Cookie Warnung
Für statistische Zwecke und um bestmögliche Funktionalität zu bieten, speichert diese Website Cookies auf Ihrem Gerät. Das Speichern von Cookies kann in den Browser-Einstellungen deaktiviert werden. Wenn Sie die Website weiter nutzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Akzeptieren

KOORDINATENSYSTEME EINER SAMMLUNG LEANDER PÖHLS ÜBER „MAPPING THE COLLECTION“ IM MUSEUM LUDWIG, KÖLN

Harry Gamboa Jr., „First Supper (After A Major Riot)“, 1974

Harry Gamboa Jr., „First Supper (After A Major Riot)“, 1974

Koordinaten der Sichtbarkeit. Eine Strategie kuratorischen Kartografierens ist die polithistorische Rekontextualisierung künstlerischer Produktion, eine andere die geografische Bestimmung ihrer Genese. Dabei stellt sich die Frage nach vom Kanon jeweils aus- und eingeschlossenen Künstler*innen vor allem als Frage der Diversifizierung tradierter kunsthistorischer Erzählungen. Die noch bis Mitte Oktober zu sehende Ausstellung „Mapping the Collection“ im Kölner Museum Ludwig unternimmt genau dies: ein identitätspolitisches Mapping des hauseigenen Konvoluts US-amerikanischer Pop-Art und Konzeptkunst. Ein gelungenes Beispiel der Destabilisierung hegemonialer Diskursproduktion, wie Leanders Pöhls befindet.

Die Nominalisierung eines nur unbeholfen ins Deutsche zu übersetzenden Prädikats ist für die Sonderausstellung im Kölner Museum Ludwig titelgebend: „Mapping“. Vordergründig auf die geografische Positionierung eines Gegenstandes referierend, weist der Begriff auf einen Verbund an kartografierenden Praktiken hin, anhand derer die Kuratorin und Stipendiatin der Terra Foundation for American Art, Janice Mitchell, die tradierte Erzählung US-amerikanischer Kunst der 1960er und 1970er Jahre zu diversifizieren sucht. Gegenstand eines solchen Mappings ist hier die Sammlung des Museum Ludwig mit Arbeiten von US-amerikanischen Pop-Art- und Konzeptkünstler*innen der letzten Jahrzehnte. Das identitätspolitische Mapping des hauseigenen Konvoluts an Arbeiten, u.a. von Andy Warhol, Claes Oldenburg, Jasper Johns und Ed Ruscha, zeigt die Exklusion nicht-männlicher, nicht-weißer Künstler*innen vom institutionellen Kanon auf. [1] Das Potenzial der Sonderausstellung erschöpft sich aber nicht in einem tokenizing der von Kübra Gümüşay so bezeichneten „Benannten“ [2] – darunter queere, indigene oder afroamerikanische Künstler*innen wie Ana Mendieta, Pirkle Jones, David Wojnarowicz, Senga Nengudi oder Adrian Piper. Vielmehr trägt „Mapping the Collection“ der Komplexität des Kartografierens Rechnung, wenn über eine akteur*innenorientierte Revision hinausgegangen und der im Titel aufgerufene Ordnungsanspruch unterlaufen wird. Wie ist das rhizomartige Koordinatensystem einer Karte abzubilden, das die Strata zweier Jahrzehnte US-amerikanischer Kunst codiert?

Eine Strategie zum Mapping amerikanischer Kunstgeschichte der 60er und 70er Jahre ist die polithistorische Positionierung der Werke. Mittels eines begleitenden Glossars und eines wandbedeckenden Diagramms zu Beginn der Ausstellung wird auf Dutzende von Ereignissen im Kontext US-amerikanischer Gegenwartspolitik rekurriert: etwa auf die Besetzung von Wounded Knee durch Aktivist*innen des American Indian Movement 1973, auf die von der afroamerikanischen Community organisierten, gegen die Segregation in öffentlichen Verkehrsmitteln protestierenden Montgomery-Bus-Boykotte der Jahre 1955/56 oder auf den u.a. von Marsha P. Johnson, einer schwarzen Transfrau, initiierten Stonewall-Aufstand. Da eine zu mehr Akzeptanz und Inklusion fortschreitende Geschichtsnarration, 1960 beginnend und 1980 endend, angesichts der Wahl Ronald Reagans im Jahr 1981 wie auch aktuell erstarkender rassistischer, sexistischer, homophober und antisemitischer Haltungen absurd erschiene, inszenieren die Darstellungen keine sukzessive Fortschrittsgeschichte: Das Glossar organisiert sich alphabetisch, also mittels eines „absolut bedeutungslos[en]“ [3] Ordnungssystems; das Diagramm an der Ausstellungswand will keinem erkennbaren Schema folgen.

