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EIN STÜCK VON RENÉ POLLESCH Isabelle Graw über René Polleschs „Service/No Service“

René Pollesch

René Pollesch

Wir sind zutiefst traurig und bestürzt über den viel zu frühen und überraschenden Tod von René Pollesch. Für unsere langjährige freundschaftliche Verbindung zu ihm sind wir ebenso dankbar, wie für sein einflussreiches Werk mit seinen wichtigen ästhetischen und theoretischen Bezugspunkten. In Erinnerung an Pollesch republizieren wir aus Isabelle Graws Buch In einer anderen Welt (2020) ein Aperçu über sein 2015 uraufgeführtes Stück Service/No Service. Mit diesem leitete Pollesch, wie Graw derzeit resümierte, im leerem Einheitsbühnenraum von Bert Neumann das Ende der Ära Frank Castorf ein.

Die gängige Kritik an so gut wie jedem Pollesch-Stück lautet, dass es mit der Zeit an Spannung verliere und nach der ersten halben Stunde ein wenig abfalle. Ich glaube hingegen, dass der Sinn dieser abfallenden Kurve in seinen Stücken darin besteht, die Zuschauer*innen auf sich selbst und ihre Situation im Theater zurückzuwerfen. So auch gestern bei Service/No Service, wo schon die zwischengeschalteten Musikstücke dafür sorgten, dass man mit seinen Gedanken alleine blieb und dem Gesehenen und Gehörten nachsinnen konnte. Das Stück nimmt den Abschied von der alten Volksbühne selbst in die Hand: An die Stelle der Bestuhlung ist eine Betonrampe getreten, auf der das Publikum recht unbequem zum Sitzen kommt. Das bevorstehende Ende einer Ära wird durch diese Abrisssituation für alle körperlich erfahrbar gemacht. Dem Castorf-Nachfolger soll die Volksbühne offenkundig leer, also unmöbliert (‘besenrein’), übergeben werden. Wie um die unwägbare Zukunft der Volksbühne zu illustrieren, werden die Zuschauer*innen ständig aufgescheucht, müssen aufstehen und Platz machen, etwa für eine brechtsche Theaterkarre, die durch das Publikum hindurchgeschoben wird. Die dadurch entstehende Unruhe steht sinnbildlich dafür, dass in diesem Theater in Zukunft mit allem zu rechnen ist. Man wird sich auf eine neue Situation ‚flexibel’ einstellen müssen, wobei die Zumutung dieser Flexibilität hier exemplarisch dem Publikum aufgebürdet wird, das sich ständig bewegen muss. Der erste Monolog, den die Schauspielerin Katrin Angerer spricht, ist fantastisch: Sie versucht die Tatsache herunterzuspielen, dass sie in ihrer Rolle der Elektra irgendwann verstummte und die Bühne deshalb zu früh verlassen musste. Obwohl die Schauspielerin in diesem Monolog ununterbrochen redet, weist sie auf eine Zukunft hin, in der sie verstummt sein und die Volksbühne verlassen haben könnte. Die Rede vom Verstummen ist dabei auch als Metapher für die Situation an der Volksbühne zu lesen, wo der Bühnenbildner Bert Neumann kürzlich verstarb und ebenfalls zu früh verstummte. Immer wieder ist von ‚Manufactum-Stühlen‘ die Rede, die demnächst besorgt würden: Dies illustriert den Wechsel hin zur Sphäre des „Schönen“, womit natürlich die Sphäre der bildenden Kunst gemeint ist, für die der neue Intendant Chris Dercon stellvertretend steht. Gut fand ich auch die Überlegungen zur aktuellen Situation der Linken: So wurde z.B. diagnostiziert, dass sich der Einzelne vom „großen Ganzen“ oder „Weltgeist“ abgekoppelt fühlen würde. Wo früher noch Hoffnung bestanden hätte, würde heute ohne Hoffnung weitergemacht. Die Musikpausen zwischen derartigen Befunden dienen meines Erachtens dazu, eine Art Puffer einzuziehen: Man kann nachdenken über das bisher Gesagte und Gesehene. Ein gängiger Pollesch-Topos ist auch der Umschlag vom Kollektiv in ein dem neoliberalen Anforderungsideal entsprechendes „Team.“ Wobei das Team bei ihm lustiger Weise noch autoritärer agiert als der schlimmste Autokrat. In diesem Stück ist es der Chor, der den Regisseur spielt – eine monströse Multitude, die nur beleidigt und beschimpft. Dass man sich angesichts der zahlreichen Wiederholungen durch dieses Stück streckenweise ein wenig hindurchquälen muss, hat auch seinen Sinn. Denn am Ende waren die Zuschauer*innen vom langen Sitzen auf dem harten Betonboden derart zerschlagen und zerstört, passend zum Zerstörungsprozess, der demnächst auf die Volksbühne zukommen wird. Ich war froh um mein Sitzkissen, das ich mir in weiser Voraussicht mitgenommen hatte.

In dem Titel Service/No Service klingt auch die Weigerung der Volksbühnenmitarbeiter*innen an, in Zukunft nur als Dienstleister*innen wahrgenommen zu werden, die mit dem neuen Hausherren zu kooperieren haben. Diese Zumutung zurückweisend wird der Bühnenraum programmatisch zu einer Zone des „Non-Service“ erklärt, wobei die Schauspieler*innen paradoxerweise unausgesetzt nach ‚Service‘, also nach Bedienung, etwas zu Trinken und zu Essen verlangen. Auf allen Ebenen demonstriert dieses Stück, dass mit ihm eine Ära zu Ende geht. Mir hat es sehr gut gefallen.

Isabelle Graw, In einer anderen Welt. Notizen 2014-2017, Berlin: DCV, 2021, 200 Seiten.

Isabelle Graw ist Herausgeberin von TEXTE ZUR KUNST und lehrt Kunstgeschichte und Kunsttheorie an der Hochschule für Bildende Künste – Städelschule in Frankfurt/M. Ihre jüngsten Publikationen sind: In einer anderen Welt: Notizen 2014–2017 (DCV, 2020), Three Cases of Value Reflection: Ponge, Whitten, Banksy (Sternberg Press, 2021) und Vom Nutzen der Freundschaft (Spector Books, 2022).

Image credit: Bahar Kaygusuz