DANIELA HAMMER-TUGENDHAT (1946–2025) Von Karin Gludovatz
Daniela Hammer-Tugendhat
Daniela Hammer-Tugendhat wurde am 2. August 1946 in Caracas als jüngstes Kind von Fritz und Grete Tugendhat geboren. Ihre Familie hatte vor dem nationalsozialistischen Regime über die Schweiz nach Venezuela fliehen müssen. Die Eltern, tschechische Textilindustrielle, hatten 1929/30 in Brünn das von Ludwig Mies van der Rohe entworfene Haus Tugendhat errichten lassen, das als eines der bedeutendsten Bauwerke der internationalen Moderne gilt. 1950 kehrte die Familie nach Europa, nach St. Gallen, zurück. Ab 1964 studierte Hammer-Tugendhat Kunstgeschichte und Klassische Archäologie an der Universität Bern, bevor sie 1968, dem berühmten Mediävisten Otto Pächt folgend, an die Universität Wien wechselte. 1975 promovierte sie mit einer von Pächt betreuten Studie zu den Gestaltungsprinzipien des Hieronymus Bosch, in der sich bereits ihr Interesse an Störungen, Brüchen oder zumindest Abweichungen von Bildtraditionen zeigte. Sie verortete Boschs Bilderfindungen in der künstlerischen Genealogie Westeuropas, ohne diese in eine Entwicklungs- oder Einflussgeschichte münden zu lassen. Vielmehr setzte Hammer-Tugendhat bei den Abweichungen im Vertrauten an und diskutierte den mit der formalen Neuinterpretation einhergehenden Bedeutungswandel, nicht zuletzt hinsichtlich seiner Konsequenzen und Möglichkeiten für eine sich im 15. Jahrhundert sukzessiv etablierende bürgerliche Gesellschaft. Kunstwerke, hier von Bosch, nicht primär unter stilkritischen Aspekten zu betrachten, sondern zugleich nach dem historischen Verständnis und ihrer sozialen Funktion zu fragen, war ein entscheidender Schritt in der methodischen Orientierung Hammer-Tugendhats hin zu einer Kunstgeschichte, die die Semantik ästhetischer Strukturen historisch kontextualisiert und sich soziopolitischen Fragen öffnet.
Wenngleich sie sich durch ihren ideologiekritischen Ansatz deutlich von ihrem Doktorvater Pächt absetzte, schloss ihre Forschung an die strukturanalytische Ausrichtung der Zweiten Wiener Schule der Kunstgeschichte an, die sie durch die Auseinandersetzung mit ikonografischen Fragen, aber vor allem durch die Integration semiotischer und anderer philosophischer Ansätze maßgeblich erweiterte. Seit Ende der 1970er Jahre arbeitete Hammer-Tugendhat kontinuierlich und zunehmend interdisziplinär an der methodischen Konturierung einer Kunstgeschichte in kulturwissenschaftlicher Perspektive. Dabei waren für sie weniger eine Kulturgeschichte in deutscher Tradition als vielmehr die Diskurse der Cultural Studies angloamerikanischen Zuschnitts leitend, die auf das politische Engagement der 68er-Generation reagierten. Darauf aufbauend wandte sich Hammer-Tugendhat sowohl in ihrer wissenschaftlichen Arbeit als auch in ihrem (hochschul-)politischen Engagement gegen kulturell determinierte Normierungen, exemplarisch und wegweisend seit den frühen 1980er Jahren im Bereich der Frauen- bzw. Geschlechterforschung.
Zur fachlichen Implementierung genderkritischer Anliegen trugen nicht zuletzt die „Kunsthistorikerinnen-Tagungen“ bei, an denen Hammer-Tugendhat seit 1982, somit von Beginn an, beteiligt war und deren dritte sie 1986 in Wien gemeinsam mit Kolleginnen konzipierte und organisierte. Die mit „Frauen-Bilder – Männer-Mythen“ betitelte Tagung markierte eine entscheidende Wende, in deren Verlauf eine sogenannte Frauenkunstgeschichte der 1970er Jahre von einer kunsthistorischen Geschlechterforschung abgelöst wurde, die nicht auf eines der Geschlechter fokussiert, sondern deren Verhältnisse in den Blick rückt. So zeichnete sich Hammer-Tugendhats Arbeit in diesen Jahren durch die enge Verbindung von inhaltlichem und institutionellem Engagement aus, wie etwa die Mitarbeit in der 1989 gegründeten „Initiative zur Förderung der Frauenforschung und ihrer Verankerung in der Lehre“ belegt. Weiterhin agierte sie als Kommissionsmitglied des Projektzentrums Frauen- und Geschlechterforschung der Universität Wien. Auch Hammer-Tugendhats 1993 an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg approbierte kumulative Habilitationsschrift widmete sich „Studien der Geschlechterbeziehung in der Kunst“. Die Arbeit weist mit Beiträgen zur spätmittelalterlichen Luxuria-Ikonografie, zur Naturalisierung des Geschlechterverhältnisses in Jan van Eycks Urelternpaar des Genter Altars, zu Boschs Garten der Lüste und Tizians Aktdarstellungen bis hin zu Giovanni Segantinis Die bösen Mütter zeitlich und inhaltlich ein weit gefasstes Spektrum an künstlerischen Gegenständen auf, das methodisch durch korrespondierende Fragestellungen einer kulturwissenschaftlich informierten Geschlechterforschung verbunden wird.
