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HAMBURGER ÜBERFRACHTER Hans-Jürgen Hafner über Otto Dix in den Deichtorhallen Hamburg

„Dix und die Gegenwart“, Deichtorhallen, Hamburg, 2023, Ausstellungsansicht

„Dix und die Gegenwart“, Deichtorhallen, Hamburg, 2023, Ausstellungsansicht

Nachdem ihm die NS-Diktatur seine Kunstprofessur entzieht und seine Arbeiten als „entartet“ diffamiert, verlässt Otto Dix das Kunstzentrum Dresden und zieht aufs süddeutsche Land, wo er in seiner Malerei Kriegs- und Großstadtsujets gegen Landschaften eintauscht. Diese wenig rezipierte Schaffensperiode während des NS versuchen die Deichtorhallen mit einer umfangreichen Ausstellung neu zu bewerten. Zudem bringt die Kuratorin die rund 50 Arbeiten von Dix in Dialog mit circa 100 Werken internationaler Gegenwartskünstler*innen, um so seine Aktualität zu behaupten. Ob dieses kuratorische Großaufgebot das Werk von Dix tatsächlich kunsthistorisch rekontextualisieren und gleichzeitig als Bezugspunkt der aktuellen Kunst aufzeigen kann, diskutiert Hans-Jürgen Hafner in seiner Rezension.

Die „Klassiker“ der Moderne laufen im Großausstellungsgeschäft eigentlich immer. Otto Dix (1891–1969) allein scheint den Hamburger Deichtorhallen (DtH) als Altmeister des neu-sachlich Grotesken aber nicht zu genügen. Die Ausstellung „Dix und die Gegenwart“ wirbt daher mit gleich zwei Versprechen, die kuratorisch und ausstellungskonzeptionell in unterschiedliche Richtungen ziehen.

Laut Pressetext solle die Schau, erstens, Dix’ „Einfluss auf die Kunst bis in die Gegenwart“ zeigen. Damit stehe die Ausstellung, wie DtH-Intendant Dirk Luckow im Katalogvorwort sinnfrei sekundiert, „ohne Vergleich in der Malereigeschichte da“. [1] Nun sind solche auf den transhistorischen Vergleich gebaute Ausstellungsformate in Museumswelt und Kunsthandel gleichermaßen gang und gäbe. Erweist sich hier anhand des erfolgreich aufgezeigten Nachwirkens des künstlerischen Kanons auf spätere Generationen auch die Relevanz der sammelnden Institution selbst, dient dort der Bezug aufs historisch Etablierte der spekulativen Verwertung des Nachwuchses.

Die Deichtorhallen sind jedoch weder ein Museum noch eine Galerie, sondern ein als GmbH verfasster Großausstellungsbetrieb. Der will profitabel wirtschaften und spricht daher ein Massenpublikum an.

Verständlich, dass der Nachweis der Aktualität Dix’ darum nach dem alten Patentrezept „viel hilft viel“ geführt wird. In diesem Fall bürgen viele Gegenwartskünstler*innen für große aktuelle Dringlichkeit. Und es ist für alle was dabei: 50 Einträge umfasst die Künstler*innenliste, darunter viele auch außerhalb des Kunstfelds prominente, wenngleich nicht ganz so „gegenwärtige“ Namen wie Marina Abramović, Georg Baselitz, Lucian Freud oder Cindy Sherman. Alte und neue Blue-Chip-Künstler*innen wie John Currin oder Nicolas Party, Kunstbetrieb-Routiniers wie Monica Bonvicini oder Paul McCarthy, dazu ein paar Hamburger Größen runden das insgesamt malerei- und fotografielastige Line-up ab.