Interdependenzen politischer und künstlerischer Entwicklungen bleiben dank Geradlinigkeit verweigernder Rekonstruktionen US-amerikanischer Zeitgeschichte uneindeutig. Arbeiten werden nicht als reaktiver Kommentar auf singuläre Entwicklungen funktionalisiert, was ihnen einmal mehr erlaubt, den gesetzten Zeitrahmen zweier Jahrzehnte bis in die Gegenwart, also bis dorthin, wo Diskurse der 1960er und 70er sich zyklisch zu wiederholen scheinen, zu überschreiten.

Eine andere Bedeutung von „Mapping“ ist die Ortsbestimmung. Zentren US-amerikanischer Kunstproduktion waren und sind Los Angeles und New York: Ed Ruschas Leporello Every Building on Sunset Strip (1966), das sich aufgefaltet von der einen zur anderen Ecke des Ausstellungsraums zieht, zeigt die Fassaden aller der auf dem Sunset Strip gelegenen Häuser und damit das Stereotyp vom sonnigen Kalifornien und seiner Amüsiermeilen. Daneben hängen die fotografischen Dokumentationen der Performances des Künstler*innenkollektivs ASCO: Interventionen von vier Künstler*innen der Chicano-Commmunity an ebenjenen Orten in Los Angeles, die Gegenstand zeitgenössischer Stadt- und Baupolitik waren. Eine Fotografie der Performance First Supper (after a Major Riot) (1974) zeigt das Kollektiv auf einer Verkehrsinsel zwischen Arizona Street und Whittier Boulevard sitzend, die Folge eines 1973 begonnenen „Redevelopment“-Programms war, das Ansammlungen Protestierender im Stadtraum zu verhindern anstrebte. Als ortsspezifische Intervention ist ebenfalls die Serie Arthur Rimbaud in New York (1978–1979) von David Wojnarowizc zu verstehen, der sich, eine Maske mit dem Gesicht von Arthur Rimbaud tragend, flanierend an Orten schwulen Lebens zeigte: Auf Coney Island, vor Kinosälen, in U-Bahn-Stationen, masturbierend, Heroin spritzend, auf dem Bett liegend. Die Performances von ASCO und Wojnarowizc sind Proteste gegen gentrifzierende, Sichtbarkeit queeren und nicht-weißen Lebens einschränkende Stadt- und Körperpolitiken sowie – um sich dem Vokabular des Mappings zu bedienen – eine Überschneidung zweier geografisch sich gegenüberliegender Koordinaten.

„Mapping the Collection“, Museum Ludwig, Köln, 2020, Austellungsansicht

„Mapping the Collection“, Museum Ludwig, Köln, 2020, Austellungsansicht

Nimmt man diese und andere Arbeiten, wie zum Beispiel die Selbstporträts von Ana Mendieta, eine Videoarbeit Martha Roslers, Fotos von Inszenierungen Senga Nengudis und Dokumentaraufnahmen von Pirkle Jones, so ist bemerkenswert, dass die ausgestellten Werke mehrheitlich Videos und Fotos sind: „technische Bilder“ also, wie Vilém Flusser sie klassierte. Diverser wird das Koordinatensystem der hauseigenen Sammlung, die überwiegend aus Malereien besteht, somit nicht nur hinsichtlich ihrer Akteur*innen, sondern auch der darin sich artikulierenden Kunstgattungen und Medienpraktiken. Kraft ihres ikonischen und indexikalischen Abbildungspotenzials demaskieren technische Bilder offenkundiger Politik(en) medialer Repräsentation. Künstlerische Konventionen der 1960er und 1970er Jahre werden hier nicht einfach ironisiert oder zum Sujet einer campen Paraphrase gemacht, sondern hinsichtlich ihrer normativen Selbstverständnisse kritisiert und mittels „Gegendressur“ [4] zur Diversifizierung aufgefordert: Marginalisierte Akteur*innen, also „Benannte“, müssen – wie es die US-amerikanische Literaturwissenschaftlerin bell hooks formuliert – „dagegendrücken, um vorwärtszukommen“ [5] .

