auch heute noch scharf sein lässt.

"Jörg Schlick", Künstlerhaus, Halle für Kunst & Medien, Graz, 29. September – 22. November 2015.

Hans-Jürgen Hafner ist Kritiker und Direktor des Düsseldorfer Kunstvereins.

Anmerkungen

[1]Vgl. Isabelle Graw: Der Komplex Kippenberger, in: Texte zur Kunst, Heft Nr. 26, Juni 1997, S. 45ff
[2]Vgl. Diedrich Diederichsen (Hg.): Martin Kippenberger - Wie es wirklich war. Am Beispiel Lyrik und Prosa, Frankfurt am Main, 2007