„Dix und die Gegenwart“, Deichtorhallen, Hamburg, 2023, Ausstellungsansicht

„Dix und die Gegenwart“, Deichtorhallen, Hamburg, 2023, Ausstellungsansicht

Einmal mit Aktualität, möchte man in Hamburg, zweitens, aber auch mit einer kunsthistorischen Revisionsleistung punkten. So etwas liegt – Stichwort Emil Nolde, Documenta, NS-Kunstbetrieb etc. – durchaus im Trend und findet trotz der notwendig fachwissenschaftlichen Grundierung der Themen ein breites Publikum. [2]

Als Kuratorin wurde dafür die Hamburger Dix-Forscherin Ina Jessen engagiert, die laut Pressetext nun also „erstmalig“ dessen „Œuvre aus der Zeit der NS-Diktatur umfassend [vorstellen]“ will. Nicht, dass da nach den großen und kleinen Dix-Geburtstagsausstellungen 1991, 2011 und 2016 noch viel Neuland zu entdecken wäre. Trotz der mehr als 50 Exponate von Dix sind die im Hamburger Katalog auch versprochenen „Schlüsselwerke“ allerdings rar. Klar, dass verlorene Arbeiten, wie Schützengraben (1922/23), schon zu Weimarer Zeiten umstritten, nur in Kopie ausgestellt werden können. Wenn jedoch Schlüsselwerke für die Argumentation bemüht, dann aber die Meisterwerke des Künstlers wie das Großstadt-Triptychon (1927/28, Kunstmuseum Stuttgart) oder das 1968 für die Dresdener Galerie Neue Meister erworbene Bild Krieg (1929–1932) unkommentiert nur in Form von hinter Glas kaschierten Fotoprints gezeigt werden, hinterlässt das einen schalen Nachgeschmack – umso mehr, weil man den von der Dix-Stiftung in Vaduz geliehenen, ramponierten Kopien leider überdeutlich ansieht, dass sie schon viele Fronteinsätze hinter sich haben (Und wenn dann noch schwarze Kunststoffstreifen, die die Platten auf Position halten, gar so sichtbar hervorstehen!). Zudem fehlt ein verbindliches Narrativ, das die vorhandenen, in den gesamten Parcours eingestreuten Werke – ein bisschen Porträt, viel Landschaft, Allegorisches auch aus der Nachkriegszeit, Grafik, daneben eine Handvoll Dokumente – einzuordnen hilft.

Erst 2022 legte die Frankfurter Schirn in der Gruppenschau „Kunst für Keinen“ den Fokus auch auf Dix in der NS-Zeit. Jessen schrieb dazu im Katalog, die Schau problematisiere erfolgreich jene allzu pauschale Formel von der „inneren Emigration“ derer, die vom offiziellen Kunstbetrieb ausgeschlossen, teils verfolgt und mit dem Leben bedroht, ihre Œuvres gleichwohl kreativ und in künstlerischem Sinne unterschiedlich erfolgreich weiterführten – ohne die bisherige Dix-Rezeption dabei grundsätzlich in Frage zu stellen. [3]

Wieder wartet Jessen nun in der Hamburger Ausstellung mit ihrer These auf, Dix’ altmeisterliche, am Bodensee entstandenen Landschaftsgemälde seien „nur vermeintlich unpolitisch“, vielmehr regelrechte „politische Landschaften“. Das mag sich anhand von symbolisch oder allegorisch verklausulierten „gesellschaftskritische[n] Botschaften“ [4] in einzelnen Werken zwar nachvollziehen lassen, doch macht das eine Landschaftsmalerei nicht automatisch „politisch“. Zu gerne erführe man in dieser Schau deshalb mehr zur Biografie des Künstlers: etwa wie Dix vor allem durch private Aufträge und Verkäufe die Jahre des NS-Regimes überstanden hat. Doch kommt die kunsthistorische Kontextualisierung genauso zu kurz wie die unabdingbare methodische Bestimmung, was es mit der „politischen Landschaft“ als Bildkonzept denn eigentlich auf sich hat. Worin der „politische“ Einsatz dieser Landschaften also genau besteht, wie er inner- oder womöglich außerhalb der Kunst eventuell geltend gemacht wurde, bleibt insgesamt spekulativ. Dix’ während der NS-Zeit entstandenes Werk auf dieser schwachen Basis grundsätzlich neu zu bewerten, geht nicht auf. Vielmehr bestätigt sich im Vergleich mit den stilprägenden und tatsächlich gegenwartsdiagnostischen Kriegs-, Großstadt- und Gesellschaftstableaus des Künstlers der 1920er Jahre die Zweitrangigkeit der Landschaften mit ihrem bildkonzeptionell und malerisch selten befriedigend bewältigten Hang zum malereigeschichtlichen Zitat.