Rosler nutzt in ihrer berühmten Semiotics of the Kitchen (1975) die Sichtbarmachung qua Videoobjektiv zur Satire der von männlichen Akademikern dominierten Schule der Semiotik, schneidet mit Messer und Gabel Buchstaben in die Luft, anhand derer sie den Alltag einer „Hausfrau“ von A bis Z expliziert. Mendieta, dessen Selbstporträt Ohne Titel (Facial Hair Transplant) (1972) sich heute in der Sammlung des Museum Ludwig befindet, eignet sich das inszenatorische Potenzial der Fotografie zur Maskerade ihrer selbst mit männlichen Attributen an, Nengudi dokumentiert fotografisch die Inszenierungen ihres Körpers zwischen Skulptur und Performance, Jones bildet in Fotoserien die von Huey P. Newton und Bobby Seale gegründete Black-Panther-Party ab. Nicht nur, dass diese Arbeiten alle in denselben zwei Jahrzehnten sowie in demselben Land entstanden; sie eint darüber hinaus, dass sie mit jeweils eigenen Strategien die Grenzen der Repräsentation als Reiteration von Stereotypen, als Re-Präsentation des bereits Sicht- und Sagbaren, transgressieren. Das politische Potenzial ästhetischer Praktiken der Destruktion bei Rosler, der Selbstdemontage bei Nengudi oder der Persiflage bei Mendieta ist, dass diese die Stabilität des hegemonialen (Bild-)Diskurses bedrohen, wenn letzterer in seiner Hoheit korrumpiert und in seiner diskriminatorischen Kohärenz neu verhandelt wird. So sind die Arbeiten mehr als eine Analyse von in Populärkultur eingeschriebenen Analysen. Sie sind vor allem eine, mit Silvia Eiblmayr gesprochen, „Infragestellung der Systeme und der Zeichen, die die symbolische Ordnung gründen“ [6] . Wie technische Bilder etwaige Ordnungen eben auch zu produzieren vermögen, zeigen wiederum Fotografien von Charles Leander Weed, die der frühen, bereits im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts etablierten Funktionalisierung technischer Aufzeichnungsmedien zur visuellen Aneignung fremden Raums Pate stehen. Pittoreske Fotografien des Yosemite-Nationalparks, die Wasserfälle, Seen oder Gebirgsformationen abbildeten, bedienten die Imagination von Siedler*innen des amerikanischen Westens. Als Re-Präsentationen von Klischees US-amerikanischer Peripherie wird mit den Fotografien Weeds ein frühes Beispiel ebenjener hegemonialen Diskursproduktion ausgestellt, die von den anderen ausgestellten Arbeiten weiblicher, queerer, indigener und schwarzer Künstler*innen destabilisiert werden.

Zu welchen Anschlüssen, welchen Allianzen und Parallelsetzungen zwischen vom Kanon aus- und eingeschlossenen Künstler*innen verhilft die von Kuratorin Janice Mitchell konstruierte Karte? Die Sonderausstellung befindet sich in den Räumen des Untergeschosses des Museum Ludwig, eine Treppe gen Ende der Sonderausstellungsräume führt Besucher*innen zur ständigen Sammlung des Hauses. Gerahmt wird der Treppenaufgang links von einer Arbeit Ed Ruschas, rechts von einer Arbeit Jasper Johns’, das heißt von Arbeiten, die Teil des institutionellen Kanons und Teil der in den oberen Geschossen besuchbaren Sammlung sind. Als Intermezzo verknüpft die Hängung Sonder- und Dauerausstellung miteinander. So wird sich jeglicher Dichotomisierung von marginalisierten und kanonisierten Künstler*innen verweigert, wenn Besucher*innen, ob sie hoch- oder runtergehen, einer ‚weichen‘, Museumsräume aneinanderbindenden Durchquerung folgen. Skizziert wird ein Koordinatensystem, das Machtdynamiken zu differenzieren und das die Ober- und Untergeschoss voneinander trennende Sichtbarkeit im Kanon der US-amerikanischen Kunstgeschichte der 1960er und 1970er Jahre selbstreflexiv anzuzeigen weiß. Die Praxis des Mappings, die nicht zuletzt im Kontext kunstwissenschaftlicher Arbeiten Konjunktur hat, dient hier also der Verknüpfung von politischen Gegebenheiten und künstlerischer Arbeit – eine Kopplung, die auch den Arbeiten von Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg oder Jasper Johns inhärent ist, für diejenigen der „Benannten“ aber andere Konsequenzen hat.

„Mapping the Collection“, Museum Ludwig, Köln, 20. Juni bis 11. Oktober 2020.

Leander Pöhls studiert Kunstgeschichte an der University of Oxford.

Image credits: 1. Harry Gamboa Jr.; 2. Nina Siefke, Museum Ludwig, Köln

Anmerkungen

[1]Gegenwärtig wird die Sammlung des Museum Ludwig mit diversen Positionen, u.a. von Louise Nevelson, ergänzt.
[2]Kübra Gümüşay, Sprache und Sein, Berlin 2020.
[3]Roland Barthes, Fragmente einer Sprache der Liebe, Frankfurt/M. 1984, S. 21.
[4]Pierre Bourdieu, Mediationen. Zur Kritik der scholastischen Vernunft, Frankfurt/M. 2001, S. 220.
[5]bell hooks, „Being the Subject of Art“, in: Walead Beshty (Hg.), Picture Industry. A Provisional History of the Technical Image 1844–2018, Zürich 2018, S. 583 (Übersetzung d. Verf.).
[6]Silvia Eiblmayr, „Martha Roslers ‚Characters‘“, in: Sabine Breitweiser (Hg.), Martha Rosler. Positionen in der Lebenswelt, Köln 1999, S. 247.