Hammer-Tugendhat formulierte in ihrer Studie programmatisch zentrale methodische Anliegen, die ihre Forschung bis zuletzt bestimmten: Ausgehend von semiotischen Theorien lotete sie die Grenzen und Möglichkeiten bildlichen Bedeutens aus und analysierte das Zeichensystem des Bildgefüges dabei in untrennbarer Verbindung mit seiner ästhetischen Struktur. Sie insistierte auf deren Analyse, die sie für unverzichtbar hielt, bewahrte diese durch kulturwissenschaftliche Fragestellungen jedoch vor einer formalistischen Aushöhlung. Besonders deutlich tritt dieses Anliegen in jenen ihrer Studien hervor, die sich intermedialen Fragestellungen, primär dem Verhältnis von Sprache, Text und Bild, widmen. Zu nennen wären hier etwa Beiträge zu schreibenden und lesenden Frauen in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts.
Aufbauend auf diesen Arbeiten zeugen die jüngeren Schriften Hammer-Tugendhats von einem zunehmenden Interesse an bildtheoretischen Fragen, hier vor allem an solchen, die in der Fachgeschichte unter dem Schlagwort „Metamalerei“ gefasst werden und sich selbstbezüglichen Aspekten in Gemälden widmen, die Bedingungen des Malens und Wirkmächtigkeiten der Malerei selbst zum Thema erheben. In dieses Interessengebiet fällt auch die kontinuierliche Auseinandersetzung mit ganz verschieden konfigurierten Voraussetzungen des Betrachtens und mit Spielarten des Sehens und Blickens, die wiederum Fragen der Genderforschung aufgreift, für die Blickstrukturen als Differenz markierende Faktoren von besonderer Relevanz sind. Hammer-Tugendhat fragte nach der Evokation des Sichtbaren, nach Präsenz und Bedeutsamkeit des Nichtsichtbaren bzw. nach dem Wechselverhältnis von Sichtbarem und Nichtsichtbarem. Diese Forschungsfelder fanden ebenso wie das nachhaltige Interesse an der Visualisierung von Affekten und Emotionen Eingang in ihre 2009 erschienene Monografie Das Sichtbare und das Unsichtbare, die sich unter diesen Kategorien erneut der Holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts zuwendet und heute den Rang eines Standardwerks hat. Die Forschung, allen voran Svetlana Alpers, hat mit Blick auf die niederländische Kunst generell und die holländische insbesondere als leitendes Interesse immer wieder die Freude an der intensiven Beobachtung und Beschreibung identifiziert. Hammer-Tugendhat konstatiert hingegen eine Dialektik, die dieses Begehren nach Sichtbarkeit mit der Arbeit am visuellen Entzug verbindet, da sich, so eine ihrer zentralen Thesen, erst in der Ambivalenz von Sehen und Nichtsehen das argumentative Potenzial der Gemälde entfalte.
Neben der Forschung galt das besondere Engagement von Hammer-Tugendhat der universitären Lehre: Seit 1975 unterrichtete sie durchgehend an der Universität für angewandte Kunst Wien, seit 1992 überdies regelmäßig an der Universität Wien, wiederholt auch an Universitäten in Deutschland und in der Schweiz. Sie mag eine strenge Betreuerin gewesen sein, aber die beste, die man haben konnte, insofern sie den Studierenden größte Ernsthaftigkeit entgegenbrachte, Wege wies und ihnen gleichzeitig alle Freiheiten ließ. Darüber hinaus war sie durch Gasttätigkeiten sowie die Beteiligung in verschiedenen Forschungseinrichtungen international tätig.
Lange Jahre und schließlich erfolgreich setzte sich Daniela Hammer-Tugendhat gemeinsam mit Ivo Hammer-Tugendhat für die sachgerechte Restaurierung der nunmehr zum Brünner Stadtmuseum gehörigen Villa Tugendhat ein, die sie durch wissenschaftliche Beratung und mit mehreren Publikationen begleiteten.
2010 zeichnete die österreichische Bundesregierung das lebenslange Engagement der Wissenschaftlerin für Gleichstellung mit dem Gabriele-Possanner-Staatspreis für wissenschaftliche Leistungen im Dienste der Geschlechterdemokratie aus; 2024 verlieh ihr das Land Wien das Goldene Ehrenzeichen; 2012 würdigte die Universität für angewandte Kunst, an der sie Generationen von Studierenden ausbildete und der sie auch über ihre Pensionierung hinaus als Honorarprofessorin und Universitätsrätin verbunden blieb, ihr Schaffen. Am 17. September 2025 ist Daniela Hammer-Tugendhat in Wien verstorben.
Karin Gludovatz ist Kunsthistorikerin und lehrt an der Freien Universität Berlin.
Image credit: Courtesy Villa Tugendhat, Foto David Zidlicky