„Dix und die Gegenwart“, Deichtorhallen, Hamburg, 2023, Ausstellungsansicht

„Dix und die Gegenwart“, Deichtorhallen, Hamburg, 2023, Ausstellungsansicht

Die zweifache kuratorische Zielvorgabe wirft somit grundsätzliche Fragen auf: Welchen Begriff von „Gegenwart“ legt die Schau mit Dix als Vergleichspunkt überhaupt zugrunde? Ginge es um seine Neubewertung, müssten wir uns zuallererst mit seiner historischen Gegenwart beschäftigen. Was trüge das Wissen um seine „politischen Landschaften“ dann aber zum heutigen zeitgenössische Kunstgeschehen bei? Wie ließe sich der kunsthistorisch „tiefe“ Blick auf Dix grundsätzlich mit der Panoramaperspektive aufs gesellschaftliche, politische und kulturelle Hier und Jetzt verbinden, mit welchem Effekt?

Es hilft der Schau nicht unbedingt, dass der Parcours mit den chronologisch darin verteilten Arbeiten Dix’ einer Kunstmesse ähnlicher sieht als einer Retrospektive. Dem Durcheinander qualitativ sehr unterschiedlicher Werke, die, zumindest in der Theorie, thematischen Ausstellungskapiteln zugeteilt sind, entspricht eine ungelenke Präsentation, die nur noch mehr dazu beiträgt, das eventuelle Potenzial einzelner Arbeiten zu verstellen. Es hilft zudem nicht, wenn deren tatsächlicher Standort in der Ausstellung von der im Katalog getroffenen inhaltlichen Rubrizierung abweicht. Gleich im ersten Raum laufen sich die Kapitel „Großstadt“ und „Das Typenporträt im Umbruch“ – was auch immer das bedeuten soll – gegenseitig den Rang ab: Da konkurrieren die im Stile der 1930er Jahre gemalten Momentaufnahmen eines American Football-Spiels von Ernie Barnes (1991) mit veristisch eingefrorenen Porträts von Almut Heise (Christa mit Opernglas bzw. mit Ventilator, 1977 und 1983). Ein als Quilt gearbeitetes Jazzkonzert von Faith Ringgold (2007/2023) schließt an eine neue Fotoserie Tobias Zielonys an, die laut Katalog „gegenwärtig auf den Umgang der Menschen in Moldau mit der aktuellen Energiekrise bezogen“ [5] sei. Ein expressives Hospital-Triptychon von Zeng Fanzhi (1991) hängt Rücken an Rücken mit Kati Hecks penibel gemaltem Salon Chef (2018). Die Vermittlungstexte bemühen das formal Ähnliche: Dieses und jenes sei „wie“ Dix, „in Verbindung mit“, als „Parallele“ oder „im Verhältnis zu“ ihm „auch“ zu sehen. Stichhaltige Argumentation, vor allem eine plausible visuelle Vermittlung als Ausstellung geht anders.

Als einziges bedeutendes Großformat in der Schau belegt das in den frühen Jahren des NS-Regimes zwischen 1934 und 1936 entstandene Flandern Dix’ kompositorisches Können, eine zu Tode erschöpfte „Kriegslandschaft“ (Jessen), worin Soldaten, Kriegsgerät und Unrat mit dem Bodenmorast verwachsen. Maltechnisch ist das Bild im Vergleich mit den populären Werken der 1920er Jahre aber ein Ausreißer: Weit weg von der ins Neu-Sachliche gewendeten altmeisterlichen Lasurtechnik, malt Dix hier in grindigen Erdtönen, wobei seine Faszination für Krieg, Tod und Verfall gleichwohl sichtbar wird.

Seinen kleinformatigen (und Mitte der 1930er Jahre in Bildanlage und Durcharbeitung trotz unverblümter Albrecht-Altdorfer- und Pieter-Breughel-Bezüge irgendwie noch gelungenen) Landschaften hilft es nicht, wenn sie sich von riesigen, auf Lastwägelchen freistehend präsentierten Materialschlachten aus Anselm Kiefers jüngster Produktion (Am letzten Tor, An die Haltlosigkeit, beide 2021) und Friedrich Kunaths maliziöser Kitschmalerei (My IQ Is 300 When I’m Asleep And Dreaming, 2020/21) eingeklammert finden. Warum ein Video im angrenzenden Kabinett Marina Abramović beim Abschrubben von Knochen zeigt?

