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ZUR DEBATTE UM „TEXTE ZUR KUNST“, HEFT 119 STELLUNGNAHME VON SUSANNE LEEB, JENNY NACHTIGALL, JULIANE REBENTISCH, KERSTIN STAKEMEIER UND DIEDRICH DIEDERICHSEN

Die Zeitschrift Texte zur Kunst steht mit ihrer 30-jährigen Geschichte vor allem für feministische, institutions- und kapitalismuskritische Positionen innerhalb des Kunstfeldes. Gerade weil wir als Mitglieder des Beirats diesem politischen und publizistischen Projekt eng verbunden sind, ist es uns ein Anliegen, die Ausrichtung der aktuellen Ausgabe mit dem Titel „Anti-Antisemitismus“ im Folgenden zu problematisieren. Wir schreiben dieses Statement auch als Dokumentation einer internen Auseinandersetzung innerhalb der Zeitschrift und im Glauben an die Produktivität solcher Dissense.

Das Erstarken antisemitischer Strömungen auch in Deutschland, das nicht nur hierzulande mit zunehmendem Nationalismus und dem Erstarken neuer reaktionärer Koalitionen einhergeht, ist alarmierend. In Berlin müssen wir mit den Massendemonstrationen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie derzeit einen Zusammenschluss aus rechten, libertären und ökologischen Splittergruppen beobachten, deren Verbindung nicht zuletzt in den verschwörungstheoretischen Antisemitismen ihrer Anhänger*innen besteht.

Zwar adressiert das Heft das Problem solcher verschwörungstheoretischer Tendenzen, unterzieht die Spezifika des aktuellen Antisemitismus in Deutschland jedoch keiner weitergehenden Analyse, was noch ausstünde. Stattdessen wird die Aufmerksamkeit auf andere Szenen gelenkt. Dass die aktuelle Ausgabe von Texte zur Kunst vor allem als „Anti-BDS-Nummer“ wahrgenommen wird, kann angesichts der Kombination von Hefttitel, Eingangsbeiträgen und ihrer Argumentationsrichtung nicht verwundern. Wir halten die damit nahegelegte Identifikation der von durchaus heterogenen Kräften getragenen Organisation des BDS mit Antisemitismus für politisch fatal, und zwar unabhängig davon, wie man selbst zum BDS stehen mag. Diese Identifikation, die qua Bundestagsbeschluss dazu führt, dass „Projekte, die zum Boykott aufrufen oder die BDS-Bewegung unterstützen, [....] nicht finanziell gefördert werden [dürfen]“[1] , verschließt die notwendige politische Diskussion. Im Heft manifestiert sich dies nicht zuletzt darin, dass sich einige Beiträge in einen performativen Selbstwiderspruch verstricken, indem sie die Offenheit für Diskussion und das Eintreten für Differenzierung, die sie bei der Gegenseite anmahnen, selbst durch Polemik und Unterstellung verunmöglichen. Die sehr späte und notwendige, bis heute unabgeschlossene Selbstaufklärung der Linken über Funktion und Geschichte eines linken Antisemitismus in Deutschland und die Internationalisierung ihrer in Verbindung hierzu eingenommenen Positionen zu Nahostkonflikt und globaler Kolonialpolitik können nicht einfach auf eine internationale Szene projiziert und verschoben werden.

Im Kontext der Diskussion um Achille Mbembe wiederum werden im vorliegenden Heft mehrfach die unterschiedlichen politischen und intellektuellen Positionen, die sich mit der notwendigen Dekolonialisierung unserer Gegenwart und damit nicht zuletzt auch unserer eigenen Institutionen auseinandersetzen, auf die postkoloniale Theorie reduziert. Eben dieser postkolonialen Theorie wird ein Manichäismus diagnostiziert, der strukturellen Antisemitismus reproduziere. Dies findet in einer Ausgabe statt, in der zwar ein Beitrag ein differenzierteres Bild der Mbembe-Debatte zeichnet, in der aber Mmembes Argumentation andernorts als antisemitisch vereindeutigt wird. Gleichzeitig sind im Heft als Ganzem arabische und palästinensische Stimmen ebenso wenig vertreten wie Gegenpositionen zur Einschätzung der Organisation des BDS durch Jüd*innen und Israelis. Genau darin sehen wir jedoch die heute anstehende Aufgabe: dem wiedererstarkenden Antisemitismus den Weg zu versperren und dies als Linke die sich gleichzeitig um eine Dekolonialisierung der eigenen Perspektive bemühen. Es gilt unserer Ansicht nach, aufmerksam für all diejenigen Allianzen zu sein, die quer zu den jeweiligen Unterdrückungsverhältnissen liegen und nicht, sie gegeneinander auszuspielen.

Auch wenn wir wissen, dass die Zusammensetzung der Texte zwischen Redaktion und Gastredaktion kontrovers diskutiert wurde und es in diesem Heft Beiträge mit anderen Themen, Haltungen und Tonlagen gibt, droht diese Ausgabe vor allem mit der Schlagseite des Anti-BDS die Rezeption zu spalten: in diejenigen, die gegen Antisemitismus, und diejenigen, die für eine Dekolonisierung eintreten. Wir möchten vor einer solchen Spaltung warnen, denn die global Triumphe feiernde, ethno-nationalistische Rechte versucht einen Teil ihrer Dynamik genau aus dieser Auseinanderdividierung linker Positionen zu beziehen.

Wir sehen die Stärke dieser Zeitschrift nicht zuletzt darin, dass sie die Verpflichtung auf Kritik, die sie für sich in Anspruch nimmt, immer wieder auch gegen sich selbst gewendet hat. Diese Stärke scheint uns jetzt wieder gefragt.