„Dix und die Gegenwart“, Deichtorhallen, Hamburg, 2023, Ausstellungsansicht

„Dix und die Gegenwart“, Deichtorhallen, Hamburg, 2023, Ausstellungsansicht

Es mag sich anbieten, im Kapitel „Altmeisterlichkeit“ Parallelen zwischen den Rezepten zu suchen, mit denen John Currin oder Falk Gernegroß mit künstlerisch recht unterschiedlichem Ergebnis auf malereihistorisch versierte Kund*innen zielen. Naheliegender und auch gegenwärtig von Interesse wäre es dagegen, abzugrenzen, was genau Dix’ gleichermaßen maltechnischen wie bildkonzeptionellen Rückwärtssalto Ende der 1920er Jahre zum Beispiel vom deutschtümelnden Altmeistertum des späteren Nazi-Superstars Werner Peiner unterscheidet – auch dieser ist schließlich ein Virtuose des Grotesken. Zu diskutieren wäre ferner die „persönliche antifaschistische Haltung“, die Dix – eifrig auch von der DDR-Führung umworben und seit 1964 Träger der Carl-von-Ossietzky-Medaille des Friedensrats der DDR – laut Vermittlungstext mit Werner Tübke verbindet, der mit einem Porträt-Bildnis Hannelore S. (1959) und der Allegorie Tod im Gebirge (1982) in der Schau vertreten ist. Doch werden nicht nur die Ambivalenzen in Dix’ Kunst, sondern auch seine ambivalente deutsch-deutsche Wirkungsgeschichte nicht thematisiert.

Die durch die kuratorische Überfrachtung verursachten Spannungen werden in der Schau also weder gelöst noch produktiv gemacht – nicht mit Blick auf Dix, nicht mit dem auf die unmittelbare Gegenwart. Vielmehr bleibt das Bild, das die Ausstellung retrospektiv von dessen Œuvre entwirft, trotz der versprochenen Revision seiner Arbeiten aus der NS-Zeit ebenso unscharf wie das angeblich Dix-induzierte, bunt gewürfelte Bild der Gegenwart. Deren Krisen werden gar nicht erst eingeblendet.

Am Ende steht diese konzeptionell und gestalterisch gleichermaßen verunglückte Schau zumindest in der jüngeren Ausstellungsgeschichte „ohne Vergleich“ da. Fragt sich, wer in dieser GmbH die Qualität sicherstellt.

„Dix und die Gegenwart“, Deichtorhallen Hamburg, 30. September 2023 bis 1. April 2024.

Hans-Jürgen Hafner arbeitet als Kunstkritiker, Autor und Ausstellungsmacher. Zuletzt kuratierte er die Ausstellung „I AM THE AUDIENCE & / Theorie installieren: ,Die Idee des Neuen‘“ im Kunstbunker Nürnberg.

Image credit: 1.–4. © VG Bild-Kunst, Bonn 2024 / Deichtorhallen Hamburg / Henning Rogge

ANMERKUNGEN

[1]Dirk Luckow, „Vorwort“, in: Dix und die Gegenwart, Ausst.-Kat., hg. von Ina Jessen/Dirk Luckow, Deichtorhallen Hamburg, 2023, Vorwort, S. 111.
[2]Vgl. „Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“, Kurator*innen Bernhard Fulda/Christian Ring/Aya Soika, Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart, Staatliche Museen zu Berlin, 2019; „documenta. Politik und Kunst“, Kurator*innen Lars Bang Larsen/Alexia Pooth/Julia Voss/Dorothee Wierling; und „Die Liste der ‚Gottbegnadeten‘. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“, Kurator Wolfgang Brauneis, beide Deutsches Historisches Museum Berlin, 2022.
[3]Vgl. Kunst für Keinen. 1933–1945, Ausst.-Kat., hg. von Ilka Voermann, Schirn, Frankfurt/M., 2022.
[4]Ina Jessen, „Dix und die Gegenwart. Das kuratorische Konzept“, in: Dix und die Gegenwart, S. 119–127, hier: S. 120.
[5]Ebd., S. 123.